Читать книгу Lioba wechselt die Saite - Doro May - Страница 15

Оглавление

Man gönnt sich ja sonst nichts...

Lioba bekommt eine Idee. Die Idee.

„Ich hätte da ein paar Frechheiten gut.“

„Lass hören.“

„Kennst du zufällig die Möbelfirma an der Krefelderstraße? Da parkt am Seiteneingang immer so ein dunkelblauer Golf. Er gehört der Sekretärin von meinem Exmann."

Conny kapiert sofort. „Kein Problem. Man gönnt sich ja sonst nichts."

„Im Ernst? Du tust mir den Gefallen?" Lioba kichert los. „Als Beitrag in eine kleine private Tauschbörse?"

„Mach ich. Im Arrangieren kleiner Gefälligkeiten bin ich Meisterin.“ Sie lacht frech. „Muss daran liegen, dass ich in meinem früheren Leben bei der Mafia war. Ich war die Patin.“

„Wann hast du..."

„Als Hartzlerin verfüge ich über eine freie Zeiteinteilung", fällt Conny der anderen ins Wort. „Und anschließend ins Café?"

„Wie - ins Café?"

„Sonst hast du nichts davon, wenn ich dir nicht haarklein berichte."

„Ach so." Lioba bekommt rosige Wangen. „Ich lad dich natürlich ein." Vor ihrem geistigen Auge kehrt ihr Gegenüber mit Klopapierrollen von der Toilette zurück, um anschließend das gesamte Gedeck mitgehen zu lassen und alle herumliegenden Zuckertütchen und Kondensmilchdöschen einzuheimsen.

Conny gluckst ihre Auftraggeberin genüsslich boshaft an. „So was lässt sich leicht einfädeln.“

Sie hebt den rechten Arm, Handfläche nach außen. Lioba braucht eine Weile, bis sie begreift, und die beiden Frauen klatschen sich ab.

Im gleichen Moment schlängelt sich Valentina mit einem Tablett voller Schwenker und einer Flasche Remy durch die Gäste. „Wer möchte einen Cognac?"

„Wir", brüllt Conny als erste.

Die Verschwörerinnen sehen sich in die Augen, als sie anstoßen. Lioba nippt zur Feier des Tages gleich mehrmals hintereinander. Da ist der Schwenker auch schon leer und Valentina gießt ihr unaufgefordert nach.

„Erzähl mir weiter von Constanze und ihrem Garten", sagt Lioba.

„Im Frühjahr und vor allem im Herbst ist natürlich richtig was zu tun. Im Gegenzug kommen wir zum Beispiel einmal wöchentlich in Constanzes Garten zum Tanzen."

„Doch nicht im Garten."

„Kreistanz. Warum nicht im Garten?"

Pause.

Lioba stellt sich vor, wie ein Haufen Frauen fortgeschrittenen Alters rhythmisch einen Rasen platt trampelt. Dazu sieht sie den von einer Gardine nur notdürftig verborgenen gaffenden Nachbarn, muss grinsen, genehmigt sich ein neues Schlückchen Cognac und ergeht sich im Fremdschämen.

„Ich könnte nichts, was sich einzahlen lässt", sagt sie in diesem Arme-Socke-Ton, den sie sofort bereut. „Ich kann mich noch nicht mal richtig verheiraten."

„Du armes Hascherl. Da geht es dir wie mir. Dabei erspart gekonntes Einheiraten diesen ganzen Umschulungsterror und den Formularmarathon." Conny giggelt. „Trotzdem. Jeder kann was. Zum Beispiel einkaufen, vorlesen, auf jemanden aufpassen, mit Kindern Schularbeiten machen, renovieren, ein Verbrechen Planen, Altäre, Alte oder Firmenklos waschen und putzen." Sie kichert ausgiebig. „Spielst du vielleicht ein Instrument?"

„Ich spiele Geige - aber ich bin noch nicht wieder so gut wie früher." Schon wieder dieser Ton. Sie knibbelt am Nagelbett ihres ausgefransten Daumens.

