Читать книгу Ärzte der Kultur statt Manager in der Kultur - Die heillose Kultur - Band 1.2 - Dr. Phil. Monika Eichenauer - Страница 15

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Zur „Seriellen Dreizimmerwohnung“ nach Sloterdijk

Das Über-Ich ist kein starres System, sondern teleologisch ein mental konzipiertes flexibles, aber träges sozialökopolitisch gewebtes psychisches Material, dass mit intersubjektiv kultureller wie intrasubjektiv familiärer Moral und Ethik wie ein Esel befrachtet ist und sich zusätzlich wie ein Inkubant durch Zeitgemäßes bestäuben, was nicht selten in Betäubung gipfelt, lassen muss, will es sich von seinem Ausgang geschichtlich fortentwickeln und nicht in Erstarrung verharren und an der Realität vorbei brüten und leben. Es ist ein einflussreicher Gestalter der „seriellen Dreizimmerwohnungen“, wie Sloterdijk den Freudschen Seelenapparat der psychoanalytischen Theorienbildung von „Ich“, „Es“ und „Über-Ich“ nennt. (Vgl. Sloterdijk,1998, S. 98)

Nun gibt es in jeder Dreizimmerwohnung, je nachdem, wer in ihr wohnt, Seelen mit kleinem bis großem Geist – das macht plausibel, weshalb es einigen Menschen gelingt, selbst mittels sehr einfachen Dreizimmerwohnungen Paläste in unterschiedlichen Hinsichten mittels individueller Ansichten und Vorlieben zu erschaffen: Geistig als Dichter und Denker, wofür sich viele Beispiele aufzählen ließen oder aber kleinere Geister und Denker, die in guten und intakten Wohnungen aufwachsen, sich aber aufgrund von Erbschaften in ihrem sozial- und familiengeprägten Über-Ich weniger seelischen und geistigen, sondern materiellen Themen widmen müssen: Sie haben die größten existenziellen Ängste und Sorgen. Der Umgang mit Not bezeugt auch hier noch wessen Geistes Kind der seelische Kern eines Menschen ist. Dann gibt es jene Geistesgrößen, die diesen vergänglichen materiellen Reichtum behalten und mehren wollen, obwohl sie keine materielle Not leiden. Sie sind stetig damit beschäftigt, ihre materielle Basis zeitlich zu verlängern und stetig außerhalb ihrer seriellen Wohnung auf Konten festzulegen, um Zuwachs zu erzielen. Sie verheimlichen sich ihre seelischen Nöte – wenn sie diese überhaupt bei diesem groß angelegten Vertuschungsmanöver wahrnehmen und wissen! Insofern ist es leicht und gut wie einfach nachzuvollziehen, wie sie in jeder Hinsicht bedacht sind, gut auszusehen: Körper haben gesund, schlank und braun gebrannt und durchtrainiert zu sein und ist in schicke, teure Kleidung zu verpacken und er ist alle Zeit günstig zu präsentieren. Ihre Wohnungen werden aufgeblasen mit jedem Luxus und bis zur funktionalen Unkenntlichkeit ausgestattet. Sie sind bestrebt, das Konto stets weiter aufzufüllen, um wie die Hähne durch die Welt zu stapfen und auf jedem Misthaufen ihren Siegesschrei ertönen lassen: Kickerickie! Das Spektrum des Verhältnisses großer Geist und Seele über großer Geist und kleine Seele und vice versa bringt unter Hinzunahme der Einwirkungen auf die Ausformung der einzelnen Abteilungen der seriellen Dreizimmerwohnung oder des psychischen Apparates von Ich, Es und Über-Ich äußerst unterschiedliche Gewichtungen hervor, die dennoch irgendwie im Gleichgewicht gehalten werden müssen. Das Gleichgewicht wird psychisch mittels Kunstgriffen erzeugt, die sicherstellen, dass das Verhalten im Leben noch irgendwie mit dem seelischen Selbstbild und geistigen Fähigkeiten oder Vermögen übereinstimmen. Diese individuelle Harmonie wird über Abwehrstrukturen oder Schutzmechanismen hergestellt. Günstigstenfalls stimmt das Selbstbild mit dem Fremdbild überein. Dann wird von Menschen Außen bestätigt, was ein Mensch selbst von sich meint und hält. In der Gegenwart sind Selbstbild und Fremdbild von allen Menschen auf eine Zerreißprobe gestellt. Die wirtschaftpolitischen Verhältnisse bringen psychoökonomische Spannungen unerträglich existenziellen Ausmaßes für alle Beteiligten in der seriellen Dreizimmerwohnung hervor, die durch weltweite ökopolitische Prozesse provoziert und manifestiert werden.

Dass sich bei so unterschiedlich bewohnten Dreizimmerwohnungen völlig verschiedene Sphären bei deren Betreten durch Besucher breit machen, liegt auf der Hand: Seele und Geist gestalten Wohnungen wie Leben. Ob das Anliegen in diesen psychischen Gehäusen mit politischen und ökonomischen Interessen des Landes und der Nationen übereinstimmt, wird Wachstum oder Zerfall anzeigen.

Nun gibt es unendliche Möglichkeiten der Ausformungen der Kombinationsmöglichkeiten von Seele und Geist in einem menschlichen Körper und wie psychische Prozesse beschreibbar werden könnten. Aus meinem langen Berufsleben kann ich sagen: Niemals traf ich auch nur zwei Menschen, die gleich waren. Es gibt in groben Linien Ähnlichkeiten hinsichtlich gewählter Abwehrhaltung, die Konflikte hervor zu bringen in der Lage sind. Konflikte entstehen, wenn individuelle Mittel nicht mehr ausreichen, ein emotional befriedigendes Leben in einer vielfältigen Welt, sei sie inter- oder intrasubjektiv, zu gestalten, ohne zu Differenzen zwischen Erfüllung von Wünschen und Sehnsüchten einerseits und andererseits realiter vorhandenen oder vermeintlichen, nur in der Vorstellung des Einzelnen existierenden, Anforderungen zu gelangen. In diesen dunklen und strittigen Prozess des Konfliktes ist das Ich bestrebt Licht zu tragen, will es sich nicht zerreißen: denn, am liebsten möchte es beides. Man weiß aber schon, alles kann man nicht haben. Diese Divergenz wird oftmals durch Anforderungen von Außen angestoßen. Sind gesellschaftliche und individuelle Ziele und Anliegen einigermaßen in Übereinstimmung, werden Menschen weniger Konflikte erleben und zufriedener leben. Wie gleichfalls bekannt, lebt Fortschritt, ob gesellschaftlich oder individuell – hier gleichen sich Prozesse an – vom Realisieren dessen, was noch an Möglichkeit durch Fühlen und Denken an der Kruste des Horizonts im Jetzt aufscheint. In jedem Falle resultiert aus jeder Entscheidung im Hinblick auf Neues auch die Möglichkeit des Fehlermachens in der Generierung von Welt und Realität. Gleichfalls liegt in der Natur der Sache, dass der ursprüngliche Ausgangspunkt, die Quelle, die als Maß diesem Prozess des Fortschritts zugrunde lag und liegt, bewegt und geformt wird. Wie gesagt, Konflikt lebt auf in einer Polarität des (vermeintlich) Gegensätzlichen, zwischen Altem und zunächst teleologisch ins Auge gefasstem Neuem. Er erfasst alle Gewebe und färbt sie neu ein. Abhängig ist dieser Prozess vom tragenden Ich, der Bereitwilligkeit des Über-Ich, dem Zutrauen des Es und der Prüfung dessen, was möglich und praktisch umsetzbar an Neuem in der Realität, dem, was geglaubt wird, was Welt ausmache, erscheint.

