Читать книгу Ärzte der Kultur statt Manager in der Kultur - Die heillose Kultur - Band 1.2 - Dr. Phil. Monika Eichenauer - Страница 11
ОглавлениеSpendenkultur Oben und Apartheidpolitik der Politiker für Unten
Die Wirtschaftslobby verschafft sich Anerkennung und Beifall − und Luft − mittels Spenden für Universitäten, hungernde Kinder, Kindergärten und andere Projekte. Die Forschungsdesigns und Fragestellungen an den betreffenden Universitäten werden folgen. Damit ist gemeint, dass die in der Forschung entwickelten Forschungsprojekte keineswegs ideologiefrei sind – sie waren es schon an den herkömmlichen Universitäten nicht! Der Staat, so die taz am 30. Oktober 2006, erzeuge ein schulisches Apartheidsystem von Auslese und Nichtförderung und züchte dadurch Rütli-Schulen. Herr Jacobs (Kaffeemagnat) spendet unterdessen 200 Millionen Euro für eine Internationale Schule in Bremen. Was sagen wohl die Mitarbeiter in den Kaffeefirmen zu dieser Spende, deren Kinder auf eine Hauptschule gehen? Hatten sie etwa mal darauf gehofft, dass ihre Kinder − demokratisch verbrieft − gleichberechtigte Bildungschancen hätten? Wann, bitte schön, wird gespendet für Grund- und Hauptschulen in sozialpolitisch brisanten Bezirken oder auch nur für ganz normale Gymnasien? „Dort [an normalen Schulen] konzentrieren sich Schulversager (50 %), Migrantenkinder (50 %), Gewalttätige (40 %) und der Nachwuchs von ungelernten (40 %) oder arbeitslosen Eltern (30 %).“
Aus diesen Zahlen haben viele Eltern ihre Konsequenzen gezogen und schicken ihre Kinder lieber in so genannte allgemein bildende Ersatzschulen. In NRW sind 2006 insgesamt 163.589 Jungen und Mädchen in diese Ersatzschulen eingeschult worden. Die Zahl der Neuanmeldungen stieg in ihnen innerhalb eines Jahres um fast 2000 Schüler.
Mehr als die Hälfte der Privatschüler (95 629) besucht ein Gymnasium. Bundesweit hat sich die Zahl der Privatschüler seit 1992 mehr als verdoppelt. Gründe für einen Wechsel von staatlichen auf private Schulen sieht der Geschäftsführer der Privatschulen, Herr Friemel, in den kleineren Klassen, wodurch ein besseren Klima zwischen Schülern und Lehrern und Teamgeist geschaffen werden − und dem Einfluss der Wirtschaft, die mehr Wert auf „Werteerziehung“ lege! (Anja Lucas: WR, 29.12.2006) Anja Lucas merkt in ihrem Kommentar kritisch an, Bildung dürfe keine Frage des Geldes sein – denn Ersatz- und Privatschulen kosteten ebenso Geld wie private Universitäten.
Den Ergebnissen einer Studie zufolge (vgl. WR, 12.10.2006) ist das Niveau der schulischen Ausbildung an Hauptschulen schon immer sehr niedrig gewesen und sinkt weiter, während das erforderliche Bildungs- und Fähigkeitsniveau der Lehrstellen gestiegen ist. Konsequenz: Offene Lehrstellen werden mittlerweile mit Abiturienten besetzt. Heute bekommen selbst Jugendliche mit abgeschlossenen Schulausbildungen kaum noch adäquate Arbeitsstellen: In NRW waren es im Oktober 2006 stattliche 455 Bewerber auf nur 24 freie Ausbildungsplätze. (WR, 12.10.2006) Unternehmer und Reiche nutzen neben all den durch den Staat gewährten Vorteilen und dem materiellen Überfluss nun auch noch die Möglichkeit, mit ihren Spenden ganz gezielt bestimmte Bevölkerungsgruppen, wie das Beispiel Jacobs zeigt, ihren Vorstellungen gemäß zu fördern und die Etablierung der Zweiklassengesellschaft voranzutreiben. So bleibt man unter sich!