„Geige ist super. Bestimmt sucht ein Klavierspieler händeringend nach einer Begleitung. Oder sie brauchen dringend die vierte Person für ein Quartett."

Lioba wird hellhörig. Connys Stimme klingt so angenehm, irgendwie fröhlich.

„Als ich vor zwei Jahren arbeitslos geworden bin, war ich völlig fertig. Ich habe bestimmt tausend Bewerbungen losgelassen. Nein - im Ernst - es waren ungefähr fünfzig. Nur Absagen. Und dann habe ich eine Anzeige gelesen, dass Mitglieder für eine Arbeitstauschbörse gesucht werden." Conny erklärt, dass diese Art von Arbeit eigentlich illegal sei, weil man auf diese Weise die Steuer umgehe. „Es wird ja kein Geld in Umlauf gebracht. Das ist dem Staat suspekt. Aber ich kann unseren Staat und seine Pleite eh nicht retten." Sie muss wieder niesen. Lioba hält ihr ein Päckchen Tempo hin, was Conny gleich einsteckt. „Und ehrlich gesagt, ich esse so gerne die Ränder vom Kuchen, warum soll ich das nicht genießen, wenn ich auch an denselben lebe, oder?“

Wodurch sie denn Valentina kenne, will Lioba wissen.

„Sie macht manchmal beim Kreistanz mit, weißt du? Ist genauso entspannend wie Yoga - macht aber mehr Spaß. Und dann die Mittelalterfeten. Ich kann dir sagen." Connys Stimme wechselt in die Insidertonart. „Da ist übrigens auch Xenia immer dabei", und ihr Blick geht zu einer anderen Frau.

Lioba folgt ihr mit den Augen. Xenia sitzt am unteren Ende des Tisches. Eine auffällige Frau, das sieht Lioba sofort. Ihr Gesicht würde man als markant bezeichnen. Die Nase ist ausgeprägt und sie hat dunkle breite Augenbrauen, die für Energie stehen. Dichtes grauschwarz meliertes Kraushaar, in das man hineingreifen möchte, fällt ihr auf die Schultern, und ihre Kleidung ist aus weitem, luftigem Leinen. Was für eine außergewöhnliche Erscheinung, denkt Lioba, stellt sich die Frau als Türsteherin einer Unterwelt vor.

Da sagt Conny: „In Wirklichkeit heißt sie Annemarie - aber das wissen nur die wenigsten."

„Und wieso..."

„Sie sieht aus wie eine Hexe, oder?“

„Die kleine Hexe war das Lieblingsbuch meiner ältesten Tochter.“

„Na, siehst du. Und sie ist so klug und witzig. Mit so einer kann man Pferde schlachten.“ Conny wiehert auf. „Da passt der Name Annemarie wirklich nicht."

Das findet Lioba auch. Was ist es, das diese Frau hüten könnte, überlegt sie. Den weiblichen Gral für eine zukünftige Tafelrunde? Die genauen Koordinaten der Zeit für den Weltuntergang? Ihre Gedanken schweifen zu ihrem früheren Leben. Wenn Robert wüsste, mit was für Leuten seine Exfrau gerade frühstückt. Sie muss lächeln. Diese Frauen wären für ihn ein gefundenes Fressen, über das er seinen Spott gegossen hätte, um sich anschließend breit und großartig aufzubauen. Was würde ihm zu Frauen wie Conny, Xenia und Kreistänzerinnen einfallen? Als Gorilla würde er sich nach seinem wohl dosierten Zynismus mit den Pranken vor die Brust trommeln. Aber Robert hat mit seiner Neuen andere Zirkel. Die Frau an seiner Seite ist kein Frischfleisch - das nicht. Robert war ganz bodenständig mit seiner langjährigen Sekretärin fremd gegangen.