Arbeitet man mit Menschen im seelischen Feld, gibt es zunächst nur Individuelles zu berichten. Dieses einmalige und individuelle Leben kann in völlig unterschiedlichen Formen dargestellt werden: in psychodiagnostischen Formeln für den Gutachter, in der Literatur, in Gedichten. Es kann greifbar lebendig auf mythologische Leinwände aufgezogen und in Ausschnitten im Diaformat an die Wand für den Betrachter projiziert werden. Greifbar wird in allen Formen ein Hauch dessen, was den Kern eines Menschen ausmachen könnte. Die Frage ist, für wen und von wem welche Darstellungsformen von Seele und ihrem Wirken zu welchem Zwecke gewählt werden. Das Anerkennen der Einmaligkeit eines jeden Menschen in meinem Arbeitsfeld kann überhaupt nur spezifische und einmalige individuelle Lösungen für seelisches Geschehen hervorbringen und nachzeichnen und zwar parallel zu groben psychodiagnostischen Leitlinien, die tunlichst zu vergessen sind. Der Musiker, der über Noten und Notenlesen nachdenken muss, sollte seinen Job an den Nagel hängen. Derjenige, der sein Lied innerlich nicht gefunden hat, sollte sich auf die Suche machen. Das Instrument aus dem die Töne heilend entweichen und Verbindungen zum anderen Menschen erklingen und erstrahlen lassen, ist im Wiedererkennen festzustellen.

Unzweifelhaft dürfte es sein, dass seelische Prozesse im Menschen psychisch auf allen Ebenen, auch organisch und somatisch, arbeiten. Dabei geht es weniger darum, wie Peter Sloterdijk ausführt, ob man die psychoanalytische Schule als Autorität anerkennt oder nicht. Sloterdijk tut es nicht und muss es auch nicht zwangsläufig, aber macht dennoch Anleihen bei ihr, „weil das Material es erlaubt.“ Kurz: Es geht nicht um das Material, denn mit Material kann an dieser Stelle nicht nur „Quellenmaterial“ fremder Geister gemeint sein, sondern auch der Mensch und seine Funktionen wie Fähigkeiten. Es ging Peter Sloterdijk weniger um Feststellung psychoanalytischer Landschaft und Landschaftsgestaltung, sondern um einen kleinen Seitenhieb an die Psychoanalyse, die im Trend liegt, verunmöglicht zu werden. Dieser Hieb kann als Ansporn aufgefasst werden wie als Verlängerung ideologischer Anliegen, der Psychoanalyse den Todesstoß gezielt ins Herz zu setzen. Ich sehe darin eher eine Herausforderung, zu schreiben.

Peter Sloterdijk teilt zur Interieurforschung mit: „Dieses intime Gewölbesystem als ganzes entspricht in keiner Weise dem Unbewußten der tiefenpsychologischen Schulen, denn der Zugang zu ihm wird weder durch eine besondere Technik des Zuhörens gewonnen noch durch die Unterstellung eines latenten Sinns, der sich um gehemmten Redestrom manifestiert, noch durch die Annahme einer unbewussten Wunschproduktion. Jeder Leser kann sich ohne Mühe davon überzeugen, daß die Dimensionen von Innenräumlichkeit, die in dieser Mikrosphärologie ausgebreitet werden, von himmelweit anderer Struktur sind als die seriellen Dreizimmerwohnungen des Freudschen Seelenapparates. Die philosophische Interieurforschung und die Psychologie des Unbewußten berühren sich, wie man sehen wird, nur punktuell; wenn es im folgenden Anleihen bei psychoanalytischen Vorstellungen gibt, so nur, weil das Material es erlaubt und nahe legt, nicht weil die Schule für uns eine Autorität darstellt.“ (Sloterdijk, 1998, S. 98)

