Читать книгу Rho - E. S. Schmidt - Страница 7
ОглавлениеKeith stand am Fenster der Kommandozentrale von Noshades und blickte hinaus in die gleißende Wüste. Die Sonne stand so hoch am Himmel, dass sie geradezu bedrohlich wirkte. Tausende von Kilometern weiter östlich, auf der Mitte der Tagseite, schmolz ihre permanente, unbarmherzige Hitze den Wüstensand zu Glas.
Drei Stockwerke unter ihm exerzierten Männer im Licht dieser Sonne. Das Gebrüll des Drill Sergeants klang trotz der geschlossenen Fenster zu ihm herauf, der aufgewirbelte Sand wurde in Fahnen bis vor die Scheiben getragen. Fast glaubte er, auch den Schweiß der Männer riechen zu können, die dort unten in einheitlichen Formationen ihr Training absolvierten. Gleichförmig die Bewegungen, einheitlich die austrainierten Körper, sogar die Schweißflecken auf den sandroten Hemden hatten dieselben Umrisse.
Was sie hier aufgebaut hatten, erfüllte ihn immer wieder mit Stolz. Die Wertschöpfung für MinerVa Inc. war enorm, und selbst die Entsorgung warf noch Profit ab.
Aber das erklärte wohl nicht dieses Gefühl, das an Keith zog, immer wenn sein Blick über die gleichmäßigen Reihen der weiß getünchten Baracken schweifte, über die ordentlich geharkten Wege und die Trupps kahlgeschorener Männer, die in Zweierreihen auf ihnen entlang liefen. Er verstand nicht völlig, was er bei diesem Anblick empfand und warum. Es fühlte sich an wie … Frieden.
Hinter ihm öffnete sich die Tür und Keith wandte sich um. Zuerst kam Wang in den Konferenzraum, der Verwaltungschef dieses Stützpunktes, verantwortlich für dessen Wirtschaftlichkeit. Ihm folgte ein Mann mit militärischer Haltung und einer beeindruckenden Narbe quer über dem linken Auge. Ein alter Haudegen, der selbst zu diesem Meeting Wüsten-Tarnhose und ein schlichtes Shirt trug, das sich über beeindruckenden Muskeln spannte. Keith streckte die Hand aus und ging auf den Mann zu. »Colonel Trakev.«
Das vernarbte Auge blickte ebenso wach wie das andere, die Iris war aber braun und nicht blau wie die des rechten. Ein Spenderorgan. Noch ein Erfolg für MinerVa Inc., den die Kendricks sich auf die Fahnen schreiben konnten.
Trakev salutierte zuerst, bevor er zum zivilen Gruß die Hand reichte. »Eine Ehre, Sie wieder einmal hier zu haben, Sir.«
Seine Hand war knochenhart, sein Händedruck fast schmerzhaft. Keith machte sich einen Sport daraus, den Druck zu erwidern. Erst dann reichte er auch Wang die Hand, und als dieser bei dem Griff zusammenzuckte, grinste Keith in sich hinein.
Wang war ein Schreibtischhengst und nur hier, weil er sich bewähren musste. Jemand wie er meldete sich nicht freiwillig auf einen Arbeitsplatz, der so weit auf der Tagseite lag. Im Gegensatz zu Trakev. Kerle wie er suchten in der Wüste das Extreme, die Herausforderung. Und er hatte sie zweifellos gefunden.
»Sie wissen, warum ich hier bin«, begann Keith, kaum dass sie sich gesetzt hatten.
»Es geht um den Angriff auf Breinen«, sagte Trakev.