„Lioba - reg dich doch nicht auf. Das geht doch schon lange so, und sei mal ehrlich. Du hast doch nichts vermisst", sagte er, als sie versehentlich sein statt ihr eigenes Handy zur Hand genommen hatte. Der moderne Klassiker des Erwischens. Die Intimitäten, die dort als frische SMS zu finden waren, stammten definitiv nicht von ihr.

„Am besten, wir lassen alles so wie es ist, Lioba. Es hat doch wunderbar geklappt." Er grinste sie an. „Du musst zugeben, sogar besser als vorher."

Bei diesem Satz hatte er sie tatsächlich angezwinkert, bevor sein Blick flüchtete.

War das als Prolog zu einem Auseinandergehen voller Respekt und Verzeihen gedacht? Eine derartige Gesprächsrichtung hatte nach Liobas Geschmack bisher ins Vorabendprogramm gehört.

„Wo du Recht hast, hast du Recht" war alles, was sie damals herausbrachte.

Für sie bestand kein weiterer Diskussionsbedarf. Sie zog ihren Mantel und die warmen Stiefel an, nahm ihren Schlüsselbund aus der Schublade, drehte sich nicht einmal mehr nach ihm um, schloss die Haustüre wie gewohnt leise, beinahe lautlos, und fuhr davon. Innerhalb weniger Sekunden hatte sie ihren zweiten Tabellenplatz aufgegeben, war aus Roberts Dunstkreis verschwunden. Ohne Koffer, ohne Zahnbürste, ohne Laptop.

Bei Valentina, die ungefragt in die Rolle der Beichtmutter schlüpfte, Nikotin und kiloweise Schokolade ersetzte, kam Lioba für die ersten Wochen unter. Nach nächtelangen Diskussionen über das Warum fuhr Valentina ihre Mutterrolle langsam wieder herunter und half Lioba bei der Wohnungssuche und dem Aufbau frischer Immunkräfte.

Das ist nun ein gutes Jahr her. Und Lioba überkommt jetzt im Augenblick das unbestimmte Gefühl, dass sich etwas in ihrem Leben ändern könnte. Dieses Arschloch! Sie lächelt Conny an. Dabei fällt ihr Blick auf ein gerahmtes Foto auf der Fensterbank, das sie bei Valentina bisher noch nicht gesehen hat. Ein rundlicher, bebrillter, breit grinsender Kopf unter einem engen, rittertümlichen Helm mit dicken Backen, die an den Rändern hervorquellen, und daneben ein erhobenes Schwert wecken ihre Neugier. Valentina hat neulich gar nichts von ihm erzählt.

Conny und Xenia gehen auf den Balkon und greifen zur Zigarette. Als sich Lioba dazu gesellt, bietet Xenia ihr eine an.

„Ich bin Nichtraucher“, sagt Lioba, grinst und nimmt sich ebenfalls eine Zigarette.

Xenia pfeift durch die Zähne. „Geht doch", sagt sie mit Altstimme.

Sie verkörpert genau die Mischung aus dezentem Anflug von Verlebtheit, Erfahrung und Intellektualität, die so interessant macht, schwirrt es Lioba, die das ungewohnte Nikotin ein wenig schwindelig macht, durch den Kopf, und sie erwischt sich dabei, wie sie in Xenias Gesicht nach brisanten Details ihres zweifellos aufregenden Lebens forscht. Das schlichte schwarze Leinenkleid strahlt mit den weißen Armreifen und Ohrgehängen eine eigene Eleganz aus.

Lioba erfährt, dass Xenia alte Möbel aufbereitet, um sie auf Trödelmärkten oder durch Anzeigen zu verkaufen. Spontan kann sich Lioba Leimen und Abbeizen im Zusammenhang mit dieser Frau gut vorstellen. Als sie mit Xenia ins Gespräch kommt, erfährt sie, dass ihr Freund ausgemusterte Militärfahrzeuge zu Kleintransportern oder Wohnmobilen umfunktioniert - zusammen mit seinem Sohn. Sie montieren neue Aufbauten auf die Ladefläche und schweißen - oft nach den besonderen Vorstellungen eines Kunden. Xenia lebt mit beiden zusammen in einem alten Anwesen in Ostbelgien, also gleich hinter der Grenze. Dort haben sie zu mehreren Parteien ein recht großes Gehöft von guter Grundsubstanz erstanden, von dem schon einige Abschnitte bewohnbar sind. Die haben sie untereinander aufgeteilt.

