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Der Volponische Kongress

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Ich habe mir schon anzudeuten erlaubt, dass wir eigentlich weniger studierten als uns immer neuen Unsinn auszudenken, wir hielten das für die Pflicht eines richtigen Studenten. Waschpulver in einen Brunnen zu werfen war zwischendurch lustig, aber natürlich intellektuell völlig unter unserem Standard.

Wir, das waren eigentlich vier Rädelsführer – Joe, Mac, Dieter und ich.

Der Anführer und Ideengeber war Joe, Mac´s Bruder, der gar kein Student war, sondern sich in Heidelberg auf andere Weise durchs Leben schlug. Er war – leider ist er seit langem tot – ein untersetzter Kerl, ein gutaussehendes Energiebündel, voller skurriler Einfälle, ohne Hemmungen und demgemäss ein Mann, auf den die Mädchen flogen. Er hatte viele Jahre bei der Handelsmarine gedient und ging als Vollmatrose zur Bundesmarine, weil er dachte, da könnte man einen ruhigen Lebensjob bekommen.

Als der Grundwehrdienst angesetzt wurde, der den Menschen zum Soldaten schleifen soll, entschied Joe, das sei für einen ausgewachsenen Vollmatrosen Kinderkram und ausserdem zu anstrengend, Liegestütz, Kletterwand, Nachtmärsche, Sprung-auf-marsch-marsch, nicht seine Welt.

So bastelte er mit drei Mitverschwörern flugs eine sargähnliche rundum zugelötete Weissblechkiste mit unverständlichen Aufschriften, fälschte den vieren, da er in der Schreibstube Dienst tat, eine Marschorder zum nächsten Bundeswehrstützpunkt, requirierte mit einem diesbezüglichen Marschbefehl einen Kleintransporter nebst Fahrer, liess sich zum nächsten Stützpunkt fahren – sagen wir mal: Lüneburg – und schickte den Fahrer zurück, damit dessen Fehlen nicht auffiel, während er sich beim Standortkommandanten meldete und befehlsgemäss die ZPZ 4719 abliefern wollte. Befragt, was das sei, sagte er, das sei wahrscheinlich geheim, sie wüssten nur von Raketenteilen und hätten ihren Marschbefehl.

Der Standortkommandant wusste natürlich von nichts, wollte das Ding und die Verantwortung dafür aber keinesfalls haben, vermutete, es sei vielleicht für die vierte Luftabwehrbrigade bestimmt, fütterte die Vier, liess ihnen Feldbetten anweisen, stellte ihnen am nächsten Tag einen Transportbefehl aus und schickte sie nach, sagen wir mal, Braunschweig. Dort und weiterhin lief das genauso – alle vier assen gut, schliefen ruhig, liessen sich durch die ganze Bundesrepublik fahren, und landeten nach genau sechs Wochen wieder zuhause. Dort parkten sie die Kiste in der dunkelsten Ecke eines Materialschuppens, meldeten sich mit ihren Transportpapieren vom Transport ZPZ 4719 zurück, und hatten den Grundwehrdienst erfolgreich vermieden.

So einer war Joe.

Unter seiner Ägide stiegen wir dann ins Showgeschäft ein. Unser erster Auftritt war die Gangster-Show, mit der wir einen Abend lang mit einem fingierten Treffen zweier Mafia-Grössen, Don Izetti und Don Mateo Falcone, eine harmlose Heidelberger Kneipe terrorisierten. Dafür benötigten wir ungefähr 24 Komplizen, die Leibwächter usw. spielten.

