Читать книгу Rho - E. S. Schmidt - Страница 10

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Sobald sie den Vorraum zum OP betraten, straffte sich Peter. Jetzt war er ganz Arzt. Moira schaltete das Video an und zog den Mundschutz über, während Peter sich in der Ecke die Hände schrubbte und die Handschuhe überziehen ließ. Der Patient, ein dicklicher Mann um die vierzig, war noch wach.

»Sind Sie die Reporterin?«

Moira trat an den Tisch. »Genau, Mister Giniakis, mein Name ist Moira Chakrabarti. Vielen Dank, dass Sie Ihr Einverständnis für die Aufnahmen gegeben haben.«

Er grinste. »Meine fünf Minuten Ruhm, nicht wahr?«

»Ihr Gesicht wird leider gar nicht zu sehen sein.«

»Das ist auch nicht das Fotogenste an mir.« Er klatschte mit beiden Händen fröhlich auf seinen haarigen Bauch, der dabei in wellenartige Bewegung geriet. Moira musste grinsen.

»Stillhalten«, forderte die Schwester trocken und spritzte das Sedativum in den Schlauch. »Und jetzt zählen Sie mal.«

Er kam bis vier.

Dann wurde alles sehr routiniert und Moira trat an die Wand zurück, um nicht im Weg zu stehen. Erstaunlich, wie vertraut das alles sofort wieder war. Der Geruch nach Desinfektionsmittel, das Piepsen der Geräte, die ruhigen, knappen Anweisungen. So vertraut, dass sie unwillkürlich unter den OP-Masken nach bekannten Gesichtern suchte. Einer der Assistenten zwinkerte ihr zu, aber erst, als er eine grün gefärbte Locke unter seiner Haube hervorzupfte, erkannte Moira ihn. Richtig. Mikael hatte sich zusammen mit seinem Chef versetzen lassen. Ein guter Karriereschritt, aber sie hatte auch schon immer den Verdacht gehabt, dass Mikael in den smarten Chirurgen verschossen war. Nun, inzwischen war der Weg ja frei. Sie nickte ihm zu.

»Keine Flirtereien im OP«, sagte Peter trocken. »Mikael, Konzentration bitte. Ich setze jetzt den ersten Schnitt für das Laparoskop.«

Der Kühlbehälter mit der neuen Niere stand schon bereit. Er war tatsächlich nicht in den Farben von Bahi-A gehalten. Der Lebensmittelkonzern hatte ein kräftiges Rot zu seinem Kennzeichen gemacht, dieser Behälter aber war wollweiß mit einem strahlend blauen Deckel. Er trug keinerlei Emblem. Das war merkwürdig. Warum schrieb eine Firma ihren Namen nicht auf ihre Produkte? Auf Produkte, die Leben retteten? Welche bessere Werbung könnte es geben?

Nun, da alle fünf Beteiligten ihre Plätze eingenommen hatten, trat Moira wieder näher. »Doktor Sanchez, würden Sie uns bitte genau erklären, was Sie hier tun?«

»Gern. Wie Ihre Zuschauer sicher wissen, basiert minimalinvasive Chirurgie auf der Grundidee, dass wir den Patienten nicht wie ein Buch aufklappen müssen, um an die Niere zu gelangen.«

In seiner launigen Art kommentierte Peter jeden seiner Handgriffe und Moira sah durch die beidseitigen Kameras das Geschehen in übernatürlich deutlichem 3D, das sie nach Belieben heranzoomen konnte. Debbie vom Kaffeestand würde diese Bilder nicht genießen, aber für sie – und die Abonnenten des Kanals H&S – war es hochinteressant. Natürlich war die Laparoskopie, also das Einführen einer Kamera in den Bauchraum, keine neue Methode. So hatten Ärzte schon auf der Erde operiert. Aber der Austausch eines ganzen Organes auf diese Weise war eben doch eine filigrane Fisselarbeit.

»Das Geheimnis liegt darin, wie man die Schnitte setzt«, erklärte Peter, »und an der Roboterassistenz, deren Software ich selbst mitentwickelt habe. Mbeni?«

»Bin schon dabei.« Ein mechanischer Arm senkte sich von oben auf den OP-Tisch herab.

Plötzlich flackerten alle Lampen. Auch der Bildschirm, der das Innere der Bauchhöhle des Patienten zeigte, fiel kurz aus und erholte sich flimmernd. Alle blickten sich besorgt um.