Dass Elite-Universitäten begeistern können, steht außer Frage. Aber es muss sichergestellt werden, dass all jene Zugang haben, die entsprechende Noten vorweisen können. So, wie sich unserer Schul(d)system zurzeit darstellt, bestehen dafür nur noch sehr geringe Chancen. Denn diese Schüler gelangen nicht einmal bis an die Pforte, weil im Vorfeld jegliche Unterstützung fehlt...
Ist aus dieser Strategie der Reichen-Eliteförderung zu schließen, dass man sich Menschen wie Tiere im Zoo halten wird? Vor dem Dortmunder Zoo sind auf einer großen Plakatwand Tiere abgebildet, und darunter steht der Sponsor, der für ein Jahr das Futter finanziert oder das Tier erwarb, um es dem Zoo zu schenken. Wird sich die Nennung einer Elite-Universität in Bewerbungen auf einen Job auswirken? Mit Sicherheit!
Beispiel: „Herr Reuter, Sie waren als Manager bei Daimler-Benz über Jahrzehnte Teil der sogenannten Deutschland AG. War das ein sehr homogenes Milieu?
Ja, ganz und gar. Die Führungsschichten der Wirtschaft rekrutieren sich immer selber.
Warum tun sie das?
Man greift leider auf denjenigen zurück, von dem man meint, sicher sein zu können, dass er so ist wie man selber. Da weiß man, der fällt nicht aus der Rolle und schlägt keine krummen Wege ein. Das einzige Ausnahmebeispiel damals war Hanns Martin Schleyer, er gehörte nicht dazu. Der war im Prinzip ein Nazifunktionär, der schrittweise in die Gesellschaft hineinkam, aber zum Beispiel im Unterscheid zu den klassischen Ruhrbaronen ein ausgesprochen liberales Verhältnis zu den Gewerkschaften hatte. Er hatte kapiert, dass man nicht gegen die Belegschaft eines Unternehmens erfolgreich sein kann. Wofür die Wurzeln dafür lagen, weiß ich nicht, vielleicht in der volksgemeinschaftlichen Prägung durch den Nationalsozialismus.“ (Ijoma Mangold: „Das war meine Rettung (32).“ In: Zeitmagazin Nr. 31, 29.7.2010, S. 46)
Weiter wäre die nächste Frage, um noch einmal zu den Elite-Schulen zurückzukehren, fast überflüssig zu stellen: Wird sich der Sponsor einer Privatuniversität später unter einem zukünftigen Nobelpreisträger ablichten lassen? Wohl kaum – ostentative Bescheidenheit scheint da zeitnäher. Lüstchen und Bestätigung werden anderswo, eher den Blicken der Öffentlichkeit entzogen, generiert.
Andererseits gehen Elite-Absolventen nicht immer den Weg, den sich ihre Eltern erträumten. Beispiel:
Abdul Mutallab ist als Millionärskind aufgewachsen und hat die besten Privatschulen mit hervorragenden Abschlüssen besucht und beabsichtigte als Selbstmordattentäter ein mit 289 Menschen besetztes Flugzeug am 25. Dezember 2009 beim Landeanflug auf Detroit in die Luft zu sprengen. „Zurück bleibt eine simple wie anklagende Frage, die alle Flugzeugpassagiere, die jetzt Stunden verschärfter Kontrollen erdulden müssen, zu Recht stellen: Wie kann im Jahr 2009 ein den Geheimdiensten bekannter 23-jähriger Islamist, der den Dschihad verteidigt und in London Beziehungen zu Extremisten aufbaut, der vom eigenen Vater angezeigt wird und sich auf einer Terror-Watch-List befindet, am ersten Weihnachtstag mit Sprengstoff am Körper eine transatlantische Maschine besteigen?“ fragen die Journalisten Cornelia Fuchs und Jan Christoph Wiechmann in ihrem Artikel: „Ich habe eine neue Religion erfunden.“ (Stern, 2/2010, S. 52ff.; Korrektur: M.E.)
