Читать книгу Lioba wechselt die Saite - Doro May - Страница 8
ОглавлениеMittelalter zum Anfassen
Die Krieger fachsimpeln über die Vorzüge der unterschiedlichen Waffentypen. Valentina tritt einen Schritt näher heran, ihren Ritter, der den Kampf wieder aufgenommen hat, fest im Blick.
Ein schlaksiger Kerl steht in der Tür des Burgcafés. „Seid ihr noch nicht müde, Krieger? Et fiselt."
Unter seinem Filzschlapphut fällt das graue, wellige Haar bis auf die Schulter. Das Baumwollhemd und die dunkelbraunen Lederbeinlinge sind abgenutzt. Aus wasserblauen Augen betrachtet er mit angespöttelten Mundwinkeln die Liverollenspieler. Im Gegensatz zu ihnen arbeitet er hauptberuflich in der neomittelalterlichen Branche, fertigt mit Schulklassen, Betriebsausflüglern, Seniorengruppen lederne Glücksbeutelchen, die mit Hilfe einer kleinen Holzperle verschlossen werden. So kann das Glück nicht entweichen.
„Wirkt todsicher", verspricht der Beutelmacher jedes Mal seiner Klientel, die ihm lebhaft zunickt, wie um zu zeigen, dass sie ihm gerne Glauben schenkt. „Es braucht aber seinen festen Ort. Das Beste ist, man trägt es um den Hals. Dann ist es nah am Herzen dran."
Genau so macht es Valentina seit jenem Sonntagabend, als Knut ihr in der Tapasbar sein Glücksbeutelchen überreicht hat. In ihm ist ein kleiner Bergkristall als Pfand für das noch kleine Glück, dass sie sich begegnet sind.
„Kommt, Leute. Schmalzstullen und Kaffee sind fertig." Der Beutelmacher macht eine einladende Geste Richtung Burgcafé. „Unsere Galgenvögel sind auch soeben eingetroffen.“
Ein allgemeines Aaah ist zu hören.
Da haut der Burgwachenleutnant einen Kelten um.
„Entschuldige. Wollt ich nicht. Hab ich dir weh getan?", wechselt er unvermittelt in den Stand der Unschuld.
Auch die anderen schauen auf den Geschlagenen. Der rappelt sich mit Hilfe seines Gegners auf. „Danke. Geht schon wieder."
Daraufhin begeben sich alle ins Innere der Burg. Auch Knut und Valentina schieben sich hinein in die Behaglichkeit. Ein Galgenvogel trägt einen Torques um den Hals, ein güldenes Schmuckstück, das an einen gedrehten Strick erinnert, dessen Enden zwei Tierköpfe zieren. Er ist mit einer Hose aus Ziegenfell und einem verwaschenen Baumwollhemd gekleidet.
„Wahnsinn! Solche Beinlinge hab ich noch nie gesehen“, ruft jemand durchs Café.
„Total warm", sagt Erasmus laut. „Schließlich waren wir bei dem Scheißwetter bis eben auf einer Baumbestattung.“
„Was man nicht alles für die Kohle tut“, übertönt eine Frauenstimme, Tonlage Alt, den allgemeinen Geräuschpegel.
„Musst du gerade sagen, Sina“, bemerkt einer halblaut in Richtung der aufgedonnerten Baderin, die sofort in kehliges Lachen ausbricht.
„Jeder, der möchte, darf mal an mir fühlen." Erasmus hebt die Arme hoch über den Kopf, wackelt mit seinem kleinen männlichen Hinterteil und näselt, er sei der Promischwule von der Eyneburg. „Packt mir an die Ziege. Tut es bitte jetzt.“
Die meisten strecken demonstrativ die Arme nach der Hose aus, befühlen das Ziegenfell und lachen, woraufhin der junge Mann ein Wow in die Fangemeinde entlässt.
„Erinnert mich an einen Pan mit Bocksfüßen", gackert eine Ritterfrau, deren Haarfärbung ins Orange geht. „Fehlen dir nur noch so kleine, niedliche Hufe."
„Hab ich doch. Guck mal in meine Schuhe", sagt der Ziegenbehoste und keilt aus.
Die Stimmung der in Waffen- und Kettenkult Schwelgenden ist gut in dem kleinen Café in der kleinen ostbelgischen Burg, der das Aus droht, wenn sich keine Investoren finden.
Auf Stühlen liegen die Schwerter und Schilder, Armschoner, lederne Brustpanzer und ein Kettenhemd, dessen Draht damals noch nicht aus dem Baumarkt stammte. Wirt und Wirtin, ebenfalls mittelalterlich gewandet, sind mit den Kämpen bestens bekannt. Nach jedem Gefecht wird hier gegessen und getrunken. Der Ort dieses Rituals erinnert an eine Wohnküche, so gemütlich ist es hier und so riecht es auch.
Der geschlagene Kelte greift sich als erster ein ansehnliches Schmalzbrot, was er mit nur drei Hapsen nicht ganz manierlich in seinem Mund verschwinden lässt. Der Ziegenbehoste hat seine Laute mit ins Café gebracht. Er leert seinen Humpen und stimmt ein deftiges Sauflied an. Der Text ist allgemein bekannt und zotig genug, dass er zum Grölen taugt, wenn man erst mal genug Bier und Schnaps intus hat. Hinterher haun sie mit der Faust auf Tisch und Tresen, dass die Humpen nur so hüpfen. Die Zuschauer, die ebenfalls vor dem Regen ins Café geflüchtet sind, genießen die Atmosphäre aus Urwuchs und Anrüchigem. Ein bisschen tun sie so, als gehörten sie richtig dazu. Wie sie demonstrativ laut die Liedtexte mitsingen und in vertraulichem Du die aufgedonnerte Freizeit-Hure anquatschen.
Im Moment sind alle entwaffnet. Der Raum ist von Bier- und Kaffeeduft durchzogen, die verschwitzten Körper heizen zusammen mit dem provisorischen Gasbrenner das kleine Burgcafé ordentlich auf, und das Rauchverbot ist nicht bis ins Mittelalter durchgedrungen. Die Luft ist bald zum Schneiden. Knut und Valentina hocken eng nebeneinander auf einer Holzbank, jeder einen Bierkrug in der Hand. Samuel, der Geiger, sitzt neben Sina und lässt sich ihre gelegentlichen Umarmungen gefallen.
„Und wenn’s mir mal eines Tages so schlecht geht?“, schnappt Valentina Sinas Sätze auf. „So wie dir, mein armer, kleiner Galgenvogel, vor nicht allzu langer Zeit?“
„Bier her!“, brüllt ein Recke über den Tresen.
„Tröstest du mich dann auch?“, fragt die Frau in eine kurze Sangespause hinein.
Da stimmt der Ziegenbehoste ein neues Lied an. Der Pfaffe wird durch den Kakao gezogen. Ob Lioba schreiend hinausrennen würde, durchfährt es Valentina. Sie beobachtet, wie der große, etwas ausgemergelte Mann seiner üppigen Begleitung zunickt. Zwischen zwei Strophen hört sie, wie das Weib „Schwörst du es?“ zu ihrem Nachbarn sagt. Der Schmalhans namens Samuel hebt die Finger zum Schwur. Da schließt die Hure ihre Arme um ihn und Valentina bekommt mit, wie sie mit den Worten „Dann kann ich ja beruhigt abziehen“ den Lärm übertönt.
Draußen hat sich eine trübe Dämmerung über die Burg gelegt. Bei schlechtem Wetter findet die Schlacht eben im Saal statt.