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Scham und Schuld

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Es ist wichtig zu verstehen, was ich mit Verletzungen meine, weil sie unser Leben prägen, Einfluss darauf haben, wie wir in Situationen reagieren, oder ob wir an unsere Fähigkeiten glauben. Sie beeinflussen so ziemlich alles, was uns ausmacht. Vor allem resultieren Verletzungen aus Beschämungen und Schuldzuweisungen – zweifellos die beiden größten Hindernisse für das Gedeihen alter, sehr gewissenhafter Seelen.

Man beschämt uns für alles Mögliche: unseren sozialen Status, unsere Körpergröße, unser Alter, unser Einkommensniveau, dafür, wie wir reden und woher wir kommen. Das ist nichts Besonderes. Da Sie auf der Welt sind, werden Sie mit 100-prozentiger Sicherheit von jemandem beschämt werden. In vielerlei Hinsicht war der soziale Druck, perfekt zu sein, noch nie größer. Mädchen im Alter von acht Jahren haben schon Angst davor, zu dick zu sein. Und 11-jährige Sportler werden von den Eltern anderer Kinder in ihrem Team dafür angeschrien, was sie während eines Jugendhockeyspiels getan haben. Da fallen Sätze wie „Jungs weinen nicht“ und „Was bist du, eine Memme?“ oder „Meinst du nicht, dass du ein bisschen mollig wirst?“ So etwas kann – in einem hochsensiblen und gewissenhaften Menschen – die Saat für Selbstverletzung und Selbsthass säen. Jungen, die beschämt wurden, tendieren dazu, sich auszuleben, während Mädchen ihre Scham nach innen kehren und eher zu Depressionen, Essstörungen oder Perfektionismus neigen.

Ist die Beschämung durch Freunde und Bekannte schon schlimm, ist die wirklich schädliche Beschämung die, die wir von denen erfahren, die uns eigentlich beschützen sollen. Dr. Mario Martinez weist in seinem großartigen Buch The MindBody Code darauf hin, dass alle historischen ethnischen Gruppen ihre Mitglieder mit drei archetypischen Wunden verletzt haben: Beschämung, Verlassen und Verrat. Ihr Stamm könnte Ihre Familie, der Beruf, Ihre Religion oder irgendeine Gruppe sein, auf die Sie sich eingelassen haben und mit der Sie sich identifizieren. Stämme auf der ganzen Welt nutzen diese Verletzungsstrategien, um ihre Mitglieder „in Schach zu halten“. Die Verletzungen selbst entspringen den Erwartungen, wie die Dinge „sein sollten“.

Diese wiederum werden durch das Diktat der Gesellschaft im großen (Land, Erbe usw.) und im kleinen Maßstab (Religion, Zweckgemeinschaften usw.) geprägt. Ein klassisches Beispiel für diese Erwartungen ist die Heterosexualität. Die intensive Scham und Schuld, die ein homosexuelles Kind in einer Familie erfährt, für die Heterosexualität das einzig Mögliche ist, kann starke Gefühle des Selbsthasses und Selbstzweifels hervorrufen.

Die familiären Erwartungen können wiederum auch von den Verletzungen geprägt sein, die einzelne Familienmitglieder erlitten haben. Denken Sie einmal darüber nach. Wenn zum Beispiel Ihre Mutter ein sehr lernbegieriges Kind war und beschämt wurde, weil sie kein so großer Spaßvogel war, dann könnte sie alles dafür tun, um Sie vor so einer Beschämung zu schützen. Dann würde sie Sie zu lustigen Aktivitäten nötigen, ohne Rücksicht auf Ihre Natur.

Menschen durch Scham, Schuld und böswilliges Verlassen zum Gehorsam zu zwingen, ist sehr wirkungsvoll, weil schmerzhaft – besonders für eine empathische Persönlichkeit, die die Enttäuschung und das Urteil anderer so stark empfindet. So jemand wird dann glauben, dass mit ihr oder ihm etwas nicht stimmt.

Wurden wir als Kinder beschämt, einfach weil wir waren, wie wir sind, fangen wir später an, an uns selbst zu zweifeln. Dann glauben wir am Ende, dass etwas mit uns nicht stimmt. Und das führt zu Selbstbestrafung, Schuldzuweisungen und sogar Selbsthass.

Wenn Sie in einer Familie aufgewachsen sind, in der man Sie nur dann belohnt hat, wenn Sie das getan haben, was andere von Ihnen wollten – und Sie zugleich für Ihre natürlichen Neigungen beschämt hat –, dann wissen Sie, was Selbstzweifel sind, und haben vielleicht wenig Selbstvertrauen.

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