Zunächst, ich weiß nicht, wer mit „uns“ gemeint ist. Es ist kein zweiter Autor für die Sphären I angegeben. Meint er Interieurforscher, zu denen er Gaston Bachelard mit seiner Phänomenologie der materiellen Einbildungskraft zählt? Oder meint er eine Leserschaft, die er noch ungefragt seinem Expansionsdrang in Sphären und Blasen als zugehörig erachtet und zuzählt? Zugleich ein paar Atemzüge später ordnet er seine Leserschaft psychologisch gezogen als viele Jonasse ein, die, wie Jonas, eigentlich woanders hin wollte, nun aber dorthin müssen, wo der Bauch Sloterdijks ihn, Sloterdijk selbst, als Prophet und Wal in einem, als den abenteuerlichen Waljonas ausweist und in Form des genannten Buches entführt und einführt? Nun ist der Bauch, wenn ich ihn aus Perspektive neuerer biophysiologischer Forschungen betrachte, als das erste Gehirn des Menschen zu verstehen, in dem ungleich mehr Material und Gefühl meterlange Windungen passieren muss, um verarbeitet und verdaut zu werden als im Kopfgehirn. Material wird gesondert als dem Leben zugehörig und nicht zugehörig sortiert, absorbiert und dem Organischen in komplexen Prozessen zugeführt und nur wenig davon wird dem zweiten Gehirn (im Kopf) als Information zugeleitet, um es dort zu einer mentalen Weiterverarbeitung oder auch nur Kenntnisnahme vorzulegen. Jonas im Walbauch kommt woanders an, als Jonas im oder mit seinem Kopf, selbst wenn er wollte. So ist es oftmals auch in Psychotherapien, in denen viel mit dem Bauch, sprich mit Vergessenem wie vergrabenem Material oder gerade Erlebtem gearbeitet wird, es langsam bewusst wird und durch Fühlen und mittels innerer Bilder werden kann, um es dem Kopf nahe zubringen, sprich zur Kenntnis zu bringen. Für das, was da an Material von Patient und Psychotherapeuten zutage gefördert wird, ist es meiner Erfahrung nach gut, irgendeine Art von Kompass zu haben, um zu wissen wo man sich denn gemeinsam mit dem Patienten befindet. Dieser Kompass ist pure Emotion und Intuition, die auf primär individueller Metaebene anzeigt, wo konkrete Erinnerungen, Bilder und Erlebnisse, die der Einordnung und Bearbeitung harren, zu finden sein könnten. Das Material ausschließlich phänomenal im Raum stehen zu lassen und zu bestaunen, was sicherlich seine Zeit hat und braucht wie ernsthafte Berechtigung nicht nur hat, sondern geradezu für erfülltes Leben im Einzelleben wie Gemeinschaftsleben einfordert, ist oftmals zu wenig, will man mit dem Patienten oder generell Menschen gemeinsam auch wieder an Land kommen. Mit jeder gefühlten Eingebung wird Schmuck am Baum der Erkenntnis sichtbar, die von jedem bewundert werden kann. Dafür hat tiefenpsychologische Analyse und generell Psychotherapie eigene Methoden und Messgeräte im funktionalen Sinne eines Kompasses. Der Kompass sitzt bei Analytikern neben jeder Ausbildung, Theorie und Gerüst für die Fahrt durchs Meer im Bauch von Psychotherapeuten. Je besser und genauer das Bauchgefühl, desto besser für das Ergebnis gemeinsamer Arbeit. Je weniger der tiefenpsychologische Psychotherapeut auf dieser Ebene glaubt zu wissen, desto besser. Er hat einen Grad an Offenheit erreicht, der überhaupt erst einmal sicherstellt, dass der besondere und individuelle Eintritt gewährt werden kann. Im Gegenzug muss die Psychotherapeutin jedoch auch über die Qualität verfügen zu „Wissen“. Bestenfalls haben sie ein Wissen, dass den bisherigen Erkenntnisstand psychodiagnostischer Systeme umfasst. Spüren sie in sich Freiheit und sind wenig zwanghaft veranlagt, können sie nicht nur für den von ihm behandelten Menschen Neues sichten, sondern auch gleichzeitig für andere Erkenntnisse mit an Land bringen. Es handelt sich also um Material, dass im ureigensten Sinne zutiefst menschlich mit menschlichem wie nichtmenschlichen Objekten aus unterschiedlichen Zeiten verwoben und gestaltet ist, das Zeitsprünge nicht nur zulässt, sondern nahe legt, weil die Erlebnisqualität des Menschen im Tauchgang wieder belebt wird und nicht selten Perlen bergen, die gehütet und bedacht werden sollten. Nur die Art und Weise, wie damit an Bord (im Kopfgehirn) umgegangen wird, ist in der tiefenpsychologischen Analyse eine andere als in der Philosophie. Das bedeutet, zum Schmuck, zu Emotionen und Erinnerungen und individueller Musik des seelischen Hintergrundes eines Menschen zählen ureignen sowohl der Boden, auf dem Bäume wachsen (kultureller und sozialer Hintergrund innerhalb einer wirtschaftlich gesteuerten Gemeinschaft) als auch unabdingbar Einordnung, die Struktur voraussetzt. Es finden sich in Philosophie und Psychoanalyse sehr unterschiedliche Bäume (Strukturen), die jeweils unterschiedliche Arten der Schmuckrepräsentation hervorbringen und damit völlig unterschiedliche Blickwinkel für Interpretationen eröffnen.

Ich finde, beide Disziplinen haben ihre Berechtigung. Die eine zur generellen und allgemeinen Erbauung des Wunderwerks menschlichen Erlebens auf Grund unendlicher Verknüpfungsmöglichkeiten im neu zu gebärenden (philosophischen) Augenblick, um Tausende von Jahren ungehemmt mit den Masken Gottes zum Beispiel eines Joseph Campbell’s (1996) zu durchstreifen, die andere um das, was Menschen quält mittels Entdeckung und Benennung einer variierenden Vielfalt der Masken der Scham (Wurmser) den Verlust „Gottes“ und „Selbst“, an Zerstörung von Einheit des menschlichen Wesens durch Menschen in uns zu enttarnen, der Idealisierung zu entheben und als abgrundtiefen Verlust zu erfahren und zu verarbeiten. Der Erste wird sich zunächst bereichert fühlen und sich dann sich selbst zuwenden, wie es denn bei ihm ist und ob er dem fremden Walbauch wohl trauen kann und vergleichen, wie es sich im eigenen Bauch anfühlt. Der Zweite wendet sich seinem Bauch direkt zu und erinnert und erlebt aus sich heraus eine Welt, die nicht nur vielleicht, sondern ganz sicher nirgends als bei ihm nachzulesen wäre, wenn sie denn aufgeschrieben würde. Abzuwägen, welche besser oder interessanter wäre, gestattet sich nicht: Jede Welterfahrung und Weltverarbeitung hat ihre Berechtigung. Jede Welterfahrung ist menschlich. Schön wäre, wenn einfach mal im Konsens festgestellt werden könnte, dass beide, philosophische und tiefenpsychologisch-analytische Vorgänge und Prozesse direkt mit Gefühlen in Verbindung stehen und diese ernsthaft zur Kenntnis zu nehmen und dem menschlichen Wesen als ureigenste Form, in dieser Welt zur Existenzsicherung, wie für Jonas in der Geschichte, zur Verfügung stehen. Nicht nur Frauen haben Gefühle. Peter Sloterdijk ist ein Mann und bringt sie in sein Werk als treibender Motor über einen feingliedrigen Geist ein, der in viele Ecken späht. Das ist gut so.

