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Hochsensible Menschen im Alltag
ОглавлениеWie spielt sich nun das Leben eines oder einer Hochsensiblen ab? Kurz gesagt, „im Versteck“. Empathische Menschen greifen oft zu drastischen Mitteln, wenn es darum geht, ihre wahre Identität so zu verändern, dass sie als weniger schmerzlich empfunden wird. Sie sind sehr gut darin, sich anzupassen und herauszufinden, auf welche Weise sie geliebt und akzeptiert werden, und zwar nicht dafür, wie sie wirklich sind, sondern dafür, dass sie anderen zu Gefallen sind.
Wenn zum Beispiel ein hochsensibles homosexuelles Kind in eine sehr konservative Familie hineingeboren wird, merkt dieses Kind sehr schnell, dass es sein wahres Selbst zugunsten der Vorstellungen seiner Familie zurückdrängen muss. Oder wenn ein einfühlsames kreatives und temperamentvolles Kind in eine Familie hineingeboren wird, die Wert auf logisches Denken und gute Ausbildung legt, wird es bald zur Anpassung genötigt und daran arbeiten, seinen Wert durch entsprechende Bestrebungen unter Beweis zu stellen.
Empathische Kinder tun dies nicht bewusst, sondern als Form des Überlebens. Weil sie so auf die Energie anderer Menschen eingestimmt sind, leiden sie, wenn andere leiden, also arbeiten sie daran, dass dies nicht geschieht.
Der Wunsch, für geordnete Verhältnisse zu sorgen, begleitet Hochsensible ihr ganzes Leben lang. Sie sagen Ja, wenn sie Nein meinen, einfach deshalb, weil sie die negative Energie der Menschen um sie herum nicht erleben wollen. Sie machen Überstunden, damit andere nicht überfordert werden. Sie hören auf die Sorgen ihrer Freunde und Familienangehörigen und bieten Anregungen und Hilfe an. Sie opfern ihr eigenes Wohlergehen zum Wohle der Menschen in ihrem Umfeld. Schließlich geht es um die Energie.
Als Kinder zeigen manche empathischen Persönlichkeiten nicht nur die hohe Sensibilität, sie haben auch die Fähigkeit, andere Dimensionen zu sehen, etwa Engel oder geistige Führer oder imaginäre Freunde, die überhaupt nicht imaginär sind. Oft treffen junge Hochsensible Aussagen über die wahre Natur einer Person – eine, die sich anderen Menschen in ihrem Umfeld nicht erschließt. Zum Beispiel könnte ein hochsensibles Kind durchaus sagen, dass es lieber nicht zu Onkel Pete (der sich später als pädophil herausstellen würde) möchte oder dass Tante Sally wohl sterben wird (kurz bevor sie es dann tatsächlich tut).
Doch wie in diesen Beispielen lernen einfühlsame Kinder schnell, dass das Sehen „unsichtbarer Dinge“ schlecht oder falsch ankommt. Sie erfahren vielleicht Kritik, werden zum Schweigen gebracht oder sogar bestraft, weil sie eine von ihnen sehr stark empfundene Wahrheit aussprechen.
Das Medium John Holland kann davon berichten, dass er tote Haustiere in der Nähe ihrer früheren Besitzer sehen konnte. Als Kind ging er auf die Menschen zu und erzählte ihnen von ihrem verstorbenen Hund – den er dann genau dort sah. Das verwirrte und brachte die Leute auf, und so hat er sehr früh gelernt, nicht über das zu sprechen, was er sah. Er musste erkennen, dass seine Wahrnehmung für die meisten Menschen und die Gesellschaft insgesamt inakzeptabel war.
Was empathische Persönlichkeiten so „anders“ macht, ist zugleich eine Quelle großen emotionalen Schmerzes. Sie werden verletzt – beschämt, verlassen oder verraten –, ob von der Familie oder der Gesellschaft. Man sagt ihnen, sie seien „seltsam“, „verrückt“ oder „schlecht“, was wiederum zu Angst und Selbstzweifeln führt. Die Sache ist die, dass empathische Persönlichkeiten in ihrem Bedürfnis nach Akzeptanz, Liebe und Unterstützung genauso sind wie alle anderen. Also fangen sie mit dem erwähnten Versteckspiel an; sie verbiegen sich regelrecht, um sich anzupassen und geliebt zu werden oder wenigstens keinen Spott zu ernten oder eine Strafe zu riskieren. Viele Hochsensible versuchen schließlich, ihre Sensibilität hinter sich zu lassen und ihr intuitives Wissen zu unterdrücken. So mancher sucht sogar Zuflucht zu Drogen und Alkohol, um sich zu betäuben.
