Читать книгу Das Leben findet während der Fahrt statt - Dr. Wolfgang Lipps - Страница 6
2. Das literarische Quintett
ОглавлениеSo sitzen wir also – um endlich zur Sache zu kommen - im „Lieper Vorwerk“ um den schön gedeckten Eichentisch herum und lassen uns ein Essen schmecken, wie es nicht nur das Jägerherz, wenn auch dieses ganz besonders, erfreut. Angerichtet hat es meine Frau Astrid, eine begnadete Köchin, deren über Liepe und Berlin hinaus bekannte Kochkurse mindestens ebenso gut sind wie ihre beruflichen Fähigkeiten als Rechtsanwältin und Notarin.
Das Menu – dieses Buch ist nämlich Teil der neuerdings immer wieder beschworenen notwendigen deutschen Bildungsoffensive - soll dem Leser nicht vorenthalten werden:
Amuse gueule
Forellenrahmsüppchen
Wildschweinkeule in Weisswein
Brandenburgische Quarkkeulchen mit Himbeercoulis.
Dazu natürlich Weisswein, Rotwein, danach Espresso, Rum, Cognac, Zigarre usw.; was jeder möchte; auf dem Lande geht es üppig zu.
Wer die Rezepte nachkochen möchte, findet sie im ANHANG.
Wir, das sind unsere Lieper Freunde Burckhard, einer unserer besten Jäger und seine Frau Gundela, der Berliner Architekt Christian und seine Ehefrau Marita, auch Rechtsanwältin und Notarin und Astrids beste Freundin, und natürlich wir, die Gastgeber.
Wie es sich zum Essen bei Gebildeten ziemt, werden die Kau- und Wohlbefindensgeräusche von munteren Reden übertönt. So habe ich, wegen des Wildschweinbratens, gerade die Geschichte vom Bauern Vogt erzählt, der
… vor geraumer Zeit mit dem Fahrrad aus Brodowin kommend auf der Waldstrasse einen sehr kleinen Frischling rumwuseln sieht, noch im gestreiften Schlafanzug. Den hält er – Wilderei hin oder her - für einen willkommenen Braten, aber als er ihn fängt, quiekt das Tierchen ganz erbärmlich, worauf wie eine Dampfwalze die Mutter durch das Unterholz bricht. Diese Bache wiegt schätzungsweise 70 Kilo, hat das Gebräch (jägerisch für: das Maul) weit aufgerissen und wirkt insgesamt einigermassen unverbindlich.
Vogt, der weiss, dass Wildschweine schon mal Menschen umgebracht haben, jedenfalls aber ganz schön wehtun können, saust in geradezu artistischer Behendigkeit auf den nächsten Baum; der allerdings ist blöderweise eine gerade mal armdicke Birke, nicht sehr hoch, und biegt sich schon. Die Bache sieht Vogt aus miesen kleinen Augenwinkeln berechnend an – Wildschweine sind verdammt schlau – und rüttelt an dem Baum, woraufhin der bedenklich in Bewegung kommt; Vogt fängt an zu schreien wie am Spiess.
Das holt zwar keine Hilfe für ihn, aber drei weitere Bachen mit noch mehr Frischlingen aus dem Unterholz.
Dumm gelaufen bis hierher.
Die Bachen beratschlagen, die Frischlinge hören aufmerksam zu.
Dann gehen zwei Bachen zum Fahrrad und nehmen das nach allen Regeln der Kunst auseinander, zerbeissen die Reifen, zertrampeln den Rahmen, und da das Ganze noch zu Zeiten der DDR spielt, wo ein Fahrrad nur gegen sein Gewicht in Gold auf dem Schwarzmarkt erhältlich war, kommen Vogt zu den Tränen der Angst noch welche der Wut.
Aber Wut hilft nicht, denn zu seinem hilflosen Entsetzen fangen die beiden anderen Bachen an, die Birke auszugraben, an der er hängt.
Jetzt wird´s eng.
Sie erinnen sich an das Gedicht, in dem der Friedhofstürmer den Toten die Hemden klaut? - Goethes „Totentanz“?
Das geht stellenweise so:
…..
Da regt sich ein Grab und ein anderes dann: Sie kommen hervor, ein Weib da, ein Mann, in weissen und schleppenden Hemden.
…..
Das kommt nun dem Türmer so lächerlich vor; Da raunt ihm der Schalk, der Versucher, ins Ohr: Geh! hole dir einen der Laken.
Das entspricht dem Frischling von unserem Freund Vogt
Getan wie gedacht! und er flüchtet sich schnell Nun hinter geheiligte Türen.
oder in unserem Fall auf eine inadäquate Birke
Der Mond, und noch immer er scheinet so hell Zum Tanz, den sie schauderlich führen.
Nur einer, der trippelt und stolpert zuletzt Und tappet und grapst an den Grüften; Doch hat kein Geselle so schwer ihn verletzt, Er wittert das Tuch in den Lüften. Er rüttelt die Turmtür, sie schlägt ihn zurück, Geziert und gesegnet, dem Türmer zum Glück: Sie blinkt von metallenen Kreuzen. Das Hemd muss er haben, da rastet er nicht, Da gilt auch kein langes Besinnen, Den gotischen Zierat ergreift nun der Wicht Und klettert von Zinnen zu Zinnen.
beziehungsweise will mal schnell die Birke ausgraben!
Der Türmer erbleichet, der Türmer erbebt, Gern gäb’ er ihn wieder, den Laken. Da häkelt – jetzt hat er am längsten gelebt - Den Zipfel ein eiserner Zacken.
So ungefähr also fühlt sich unser Freund Vogt.
Der Türmer wird zwar gerade noch gerettet, denn:
Schon trübet der Mond sich verschwindenden Scheins, die Glocke, sie donnert ein mächtiges Eins, und unten zerschellt das Gerippe.
Darauf aber kann sich Vogt nicht verlassen. Er ist im Wald von Chorin, hunderte von Metern vor der Dorfgrenze, weit und breit keine Turmuhr, aber unter ihm inzwischen vier hinterlistige Sauen. Die Birke gibt langsam nach.
Da kommt im letzten Augenblick der Bauer Schulze mit dem Pferdewagen. Vogt lässt sich drauf fallen, die Schweine ziehen sich enttäuscht zurück, und so kann man wenigstens die Reste vom Fahrrad noch bergen, zu retten ist da nix mehr.
Und daraufhin sagt Freund Christian zum vielleicht achtundzwanzigsten Male:
„Wolfgang, nicht nur ich, wir alle haben Dich schon hundertmal gebeten: SCHREIB´ DAS AUF! Was man erzählen kann, kann man auch schreiben.“
So habe ich mich schliesslich breitschlagen lassen, dieses Büchlein zu schreiben und es hat mir großen Spaß gemacht, den ich dem Leser gerne vermitteln möchte.