Читать книгу Lioba wechselt die Saite - Doro May - Страница 14

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Eine Ursache für die drohende Staatspleite

Interessant wird es für Lioba, als sie mit ihrer Tischnachbarin ins Gespräch kommt. Auf ihre Frage „Und was machst du so?" kommt die Antwort: „Ich bin Hartzlerin." Als Lioba nicht sofort reagiert, schnurrt sie herunter: „Von der Geiz-ist-geil-Fraktion. Gut gepolstert in allen Lebenslagen."

Die Frau, die sich ihr als Conny vorstellt, lacht auf. „Entschuldigung. Aber ich war schon immer von dem Wunsch nach Einfachheit beseelt." Verhalten lacht sie weiter. „Besser am Existenzminimum vegetieren als am Maximum ersticken." Das Lachen ist wieder lauter. „Im Übrigen bin ich ohnehin kein Fan von üppigen Sitzlandschaften vom Möbeldesigner. Lümmeln kann ich mich auch auf Garnituren von 3R.“

„3R?“ Lioba fühlt sich unsicher, weil die andere daherredet, als sei sie mit allen Wassern gewaschen.

„Steht für Recyclen, Reparieren, Reorganisieren. Ist eine ganz eigene Zunft. Ich nenne es aber Ritas Resterampe.“

„Und was kriegt man da?“

„Alles.“

„Wirklich alles?“

„Absolut alles. Außer Fressalien und Särgen. Einmal unten – immer unten.“

Lachen.

„Aber alles andere ist wohlfeil. Von Knöpfen über Tapeten, Möbel in allen Varianten, Toaster, Mikrowellen, Bügelautomaten und Waffeleisen durch die Jahrzehnte. Natürlich auch Geschirr.“

„Noch nie von gehört.“

„Und alles für fast nichts.“ Conny strahlt. „Seinen Überfluss kann man dort gratis entsorgen, schafft gleich mehrere Arbeitsplätze und unsereins kann sich eindecken. Meine Garderobe hat keine zehn Euro gekostet. Nur ein bisschen Zeit fürs Umschneidern.“

„Nee“, sagt Lioba und lässt sich von der anderen anstecken.

Sie denkt unwillkürlich, dass diese Conny im Vergleich zu ihr ganz anders aussieht. Sie ist klein und rundlich, Lioba ist schlank und über einssiebzig. Conny hat kleine, fleischige Hände mit winzigen Speckkuhlen auf dem Handrücken. Ein bisschen so wie Valentina. Die Nägel sind dunkelrot, fast schwarz lackiert, akkurat in Form gebracht. Zum Geigen wären sie völlig ungeeignet, denkt Lioba, deren lange schlanke Finger etwas knochig wirken und superkurze Nägel haben. Die oberen Ränder des Nagelbetts sind gerötet, haben kleine Verletzungen. Während Lioba Jeans und einen hellgrauen Pulli anhat, trägt Conny eine lockere weiße Bluse mit einem langen dunkelgrünen Rock und ebenso grünen Schnürstiefeletten, die weit über die Knöchel reichen. Diese Zusammenstellung beweist Geschmack, wie Lioba findet. Und alles aus Ritas Resterampe...?

„Aber jetzt mal im Ernst: Ich habe zu tun, weil ich in die Tauschbörse einzahle."

„Muss ich das kennen?" Sie kommt vom andern Stern, denkt Lioba.

„Besser wär's schon. Ich gehör jedenfalls zum harten Kern. Mein persönlicher Ausstieg aus der Warteschleife beim Arbeitsamt." Conny gackert. „Und als Alternative zur Flaschensammlerin. War ich kurz davor."

„Habt ihr eine Ersatzwährung?"

„So wie Schokolade, Stoff oder Zigaretten?“ Conny grinst. „Klar doch. Bisschen Schmugglerromantik muss sein. Da schwärm ich für."

„Heutzutage besteht Hehlerware wohl eher aus Heizöl, Pellets und Benzin", sagt Lioba.

„Das wär was." Conny gackert kurz auf. „Je nach Altersklasse aus einem selber.“ Neuerliches Aufgackern. „Nein, die Sache ist die: Man zahlt das ein, was man kann oder gerne tun möchte."

„Nee - im Ernst?"

„Aber ja. Zum Beispiel gibt es eine Familie in meiner Nähe, die seit kurzem ein bockiges Rotzlöffelchen als Pflegekind hat. Der Kleine ist drei Jahre alt und hat schon einiges hinter sich." Sie zieht kurz die Brauen zusammen. „Er ist furchtbar anstrengend, was wirklich kein Wunder ist. Das Jugendamt hat ihn aus dem letzten Loch herausgeholt."

„Und was wird nun getauscht? Sorry, aber ich kann nicht ganz folgen. Überhaupt...".

„Überhaupt was?“

„Kommst du von einem anderen Stern?“

„Aber ja. Vom Hartz-Astoriden im 14. Milchstraßensystem.“

„Entschuldigung. Ich wollte dir nicht zu...“.