Der Vater von Abdul Mutallab, Alhaji Mutallab ist vom Geheimdienst nicht ernst genommen worden, als er den Sohn des Attentats verdächtigte und anzeigte. Die österreichische Polizei scheint dem amerikanischen Geheimdienst alle konkurrierende Ehre zu machen, in dem sie Hinweise auf die Entführung von Natascha Kampusch zu Beginn der Entführung ignorierte, wie am 24. August 2010 zu lesen war: „Etwa einen Monat nach der Entführung des Mädchens überprüften Beamte auch Priklopil, weil ihm ein weißer Kastenwagen gehörte. Zeugen hatten das Mädchen in solch einem Fahrzeug verschwinden sehen. Priklopil hatte kein Alibi – dennoch stellte die Polizei die Ermittlungen ein. Bereits 2008 sprach der zur Zeit von Kampuschs Flucht zuständige Chef des Bundeskriminalamtes (BKA) Herwig Haidinger, von nicht ernst genommenen Hinweisen und der darauffolgenden Vertuschung – nichts geschah. Das österreichische Innenministerium wollte den Bericht nicht kommentieren.“ (Ruhr Nachrichten, 24.8.2010) Natascha Kampusch war damals bei der Entführung 10 Jahre alt. Erst als sie 18 Jahre alt war, gelang es ihr, zu fliehen. Das, was sie in den 8 Jahren erlebt hat, hat ihr das Leben genommen, das sie hätte führen können, wäre sie sofort innerhalb der ersten 6 Wochen befreit worden. Und selbst nach den sechs Wochen wäre sie gezeichnet gewesen von Entführung, Missbrauch und Angst – aber alles weitere, und zwar jahrelang, wäre ihr erspart geblieben.
Private Eliteschulen sind nicht der Garant für dasjenige, wofür man meinen würde, das sie initiiert würden, so wenig wie Reichtum der Garant ist, dass Menschen damit eine bessere Welt initiieren und für Werte eintreten, die es ermöglichen, dass es allen Menschen gut ergehen möge... Allerdings sind Reichtum und Bildung genauso wenig Grund, Menschen abzuwerten oder in eine Feindkategorie zu pressen...
Die Notwendigkeit der Differenzierung ist mehr denn je gefragt – ein genaues Hinsehen auf Motiv und Handlung ist notwendig, um tatsächliche Werte über diese Zeit der Neuorientierung in der Welt retten zu können. Denn auch Schüler an Eliteschulen sind vor Übergriffen von Lehrern nicht sicher. Nun wurde ein Missbrauchsverdacht an einem Elitegymnasium in Berlin bekannt. Der Schulleiter des Canisius Kolleg erstattete Anzeige gegen Unbekannt. Hintergrund sind Angaben von ehemaligen Schülern aus den siebziger Jahren, die sexuellen Missbrauch anzeigen. (siehe: Ruhr Nachrichten 29.1.2010: „Missbrauch an Eliteschule“) Heute sind die betroffenen Schüler über 40 Jahre alt und laut geltendem Gesetz sind die Taten verjährt. Bei Jugendlichen und Kindern wird die Verjährungsfrist ab dem 18. Lebensjahr berechnet. Ein unhaltbarer Zustand wenn bedacht wird, wie Scham in Menschen wirkt. Die Scham der Betroffenen ist der Schutz für Täter. So gereicht die Wirkung der Scham, nämlich Schweigen, zum Vorteil von Unrecht und Schädigung.
Ein Vergleich mit dem, was gesagt wird und dem, was Realität ist, zeigt den sich weiter vergrößernden Spalt zwischen arm und reich auf. Eine Ekel auslösende Vorstellung, unanständig bis ins letzte: die einen verbleiben in einem demokratischen Schulzirkus, in dem jahrelang zu wenig Bildung vermittelt wird, egal wie begabt sie sind und die anderen werden mit viel Geld auf Elite-Unversitäten getrimmt? Demokratie? Gleichberechtigung?