»Passiert sowas öfter?«, fragte Moira.

»Eigentlich nicht.« Peter konzentrierte sich wieder auf den Patienten, doch nach kurzer Zeit flackerte das Licht erneut. Enerviert blickte er auf. »Mikael, schau doch mal, was da los ist. Moira, übernimmst du die Beatmungskontrolle?«

»Natürlich.« Sie nahm Mikaels Platz ein, von wo aus sie ein waches Auge auf die Herz-Lungen-Maschine hatte.

Peter nickte ihr zu und an seinen Augen erkannte sie, dass er unter der Maske lächelte. »Womöglich wird deine langweilige Medizin-Reportage doch noch spannend.«

Wieder flackerte das Licht, und diesmal erschien es Moira, als habe sie so etwas wie eine Detonation gehört. Sie hielt den Handbeatmungsbeutel schon in der Hand, doch die Maschine hatte eine eigene Stromsicherung und den kurzen Ausfall gut weggesteckt. Himmel, was war da draußen bloß los? Moira blickte sich um, aber in dem fensterlosen Raum gab es keinerlei Antworten.

Mbeni schaute auf. »Sollen wir abbrechen?«

»Und den Mann ohne Niere nach Hause schicken? Wir sind schon zu weit. Alles klar auf deiner Seite?«

Mbeni nickte. »Ich bin soweit.«

»Dann hinein damit.«

Peters Anweisungen waren jetzt knapp und spärlich. Jeder im Team wusste, was er zu tun hatte. Es schien Moira, als arbeiteten alle schneller. Dann dröhnte tatsächlich eine Explosion und ließ die Instrumente auf den metallenen Tabletts klirren. Wieder sah Moira sich um. Warum kam niemand und sagte ihnen, was los war?

»Stirn!«, sagte Peter.

Moira tupfte ihm den Schweiß von den Brauen.

Plötzlich stand Mikael in der Tür. »Mantis«, keuchte er. »Sie greifen Green Sands an. Das Krankenhaus wird evakuiert.«

Mantis? Eine Stadt von der Größe Green Sands? Unmöglich.

Ein erneuter Einschlag ließ den OP-Tisch beben und Peter musste Mbenis Aufmerksamkeit mit einem scharfen Befehl zurück auf den Patienten zwingen. »Reiß dich zusammen. Wir können den Patienten nicht einfach ein paar Stunden auf Eis legen. Mikael, auf deinen Posten.«

»Nein, Chef.« Mikaels Stimme war schrill vor Panik. »Das sind tausende. Der Himmel ist schwarz von ihnen.«

»Mikael!«

Doch der junge Mann war schon weg und eine der Schwestern schloss sich ihm an. Im ersten Moment wollte Moira ihnen folgen, sich in Sicherheit bringen, oder zumindest herausfinden, was los war, doch dann fluchte Peter und Moira kämpfte den Impuls nieder. Ruhe bewahren. Auf die Aufgabe konzentrieren. Sie klappte die Kamerabrille zusammen und steckte sie in die Kitteltasche, wollte es zumindest, aber musste es noch einmal versuchen, weil ihre Finger zu sehr zitterten. »Ich übernehme.«

»Danke.«

Die Explosionen gingen weiter, aber offenbar hatte das Krankenhaus jetzt auf die Notversorgung umgestellt und es gab keine Stromfluktuationen mehr. Moira assistierte und bemühte sich, jeden Gedanken nur auf Mister Giniakis und ihre Aufgabe zu richten. Tatsächlich verblassten die Geräusche des Angriffes, bis sie schließlich nicht einmal mehr den Lärm der Explosionen wahrnahm. Ihre Selbstdisziplin war ein Schutz vor der Angst, mehr feige Flucht als mutiger Einsatz, doch immerhin wirkte es.

Schließlich nickte Peter Mbeni zu. »Du kannst jetzt vernähen.« Und zu Moira sagte er: »Stell die Grundversorgung zusammen. Ich nehme an, dass wir ihn transportieren müssen.«

Das Personal hatte sich weiter verringert. Außer Moira waren nur noch Peter und Mbeni im Operationssaal. Mbeni schloss die Wunde und Peter unterstützte sie mit einem gelegentlichen Handgriff. Wie sinnlos das alles war. Mister Giniakis war nicht transportfähig. Er würde sterben. Ob er verheiratet war? Ob er Kinder hatte?