Das lief etwa so ab: In eine Heidelberger Gaststube treten vier verdächtige Gestalten ein, dunkle Anzüge, Sonnenbrillen, tief in die Stirn gezogene schwarze Hüte. Zwei üble pockennarbige Gesellen stellen sich zum Wirt, einer schnitzt sich mit einem Klappmesser an den Nägeln und der andere bedeutet dem Wirt, er solle ja die Pfoten vom Telefon lassen. Zwei andere gehen an einen Tisch, an dem ein braves Heidelberger Ehepaar tafelt und verlangen, die beiden sollten sich an einen anderen Tisch setzen, hier sitze immer der Boss. Der Gast begehrt auf, woraufhin die beiden Herren kurz ihre Schulterhalfter sehen lassen und fragen, ob sie sich nicht klar genug ausgedrückt hätten, worauf Mutti sagt: “Ei Schorsch, sitze mer halt do nüber, des macht jo grad nix, gell?“. Muttis sind eben viel diplomatischer, Schorsch gibt klein bei.

Dann erscheinen zwei weitere Leibwächter, aufmerksam, Hand an der Knarre, und zwischen Ihnen Don Izetti, klein, fett, grauer Anzug, Sonnenbrille, weicher grauer Hut, und eine Krawatte in so gemeinen Farben, dass es einem schon beim Hingucken einen Knoten in die Netzhaut macht. Er setzt sich, schnippt mit den Fingern, und einer der Leibwächter sagt zum Wirt: „Du bringe una birra zu de Boss, aber subito!“ Der Wirt gehorcht auf´s Wort.

Die Tür geht auf und mit weiteren fünf Finsterlingen erscheint Don Mateo Falcone, gross, hager, ganz in schwarz, Sonnenbrille wie alle anderen auch – schon damit wir danach nicht irgendwann einmal wiedererkannt werden.

Falcone geht zum Tisch von Izetti und setzt sich; auch er bekommt vom Wirt eilfertig ein Bier serviert. Die Stimmung im Raum ist geladen, die Leibwächter beäugen sich kalt, alle haben die Hand im Jackett. Die Bosse reden leise. Plötzlich stehen sie auf und umarmen sich. Die Spannung löst sich, alle klopfen sich auf die Schulter. Bier für alle, bevor wir die Kneipe verlassen.

Die Getränke spendierte der erst verängstigte und nun erleichterte Wirt.

Es folgte die „Diplomaten-Show“.

Für die fuhr eines Freitags eine „Delegation“ von drei Leuten im dunklen Anzug nach, ich glaube, Neuweiher und erklärte dem Bürgermeister, sie seien aus Bonn und der Herr Minister des Äusseren der Republik Nigeria wolle einen typisch deutschen Ort besuchen und der käme morgen. „Bitte anständigen Empfang, Herr Bürgermeister, Deutschland schaut auf Sie. Machen Sie uns keine Schande“.

Der Bürgermeister begann voller Stolz zu ackern und am nächsten Morgen, als wir mit 8 oder 10 Limousinen vorfuhren, spielte die Feuerwehrkapelle auf und ein Spalier von Ehren-, na ja also Jungfrauen waren möglicherweise auch dabei, aber höchstens zwei – Ehrendamen empfing uns. Wir trugen einen vergoldeten Sessel auf den Marktplatz, den uns ein befreundeter Heidelberger Antiquar geliehen hatte („wenn der einen Kratzer kriegt, zahlt Ihr den, ist das klar?“), und dann stieg ein sehr dunkler Minister des Äusseren, seines Zeichens Student der Medizin in Heidelberg, aus einem Mercedes und nahm auf dem Sessel Platz. Die Feuerwehr spielte, der Herr Bürgermeister hielt eine prachtvolle Rede, der Minister dankte, wobei der Legationsrat von der Ostbreiten – unser Freund Dieter Umbach, von dem wir schon als „his Highness the Duke of Heidelberg“ gehört haben - jeden Satz dolmetschte. Es gab ein einwandfreies Essen, wir trugen uns alle in das goldene Buch der Stadt ein, und dann verabschiedeten wir uns wieder.

Da hatten wir wieder viele glücklich gemacht.