„Also keine Wohngemeinschaft, wie man sie früher hatte. Aus dem WG-Alter der Spätachtundsechziger Habenichtse sind wir raus.“ Xenia grinst breit. „Jeder hat sein eigenes Reich. Da sind wir kreuzbürgerlich.“

Lioba nickt. Ob Xenias Ansichten aus einschlägigen Erfahrungen herrühren? Ihre Hände sehen stark aus.

„Trinken wir einen Sekt zusammen? Valentina kämpft gerade mit Fürst Metternich, dem Trockenen."

„Machen wir“, sagt Lioba.

Sie gehen zurück in die Wohnung. So kommt es, dass Lioba neben der bemerkenswerten Xenia sitzt, für ihre Verhältnisse ziemlich viel Alkoholisches trinkt und zahlreiche Fragen zu Xenias Leben im Allgemeinen und ihren handwerklichen Tätigkeiten im Besonderen stellt.

„Ich habe wuchtige, hässliche Eichenmöbel geerbt. Sie bevölkern mein Wohnzimmer und glotzen mich gelangweilt an."

„So was macht Alpträume. Da bleibt nur abbeizen und zart lasieren. Wir könnten deine Garnitur zu mir bringen und ich zeige dir, wie man abbeizt und schmirgelt und so weiter." Xenia nimmt sich noch eine Scheibe von dem Hefezopf. „Saulecker. Wer kann hier solche Marmeladen zaubern? Ich brauche das Rezept."

Lioba befürchtet, durch das Durcheinander von Sekt und Cognac nicht ganz klar bei Verstand zu sein. Über ihrer Alkoholseligkeit schweben ungewohnte Hintergedanken aus Wünschen und Visionen einer sich verändernden Außenwelt, Schemen eines Arrangements aus neuen Freundinnen, aus fremdartigen Erlebnissen.

Es ist Abend und Lioba ist immer noch bei Valentina. Ihre Laune ist ungewohnt aufgekratzt. Eine lange nicht erlebte Entschlossenheit ergreift von ihr Besitz, ohne dass sie eine Richtung erkennen kann.

Nur sie und Conny sind noch nicht gegangen und helfen Valentina beim Aufräumen und Spülen. Conny packt sich wie selbstverständlich einiges von den Resten ein. „Wäre ja schade um das leckere Zeug“, sagt sie und greift sich im Hinausgehen die dicke Samstagszeitung. „Hast du sicher fertig gelesen, oder?“

Valentina nickt.

Als Lioba aufbricht, blickt Valentina auf die Mitbringsel ihrer Gäste. „Da bin ich mal gespannt, was dieser Theo Dyramo über die Mittelalterszene so schreibt.“

„Ich habe das Vorwort gelesen. Mach dich auf was gefasst.“ Lioba umarmt die Freundin. „Du hast ein neues Bild auf deiner Fensterbank", stellt sie fest, die Hand schon am Türgriff.

„Ein rüstiger Ritter namens Knut."

„Knut also."

„Sein Burgname. Kein Eisbär."

„Seit wann?"

„Noch nicht lange. Hab ihn im Tapa-Luca kennen gelernt. Und vor vierzehn Tagen bin ich zur Eyneburg spaziert, da übten sie gerade - gewappnet und eifrig. Ich hatte dir ja davon erzählt. Sah witzig aus. Na ja - anschließend sind wir im Burgcafé ausführlich ins Gespräch gekommen. Ihm hatte gerade ein Feind die Brille zertreten.“

„Ach du Scheiße.“

„Er hat Humor."

„Ich freu mich für dich."

Lioba wechselt die Saite

Подняться наверх