Mit einem Knall sprang die Tür auf und Moira fuhr zusammen. Ein Mann mit Helm und in Kampfmontur betrat den Raum, eine Schusswaffe im Anschlag. Soldat, dachte Moira unwillkürlich. Aber der Mann trug auf der Brust nicht das Emblem einer Sicherheitsfirma, sondern den gefiederten Helm der MinerVa Inc.. Doch das war sicherlich kein Minenarbeiter. In dieser Montur und mit dem schwarzen Helm, der sein Gesicht verdeckte, wirkte der Mann wie aus einem Combat-Game entsprungen.

»Dies ist ein steriler Raum!«, fuhr Peter den Mann an. »Raus mit Ihnen!«

Der Mann, eben noch in vorsichtig-lauernder Stellung, nahm Haltung an. »Sir! Wir haben Befehl, dieses Gebäude zu evakuieren, Sir!«

Warum bloß brachte man Soldaten bei, ausschließlich brüllend zu kommunizieren? Peter wies auf Giniakis, der inzwischen vollständig vernäht war, und brüllte ebenfalls. »Wir brauchen einen Krankentransport!«

»Nottransporter stehen auf dem Dach bereit, Sir! Folgen Sie mir!«

Zusammen hoben sie den Patienten auf die Rolltrage, zurrten ihn fest und schoben ihn durch die Gänge des Krankenhauses, durch das Menschen in wildem Durcheinander strömten. An den Abzweigungen und Treppenhäusern dirigierten gesichtslos behelmte Soldaten die Menschenströme.

Über allem lag ein seltsamer Ton, ein tiefes Brummen, das alles zu durchdringen schien und tief in ihrem Inneren vibrierte. Am ersten Fenster, das sie passierten, blieb Moira stehen.

Green Sands stand in Flammen. Hier, außerhalb der schützenden Wände des OPs, war der Lärm erschreckend. Detonationen grollten in der Ferne, viel näher peitschten Gewehr­salven, Menschen schrien. Waren die Mantis tatsächlich schon so nah? Sie hatte diesen Insekten, die groß wie Doggen sein sollten, noch nie gegenübergestanden. Was konnte sie nur tun? Nichts. Gar nichts. Nur weglaufen, aber wohin? Diese Dinger konnten fliegen!

»Wie viel Zeit haben wir?«

Statt einer Antwort wies der Soldat aus dem Fenster. Nicht auf die Stadt hinunter, sondern hinauf in den violetten Himmel. »Gar keine.«

Es sah aus wie eine Gewitterwolke, aber es war ein Schwarm. Die synchronen Bewegungen hunderter Tiere ließ sie wie einen einzigen, gewaltigen Organismus wirken. Einen Moment starrte Moira auf das Schauspiel, hielt sich fest an dieser Schönheit, die den Schrecken für einen winzigen Augenblick verdrängen konnte.

»Kommen Sie, Ma’am.«

Der Soldat ging, aber Moira blieb. Als würde der Schrecken nicht weitergehen, wenn sie selbst einfach nicht weiterging. Als könne sie die Mantis durch ihr Beobachten bannen.

Beobachten. Sie war Reporterin. Das war es, was sie tun konnte.

Ihre Finger zitterten immer noch, als sie die Kamerabrille wieder hervorholte, doch jetzt war da dieses Gefühl der Entschlossenheit. Auf ihrem Handscreen wählte sie Judith an, während sie gleichzeitig die Brille aufsetzte. Auf Judith war Verlass, innerhalb von Minuten erschien ihr überschminktes Gesicht mit dem einseitigen Monokel-Screen, den Judith wohl ununterbrochen trug. Mit einer gezierten Geste schob sie sich eine strahlend blaue Haarlocke hinter das Ohr.