In einer solchen Kultur können Narzissten bestehen, die ihre PR-Agentur einladen und die Verbreitung der Selbstdarstellung exklusiv an den Meistbietenden verkaufen. Dann ist gewährleistet, was wirklich gewollt wird: „Ach, schau mal, das ist ja doch ein guter Mensch. So ein reicher Spender! Das hätte ich ja nicht gedacht!“
Eine weitere, städtische Szenerie von Spendern ist die, die sich an den glorreichen Wettbewerb wie Ertrinkende an eine Planke klammert. Ein letztes Aufflackern, um noch einmal einen matten Glanz des Erfolgs im eigenen Leben einfangen zu können und als gläubige Spender in der Kirche stehen wie in Dortmund:
Geschäftsleute preisen in der Reinoldikirche in Secondhand-Kleidern an, führen sie zum Zwecke des Verkaufs vor – um den Erlös für Arme zu spenden. Für die Armen bitten sie um Spenden und Hilfe! Sogar Roben von Prada der vorletzten Saison konnten erworben werden. Da soll mal noch einer sagen, den Armen ginge es nicht gut und man täte nichts für sie. Ach, da meldet sich ja noch ein Armer! Dem wollen wir doch mal sofort helfen …aber nicht ohne PR-Team!
Die Reichen lassen sich als Gutmenschen ablichten, die sich einen Samstagnachmittag lang vollen Herzens für Hartz-IV-Empfänger einsetzen. Diese Spendenmanie mit Medienrummel erreicht einen Grad an Selbstdarstellung, dass es nicht nur peinlich ist, sondern geradezu obszön: Oder wie soll man es werten, wenn mit afrikanischen, fast verhungerten Kindern – selbstverständlich unter großem Medienaufruhr – Geld gesammelt wird, am besten noch von Konzernvorständen wie von Thyssen-Krupp?
Ein Beispiel belegt das Gemeinte: Der Fotograf Ralf Rottmann ergänzt einen Artikel von Christian Zett „Begegnung mit Keule und Zahnarzt“ mit einem Bild auf das Festmahl im Konzerthaus 2007 und kannte offenbar etwas von Scham: Er fotografierte von oben auf die Köpfe speisender, armer und bedürftiger Menschen und die festliche Tafel! Gesichter der Menschen sind nicht zu erkennen – nur das eine oder andere schemenhaft etwas schräg von der Seite. Zu dem Artikel ist zu sagen: Mehr als 90 % des Artikels sind der namentlichen Nennung der Spendenden gewidmet – der Rest besteht in einem Satz des Initiators, die Obdachlosen hätten keine große Resonanz gezeigt. Deshalb seien auch viele Essen übrig geblieben. Aber eine Obdachlose bekennt: „Ich finde klasse, was für uns gemacht wird!“ (Ebd. In: WR, 22.12.2007)
In einem farblich abgesetzten Kasten wird dann noch einmal auf besondere Spender hingewiesen: Westfälische Rundschau mit Sachspenden; eine Bäckerei mit Stollen; eine Schaustellerin mit alkoholfreien Glühwein – IKEA und Cityring mit Decken und Mützen; Mc Donald’s mit Gutscheinen. Die kapitalträchtigen Spender dürften die Spenden als Werbemaßnahme ihrer PR-Abteilung zur Steuersenkung verbucht haben. Glauben Sie mir, einen solchen Artikel habe ich noch niemals vorher gelesen! Selbst ein Zahnarzt war anwesend und kontrollierte zwischen den Gängen die Gebisse der Obdachlosen kostenlos! Die Spender und guten Menschen werden immer schamloser, wenn es darum geht, Gutes zu tun! Fragt sich nur, für wen!