Nachdem wir solcherart bewiesen hatten, dass wir organisatorisch leistungsfähig waren, wurden die Volponischen Kongresse veranstaltet, insgesamt zwei, von denen mir nur noch Materialien vom zweiten Kongress vorliegen. Diese Kongresse nun standen in der ungebrochenen Tradition politischer Debatten.

Sie wissen schon: Die Basis ist das Fundament der Grundlage!

Dieser schon zitierte Satz, den in seiner Sinnentleerheit zusammen mit seinem Wahrheitsgehalt jedermann unterschreiben kann. Wie dieser Satz (der, wie schon ausgeführt von einem von uns Rädelsführern stammt, von Dieter C. Umbach in „Festschrift für Nagelmann“) – wie dieser Satz also lesen sich, wenn auch verschlüsselt und manchmal scheinbar ebenso logisch, zahlreiche Statements, die wir seit Jahren, was sage ich, seit Jahrzehnten vorgesetzt bekommen – in den Zeitungen, in Politikerreden, in Gesetzen und Verordnungen. Damit haben sich unsere beiden volponischen Kongresse beschäftigt.

Nehmen wir, zum Beispiel, den zweiten Kongress. Zu diesem schrieb der Mannheimer Morgen:

Volponischer Kongreß Am 7. März in Heidelberg Heidelberg. Der zweite Volponische Kongress tagt in der Zeit vom 7. bis 9. März im Kongreßhaus der Stadthalle Heidelberg. Es werden rund 50 Teilnehmer aus dem Inland und dem Ausland erwartet. Im Mittelpunkt des Kongresses stehen Abgrenzungsfragen und Internationaler Erfahrungsaustausch zu Fragen der volponischen Idee. -o-

Zudem war es uns gelungen, sogar in den renommierten Duden, Politik und Gesellschaft, 2. völlig neu bearbeitete Auflage, das folgende Stichwort einzustellen, das erst von einer späteren Redaktion entdeckt und offensichtlich wieder ausgemerzt wurde:

Volponie ▲Liberale, v.a. süddeutsche Bewegung mit humanistischen Zielen, u. a. in Verbindung mit britisch-französischem Gedankengut des 19. Jahrhunderts. Seit Mitte der 70er Jahre (Heidelberger Tagung) von zunehmender Bedeutung. Wissenschaftliche Bezeichnung: Volponismus. ▲(nach P. Volponi) Bezeichnung für den häufig vergeblichen Kampf des Individuums um Selbstbehauptung in einer feindlichen Umwelt.

Das ganze Spektakel beschäftigte ausser den Hauptrednern, etwa 15 an der Zahl, ungefähr weitere 30 Helfer. Die grosse Veranstaltung im Kammermusiksaal des Kongresshauses der Stadt Heidelberg hatte über 400 begeisterte Zuhörer, von denen maximal 10 nicht merkten, wie wunderbar sie unterrichtet und mitgenommen wurden, und stand unter dem Motto:

Prinzipielles – vom Grundsatz zur Behauptung.

Eine kleine Auswahl der Referate zeigt die hohe intellektuelle und lehrreiche Bedeutung dieses Kongresses, es sprachen unter anderem:

 Dr. Joe Tuengerthal: „Stirbt ein Reisender im Verlauf einer Dienstreise, so ist diese damit beendet“

 Dr. Opfermann: „Katenologische, Hippopotamologische und Volponische Gesetzgebungsstile“

 Wolfgang Klein: „Möglichkeiten und Grenzen regressionsarmer kinetischer Rinderzucht in der Ostsee (einschliesslich Bottnischer Meerbusen) – Rückblick auf ein Wagnis“.

 Wolfgang Lipps: „Berufsbilder und Sacksammelstellen“

 Rudolf N. Worringen: „Stellungnahme zur Anlage 3 des Mitteilungsblattes der Verwaltung für Wirtschaft 1949 s. 129 betreffend das Berufsbild des Scherenmonteurs“

 Fried Kohler: „Zur Entwicklung des Leisereiders“

 Dr. Umbach: „1. Warum eigentlich nicht“,

 2. „Wo kämen wir hin?“

 Peter Heinrichs: „Sind Werbeleute sozialer Abfall?“

 Rudolfo Ohno: „ Grundsätzliches zum Berufsbild des Aschenbecherbauers“.