Deshalb sei unabhängig von Sloterdijks obiger Abgrenzung und Einordnung im Zitat zur Psychoanalyse gesagt: Das Material an sich erlaubt überhaupt nichts! Der jeweilige Mensch, der „etwas“ benutzt, gibt sich selbst Erlaubnis, um es möglicherweise entgegen der Intention des Urhebers, in diesem Falle Sigmund Freuds, der sich dem Material „Psyche und Seele“ als Arbeitsgebiet zuwandte, zu benutzen – und sie damit für eine konträr und himmelweit entfernt angelegte, eigene Theorienbildung, nämlich die „philosophische Interieurforschung“ zu benutzen: Auch hierher gehört Bekenntnis und Verantwortlichkeit. Bei diesem Material handelt es sich zum einen um eine von Freud entfaltete Sichtweise auf ein wohl unstreitbar mit ihm persönlich verbundenes Arbeitsgebiet, wie er es für die Seele und mittels psychischem Apparat und in Bezug auf den Körper initiierte, und ich lasse Friedrich Nietzsche nun mal an dieser Stelle außen vor. Zum anderen handelt es sich in der Tiefe um die Seele von Menschen, die Gegenstand von Beschreibungen, Hypothesen und Zuordnungen geworden sind. Mir scheint, dieses Material ist nicht gemeint, zumal es zigfach zitiert und an allen möglichen Stellen mit unterschiedlichen Intentionen zitiert wird, ohne dass einer eine Zeile darüber verlöre, dass er genau dies tut. Oder auch Seele, Psyche, Bewusstsein, Verhalten, Motive und Wünsche ungefragt als generelles Thema im Endprodukt bereits verarbeitet anklingt und im Ergebnis verlängert in der Literatur Niederschlag findet: Nehmen wir Michel Houellebecq, einen selbst ausgewiesenen Gegner von Psychoanalyse und Psychotherapie, der zeitgemäße Gefühlsströme aufnimmt, verlängert und, zugespitzt, den puren Ekel beschreibt. „Der Mensch ist für das Glück und dessen Voraussetzung, die bedingungslose Liebe, nicht geschaffen. Angesichts der unerträglichen schmerzvollen Erfahrung des Alters nimmt der Mensch freiwillig Abschied von sich. Nach atomaren Verwüstungen und der Klimakatastrophe bleiben vom Menschengeschlecht archaisch lebende Wilde zurück.“ (2005, zitiert aus dem Überblick zum Buch) Es geht um das Arbeitsgebiet, nicht um das Material.

Nun stellte man sich einen Augenblick lang vor, es gäbe weder Psychoanalyse noch deren Weiterentwicklungen im psychotherapeutischen Bereich. Ich glaube, dies kann sich inzwischen kein Mensch wirklich vorstellen, dass wir in einer Welt lebten, in der die Konstruktion eines psychischen Apparates und daraus folgend, unzählige empirische Untersuchungsbefunde hinsichtlich der Kontinuität individueller seelischer Entwicklung von Menschen fehlte. Eindeutig wäre die Welt und der Mensch ärmer. Die Argumentationskette Peter Sloterdijks wäre ohne Psychoanalyse um Dimensionen ärmer. Er müsste nach anderen (begrenzenden, weil strukturell definierten) Mauern suchen, um sich wie ein Bär am Baum reiben zu können.

Insofern fragt man sich, ob es sich bei der niederschmetternden und leichtfüßigen Argumentation Sloterdijks sozusagen um ein Kapern oder einen Feldzug dreht, um für die Philosophie Seele und Psyche im Sloterdijkschen Bauch an Land zu ziehen. Auch hier ist zu sagen: Die Seele und die Psyche sind die Freiheit liebende Vögel. Nun fühle ich mich nicht berufen, einen Diskurs zu führen, der eigentlich, wenn er denn einer ist, von Psychoanalytischen Instituten geführt werden müsste. Insofern möchte ich an dieser Stelle nur sagen: „Schuster bleib’ bei deinen Leisten.“ Dieser Ausspruch ist nun für mich denn für Peter Sloterdijk gedacht. Das würde ich mir niemals gestatten! Denn für mich gilt als ein weiteres und anderes Leitmotiv: Der, der heilt, hat Recht. Ich kann mir ein Leben ohne meinen Beruf nicht vorstellen, nicht ohne die zahllosen Menschen, die nicht zu zählenden Stunden, in denen ich ihnen zugehört und ihnen (hoffentlich) Unterstützung geben und für sie hilfreich sein konnte. Ich lese und, wie sich zeigt, schreibe ich gern, aber, das hätte mir für meine Welt, für mein Leben nicht gereicht. Jahrzehnte habe ich andere Welten durch Menschen kennen gelernt, die nicht über einen Leisten zu brechen sind und nicht aus einem Bauch oder Buch zu erklären sind. Denn: Hätte einer diesen universellen Bauch der Welt alleinig zu erklären und wäre dazu in der Lage, dann wäre die Methode zur Heilung nicht weit – was wiederum irgendeiner Art von Intelligenz in der Sichtbarmachung von Strukturen zu verdanken wäre. Aber in dieser Welt geht es weder alleinig mit einem Bauch noch alleinig mit einem Kopf.

Nun ist die Überlegung, ob Menschen durch Lesen eines philosophischen Werkes geheilt worden wären, nicht als Polemik zu verstehen, sondern ernsthaft als Frage zu stellen und zu überlegen. Vorab kann ich mitteilen: Dies entzieht sich meiner Kenntnis. Wohl aber hörte ich, dass so mancher Mensch schon nahezu krank in der Auseinandersetzung mit einem philosophischen Werk wurde. Letztlich kann ich nur aus meiner praktischen psychotherapeutischen Arbeit sagen, dass ich mit den Schilderungen eines jeden neuen Patienten gleichfalls eine neue Welt betrete, die ich nach und nach bis ins Intimste und bis in feinste Verästelungen in allen denkbaren Himmelsrichtungen über viele Stunden kennen lerne. Der Seelenapparat Freuds steht hier weniger im Vordergrund als die Gefühlsarbeit, diese Welt aus unterschiedlichen Blickwinkeln emotional nach zu fühlen, sich zeitweilig damit zu identifizieren, um auch Feinheiten nachzuvollziehen, sie sich zu vergegenwärtigen, um auch Abweichungen oder Schädliches zu identifizieren und nötigenfalls aufzugreifen, um besprechbar zu machen, was nicht greifbar, nicht fassbar erschien. Dies geschieht oftmals mit recht einfachen und klaren Worten und Gefühlen, die meilenweit entfernt und inspiriert von einer mythologischen Sprachgewalt Sloterdijks, menschliche Realität in heutiger Zeit einfängt. Interieurforschung ist mir dennoch alles andere als fremd. Sie ist mir sehr vertraut. Denn nichts anderes interessiert in der Psychotherapie mehr als die seelische Einrichtung eines Menschen und sein von ihm gepflegter Umgang mit ihr in seinem Leben. Schön wäre, wenn jeder Mensch Achtung und Wertschätzung an dieser Stelle für sein Selbst entfalten könnte.