2010 heißt es dann endlich – denn man hätte es bereits erwarten können: „Milliardäre spenden Milliarden.“ Einzigartige Sammelaktion von Bill Gates und Warren Buffett. (Ruhr Nachrichten 6.8.2010) Im Artikel heißt es: „Bill Gates und Warren Buffett sind die wohl besten Telefonverkäufer der Welt. Wochenlang hingen beide an der Strippe, dann hatten sie mehr Geld zusammen, als einige EU-Länder als Bruttoinlandsprodukt vorweisen können. Der Microsoft-Gründer und der Investmentpapst haben 40 Milliardäre überredet, mindestens die Hälfte ihres Vermögens zu spenden. Diese einzigartige Aktion dürfte 100 Milliarden Dollar zusammengebracht haben.“ (Ebda.) Es wurden 70 Milliardäre angesprochen, denen „so was“ zugetraut wird. Als Info steht unter dem Artikel: „Auch viele reiche Deutsche setzen einen Teil ihres Vermögens für gemeinnützige Zwecke ein. Viel ist darüber aber nicht bekannt. Eine Untersuchung der Universität Heidelberg ergab immerhin, dass von den 300 reichsten Familien in Deutschland mindestens 140 Stiftungen gegründet haben. Beispiele seien die BMW-Großaktionäre aus der Familie Quandt und die Gründer der Software-Riesen SAP, Hasso Plattner, Dietmar Hopp, Hans-Werner Hector und Klaus Tschira.’ Es geht dabei um Gestaltungswillen, um direkte gesellschaftliche Problemlösungen’, heißt es in der Studie. ‚In vielen Fällen gehe es aber auch darum, beim Übergang des Vermögens auf die Nachkommen Steuern zu sparen.’“ (Ruhr Nachrichten 6.8.2010)
Stiftungen haben die Landschaft und die Lebensbedingungen für große Teile der Menschen in Deutschland nicht maßgeblich verändert. Spendenkultur und Stiftungen ermöglichen Steuerreduktion und direkte Einflussnahme am politischen Tagesgeschäft vorbei. Die Resultate dieser gesellschaftlichen Praxis zeigen, dass es dadurch nicht einen Hartz-IV-Empfänger weniger in Deutschland gibt, es keinem Armen dadurch besser geht, nicht ein krimineller Jugendlicher auf einen besseren sozialen Weg kommt, nicht einer alleinerziehenden Mutter und ihrem Kind dadurch Sorgen, Nöte und Existenzangst auf Jahrzehnte genommen werden... Parteispenden verändern das Leben in der breiten Masse gleichfalls nicht zu einem positiven und friedvollen Leben hin. (Vgl. Band 1 Anhang 3: Zeit-Online-Par-teispenden)
Vielleicht hat ein gesetzlich Versicherter in Deutschland durch die Spenden der Milliardäre aus den USA in 20 Jahren die Chance, nach einer medizinischen Methode behandelt zu werden, die dann serienmäßig auch in Deutschland verbilligt angewandt werden kann – falls die deutsche Gesundheitswirtschaft keine Idee hat, ein Geschäft für sich daraus zu machen! Davon ist jedoch nicht auszugehen.
Dieter Lehmkuhl, pensionierter Arzt und Psychotherapeut, ist einer der Sprecher der Initiative „Appell Vermögensabgabe.“ Einen Tag nach Bill Gates’ und Warren Buffett’s Aktion der Millionensammlung per Telefon in den USA erscheint auch hier zu Lande dieser Verein in der Zeitung unter dem Titel „Es tut ja nicht weh.“ (Ruhr Nachrichten 7.8.2010) Zu Dieter Lehmkuhl heißt es: „Er ist durch eine Erbschaft zu seinem Vermögen gekommen.“ Das Ziel des Vereins lautet: „Wir wollen eine auf zwei Jahre begrenzte Vermögensabgabe von fünf Prozent pro Jahr, also insgesamt zehn Prozent, auf alle Vermögenswerte jenseits eines Schonvermögens von 500 000 Euro. Betriebe sollten ein Betriebsvermögen über drei Millionen Euro haben, bevor sie Abgaben zahlen. Diese Gelder sollen dann für den ökologischen Umbau der Wirtschaft, Bildung, soziale Dienstleistungen wie Gesundheit und die Erhöhung sozialer Transferleistungen verwendet werden. Gleichzeitig fordern wir eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte und die Schließung von Steuer-Oasen. Und dass der gesellschaftliche Reichtum – auch international – gerechter verteilt wird.“
Frage des Journalisten Dennis Werner:
„Wer hindert Sie daran, ihr Geld für allgemeine Zwecke abzugeben?“