Wang schlug derweil die mitgebrachte Mappe auf und fingerte nervös an dem Screen darin herum. »Das Frühwarnsystem hat tadellos funktioniert. Wir konnten fast alle Einwohner rechtzeitig in Sicherheit bringen.«
»›Fast‹ und ›tadellos‹ im gleichen Satz, Wang? Halten Sie mich für einen Idioten? Ich will Gründe und Konsequenzen hören.«
Wang hatte inzwischen eine Übersicht aufgerufen und schob sie auf die beiden großen Wandscreens am Kopfende des Raumes. Sie zeigten jetzt beide das gleiche Bild. »Hier sehen Sie das Netz der installierten Detektoren im Gebiet der …«
»Ich kenne unser Frühwarnsystem«, unterbrach ihn Keith. »Ich will wissen, was schiefgelaufen ist.«
»Natürlich, Sir.« Wieder fummelte Wang auf seinem Gerät herum, und auf den Wandscreens erschienen unzählige rote Linien, die sich überlagerten und zu Flüssen und Strömen vereinigten. »Das sind die in den vergangenen sechzig Phasen erfassten Flugbewegungen der Mantis. Und hier«, ein abweichendes Bild erschien auf dem linken Screen, »die der sechzig Phasen davor.«
Das war interessant. Keith beugte sich vor und studierte die beiden Grafiken. »Es sieht aus, als würden sie die Detektoren inzwischen meiden.«
»Mehr als das. Sie scheinen sie bewusst zu nutzen, um uns in die Irre zu führen.« Eine Linie wurde hervorgehoben. »Der Schwarm, der Breinen überfallen hat, hat sich zuerst in nördliche Richtung bewegt, um dann kehrt zu machen und über nicht überwachtes Gebiet nach Breinen zu gelangen.«
»Und warum zum Teufel ist dieses Gebiet nicht überwacht?«
»Es handelt sich um felsiges Gelände, voller Canyons und Schluchten. Unmöglich, dort jeden Bereich abzudecken.«
Jetzt mischte sich Trakev ein. »Als wüssten sie das. Immer wieder schlagen Schwärme in kleinen Siedlungen zu, als wollten sie das System austesten.«
Keith sah ihn skeptisch an. »Es sind Insekten, Trakev. Große Heuschrecken.«
»Haben Sie diesen Heuschrecken schonmal gegenübergestanden, Sir?«
In der Konzernzentrale gab es ein paar Statuen, von Künstlern geschaffene Interpretationen, und wie jeder spürte auch Keith bei ihrem Anblick ein gewisses Unbehagen. Das war nur natürlich bei Insekten, die einem bis zur Hüfte reichten, mit aufgerichtetem Vordersegment und hochgereckten Deckflügeln sogar bis zur Brust. Die unbeweglichen Gesichtszüge aus Chitin, die sechs starren Augen, die kraftvollen Mandibeln, die einen menschlichen Arm mit nur einem Biss durchtrennen konnten, all das machte die Mantis nicht gerade zu Sympathieträgern.
»Ich bestreite nicht, dass der Anblick furchteinflößend ist, aber das ändert nichts daran, dass es bloß Tiere sind.«
»Und was sind wir anderes als Säugetiere?«
Keith lehnte sich zurück. »Wie viel Hirn passt schon in so einen flachgeklopften Chitinschädel? Vielleicht ist es Schwarmintelligenz.«
»Unklar. Wir beschäftigen uns noch nicht lange mit ihnen.«
Das war allerdings richtig. Die Menschheit siedelte seit knapp hundert Jahren auf Deuteragäa, und sie hatte bisher alle Hände voll zu tun, die wichtigsten Eigentümlichkeiten und größten Gefahren dieser neuen Umgebung einzudämmen, die Grundversorgung für eine wachsende Anzahl an Bewohnern sicherzustellen und, nicht zu vergessen, eine völlig neue Gesellschaft aufzubauen. Seit Ausbruch der »Troubles« auf der Erde hatte es – außer an Flüchtlingen – keinerlei Nachschub mehr von dort gegeben, weder an Rohstoffen noch an Technologie. Niemand hier hatte die Zeit gehabt, sich um staatenbildende Insekten zu kümmern, die weit draußen auf der Tagseite lebten und die Menschen in Ruhe ließen. Niemand außer MinerVa Inc.
Keith zeigte auf den Bildschirm. »Wir haben dieses System installiert, um die Siedlungen frühzeitig warnen zu können. Wir können unsere Einheiten nicht immer vor Ort schicken. Sie wissen, dass das ein Risiko ist.«
Wang sah betreten auf den Schreibtisch, aber Trakev lehnte sich zurück. »Mit Verlaub, Sir, außer uns kann es niemand.«
»Darum müssen wir solche Schwärme aufhalten, bevor sie bewohntes Gebiet erreichen. Wir sollten einige Exemplare einfangen. Den Feind analysieren. Schwachstellen finden. Trauen Sie sich das zu?«
»Das Einfangen schon, Sir.«
»Um den Rest kann Wang sich kümmern.« Er nickte dem Verwaltungsleiter zu. »Stellen Sie mir eine Liste von Forschungseinrichtungen zusammen, die das übernehmen können.«
Wang machte ein nachdenkliches Gesicht. »Mantis überleben bloß ein paar Phasen in Gefangenschaft.«
»Wir können jederzeit neue fangen. Suchen Sie also am besten was in der Nähe.«
»Ich mache mich sofort dran, Mister Kendrick.«
Keith sah wieder Trakev an. »Wir können die Einheiten nicht ständig mit der Zivilbevölkerung in Kontakt bringen. Die Medien werden schon aufmerksam.«
»Die Männer tragen Helme, Sir. Und bisher haben wir alles unter Kontrolle.«
»Trotzdem. Keine Evakuierungen mehr ohne Freigabe von oben. Das heißt: von mir.«
»Verstanden, Sir.«
***