Aber auch auf dieser Ebene möchte ich mit dem zugrunde liegenden Fachbereichproblem, „wem gehört die Psyche und die Seele oder der Leib“ und wer findet die Systematik und Semantik, die sich am besten eignet, sie zu fassen oder zu beschreiben, nicht beschäftigt sein. Diese Kämpfe kenne ich schon aus wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit der geltenden Medizin und Medizinern, die sagen „der Körper gehört uns“ oder „der Kopfschmerz gehört uns“ und vor allen Dingen sagen sie „vom Geld gehört uns der größte Batzen und wir sind alle viel klüger und bedeutender als ihr. Denn wir sind die Götter in weiß!“ Weiß, weis und weise liegen strahlend und heil gefühlt nahe beieinander und drücken eher den Menschheitswunsch aus, dass es eine Berufsgruppe geben möge, die inhaltlich diesen Traum von Heilsein und Heilung im Leben von Menschen verwirklichte Realität werden lässt. Von der Verwirklichung dieses Wunsches sind wir in der gegenwärtigen Gesundheitswirtschaft diametral entfernt. Das Gegenteil wurde und wird verwirklicht: Der „Gott in weiß“ wurde zur vermeintlichen heilerischen Autorität, die zunächst als Transmitter für Geld und Kapital im Leben des einzelnen Arztes aufgrund der Identifikation mit der ärztlichen Standespolitik erblühte und nun mit Idealen der Gesundheitswirtschaft bestückt, politisch und ökonomisch verblüht und entthront wird. Ärztliche Berufsidentität und Berufsethos zerfleddern im Sturm der Wirtschaft, die einzig Geldgewinnung an die erste Stelle in unserer Kultur setzen. Mittels ökonomischer Struktur wurde eine Methodik zur Zerstörung von menschlichen Körpern und Seelen geschaffen, die für den Selbsterhalt von Krankheit und Geld sorgt – aber nicht für Heilung und Schutz des Selbstwertes und des Lebens von Menschen in jeder Hinsicht. Nur soviel: Meine Sichtweise auf die Seele, auf Menschen und auf das „Material“ ist in den vorliegenden Büchern aufgrund gebotener Eile und Zeitmangel zwar etwas holperig dargeboten, aber immerhin dargelegt: Es gibt keinen Gott in weiß – wir können höchstens dafür Sorge tragen, dass gemeinsam Wege zur Heilung geschaffen werden, die dann über Mensch, Kultur und Gesellschaft schwebend zu Lichtblicken im Leben von Menschen führt. Dafür brauchen Menschen ein klar und unmissverständlich formuliertes Ziel, das in Richtung und Inhalt von allen wissenschaftlichen Richtungen und Fachbereichen getragen wird.

Vielmehr, als sich Fachbereiche per Diskurs streitig machen zu wollen, sollte man sich gemeinsam darum kümmern und wirksam aufzeigen, wie Wirtschaft mit Psychologie, psychoanalytischem Wissen, psychotherapeutischen Methoden und philosophischem Wissen im Leben von Menschen durch Umkehrung der ursprünglichen Intention die in diesem Material steckenden Heilungskräfte in wirtschaftlichen Produkten gegen Leib- und Seeleinteressen lukrativ und profitabel, und damit pervers, tätig werden und sie verkaufen.

Ein Punkt aus dem Kritikrepertoire zur Psychoanalyse, nämlich der Machtaspekt, wird wenig grundsätzlich auf die Tätigkeit von Medien, Werbung und „guten Ideen in der Wirtschaft“, die für Profit Menschen in existenzielle Probleme und deren Folgen stürzen, weder gesellschaftlich kontrolliert, noch rechtlich sanktioniert. Das folgende Zitat bezieht sich auf die Psychoanalyse und ist hinsichtlich der psychologischen Bedeutsamkeit und deren folgenreicher Umsetzung in der kapitalistischen Wirtschaft und deren Konsequenzen für die Seele des Menschen in doppelter Deutung zu lesen: „Da die psychoanalytische Deutungsmethode direkten Zugang zur Innerlichkeit des Menschen schafft, das Subjekt also von innen her dem äußeren Zugriff aussetzt, hat sich eine ganz neue Dimension von Einflußnahme eingerichtet, so dass sich die Machtfrage besonders brisant stellt. Mit dem Auftreten der Psychoanalyse ist nämlich das Subjekt in seiner Souveränität von innen her bedroht, wo es früher durch repressive Strategien nur von außen bedroht werden konnte und sich gegenüber auferlegten Zwängen deshalb widersetzen und behaupten konnte, weil seine innere Freiheit unangetastet blieb.“ (Pohlen & Bautz-Holzherr, 1995, S. 66)

Der Psychoanalyse wird hier eine grundsätzliche Macht zugesprochen, die letztlich individuell in der Hand des einzelnen Psychoanalytikers in der Regel zu einem Klümpchen Mitgefühl in der täglichen Arbeit mit Patienten hin schmilzt und sicher nur von wenigen Psychoanalytikern missbraucht und sadistisch ausagiert wird. In der Praxis der Wirtschaft und ihren Werbeträgern, Vertragsgestaltungen und Produktbeschreibungen und Praktiken, Menschen zu Unterschriften unter Vertragsabschlüsse und Bestellungen zu bewegen, sieht dies hingegen völlig anders aus. Hier wird unter Einsatz psychologisch-psychotherapeutischen Materials zur Regel, was für die Psychoanalyse Ausnahme sein dürfte. Hier wird Wissen und Methodik zur Macht durch Missbrauch. Zur Unterbindung des Missbrauchs dieses Wissens über Menschen sollten sich Fachbereiche zusammenschließen. Wissen über Menschen darf nicht mehr missbräuchlich gegen Leben und Menschen in der Wirtschaft oder anderswo eingesetzt werden.

