Читать книгу Das Leben findet während der Fahrt statt - Dr. Wolfgang Lipps - Страница 20
Das Duell
ОглавлениеAber ich bin etwas abgeschweift. Ich war eben auch zu längeren Zeiten Erstchargierter einer Studentenverbindung, die zwar nicht mehr focht, aber sonst sehr angesehen war.
Deshalb wurde ich oft zu Festlichkeiten auch der schlagenden Verbindungen eingeladen. So kam es zu einer Episode, die ich als Nächstes erzählen will, weil Heidi darin vorkommt, die ich schon erwähnt habe.
Ein alt eingesessenes Corps – ich glaube es war Suevia, die wegen ihrer gelben Mützen die „Schneepisser" genannt wurden, aber das weiss ich nicht mehr genau – gab seinen grossen Semesterball im und um sein imposantes Corpshaus herum. Alle Corpsbrüder und Gäste, soweit sie Verbindungen angehörten, toll uniformiert, im Fachjargon also "im vollen Wichs", nur yours truly im dunklen Anzug mit dem schwarz-gelben Bändchen des Heidelberger Kreises im Revers. An meiner Seite – der Ringelpietz fand natürlich mit Damen statt – Heidi, meine heisse Studentenliebe, eine grosse rassige leicht dunkelhäutige Frau, fast so gross wie ich, mit dunkelbraunen Haaren, riesigen Augen, einem selbstgeschneiderten Seidenkleid ohne Unterwäsche bis auf ein winziges Höschen – sie konnte sich das echt leisten – Beine bis zum Hals und einem Sexappeal, dass die Kerle sich schon am Eingang reihenweise auf die Zunge bissen.
Kennen Sie das? Der Kerl verschlingt ihre Braut mit den Augen, wirft dann einen Blick auf Sie und der sagt: hey was will die denn mit dem Hämeken? Könnte´n richtigen Kerl gebrauchen! Und dann wird mit dem Federkleid gespielt. Sie gucken zurück, dem Kerl direkt in die Augen, und Ihr Blick sagt: das würdest Du gar nicht überleben, Kerle, das Bessere ist eben des Guten Feind! GUCK WEG!
Kleine Geplänkel, aber die Gentlemen muss man sich merken, die trifft man wieder. Vor allem aber: die Braut hat das alles längst geschnallt. Die Bühne steht!
Na was soll ich sagen. Das Fest nimmt seinen Fortgang, Bier und Wein und sonst was fliessen in Strömen, und ehe ich richtig aufpasse macht sich der Fechtwart der Gastgeber massiv an Heidi ran. Ein grosser breitschultriger Kerl mit markanten Zügen, wirrem schwarzem Haar, gut sitzendem Wichs und einem spöttischen Zug im Gesicht, so ein Alain-Delon-Ausdruck auf den die Frauen fliegen, verwegen sozusagen, cloack-and-dagger-Typ, Jean Marais ohne schwul. Ganz gefährlich.
Nun bilde ich mir natürlich ein, bei meinen Frauen hätte gegen mich keiner eine Chance, die würden mir immer treu bleiben, gefeit gegen jede männliche Versuchung sowie sie mich mal im Arm hatten – aber andererseits habe ich selbst so manchem Gentleman die Braut ausgespannt während der sich noch in genau dieser macho-mässigen Sicherheit wiegte. Und wenn ich mal ganz ehrlich zurückdenke kann es sein, dass auch mal die eine oder andere Dame von meiner Fahne ging – ich erinnere mich natürlich nicht mehr an so was, aber direkt ausschliessen kann ich es auch nicht.
Also greife ich mir den Freibeuter und sage: „he, Zirkusdirektor, nimm´ gefälligst die Hand aus meiner Dame“ und erläutere ihm noch ganz kurz was ihm blüht wenn er nicht…
Er schaut mich an, sehr direkt, leicht schwankend, grübelnd sozusagen und ich denke das war es und will Heidi wegziehen; da holt der kurz aus und schallert mir eine, dass ich längs über einen grossen Tisch segele und alles runterreisse was darauf steht, Bier, Hax’n, Senf und so Zeugs, am anderen Ende runterfalle und da liege wie eine leicht benommene Schildkröte. Wie ich aufstehen will kommt er angesaust und will mir einen uppercut verpassen der mich, wenn er getroffen hätte, aus den Schuhen gehoben hätte; aber ich sehe ihn kommen, lasse mich zurückfallen und ramme ihm die Schuhspitze direkt in den Familienschmuck; brüllend klappt er mittig zusammen. Ich, damals noch ein sportliches Kerlchen und des dunklen Blicks von Heidi durchaus gewahr, rolle mich rückwärts weg auf die Beine und will ihn erledigen. Da werden wir von unseren jeweiligen Kumpels festgehalten.