„Kein Thema.“ Für einen Augenblick scheint es, als breche Connys Selbstsicherheit ein. Aber mit einem „Wo waren wir stehen geblieben?“ hat sie sich schnell wieder im Griff.

„Richtig. Das Rotzlöffelchen. Jeden Mittwochnachmittag hol ich ihn ab und wir unternehmen etwas. Spielplatz - oder bei schlechtem Wetter spielen wir drinnen, backen Plätzchen oder gehen ins Schwimmbad. Es klappt prima mit uns beiden. Die Pflegemutter hat also Mittwochnachmittag immer frei."

Dafür würde sie jemanden in Anspruch nehmen, wenn eine für sie unlösbare Reparatur anstünde, wenn etwas von A nach B zu schleppen wäre oder zum Beispiel habe ihr ein Student das Internet eingerichtet.

„Jens ist total gefragt. Der rettet jeden Computer und wird es nicht nötig haben, jemals seine Sachen zu flicken oder zum Beispiel einen Friseur zu bezahlen. Dem hat ein Professor sogar die Diplomarbeit Korrektur gelesen. Unter uns gesagt: das ist die offizielle Version." Sie grinst. „Der Junge macht bestimmt ne Eins. Wollen wir wetten?"

Lioba beugt ihren Oberkörper immer weiter zu Conny rüber, nimmt den angenehmen Duft eines nach Wurzeln riechenden ätherischen Öls wahr. Sie erfährt, dass die Hartzlerin einer alten Frau den Garten herrichtet.

„Ich habe sogar Gemüse und Salat gesetzt - Constanze ist völlig begeistert und ich spare das Fitness-Studio. Und Gärtnern ist ja bekanntlich ein sinnlich lustvolles Vergnügen.“

„So kann man es auch sehen.“ Vor Liobas Auge der Vergangenheit ackert sich von April bis Oktober ein Gärtner durch ihre damalige Grünanlage.

„Im Gegensatz zu mir muss die alte Frau den Unterhalt für Haus und Garten selbst entrichten. Dank Hartz darf sich ja der Staat um meine Miete kümmern. Wenn er Pech hat, bis zum letzten Lebewohl der teuren Toten." Sie setzt ein falsches Lächeln auf. „Ansonsten treibe ich mich gerne in der Stadt herum. Hole mir im Biomarkt Kosmetikproben, frühstücke ausgiebig auf Einladungen für special guests, die selber keine Böcke drauf haben. Die Karten dafür gibt's ebenfalls in der Tauschbörse. Ist immer für zwei Personen.“ Sie strahlt Lioba an. „Bei Esprit neulich gab's Cappuccino, Croissants, Marmeladen, Brötchen mit Mett oder Lachs und Ei. Dazu O-Saft und Kaffee satt. Kannst ja demnächst mal mitkommen. Alles umsonst - inklusive Klopapier, Servietten, Döschen mit Kondensmilch und Zuckertütchen."

Jetzt guckt Lioba groß, auf der Stirne ein Ausrufezeichen.

„Die Mettbrötchen, die ich mitgenommen habe, sind zu Frikadellen mutiert.“

„Ideen muss man haben.“

„Kannst du wohl laut sagen. Manchmal nehme ich auch Geschirr, Gläser oder Besteck, wenn es mir gefällt.“

„Bist du hier die einzige Kriminelle?“

„Ich bin die einzige Hartzlerin. Ist aber fast dasselbe.“ Conny giggelt. „Da sitzt man halt nur im Geiste im Aufsichtsrat und geht realiter immer mit großer Tasche durch die Welt. Oder wie stellst du dir vor, wie frau mit diesem lächerlichen Staatsalmosen überwintern kann?" Sie lächelt breit, muss wieder niesen. „Und wenn man mal dringend Haushaltsgegenstände aufstocken muss, immer extra nach Welkenrath zu 3R kostet zu viel Busgeld, verstehst du? Da muss man schon mal anderweitig die Angebote abgreifen.“

Als sie ihr letztes Papiertuch aus der Handtasche kramt, fällt ein dicker langer Nagel auf den Boden.

„Das ist ja alles genial. Wie du dein Leben hinbiegst, meine ich. Aber...", Lioba hebt den Nagel auf, reicht ihn der anderen.

„Was ich damit mache?" Conny legt Unschuld auf, lächelt lieb, klimpert mit den graugrün geschminkten Oberlidern. „Ach weißt du - diese parkenden Autos auf den Bürgersteigen haben's mit angetan." Dabei grinst sie Lioba an. „Da ist so was Manisch-Depressives in mir - und dann muss ich es tun... ." Sie prustet los.

„Jetzt sag bloß, du bist so eine, die..."

„Genau so eine bin ich." Sie klatscht sich mit ihren Patschhänden auf die Knie. „Wo ich der Arbeitswelt von der Fahne gegangen bin, habe ich mir halt ein anderes Betätigungsfeld gesucht.“

Lioba wechselt die Saite

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