Mein Bekenntnis und Interesse erweitert sich insofern in dieser Hinsicht: Es geht nicht um Richtigkeit oder Rechthaben, ob „der Mensch“ in einem psychoanalytischen Paradigma Analyse und Erklärung in einer allumfassenden, ewigen und letztendlichen Einordnung findet. Es geht um ein vorläufiges, nicht endgültiges Geländer, um nachvollziehen zu können, was in Menschen vor sich geht. Was in einem Menschen vor sich gehen könnte, und zwar nicht prophetisch, sondern hypothetisch, ist gleichfalls Arbeitsgrundlage und Methode, mittels der man sich differenzialindikatorisch und reflexiv seiner eigenen Werkzeuge und Methoden versichert, ob die Ausrüstung in der Landschaft auch stimmt, um zu handeln und zu helfen. Die Schwierigkeit eines solchen Erklärungsmodells für Seele und Psyche liegt auf der Hand: Es soll theoretisch nachvollziehbar und verstehbar und gleichzeitig in der praktischen Arbeit auch noch hilfreich für Patienten sein und gleichzeitig sollte Professionalität in der eineindeutigen Wertschätzung des individuellen seelischen Materials Vorannahmen in der Behandlung auch im Vergessen der Grundlagen erstrahlen. Dieser Aspekt wird nun in Deutschland durch Richtlinien und Modulpsychotherapie quasi verunmöglicht. Die Stärkung des seelisch und geistig Individuellen ist gefragt und vor Uniformierung der Seele als Warnschild zu stellen. Dies ist im Zusammenspiel mit gesellschaftlichen Prozessen verstehbar werden zu lassen. Vor allen Dingen für diejenigen, die damit, mit der Seele, arbeiten und im gleichen Maße auch für diejenigen, denen es helfen soll, zu sich selbst zu finden, also für Menschen wie Patienten. Dies wiederum scheint mir der wichtigste Punkt zu sein in einer Welt, in der Menschen seelisch, psychisch und körperlich gleichermaßen und in ein und demselben Leib abgewirtschaftet und ausgeweidet werden. Dazu gibt es unendliche Möglichkeiten.

Verlässt man das Erklärungsraster der seriellen Dreizimmerwohnung, nebenbei eine wunderbare Begriffsbildung Sloterdijks, um zu erklären, wie Menschen sich in dieser Welt aufeinander beziehen, bietet Sloterdijk in der Tat eine Sichtweise an, die unzählige Phänomene in der Welt hinsichtlich Zugehörigkeit und Trends eröffnet, die dem einen ein Aha-Erlebnis in der Entzauberung des emotionalen Kontaktes zwischen Subjekt und Objekt auf dem Weg in Richtung Normalität, und dem anderen als Grundlage neuer Ideen und weiter, möglicherweise für die Kreation von Benutzungsmustern des menschlichen Wesens dienen.

Insofern scheint mir, sind psychoanalytisches Verständnis und Interieurforschung auf einem Strang mit unterschiedlicher Funktionalität und Zielsetzung: Derjenige, um nun eine Analogie zu bemühen, der kein Zuhause, keine Dreizimmerwohnung besitzt, auf die er sich beziehen könnte, wäre immer allein auf weiter Flur, irgendwo in der großen und himmelweiten Welt, die er nur schwerlich ordnen oder sich aneignen könnte, unterwegs. Er befände sich mit irgendwas und irgendwo in Kontakt. Er wäre wie ein durch den Wind treibendes Schiff ohne Anker im Meer. Sicherlich kann das schön sein und zum Träumen verleiten – aber hätte er die Möglichkeit sich auf sich zu zentrieren? Könnte er alleinig mittels Gefühlen diese Welt gestalten und beleben? Wo bliebe die Sirene, die ihn zentriert und ruft? Woher sollte sie plötzlich auftauchen und unerklärlich Funktion für einen Lebensgrund deklarieren, der so ohne hypothetische Struktur gedacht wird? Wenn man eine Dreizimmerwohnung hat, kann man sie zeitweilig vergessen, weil sie Grund und Boden für den Schritt hinaus in die Welt erst sicher gestattet und die Wirbel des Rückgrades bildet. Hat man dies nicht, wird es schwierig zu leben. Das weiß derjenige, der Menschen erlebt hat und/oder zu Behandelnde, die über ihren Grund und Boden, ihren Ursprung, in großen emotionalen Zweifeln waren. In solchen Fällen war die Vorstellung der Existenz eines „Ichs“ als Rettungsanker für die Bergung an Land doch im Sinne einer Orientierung und symbolisch als Gefäß der Sammlung recht wichtig und nicht von der Hand zu weisen.

Dieser vorläufigen Theorienbildung „Psychoanalyse“ kann weltweiter Erfolg hinsichtlich der theoretischen Grundlagen nicht abgesprochen werden, auch wenn umfänglich Kritik an der Praxis und deren vermeintlichen Erfolgen geäußert wurde und wird. Vielleicht ist das der Grund, sich der Machtfrage zuzuwenden? Dennoch ist pragmatisch zu formulieren: Eine Theorie ist so lange nutzbar und gut, wie sie hilft. Hilft sie nicht, sollte sie erweitert oder zu den Akten gelegt werden. Wenn sie nicht hilft, sondern auch noch schädlich ist, sollte sie schleunigst abgeschafft werden. Bisher ist es nicht gelungen, die Psychoanalyse durch ein anderes theoretisches Seele-Psyche-Körper-Modell zu ersetzen und dann, infolgedessen, abzuschaffen. Man wüsste auch nicht, warum; es sei denn, es handelte sich ausschließlich um Machterhalt derjenigen, die politisch Einflüsse geltend machen, andere wirksame Psychotherapiemethoden zu vereiteln. Davon werde ich an anderer Stelle in Band 2 und 3 berichten. Eher entwickelte sich Psychoanalyse dahin, differenzierter zu werden und unterschiedliche psychoanalytische Schulen (C.G. Jung, Alfred Adler und Fritz Perls, der bis heute nicht im Sinne psychoanalytischer Schulen anerkannt ist) ins Leben zu rufen sowie Forschungen auf den Grundlagen der Psychoanalyse bis in heutige Tage auszubauen. Das Wissen um die Psychoanalyse ist in der Welt und, wie bereits angedeutet, auch nicht mehr wegzudenken oder wegzudiskutieren. Daneben gibt es zig weitere Therapiemethoden, die von den Grundlagen her „sphärisch“ methodisch und am Leib orientiert theoretisch und praktisch mit Menschen arbeiten. Das ist zum Beispiel in der Gestalttherapie der Fall. Was sich im einzelnen an Sphären in psychotherapeutischen Räumen entwickelt, ist buchstäblich unsäglich hinsichtlich der Vielfalt der Dimensionen, fühlbar und es erfordert der Kunst, sie dennoch in Worte zu fassen, dass das Gegenüber versteht, was gemeint ist oder gemeint sein könnte. Diese Atmosphären sind so einzigartig, scheu und flüchtig und ebenso kristallklar, mächtig, ja übermächtig, wie das, was Menschen bisweilen erleb(t)en und zu verarbeiten haben. Aber alle sind so einzig wie die Menschen, die in diesen Räumen gemeinsam sind.