»Schätzchen, was gibt’s?«

»Geh in meine Lagoon. Ich bin in Green Sands, und wir werden von Mantis angegriffen. Ich streame meine Beobachtungen live.«

»Ach du heiliger Hüpfer! Ich seh’s! Die Sender werden sich drum reißen. Ich hol dir den besten Preis raus, versprochen, aber geh bloß keine Risiken ein, hörst du?«

»Mach ich nicht. Bis dann!«

»Küsschen, mein Schatz! Und pass auf dich auf!«

Judith gehörte zu den besten Medienbrokern der Branche und Moira schätzte sich glücklich, zu ihren Klienten zu gehören. Sie klappte den Audiobügel vor ihre Lippen. »Das ist die Wolke der Mantis, die in diesem Moment über Green Sands schwärmt.« Noch zitterte ihre Stimme, aber mit jedem Wort wurde sie fester. »Das Zentralkrankenhaus wird evakuiert, und ich befinde mich mitten im Strom der Flüchtlinge.« Sie folgte den Menschen, doch nicht, wie sie erwartet hatte, hinunter, sondern hinauf aufs Dach. Dort standen Transportflieger bereit, die Patienten und medizinisches Personal aufnahmen. Moira kommentierte das Geschehen mehr oder weniger sinnvoll. Das Bombardement hatte nachgelassen, und als Moira den Blick hob, sah sie kleine, wendige Jets die Wolken der Feinde attackieren. Doch die Mantis reagierten, wie Schwärme es eben taten, öffneten ihre Reihen und ließen die Feuersalven der menschlichen Angreifer ins Leere laufen. Fasziniert von dem Anblick blieb Moira stehen. Die Bewegung der Insektenmassen wäre wunderschön gewesen, wäre sie nicht so tödlich. Der Schwarm schloss sich um einen der Jets. Wenig später trudelte er aus der graubraunen Wolke den schwarzen Rauchschwaden entgegen, die sich aus der Stadt erhoben. Es zerschellte zwischen den Häusern und ein Feuerball erhob sich über die Dächer. Daher also kamen die Detonationen.

Sie kommentierte weiter die gefilmten Bilder. »Es ist nicht klar, ob die Insekten die Schwachpunkte der menschlichen Schiffe kennen, oder ob sie schlicht von den Triebwerken eingesogen werden und wichtige Teile verstopfen.« So oder so, es war effektiv. Eben wurde wieder ein Schiff auseinandergerissen und ging als glühender Regen über der Stadt nieder. Wie bei einem Feuerwerk. Nur dass bei jeder dieser Explosionen Menschen starben.

Auf dem Dach herrschte Chaos. Die Soldaten bemühten sich vergeblich, Ordnung in die panischen Massen in Kitteln und Schlafanzügen zu bringen, die zu den Transportern drängten.

»Kommen Sie!«

Der Soldat winkte sie zu sich – oder war es ein anderer? Es war nicht zu erkennen, welcher dieser behelmten Männer sie aus dem OP geholt hatte. Aber es war auch egal. Direkt vor einem Helikopter war ein Soldat dabei, Mister Giniakis vom OP-Tisch zu schnallen, und Peter hob wütend die Hände.

»Was machen Sie da? Der Mann wurde eben operiert! Sie können ihn nicht einfach in einer Ecke zusammenrollen wie einen Schlafsack!«

Der Soldat wandte ihm das schwarze Visier zu. »Nicht genug Platz, Sir!«

Er winkte Moira heran, doch sie schüttelte den Kopf. »Ich nehme den nächsten Transport! Peter, kümmere dich um ihn!«

Doch der Soldat brüllte über den Lärm des ersten abhebenden Transporters hinweg: »Medizinisches Personal wird nicht zurückgelassen!«

Menschen schrien in Angst und Verzweiflung hinter den Helis her. Dann stürmten sie auf die verbliebenen Transporter ein. Moira wurde von den Füßen gerissen und hätte sie nicht eine kräftige Hand im Sturz aufgefangen, wäre sie womöglich ernsthaft verletzt worden. Für einen Moment blickte sie in ihr eigenes Gesicht, das sich in einem schwarzen Visier spiegelte. Dann hob der Soldat eine automatische Pistole und feuerte eine Salve in die Luft. Die Menschen kreischten auf, die Bewegung der Masse geriet ins Stocken.

»Vorwärts!«

Moira fühlte sich auf den Transporter zugeschoben, doch sie schüttelte die Hand auf ihrer Schulter unwillig ab und drehte sich um. »Ich bin nicht hier, um Patienten im Stich zu lassen!«

Und plötzlich geschah alles auf einmal. Auf dem Visier des Soldaten wuchs eine schwarze Feuerwolke heran. Menschen schrien. Moira wurde am Kragen gepackt und herumgerissen, dann wurde alles schwarz.

***

Rho

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