Читать книгу Lioba wechselt die Saite - Doro May - Страница 6
ОглавлениеBaumbestattung mit Fährfrauen und Spielleuten
„Meint ihr nicht auch, dass wir reichlich laut sind? Ist schließlich eine Beerdigung.“ Der junge Mann sieht anklagend auf die Mutter aller Trommeln, die sich ein großer Mönch vor seinen ausladenden Bauch geschnallt hat.
„Nee, Erasmus. Das siehst du ganz falsch.“ Bonifacius streichelt seine Trommel. „Wir sind engagiert, um unser Liedgut abzuliefern. Und wenn die Tote halt auf Mittelalter stand, dann sind wir hier genau richtig.“
„Du kannst doch nicht wie sonst auf deiner Trommel herumschlagen.“
„Ich streichel sie halt nur ein bisschen.“
„Wir sind gebucht und Ende Gelände. Mein Kühlschrank ist leer.“ Die junge Frau zieht ihren Haarreifen ab, streicht sich die langen, glatten Haare aus dem blassen Gesicht und zwingt sie mit dem perlmuttfarbenen Reif wieder nach hinten.
„Du hast einen Kühlschrank?“, sagt Erasmus spöttisch.
„Wen bringen wir eigentlich unter die Erde?“, wendet sich die blonde Langmähnige, die an eine Meerjungfrau erinnert, an den Mönch.
„Du meinst, unter die Wurzel? Einen eingefleischten Fan, wen sonst?“ Samuel, der die Fidel streicht, wundert sich über sich selber. Ja, er kann wieder witzeln. Länger schon. Erasmus ist es ebenfalls aufgefallen, denn er lächelt zu ihm hinüber. Wussten die anderen eigentlich, dass sie alle seine Familie waren? Nicht mehr und nicht weniger. Die Szene ist eigentlich Nebensache. Obwohl... . Vielleicht doch nicht. Im städtischen Orchester hat er sich zunehmend gelangweilt. Außerdem hatte er es nicht ertragen können, dass Elisabeth nach der Vorstellung nicht mehr auf ihn wartete. Sollten sie ihn doch ruhig für bescheuert erklären. Vor allem der Bratschist. Samuel muss grinsen. Dieser Affe. Wie der sich aufgespielt hat, als Samuel verkündete, er habe sich beruflich verändert, und als er dann mit der Wahrheit rausrückte. Absturz aus dem klassischen Olymp ins Bettelpack. Der Bratschist hatte im Grunde nur ausgesprochen, was die anderen dachten. Jedenfalls hat Samuel das allgemeine Kopfschütteln noch vor Augen.
Der dicke Mönch sagt: „Die Tote ist eine Bürgerliche aus der Jetztzeit. Sie hatte Krebs, die Arme. Und es war ihr Wunsch, von den Fährfrauen begleitet zu werden und wir sollen den Schlusspunkt setzen. Weil das Leben doch weitergeht und lustig sein soll.“
„Und was tun die Fährfrauen hier, wo wir doch engagiert sind?“ Erasmus hat einen etwas beleidigten Ton angeschnitten. Man merkt, dass er sich nach einer richtigen Bühne sehnt. Damit kennt er sich aus. Aber das hier...
„Die Seele hat es nicht so eilig, weißt du“, erklärt ihm Hildegard mit Geduldsstimme, „da freut sie sich, wenn sie zum endgültigen Abschied ein bisschen Begleitung hat.“
„Wer? Die Seele?“
„Ja klar. Davon reden wir doch gerade, oder?“ Sie sieht Erasmus an wie eine genervte Mutter.
„Und was macht die Seele, wenn der Tote als Organspender zerlegt wird?“, fragt Erasmus.
„Das muss für eine Seele fürchterlich sein.“ Hildegard senkt die Stimme. „Früher haben sie drei Tage lang den Toten aufgebahrt, ihm vorgelesen, waren bei ihm, haben für ihn gebetet. Das Fenster stand offen. Da konnte die Seele dann raus, wenn ihr danach war.“
„Nee, ne?“ Erasmus gibt den dummen Schüler, der seiner Lehrerin den Unsinn nicht abkaufen mag.
„Glaub doch, was du willst. Ich lasse mich jedenfalls nicht zerteilen“, sagt Hildegard.
„Ist ja in Ordnung“, zischt Erasmus. „Wenn du gestorben bist, les ich dir also drei mal 24 Stunden vor und spiel dir paar von unseren Liedern und das Fenster mach ich auch auf. Dann kann deine Seele ungestört abhauen. Bist du nun zufrieden?“
Ein älterer Mann tritt zu der mittelalterlichen Band, so dass Hildegard die Antwort schuldig bleibt. Als er in dem grauen Wetter die Sonnenbrille abnimmt, werden gerötete Augen frei. Hinter ihm geht eine weiß gekleidete Frauengruppe, eine Melodie summend. Es klingt harmonisch warm und auf eine angenehme Weise feierlich. Eine der Frauen, die ausstrahlen, dass sie genau wissen, was zu tun ist, trägt eine Urne in den ein wenig vorgestreckten Händen.
„Schön, dass Sie kommen konnten“, sagt der Witwer zu Bonifacius, dem als Mönch verkleideten Bandleader. „Meine Frau war sehr dem Mittelalter verbunden, müssen Sie wissen. Sie hatte Mediävistik studiert und interessierte sich besonders für das mittelalterliche Liedgut. Diese zuweilen recht deftige Musik hatte es ihr angetan.“ Er zwingt sich zu einem Lächeln.
Bonifacius macht eine Geste, als wolle er den Mann umarmen. Stattdessen legt er seine Arme um die riesige Trommel vor seinem Bauch, was ihn in Samuels Augen irgendwie lächerlich erscheinen lässt. Kummer tötet leider nicht, denkt Samuel und blickt mitleidig auf den Mann. Nur endlose Müdigkeit kommt und geht, wie es ihr gefällt. Und dass einem bald alles gleichgültig wird, was einmal von Bedeutung war. Vor seinem inneren Auge ist er es, der hinter dem Sarg einer Frau hergeht. Seiner Frau. Es ist bald zwei Jahre her.
Die Fährfrauen, die sich eigens dazu zusammengefunden haben, die Toten auf ihrer letzten Reise zu begleiten, ziehen an den Wartenden vorbei. Hinter ihnen geht jetzt der Witwer, dem ein Trauerzug von etwa dreißig Leuten folgt. Die Mittelalterlichen bilden den Schluss. Im Vergleich zu den in feinem Schwarz gekleideten Trauergästen und den weißen Fährfrauen wirken sie wie Lumpengesindel, das sich hinterher schleicht, um zu sehen, was vom Leichenschmaus für sie abfällt.
Vielleicht besuche ich nachher Sina, überlegt Samuel. Sie gab sich von Anfang an, als sie in die mittelalterliche Subkultur hineinplatzte, als Baderin aus. Natürlich weiß jeder, der auf der Eyneburg mitmacht, dass sie den Männern nicht nur den Rücken schrubbte. Sie empfindet ein besonderes Glück beim Körperkontakt und wird weich wie Butter, sobald jemand seinen Kummer bei ihr ablädt. Als Elisabeth tot war, endlich, nachdem die Quälerei unerträglich geworden war, da hatte er sich in ihr verkrochen. Sina hatte keine Fragen gestellt und nicht von der Zukunft geredet. Die Leute aus der Szene wollen sie wohl eher weghaben. Die Frauen vor allem.
Es ist Samuel gleichgültig.