Ich beleidige ihn daraufhin sehr gekonnt, den genauen Wortlaut habe ich vergessen aber er war, glaube ich, sehr gewählt und dennoch treffend, so in der Art dass man mit einer bunten Uniform leicht einen kleinen Schwanz verbergen kann usw. Er, mir rhetorisch offenkundig nicht so gewachsen, erklärt mir in gewählter Redeweise dass er mich in Rübenschnitzel zerlegen würde wenn ich satisfaktionsfähig wäre.
Ich denke ich steh´ im Wald. SATISFAKTIONSFÄHIG? Was für ein Quatsch. Der kommt aus dem 17ten Jahrhundert;
„Herr, Sie haben meinen Hund fixiert!“
„Sie haben doch gar keinen Hund.“
„Wollen Sie mich Lügen strafen, Ihre Karte bitte,
ich habe die Wahl der Waffe“...
und so was. Ich fasse es nicht.
Darauf ich:
„Erstens bin ich natürlich saturations… satinierungs…äh …satisfaktionsfähig – upps, schweres Wort, und zweitens haue ich einer Schnarchnase wie Dir immer noch mein Monogramm in´n Bauch. Ich heisse Wolfgang Lipps – We-Punkt-El-Punkt Du aufgeblasener Pfeifenheini usw….!"
Er, rhetorisch erholt: „Ha ha Angeber“ und alle seine Freunde unisono im Chor: „Das wollen wir sehen!“.
OK, ich bin dabei.
Also schlingern wir alle ins Corpshaus, die Treppen hoch und auf den Paukboden. Der ist erstklassig ausgerüstet und ausgeleuchtet und bietet Platz für eine Riesenmeute. Es bieten sich auch gleich Sekundanten an, mir zu meiner Freude mein Freund Edgar R., zum Studium freigestellter Heidelberger Kriminalhauptkommissar und passenderweise der Freund von Heidi´s Schwester – er sagt mir gleich zu Beginn, dass er die Mädels nachhause geschickt hat. So´n Blödsinn ist nichts für die Weiber.
Ein, was sag´ ich, mindestens drei Ärzte stellen sich sofort zur Verfügung, alle so blau wie wir. Eine grössere Diskussion entbrennt um die Wahl der Waffen. Ich überlasse sie grosszügig dem Gegner.
Denn hier, Freunde, muss ich mal die Katze aus dem Sack lassen und stelle zur Diskussion, ob ich das vor dem Duell hätte tun sollen. Ich fechte seit Jahren, in erster Linie Degen, aber aus Spass auch Säbel, obwohl ich dafür mit 1,87 m eigentlich etwas zu gross bin; die guten Säbelfechter sind fast alle untersetzt, kompakt, kräftig und schnell. Aber als jahrelanger Sportfechter bin ich einem studentischen Mensurenfechter immer überlegen.
Hätte ich das aufklären müssen? Ich frage Edgar, der nämlich beim USC Heidelberg mein Fechtobmann ist und der meint, wer sich Gefahr begebe, komme eben auch mal darin um – Bibel oder Goethe oder so. Ein gebildeter KHK, typisch Heidelberg.
Also ich war unsicher, aber da wurde mir schon, nachdem ich den Oberkörper freigemacht hatte, die Paukbrille mit Nasenblech und die Halsbandage mit Halskrause angelegt. Nasenrücken, die wichtigen Blutgefässe und der Fazialisnerv sind also geschützt, falls der andere nicht allzu sehr zuhaut. Kräftig genug sieht er leider aus. Angst habe ich zwar nicht, aber ich bin schlagartig wieder nüchtern und ein bisschen besorgt.
