Читать книгу Das Leben findet während der Fahrt statt - Dr. Wolfgang Lipps - Страница 9
Warum dieses Buch diesen Titel hat.
ОглавлениеJeder Schriftsteller weiss: der richtige Titel ist die halbe Miete. „Deutschland schafft sich ab“ ist ein Bombentitel, während „Ansichten von Thilo“ nicht ganz so gut gekommen wäre. Weil Frau Breuel ihr Buch über die Treuhandanstalt „Das Unmögliche wagen“ genannt hat, dachten vielleicht viele, das sei ganz interessant; hätte sie es ehrlicherweise mit „Selbstlob für beschissene Arbeit“ betitelt, hätte kein Mensch es gelesen.
Moment mal.
Jetzt, wo ich das schreibe, kommen mir Zweifel. Weil vielleicht ein Buch „Die Scheißtreuhand“ ein echter Renner geworden wäre, vor allem, wenn es – was wir Frau Breuel aber nicht unterstellen dürfen – ehrlich gewesen wäre.
Also:
Der Titel ist ganz wichtig, aber welcher Titel? Die Schriftstellerin Sabine Ebert hat vier zauberhafte Bücher über das Leben einer Hebamme zu Zeiten Barbarossas geschrieben, die sie ganz anders nennen wollte, aber dann auf Druck ihres Verlages „Das Geheimnis…“, „Die Spur…“, „Die Entscheidung…“ und „Der Fluch der Hebamme“ genannt hat und war damit höchst erfolgreich.
Ich wollte – ich sollte, wie Christian das verlangt hat – alle mehr oder minder witzigen interessanten erbaulichen lehrreichen usw. Krümel aus meinem Leben zusammenwürfeln und aufschreiben, denn meine Erzählungen seien so anregend, dass sie der Nachwelt erhalten bleiben müssten. Als ob flüssige Redner auch flüssig schreiben könnten. Vor allem, weil Christian verlangt hat, ich müsste immer wieder zwischendurch den Leser mit „Knallern“ anheizen, damit ich dann weitere Informationen ausbreiten könnte, und vor allem dürfe natürlich die Erotik nicht zu kurz kommen, das wollten die Leute lesen.
Er hat gut reden! Aber damit stosse ich dann allerdings an meine erzählerischen und vor allem an meine selbstentblösslerischen Grenzen!
Nach langem Kampf mit mir und anderen habe ich mich dann aber mal drangemacht. Und dafür, wie gesagt, als Erstes einen Titel überlegt.
Einige Titel fallen aus, definitiv, völlig ausgeschlossen; so wie „Aus meinem Leben“ („aus dem Leben eines Taugenichts“ hätte es super getroffen, gibt es aber schon von Joseph von Eichendorff). „Ein Vagabund unterwegs“ ist durch Mark Twain „A Tramp Abroad“ genial blockiert. „Gedanken und Erinnerungen“ ist von Bismarck, „Erlebtes und Erlauschtes“ haben Ganghofer und andere schon besetzt. „Irrungen und Wirrungen“ kommt mir bekannt vor und trifft ausserdem mein ordentliches Leben nicht. „Durch die Wüste“ oder „Durch´s wilde Kurdistan“ oder „Von Bagdad nach Stambul“ oder „In den Schluchten des Balkan“ oder gar „der Schut“ – alles irgendwie schon mal dagewesen. Und ausserdem: wer will denn von einem Anwalt aus Berlin irgendwelche Lebenserinnerungen lesen? Ausser Christian.
Deshalb dachte ich an den Spruch meines alten Freundes Ellermann „das Leben findet während der Fahrt statt“. Will heissen: das Leben rast davon, vor sich hin, an vielem vorbei, durch vieles hindurch, reisst uns mit, lässt uns auch mal fallen, rammt uns zuweilen um, schleudert uns herum und in immer neue Lebenslagen, zwingt uns gelegentlich zum Kampf, lässt uns den mal gewinnen, mal verlieren. Aber es steht nie still und saust mit uns unweigerlich auf ein Ende zu. „Hoch auf dem gelben Wagen…“ sagt das Gleiche, nur viel besser und kürzer. „Ich wäre so gern noch geblieben, aber der Wagen, der rollt!“. Der Wagen des Lebens, in dem wir sitzen. Und am Ende „sag ich: Ade nun, Ihr Lieben, die ihr nicht mitfahren wollt. Ich wäre gerne noch geblieben, aber…“ siehe oben.
Aber während der Fahrt passiert auch vieles, an dem sich vielleicht auch noch andere erfreuen können, erheitern, von dem sie vielleicht etwas mitnehmen können in ihre Welt, oder von dem die, die mich kennen, gut oder nicht so gut, vielleicht sagen werden: „Guck mal an, der also auch“ oder so ähnlich. Ich möchte einfach einiges weitererzählen, nur so um des Fabulierens willen. Mit dem kleinen Hintergedanken „wer schreibt der bleibt“, und wenn es nur bei wenigen geliebten Menschen ist.
Also: DAS LEBEN FINDET WÄHREND DER FAHRT STATT
Damit haben wir ihn, den Titel! So lasse mer´s.