Dennoch ist das Gerüst der seriellen Dreizimmerwohnung als Orientierung in unserer ebenfalls drei Dimensionen umfassenden Welt in einer ebensolchen realitäts- und kosmisch gebundenen Zeiteinteilung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nicht die schlechteste Konstruktion: Setzte man das Über-Ich für die Vergangenheit, so bliebe notgedrungen für die Gegenwart das Ich. Zukunft ist so spekulativ wie die letztlich nicht bestimmbaren Faktoren, die aus Über-Ich (Vergangenheit, Kultur, Tradition und nicht zu vergessen, der Qualität der Verarbeitung eines solchen Materials im gegenwärtigen Ich) und generell dem Ich (Gegenwart) in ihr wirken: Also verlagerte Freud alles Vergangene in eine nicht gewusste und zeitlich nicht auslotbare Tiefe in Form des Es in der Psyche des Menschen – um für Zukünftiges aus ihr, aus den Gründen und Tiefen der Vergangenheit, auch noch eine Erklärung zu haben. Das Es, diese weder auslotbare noch zu messende und zu bestimmende Größe aus dem Unbewussten der Psyche des Menschen, kann demgemäß der Dimension Zukunft zugeordnet werden: ein Material, was nicht geschichtlich gesichtet und damit lebendig werden durfte, weil es den jeweilig gegebenen Strukturen von Gesellschaften zu wider lief. Die Gefahr der Veränderung der jeweilig vorhandenen Konstanten von Gesellschaften durch subjektives Empfinden der Mitglieder von Gemeinschaften war zu groß? Aufarbeiten und nachvollziehen von dem, was da zu leben und eigentlich emotional aufgearbeitet gehörte, war und ist nicht en vogue. Mehr Dimensionen als drei können wir gegenwärtig nicht aufzeigen.

Gegen dieses theoretische Gerüst kann doch eigentlich niemand ernsthaft etwas haben: Höchstens gegen die klassische Methode der Psychoanalyse in der Praxis. Aber dann betritt man ein völlig anderes Feld der Diskussion, nämlich das der fachlichen Welt der Psychoanalytiker, die sich hier eine Vielzahl von Faktoren und Einflüssen wie Macht bedienen und sich wie Fische im Wasser als glitschig erweisen und gebärden. Es geht eine gewisse Eingebildetheit hochmütig von ihnen und von ihr aus. Die Psychoanalyse wird durch die Weiterentwicklung anderer psychotherapeutischer Methoden überholt und stellt sich politisch stur und behauptet so ihren Platz. Politisch gibt man sich seitens der Krankenkassen gleichfalls große Mühe, die Psychoanalyse ad acta legen zu wollen. Dies jedoch nicht aus erkenntnistheoretischen Gründen, sondern aus geldlichen Gründen innerhalb der wettbewerbsfreudigen Gesundheitswirtschaft. Das wird nun ausgewählten Patienten, die tatsächlich längere Zeit benötigen, um Fortschritte zu erzielen, nicht gerecht.

Psychoanalyse setzt auch in der praktischen Arbeit Sphären frei. Ebenso wie im Kontakt mit Menschen oder Umwelt oder genereller formuliert, mit Objekten, immer eigene, dem Menschen zugehörige, Sphären entstehen, die ohne ihn nicht entstünden. Ja: Sphäre existiert nur und ausschließlich durch den Menschen – ansonsten existiert sie nicht. Die Beschreibung von Sphären ist Nachahmung, die bei Interesse an ihnen, nachvollzogen werden können. Gleichzeitig bildet sie selbst eine neue Sphäre in der Niederschrift, in dem, was ein anderer Mensch meinte und fühlte, als er diesen oder jenen Kontakt mit diesem oder jenem Objekt in einer spezifischen Zeitsituation einging, und in welcher Form auch immer mitteilte. Insofern können mitgeteilte Sphären anderer Menschen vom eigenen Weg abbringen, aber ebenso bereichern und Identifikation ermöglichen. Deshalb ist Literatur wie Film auch so beliebt bei Menschen. Dennoch steckt die Gefahr darin, den allgemeinen Realitätsbezug, den bestehenden Konsens in einer Gemeinschaft, zu verlassen und sich in Blasen und Sphären wie in Seifenblasen forttreiben zu lassen und sich darin zu verlieren – das sollte jeder jedoch tunlichst in der Gegenwart, anbetracht der sozialpolitischen und wirtschaftlichen Entwicklungen, in die leider spärliche „Freizeit“ verlagern, aber nicht als Ansatz zur Realitäts- wie Lebensbewältigung favorisieren. In der Realität müssen die Sphären klar und deutlich erst einmal in ihren Konturen wahrgenommen, erkannt und benannt werden, um sie einordnend benennen zu können – um zu wissen, wo man eigentlich ist – in welcher Sphäre man nun, mittels Hartz IV und Gesetzgebung, zu leben hat.

Insofern wäre einmal zu sichten, wie die seriellen Dreizimmerwohnungen sich in der Gegenwart belebt und in der Größenverteilung zeigen. In welchem Raum wäre das Gewissen zu finden und in welchem das Mitgefühl? In welchem spielte sich generell Leben ab? Als wie groß wären überhaupt Wohnungen von besitzenden und besitzlosen Menschen festzustellen? Sind sie aufgrund der mannigfaltigen äußeren Einflüsse überhaupt noch zumutbar und auffindbar? Oder sind sie schon dermaßen verkleinert und beschränkt, dass unseren Fachbereich Sorge erfassen muss?

Diese Frage ist leicht zu beantworten: Viele Menschen können sich nicht mehr fei bewegen, sie haben viele Verluste zu verarbeiten und werden von Hiobsbotschaften erdrückt. Allen Menschen muss diese Entwicklung Sorge machen, nicht nur unserem Fachbereich! Diese Überlegung schließt an das vorangegangene Kapitel an: Gibt es überhaupt noch ein funktionierendes Über-Ich und ein Ich, dass an der Realität orientiert sich in der Lage fühlt, verantwortlich und im Einklang mit seinen Gefühlen zu denken und zu handeln? Wer lässt denn Menschen noch fühlen, denken und handeln? Gibt es ein besseres Modell, um zu verdeutlichen, wie es um Menschen in der Gegenwart bestellt ist? Wenn ja, wo?