Lehmkuhl: „Die Arbeit der Initiative ist ein Angebot an die Politik, die Abgabe zu erheben. Im Kreis der Initiative kommen alle ihrer Verantwortung nach. Etwa durch Spenden und Stiftungen. Aber das ist eine private Lösung. Gefordert ist aber eine politische Lösung, über eine gesetzliche Abgabe, die alle Vermögenden einbezieht.“ Lehmkuhl führt dem Leser in dem Interview vor Augen, was jeder weiß und worüber gesellschaftlich nicht reflektiert wird: „Der Mythos der Reichen als Leistungsträger trifft oft nicht zu. Denn Reichtum ist oft vererbt und nicht wie Kapitalgewinne Resultat eigener Leistung. Das ist ungerecht: Die Häufung von Reichtum widerspricht der Chancengleichheit. „Wenn die obersten fünf Prozent 75 Prozent des Gesamtvermögens besitzen, sind das fast wieder feudale Zustände.“
Dennis Werner:
„Wie viel Geld entgeht dem Staat?“
Antwort: „Nach unseren Berechnungen wären das 100 Milliarden Euro für diese zwei Jahre. Das von der Bundesregierung vorgeschlagene Sparpaket wäre damit abgedeckt. Im Übrigen: Den Reichen tut das ja nicht wirklich weh. Sie müssten ihre Lebensführung nicht ändern, und dass Unternehmen durch die Vermögensabgabe in die Insolvenz getrieben würde, ist eine durch nichts belegte Legende.“
Ich weiß, und das wissen Millionen andere Menschen auch, wem es weh’ tut, immer weiter zur Kasse gebeten zu werden – denjenigen, die immer weiter mit Abgaben belastet werden. In Deutschland gibt es immer mehr Arme und der Mittelstand dünnt aus: und Oben wird man immer reich bleiben und noch dazu bekommen. Nicht ein Mensch, der Not leidet und/oder sich täglich unter enormen Sorgen und Belastungen abarbeitet für ein paar Euro, wird diese Maßnahme der Initiative aus seiner Not heraus helfen... Dennoch geht diese Initiative im ersten Schritt in die richtige Richtung, um Änderungen, die Politiker bisher nicht umsetz(t)en, ja, noch nicht einmal gedanklich aufnehmen, in die Wirklichkeit, in die deutsche Realität einzubringen.
Die Frage, die sich allgemein stellt, ist: Was können denn die armen Millionäre und Milliardäre tun, damit die Welt endlich erkennt, dass auch sie Mitgefühl mit armen Menschen haben und sie ihnen Gutes angedeihen lassen wollen? Sie können ja schlecht hingehen und sagen: „So, wie wir bisher unser Geld verdient und/oder bekommen haben, wollen wir es nicht mehr. Wir haben gesehen und gefühlt, wohin das führt. Wir wollen auch keine Politiker, die uns hofieren und alles Erdenkliche nur in unserem Sinne tun. Wir ersinnen nun ein gerechteres System, damit es allen Menschen seelisch, psychisch und körperlich in sozialen Bezügen wohl ergehe!“
Ja, aber es könnte zumindest diese Fragestellung aufgegriffen werden, um zu reflektieren, wie denn eine Welt auf einer gesünderen sozialen Basis unter Berücksichtigung des menschlichen Wesens auf dem Hintergrund unserer bisher vorliegenden wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und praktischen Erkenntnisse aussehen könnte! Wenigstens das müsste möglich sein! Dann hätten auch andere Menschen als diejenigen, die sich mittels Spenden für das „Soziale“ einsetzen und sie dann steuerlich absetzen – denn das tut überhaupt nicht weh – Luft zum ATMEN.
Atmung wird nicht nur durch Umweltgifte erschwert, sondern auch durch Dinge, die Menschen Unten täglich NACHDENKEN und emotional NACHLEBEN MÜSSEN und aus dem gesellschaftlichen Oben als gute Idee, wie Reichtum und Gewinne erhalten bleiben bzw. immer wieder erzeugt werden, stammen: „Der zweite Typus der Vermögenden ist laut Rickens der etablierte Reiche. Dazu zählt der Spiegel-Autor Top-Manager wie Wolfgang Reizle, Chef des DAX-Konzerns Linde. Die Leistungselite sei dazu bestimmt, andere Menschen zu führen. Sie bejahen Fortschritt, Globalisierung und Statussymbole, lehnen die „oberflächliche Bussi-Gesellschaft“ ab. (Quelle: Spiegel-Online in; wirtschaft.t-online.de, 7.8.2010; Block: M.E.)
Frage: Was lehnen Menschen, die ihr Leben lang hart arbeiten und am Ende nichts haben, ab?