Die andere Form des Versteckens, die hochsensible Persönlichkeiten an den Tag legen, ist eher physischer Natur. Sie meiden vor allem Menschenmassen. (Denken Sie an Rockkonzerte oder Silvester am Times Square oder Brandenburger Tor.) Die Energie dort ist einfach zu intensiv.
Auch vermeiden sie gruselige oder gewalttätige Filme bzw. Fernsehsendungen, weil es zu schmerzhaft für sie ist, sie anzuschauen. Ich habe einmal die erste Hälfte des Films Der Soldat James Ryan auf der Damentoilette verbracht, weil ich mit der Darstellung der Landung am Omaha Beach im Zweiten Weltkrieg nicht klarkam. Es war viel zu krass, das auf einer großen Leinwand (oder sogar auf einer kleinen Leinwand) zu erleben. Und als die Kampfszene in Das Comeback begann, verließ ich den Saal und wartete draußen, wobei ich immer mal wieder hineinlugte, um zu sehen, ob es vorbei war. Auch beliebte Serien wie Orange Is the New Black, Game of Thrones oder Breaking Bad kann ich nicht verdauen. Sie sind mir zu gewalttätig.
Als Teenager war ich nicht viel anders. Meine Freunde wollten immer in Horrorfilme gehen und haben mich sogar eingeladen. Einmal bin ich darauf eingegangen, nur um schon während des Vorspanns rauszugehen, weil die Musik einfach zu gruselig war.
Eine andere Form des physischen „Versteckens“ mancher Hochsensibler mutet etwas seltsam an – wir verstecken uns oft vor der Technik. Nicht, weil wir sie grundsätzlich ablehnten oder sie nicht verstünden, sondern weil hochsensible empathische Menschen andere Energiesysteme haben, die zu Fehlfunktionen der Technik führen können.
Ich habe einen Freund, der immer wieder Uhren kaufen muss. Unabhängig vom Uhrentyp und Preis der Uhr, das Ergebnis lief immer auf das Gleiche hinaus: Die Uhr blieb, am Handgelenk getragen, stehen. Da konnte er noch so oft die Batterien wechseln. Seine Energie hat die Batterien buchstäblich entleert. Denn empathische Persönlichkeiten nehmen nicht nur Energie auf, sie geben auch hochfrequente Energie ab.
Der Techno-Fluch des Empathikers betrifft nicht nur Uhren, sondern auch Handys, Computer und alle möglichen technischen Geräte. Wenn Hochsensible ein Handy und einen Computer überhaupt benutzen können – und manche können es nicht –, dann stellen sie bald fest, dass ihre Energie die Elektrik durcheinanderbringt und den Computer oder das Handy seltsame Dinge tun lässt. Zum Beispiel telefonierte ich mit meiner Schwester an dem Tag, an dem ich diesen Abschnitt schrieb, und obwohl ich das Telefon nicht berührte, fing es zweimal an, eine andere Nummer zu wählen – mitten in unserem Gespräch. Ich habe auch hochsensible Freunde, mit denen die Telefonate immer wieder abbrechen, selbst auf dem Festnetz. Daraus ist schon ein Running Gag geworden. Sobald wir uns zurückrufen, nachdem das Telefon tot ist, scherzen wir (oder auch nicht), dass dunkle Mächte uns wohl beim Reden belauscht haben und nicht wollen, dass wir reden!
Diese technologischen Schwierigkeiten treten definitiv nicht bei allen empathischen Persönlichkeiten auf. Vielleicht aber hatten Sie auch schon einmal Probleme mit Ihrer Elektronik, dann könnte das vielleicht der Grund dafür sein.
Zu den krassen Fällen von energetischem Austausch gehören Empathiker, die Glühbirnen buchstäblich ausschalten können. Dies passiert vor allem, wenn das empathische Individuum starke Energie fühlt – etwa Wut –, und diese Energie dann echte elektronische Geräte durcheinanderbringt, ganz zu schweigen von dem, was wir als „Realität“ betrachten.
Viele hochsensible Menschen sind auch extrem geruchsempfindlich. Sie vertragen keine synthetischen Duftstoffe, wenngleich natürlich vorkommende Düfte wie Flieder unbedenklich sind. Sie können auch riechen, wenn etwas mit dem Essen „nicht stimmt“ – oder sogar mit anderen Menschen –, lange bevor viele andere etwas merken. Kennen Sie den Satz: „Ich kann riechen, wenn etwas nicht stimmt“? Das gibt es tatsächlich.