Da man schon weiß, dass sich im Über-Ich die Vergangenheit, von mir als Zimmer 1 (Über-Ich) betitelt und Kulturvorstellungen in Bezug auf Moral und Ethik befinden, müsste zunächst dieses Zimmer gesichtet werden, um zu wissen, was in der Gegenwart, dem zweiten Zimmer (Ich), wirkt. Da dürfte sich aufgrund größter Verunsicherung, Not und Fehlen von Sicherungsmaßnahmen in der Gegenwart und meinetwegen atmosphärischen Einflüssen aus der Vergangenheit nur noch eines breit machen: Angst. Dieses Zimmer 2 (Ich) dürfte insofern durch sie recht klein zum Leben geworden sein: freies Handeln und Denken ist eingeschränkt durch Angst in vielen Formen. Da man von Angst aber genug hat und sie gar nicht gebrauchen kann, weil man sonst überhaupt nicht mehr handeln kann und erstarrt, wird man versuchen, zumindest im dritten Zimmer (Es) mittels des zweiten Zimmers (Ich) soviel von dem, womit man nichts zu tun haben will, unterzubringen. Zimmer 1 (Über-Ich) wird also pausenlos im Einsatz sein, um den restlichen Platz in Zimmer 2 (Ich) zu bewahren, Zimmer 3 (Unbewusstes oder Es) voll stellen ohne zusätzlich belästigt zu werden. Zimmer 1 hat also alle Hände voll zu tun, die Abwehrstruktur passend zu aktivieren, um dem Ich ein Mindestmaß an Handlungsfreiheit und Lebensqualität zu erhalten und das Es (Zimmer 3) nicht völlig zu überfrachten. Alle drei psychischen Konstanten werden wegen Überfrachtung und hohen Arbeitsaufkommens auf alte Regelkreise reduziert. Das macht plausibel, dass es nicht mehr großartig um Differenzierung geht, wenn es sich um Fragen der Existenz dreht. Da bringt ein Mensch den anderen um, wenn es um ein Stück Brot geht, das zum Überleben beitragen könnte.

Auch die Philosophie der Gegenwart sollte sich anbetracht massiv wirkender sozialpolitischer und wirtschaftlicher Verschlechterungen für Menschen weltweit auf ihre gesellschaftliche Funktion besinnen: Wenn sie denn eine hat – wovon ich überzeugt bin und es gut fände, wenn sie sich dementsprechend mehr positionierte. Sonst kämen Philosophie und Philosophen noch in den Verdacht, ausschließlich den eigenen Bauchnabel zu begutachten. Von Philosophie und Philosophen fehlt der Entwurf zum Tätigwerden. Da ich als Psychologin nicht die Weite des Raumes am Nabelband der Silberschnüre (meiner eigenen wie der meiner Patienten) erkunde – oder höchstens dann, wenn es nötig ist, einen Menschen wieder auf seine eigenen Füße im Rahmen meiner täglichen Arbeit zu stellen, damit sie in ihrem Leben auf Erden weitergehen können, plädiere ich für seelisch-geistiges praktisch werden. Fehlt der Philosophie der Bezug zum Leben der Menschen und sieht ihre Aufgabe im Schönschreiben und Schönerklären, gelangt sie ins Fahrwasser der „schönen neuen Welt“ mit schönen, reichen Menschen, die schön ihr Leben auf Kosten der Armen leben und schön ihre Literatur lesen und klug daher reden wie sich vermeintlich auskennen, wie man es im Leben machen muss. Auch hier könnte Mitgefühl, Mut und Klarheit der eigenen Positionierung eine Positionierung im Dienste des Menschen schaffen und nach Manifestation auf dem Boden der Tatsachen des Lebens suchen. Menschen sollten zumindest wissen, wohin sie in ihrer Intimität, in ihrer Sphäre treiben – sonst könnten sie abgetrieben werden. Fraglich ist, ob sich im Geschlecht, ob Mann oder Frau, die Geister scheiden – oder ob es wieder nur der universale Wert ist, der trennen soll: Geld und Macht.

Ein aktueller Schlusssatz aus 2008 heraus lautet: Was für ein Gewissen hat ein Mensch, der Millionen oder Milliarden im Jahr verdient und dann auch noch Steuern in Millionenhöhe hinterzieht? Was für ein Bewusstsein und was für ein Über-Ich herrscht in so einer Dreizimmerwohnung? Eines, das ihm suggeriert, er bekäme nicht genug im Leben? Oder eines, das diejenigen, die viel weniger verdienen, auch für die sozial Armen aufkommen sollen – und der Steuerhinterzieher damit, mit Politik und Sozialität, nichts zu tun hat? Aber alles ist steigerungsfähig: Ein Bewusstsein und ein Über-Ich, das es als gerecht empfindet, dass Besitzlose mit ihren Steuergeldern nun die Pleiten von Banken und auch noch von Versicherungen und Krankenkassen, z.B. Barmer-Ersatz-Kasse, die für 200 Millionen Euro und die Knappschaft in Bochum für 90 Millionen bei Lehmann Brothers angelegt haben, aufkommen sollen? (Ruhr Nachrichten, 29.10.2008) Privatkunden zum Beispiel bei Sparkassen sind nicht abgesichert. Ein vorläufiger und allgemeiner Schlusssatz zu diesem Thema könnte lauten:

Wir wissen alle zu viel,

als dass wir so weitermachen könnten wie bisher.

Nutzen wir dieses Wissen und noch intaktes Gewissen in der Gegenwart nicht, wird es zum schlechten Gewissen verkommen und nicht zum bösen Gewissen im Sinne Nietzsches wachsen. Es wird in landschaftlichen Ruinen, Katastrophen und Armenvierteln aller Länder ein Abbild unvorstellbar fruchtbaren Ausmaßes als lebendiges Denkmal gesetzt bekommen. Und dies aufgrund von Verletzung und Verkehrung von Grenzen und Grenzwerten in Natur und Mensch und deren seriellen Dreizimmerwohnungen, um die Seele zu zerstören.

Ärzte der Kultur statt Manager in der Kultur - Die heillose Kultur - Band 1.2

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