Читать книгу Verwirklichung deiner Träume - Dragos Bratasanu - Страница 18
≻ Zweiter Abschnitt
ОглавлениеNachdem wir von dem mittelalterlichen Kloster aufgebrochen waren, hatten Charlie und ich noch eine lange Fahrt zu unserem Hotel vor uns. Wir schwiegen eine Weile, bis ich mit der Frage herausplatzte: »Was ist eigentlich hinter den Kulissen mit dem Hubble-Raumteleskop passiert?«
Charlie schüttelte den Kopf. »Es war der größte Schlamassel in der ganzen Geschichte der Wissenschaft«, antwortete er. »Fünfzehn Jahre lang schickte uns der amerikanische Kongress, während wir das Teleskop entwickelten, wieder und wieder Anfragen, ob das Teleskop funktionieren werde. Was konnten wir darauf sagen? Dass wir fast zwei Milliarden Dollar dafür investiert hatten, es jedoch nicht wussten? ›Selbstverständlich wird es funktionieren‹, lautete unsere Antwort. Nun ja, das tat es jedoch nicht. Wir hatten es mit einem defekten Spiegel in den Raum geschickt.«
»Wie war das möglich?«, fragte ich.
»Nachdem wir das Hubble-Teleskop losgeschickt hatten, nahm ich eine Woche frei und flog nach Japan in Urlaub. Bei meinem Rückflug von Tokio nach Washington hatte ich einen Zwischenaufenthalt in St. Louis. Ich rief von dort aus mein Büro an, um mich nach Nachrichten für mich zu erkundigen. Mein Chef überbrachte mir die Neuigkeit, dass das Hubble-Teleskop keine scharfen Bilder übermitteln konnte. Alle Aufnahmen waren verschwommen. Zwar hörte ich die Stimme meines Chefs, glaubte ihm jedoch kein Wort. Er erwiderte, ich solle mir mal die Aufmacherseiten irgendeiner wichtigen Zeitung ansehen und die Schlagzeilen lesen. Also besorgte ich mir die St. Louis Post-Dispatch. Und dann sah ich es: Nationale Katastrophe: Hubble-Teleskop startet mit defektem Spiegel‹.«
»War es also ein technischer Fehler?«
»Welche Art von Leuten hat denn deiner Meinung nach am Hubble-Projekt gearbeitet, Junge? Es waren die weltbesten Wissenschaftler, Ingenieure und Manager. Sie wussten, was sie taten. Und trotzdem ging diese Raummission schief.«
»Was ist denn eigentlich hinter den verschlossenen Türen vorgefallen?«, hakte ich nach.
»Das Malheur mit dem Hubble-Teleskop brachte mich zu einer der wundersamsten Entdeckungen in der Geschichte der Menschenführung«, fuhr Charlie fort. »Wenn Menschen in einer Gruppe zusammentreffen, erschaffen sie eine unsichtbare soziale Umgebung. Jede Familie, jede Schulklasse, jede Freundschaft, jedes Team, jedes Unternehmen, jedes Land hat einen spezifischen sozialen Kontext. Dieser Kontext verändert unsere Wahrnehmung und unser Verhalten. Unbewusst passen wir uns dem sozialen Umfeld an, in dem wir uns befinden. Sucht man eine Bar auf – auch sie stellt ja ein soziales Umfeld dar –, verhält man sich auf spezifische Weise. Nimmt man an einer Beerdigung teil, spürt man intuitiv das angemessene Verhalten für diese soziale Situation und passt sich ihr an. Besucht man seine Großeltern in deren Zuhause, trifft man auf ein anderes als das gewohnte Umfeld und benimmt sich entsprechend. Die Macht des sozialen Umfelds liegt in Folgendem: Es beeinflusst die eigenen Gedanken und Verhaltensweisen. Man muss gar nicht darüber nachdenken, sondern passt sich ihm ganz automatisch an.
Kurz gesagt: Als wir unser Hubble-Teleskop bauten, haben wir unsere brillantesten Leute in das falsche soziale Umfeld versetzt. Aufgebracht kritisierten wir sie für jeden Fehler, den sie machten. Wir schufen eine Umgebung, die es für sie riskant machte, die Wahrheit zu sagen. Die Führungskräfte – und das schließt mich selbst mit ein – verhielten sich ihnen gegenüber feindselig. Das führte dazu, dass uns die Mitglieder unseres Teams nichts von irgendeinem Problem verrieten, sofern es klein genug war, um es zu übergehen. Beim Bau des Teleskops machten sie einen winzigen Fehler. Doch da sie sich in einem bestimmten sozialen Umfeld befanden, redeten sie sich wieder und wieder Gründe dafür ein, den Fehler nicht zu beachten, und zwar aus Angst vor Repressalien.
Der Fehler war zwar klein – die Abweichung war geringer als der Durchmesser einer Haarsträhne –, aber groß genug, das Teleskop unbrauchbar zu machen. Zu deiner Frage, was genau hinter verschlossenen Türen geschah: Wir hatten ein soziales Umfeld geschaffen, in dem die Menschen Angst hatten, die Wahrheit zu sagen und sich entsprechend zu verhalten. Um nicht belangt zu werden, passten sie sich diesem Umfeld unbewusst an und missachteten einen kleinen technischen Fehler, der den Satelliten ruinierte.
Die meisten Menschen werden niemals ein derart traumatisches Versagen erleben wie wir mit dem Hubble-Teleskop. Wir nahmen dieses Scheitern sehr persönlich. Es erschütterte viele meiner Kollegen.
Einige Monate nach dem Start des Hubble-Teleskops rief ich mein Team in einem völlig anderen sozialen Kontext zusammen. Wir stellten ein Wartungsteam zusammen und schickten Astronauten in den Raum, die das Teleskop erfolgreich reparieren konnten. Und so wurde das Projekt Hubble-Teleskop doch noch zu dem riesigen Erfolg, den es heute als eines der größten wissenschaftlichen Programme in unserer Geschichte darstellt.
Du musst Folgendes im Kopf behalten, Junge: Das soziale Umfeld, in dem du lebst und arbeitest, ist der geheime Motor, der über Erfolg oder Misserfolg entscheidet. Dieses Umfeld ist der Antrieb für dein Denken, deine Entscheidungen, deine Verhaltensweisen und deine Ergebnisse. Wesentlich ist nicht, wie klug du bist, sondern der soziale Kontext, in dem du dich bewegst. Wenn er dich nicht zu erfolgreichem Tun befähigt, musst du ihn ändern. Gegen diesen Kontext kommst du nicht an. Er wird sich dein Denken einverleiben und dich blind für das machen, was du tust, falls du es zulässt.«