Die Diskussion um die Wahl der Waffe entschied Edgar, der drauf hinwies, dass der akademische Säbel strafbar wäre – wusste ich gar nicht – und wir besser aussehen würden, wenn wir gewöhnliche Mensurschläger verwenden würden. Bei denen ist nur die Spitze geschliffen, allerdings beidseitig. Die wird daraufhin kräftig desinfiziert.
Dann ging´s los. Ich erinnerte den Gegner, nach der rituellen Verbeugung, noch mal an meine Initialen W.L., wobei ich anfing, mir Gedanken über die beiden Punkte zu machen. Ich wollte den Typen ja nicht durchbohren, also entschied ich mich schweren Herzens für zwei Kommas.
Der Andere fing an wie ein Berserker, die schweren Hiebe prasselten von oben auf mich herunter, wie das eben beim Schlägerfechten so ist, und waren leicht zu parieren. Bald hatte ich meine Chance und mit einem schnellen Hieb aus dem Handgelenk von links oben nach rechts unten mittig unterlief ich seinen Hieb und fing mit dem ersten Streich vom W an. Schnell gelang mir dasselbe von rechts, und er hatte ein V auf der Brust, das leicht zu bluten anfing.
Der Arzt – die drei hatten sich auf eine Reihenfolge geeinigt – hielt den Kampf an, entschied, der Gegner sei noch hinreichend am Leben, gab den Paukboden wieder frei und das benutzte ich für den dritten Hieb vom W. Der trennte allerdings einen Teil des Bauchmuskels auf und zog stark Blut.
Der Kampf wurde abgebrochen, wir verbeugten uns und ich wurde in der Wiederherstellung meiner Mannesehre bestätigt. Mein Gegner gab mir sehr ritterlich die Hand und konnte es sich nicht verkneifen, Heidi grüssen zu lassen – habe ich, kleinlich wie ich bin, nie ausgerichtet!
Edgar zog mich auf die Strasse und in sein Auto. Er nahm mich mit zu sich nachhause und vergatterte mich, solange in seinem Gästezimmer zu wohnen, bis die mit Sicherheit alsbald beginnende Ermittlung der Kripo eingestellt sein würde.
„Dir ist klar“, sagte er nüchtern, „was für ein Idiot Du bist. Naja, Ihr beide. Illegales Duell, denn das war ja keine Mensur, und vorsätzliche gefährliche Körperverletzung. Hoffentlich hat der Typ ´n guten Anwalt. Den wird er brauchen. Aber nur wegen des Duells, verletzt hat er ja keinen!“
Am nächsten Tag stand die Kripo am Bett meines Gegners im Uni-Krankenhaus, wo seine Wunden genäht worden waren. Das Krankenhaus hatte Anzeige erstattet. Die Kripo betrachtete den völlig bandagierten Oberkörper des Opfers, sah natürlich nichts, und fragte, was passiert sei.
Und da antwortet mein Gegner:
„Ich habe mich beim Rasieren geschnitten!“.
Stellt Euch diese Coolness vor! Hut ab! Gigantisch! Habe ich natürlich, kleinlich wie ich bin, Heidi auch nicht erzählt.
Die Kripo kriegt einen Wutflash und bedroht den Patienten, und da macht der auf plötzliche Schwäche und verweist zudem auf seinen sehr einflussreichen Vater und wie dessen Anwälte die Herren Gendarmen zur Schnecke machen würden, wenn sie einen geschwächten Patienten …
Was soll ich Euch sagen, das hat gewirkt. Ich habe es vergessen, aber ich glaube, mit dem Vater von dem war wirklich nicht gut Kirschen essen. Also war meinem Gegner nichts nachzuweisen, den anderen Combattanten hatten sie nicht, und die wenigen Leute, die einräumten, sie glaubten, in der Nähe einer irgendwie gearteten Streiterei gewesen zu sein, hielten sämtlich dicht.
Das Verfahren wurde eingestellt und ich konnte in meiner kleinen Bude an der alten Brücke wieder heftig mit Heidi frohlocken, deren Liebe der Vorfall erwartungsgemäss noch verstärkt hatte.
Mit meinem Gegner pflegte ich noch viele Jahre lang eine achtungsvolle Studentenfreundschaft, bis wir uns aus den Augen verloren.