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Die Partnerbörse und warum sich Lioba wieder davon abwendet

Völlig nackt steht Lioba auf einer Bank vor dem Aachener Hauptbahnhof und ruft in die Menge: „Wer will mich?“ Alle glotzen sie an, doch keiner schreit „Hier!“

Schweißgebadet wacht sie auf, schüttelt sich, um dieses entsetzlich peinliche Gefühl loszuwerden, und beschließt, sich umgehend von den Partnerbörsen im Internet wieder abzumelden.

Vor jedem Verlassen der staubgrauen Wohnung macht sich Lioba sorgfältig zurecht. Lippenstift und Kleidung harmonieren, die Haare steckt sie in Ermangelung einer brauchbaren Frisur hoch und sprüht das Ganze gründlich fest. Sie will passabel rüberkommen, für den Fall, dass sie Robert begegnet. Obwohl – sie ist darüber hinweg. Längst schon. Aber ihm begegnen? Zu ihrem Glück blieb ihr das bislang erspart.

Eigentlich war sie zunächst fest entschlossen gewesen, nicht aktiv eine neue Beziehung aufzuspüren. Entweder so etwas ergab sich von selbst oder eben nicht und damit Basta. Aber nichts ergab sich von selbst. Gar nichts. Und irgendwann hat sie sich beschwatzen lassen, hat sich überwunden und das passende Portal herausgesucht. Sie hakte ab, füllte aus, machte mit der tausendsten Formulierungsvariante, die ihr am wenigsten peinlich war, für sich Werbung und kam sich vor wie eine Nutte. Dafür konnte Mann nun über sie, ihr Alter, ihre Größe, Statur, Haarfarbe, Gewicht, Bildung, Anhängsel wie Kinder oder pflegebedürftige Eltern - in Fachkreisen auch Altlasten genannt - und Vorlieben nachlesen.

Partnersuche online in bildungsnahen Kreisen kostete natürlich einiges. Und die Fotografin war auch nicht umsonst, verstand aber immerhin ihr Handwerk, denn auf den Bildern lächelte eine dezent geschminkte, optimistisch dreinblickende, jung gebliebene Frau verheißungsvoll über ihre linke Schulter. Die müden Augen und den etwas faltigen Zug um den Mund hatte die Fotografin mit den Worten Das mach ich Ihnen ruckzuck weg korrigiert. Dann folgten die online arrangierten Treffen aus dem für sie zusammengestellten Männersortiment im richtigen Leben.

Die einzige Ausnahme hätte gepasst. Jonathan spielte Klavier und hatte schlanke, große Hände. Pianistenhände. Seine Stimme war sanfter Akzent. Nach dem zweiten gemeinsamen Restaurantbesuch musizierten sie zusammen. Nicht in Liobas Notunterkunft mit diesem Stempel von Tristesse, sondern in seiner Wohnung. Schon wegen des Klaviers.

Er hatte offensichtlich aufgeräumt und es roch angenehm. Jonathan spielte gerne Grieg, kannte sogar Stücke aus Peer Gynt, und Lioba spielte die Melodie auf ihrer Geige mit. Sie war froh, dass er sie nicht drängte, obwohl er mit Sicherheit um seine Wirkung auf sie wusste. Die Hände sahen auf den Tasten schön aus. Sie versprachen die Art von Berührung, die sie mochte. Aber Tatsache war, dass er mehrere Angebote hatte und sie nicht seine erste Wahl war.

Nach diesem neuerlichen Schock brach das letzte Fiasko in Person eines arbeitslosen Vorwerk-Vertreters mit rosigem Kindergesichtchen über sie herein, der neben seinem verkorksten Status den zwei Jahre zurückliegenden Tod seiner Frau beweinte. Fast geräuschlos erhob sich Lioba, ignorierte seinen offenstehenden Mund, knallte zehn Euro auf den Tresen, eilte aus dem Restaurant und begann zu rennen, als sei der Teufel hinter ihr her.

Nach diesem Abgang kultivierte sie ihren Eindruck, über das Medium Internet für ihr Leben nichts Bahnbrechendes ausrichten zu können. Sie löste die Verträge und vernichtete die neckischen Über-die-Schulter-Grinsefotos.

Damit war endlich Schluss mit den Peinlichkeitsgefühlen.

Lioba wechselt die Saite

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