Читать книгу Lioba wechselt die Saite - Doro May - Страница 9
ОглавлениеDer verschrobene Abend
Valentina, mit der Lioba ihre Vorliebe für alte Krimis teilt, hatte vor Kurzem wieder einmal einen Schlusspunkt unter die Turbulenzen einer in die Jahre gekommenen Zweisamkeit gesetzt. Trotzdem ist sie natürlich kein Luder. Allein diese Bezeichnung fände Lioba für Valentina, die in ihrem Berufsleben Hebamme aus Leidenschaft ist, ganz unpassend. Die beiden Freundinnen verabreden sich immer, wenn Miss Marple, Pater Brown oder ein Edgar Wallace läuft - und das ist heute der Fall. Unseren verschrobenen Abend nennen sie ihre Krimitreffen, die in der ersten Zeit nach Liobas Trennung von Robert den Status einer Therapie einnahmen. So konnte Lioba auf ihrer Couch sitzen, anstatt sich auf die berühmtberüchtigte legen zu müssen.
Natürlich kennen beide jede Sequenz aus dem Wachsblumenstrauß. Die schrullige Margaret Rutherford und ihren Partner haben sie in ihre Herzen geschlossen. Sie genießen die alten Filme stets bei einem leckeren Imbiss. Ohne Liobas erwachsene Töchter, die mit Beendigung der Schule von zu Hause ausgezogen sind - aus einem großen Einfamilienhaus, zu dessen Besitz Lioba einmal gehört hat. Zu einem Haus mit hohen Ansprüchen. Das versorgt sein wollte, geputzt, herausgeputzt, erlesen. Daina, die ältere der beiden Töchter, hat sich nach der elterlichen Trennung heftig um Lioba gesorgt, weil diese kaum noch etwas aß. Inzwischen ist das Schnee von gestern, aber Lioba ist immer noch sehr schlank, was sich Valentinas Ansicht nach auch in ihrem Nachnamen gut macht: Aus Lioba Schulte-Rademacher ist wieder Lioba Schulte geworden.
Valentina bringt einen Bordeaux mit und Lioba bereitet Kanapees zu. Alkoholisches hat sie seit einiger Zeit nicht mehr vorrätig. Wenn Valentina Rufbereitschaft hat, bleibt es ohnehin bei Saft mit Selters.
„Trink dir doch ruhig einen, wenn dir danach ist", riet Valentina, als alles noch frisch war.
„Hab ich ja. Aber die Flasche war jedes Mal leer. Und ich hasse besoffene Frauen, die weinselig alleine in ihrer Kemenate sitzen." Dass sie damals fürchtete, in einen Abgrund zu stürzen, behält sie für sich.
In einer Werbepause, gerade nach Miss Marples berechtigten Zweifeln an einem normalen Ableben von Mr. Enderby, fragt Valentina: „Hast du eigentlich keine Lust, wieder an einer Schule zu arbeiten?"
„Eher bringe ich mich um."
Valentina überschlägt sich daraufhin: „Aber mit deinem Fach Musik würden sie dir den roten Teppich ausrollen."
„Ich mag keine roten Teppiche."
„Aber in einem Kollegium kann man sich aufgehoben fühlen.“
„Da kennst du die Grundschulkollegien schlecht.“ Lioba erstattet über den rapiden Anstieg von Burnouts Bericht, beklagt die steigende Zahl von Kindern, die bereits mit sechs zu Zombies mutieren, und echauffiert sich über den behördlichen Überbau mit seinen Ansprüchen auf Verschriftlichung jedes Furzes, was auch dem Motiviertesten den letzten Nerv raube.
„Und was ist mit Geld?"
Lioba lächelt nur und schüttelt den Kopf. „Kein Thema."
„Hast du es gut.“
Lioba holt geräuschvoll Luft. „Hör zu, Valentina! Ich habe den heiligen Eid geschworen, nie mehr ‚Rabimmel, Rabammel, Rabumm' zu singen oder zu spielen." Sie spricht jedes einzelne Wort überdeutlich. „Zu keinem Sankt Martin der Welt. In meinem ganzen Leben nicht mehr. Es ist einer der Gründe, warum ich meinen Job als Ehefrau nicht wirklich schlecht fand."
Der Werbeblock ist zu Ende und Miss Marple treibt sich gerade im Pferdestall herum.
„Wenn du wüsstest, wie froh ich damals war, als meine erste Tochter mich mangels Kita, passender Tagesmutter oder brauchbarer Oma von dieser Schullast befreit hat."
Auch zu Pferd macht Miss Marple eine gute Figur - genau wie gegen Ende des Films, wenn sie nachher eine „kesse Sohle aufs Parkett" legen wird, wie Lioba und Valentina wissen.
Gleich nach dem Erziehungsurlaub quittierte Lioba den Dienst. Das wäre erledigt, dachte sie damals und investierte ihre Zeit in die Familie, in gute Konzertbesuche und in Bauch, Beine, Po, später in Pilates und Zumba. Schließlich brachte Robert als Personalchef einer gut gehenden Möbelfirma genug Geld nach Hause.
Durch den Verkauf des Anwesens nach der Scheidung und dank einer kleinen Erbschaft kann es sich Lioba noch eine Zeitlang leisten, an den Grundschulen, die auf Klingelton undefinierbare Kinderknäuel ausspucken, vorbeizugehen, mit einem feinen Lächeln über den Lärm hinwegzuhören und in einem Anflug von Mitleid und Schadenfreude die Aufsicht führende Lehrerin in den Blick zu nehmen.
Auch das große Einfamilienhaus vermisst sie keineswegs. Sollte es doch seine Ansprüche an andere stellen, die ihm gerne die edlen Boden- und Treppenhölzer mit Bodenseife und Wachs auf Hochglanz pedikürten. Auch für eine passionierte Putzfrau die absolute Herausforderung.
In einer neuerlichen Werbepause erzählt Valentina von einem Stadtteilfest im Südviertel. Lioba beschließt spontan, dieses Ereignis in ihre Samstagsplanung einzubeziehen, es sozusagen zum Hauptereignis zu machen. So bekommt das Wochenende mit Geigeüben, Körperpflege, dem Studium der Tageszeitung, der Zubereitung kleiner Mahlzeiten und dem Schlendern über den Handwerkermarkt Struktur.
Diese schneidige Art, wie Miss Marple zum Schluss höflich, aber bestimmt den Heiratsantrag ablehnt. Dieses unglaubliche Selbstbewusstsein, das sie durch ihre Haltung ausdrückt. Das hat was.
Die Freundinnen prosten der Weißhaarigen zu.