Und so weiter und so fort!

Besonders hatte es uns die Sprache des Gesetzgebers angetan, der sich damals wie heute erfrecht, die törichsten Anweisungen in Gesetzes- oder Verordnungsform hochtrabend unter das Volk zu bringen und der erwartet, dass alles, was er „unter sich macht“, tatsächlich nicht nur befolgt, sondern sogar ernst genommen wird.

Das haben wir, unter anderem, an Verordnungen festgemacht, die sich einmal mit den „Sacksammelstellen“, was immer das sein mochte, in der Bundesrepublik befassten, und die zum anderen elaborate Ausarbeitungen zum Berufsbild der Scherenmacher, Taschenmessermacher, Rasiermessermacher, Instrumentenmacher usw. enthielten. So hatte das von Worringen zitierte Mitteilungsblatt der Verwaltung für Wirtschaft ernsthaft die Sacksammelstellen in Baden-Württemberg aufgelistet.

Ich habe die Gelegenheit benutzt, in Bezugnahme auf den Professor, der mich als Assistenten an seinem Institut für Internationales Wirtschaftsrecht sechs Monate lang mit einem Teilaspekt seines hochbezahlten Gutachtens in Sachen „Barcelona Traction“, natürlich ohne jede zusätzliche Bezahlung, gezwiebelt hatte, zu den Sacksammelstellen folgenden Antrag einzubringen:

Ich nehme mit Verwunderung zur Kenntnis, dass Herr Professor Wolfgang Serik, Heidelberg, um Aufnahme in die Liste der Sacksammelstellen in II. Baden-Württemberg gebeten hat. Ich bin der Meinung, dass dieser Antrag abgelehnt werden muss, und zwar nicht aus geographischen Gründen, denn der überwiegende Teil der Augustinergasse befindet sich zweifellos in Baden-Württemberg. Ich glaube jedoch, dass die erste Bekanntmachung über Sacksammelstellen …über Gebühr erschwert wird, wenn den Sacksammelstellen auch das Sammeln von ausserordentlich kleinen und von angewachsenen Säcken zugemutet wird. Ich meine, dass hier ein Fall gegeben ist, wo die Leistungsverwaltung vor der Vielfalt des zivilen Lebens zurückweichen muss.

Das Mitteilungsblatt der Verwaltung für Wirtschaft hatte sich ferner lang und breit ausgelassen über die Anerkennung der Lehrberufe „Schneidwarenschleifer“ und „Taschenmesserreider“ sowie der Lehrberufe „Besteck- und Arbeitsmesserreider, Rasiermessermacher, Scherenmonteur und Taschenmesser-ausmacher“. Da wurde bei den Fertigkeiten unter anderem das „Reiden von Zwischenstücken der Rohlinge“ beschrieben.

Das gab mir Gelegenheit zu folgender Stellungnahme:

Zu 1 c. kann ich mich der Ansicht der Industrie nicht anschliessen….Besonders entsetzt bin ich über die Forderung der Industrie, das Reiden des Zwischenstückes eines Rohlings überhaupt in ihren Hinweis aufzunehmen. Ich bin nicht dafür, dass wir uns …in Stellungnahmen gegenüber der Bundesregierung über Unanständiges, ausserdem aber auch Selbstverständliches, unterhalten. Welches Weib niederen Standes immer dazu Lust verspürt, mag, wenn die Gelegenheit dazu vorhanden ist und sittsame Bürger nicht gestört werden,

das Zwischenstück eines Rohlings reiden.

Der Rohling kann das meistens leiden,

wir können es auch nicht vermeiden,

und damit muss man sich bescheiden,

ohne sich daran zu weiden!

Der Kongress war ein grosser Erfolg!

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