Ich lehne es nachträglich ab, dass der Staat aufgrund von 23 Jahren täglichen Praxisleben (also ohne meine Arbeiten in Angestelltenverhältnissen und in Kliniken vor meiner Selbstständigkeit in freier Praxis!), in denen ich Patienten nach bestem Wissen und Gewissen geholfen habe, wieder gesund zu werden oder ein besseres Leben in ihrem Rahmen zu leben oder mit Problemen, Konflikten und Krankheiten fertig zu werden, sich mindestens, um zu einem konkreten Beispiel zu greifen, drei, wenn nicht vier freistehende Häuser in guter Wohnlage davon hätte kaufen können. Millionen von Menschen können dies nicht – und insofern sind diese Millionen Menschen wieder alle auf der gleichen Stufe, zahlen Steuern, haben kaum Einfluss darauf, wofür die Steuern verwandt werden und haben, verkürzt gesprochen, nichts zu sagen. Ihnen gehört nichts – und deshalb haben sie nichts zu sagen? Deshalb müssen sie geführt werden, weil sie auch nicht denken können? Mit Verlaub, das stelle ich in Frage. Was sie tatsächlich nicht können, ist, sich gegen diese ideenreichen Ungetüme von gesetzlich Möglichem und der dazu jeweilig gehörigen Systematik zu behaupten. Unten hat man sich bis zur individuellen Unkenntlichkeit an Ideen und Gesetze zu assimilieren. Es sind in Deutschland nicht nur ausländische Mitbürger zu integrieren, sondern Unten (oder Oben) ist ebenso demokratisch zu integrieren: Unterstellt man einen Augenblick und schließt man sich der Meinung an, dass Oben in der Lage ist zu führen und damit zu wissen, was für Menschen gut ist, dann bleibt die Frage offen: Wohin und in was hinein und zu welcher Lebensform hin sollen Menschen integriert werden in einer Zweiklassengesellschaft: Oben nach Unten oder Unten nach Oben? Welche Auffassung hat man von Menschen? Wer hat die Werte realiter in der Gegenwart in der Hand oder in der Tasche, die das menschliche Wesen berücksichtigen? Wer kann denn hier überhaupt führen?
Oben, wie oben zitiert, hantiert mit Kategorien wie „Führerschaft“ und beansprucht für sich, zur Leistungs-Elite zu zählen oder wird von anderer Stelle dazu gezählt und man behauptet von sich, Menschen „führen“ zu können! Wohin dieses Denken geführt hat, ist an den gegenwärtigen Zuständen in unserer Gesellschaft ablesbar.
Die Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten, zählen zu einer Leistungs-Elite, ob im Pflegebereich, in Kliniken oder Praxen, die niemals als solche benannt werden – ebenso wenig, wie jeder Mensch, der unter größter psychischer und physischer Anspannung täglich seine Arbeit tut. Mir scheint der Begriff „Leistungs-Elite“ muss doch noch einmal auf seine Inhalte und auf die Bedeutung für unser aller Leben abgeklopft und klar gestellt werden.
Ebenso wie Definitionen überprüft gehören, warum einige Menschen ein „Irrsinns-Einkommen“ haben und andere einen Hungerlohn. Diesbezüglich geht Deutschland sowohl was die Löhne von Frauen angeht als auch generell mit absolut schlechtem Beispiel voran. Und das schöne ist, dass den Menschen, die am Angelhaken ihrer Existenz hängen und deshalb schweigen müssen, nicht einmal rückgemeldet bekommen, wie wichtig und elementar sie in diesem Prozess der Elite-Leistungsträger-Herstellung sind – kein Dankeschön, keine Anerkennung: einfach nichts bzw. das Gegenteil: das tut weh!!! Denn diese sich abrackernden Menschen sollen sich mies fühlen und nicht zu einem angemessenen Selbstwert finden... weder in der Höhe ihres Lohnes noch aufgrund allgemeiner Anerkennung...noch in dem, was sie sich leisten oder kaufen können... sie sollen nach oben schauen, sich die Nasen an den Schaufenster mit Luxusartikeln abwetzen... und sich unten fühlen und sich dort einordnen und es sich gemütlich machen... Noch einmal: Das tut weh! Das passt nicht zum Anspruch dieser Kultur, die von Leistungseliteträgern geformt wird – oder doch? Warum wird Lebensrealität von Millionen von Menschen nicht angemessenes Gesprächsthema... weil man auch Oben nach Oben schaut und nicht nach Unten?