Читать книгу Die Weltzeituhr - Eberhard Hilscher - Страница 19
ZWEITES LUSTRUM Sein Kampf in Bildern oder: Zeitansage, 6. Jahr
Оглавление31. Januar (1. Bild): Nachdem der Boss den Bankiers und Finanziers baldige internationale Kreditwürdigkeit und Allerhöchsten Schutz versprochen hatte, ließen sie den Großkopfetenhut im Kreise herumgehen. Grinsend überreichten sie dem Retter der Nation drei Millionen Reichsmark als Morgengabe. Während Ahi auf die Kanzel hinaustrat, wo er aus dem Terzerol drei Schüsse abfeuerte, stellten die Konzernherren das Fließband zur Gangster-Show an. Vom Brandenburger Tor her beförderte die Rollbahn jubelnde Schowi-Trupps mit Fackeln, Fahnen und Fanfaren durch die Nacht. Transparente verkündeten den Kampf gegen Blähungen und unreines Blut, worauf viel Volk, vom Spektakel fasziniert, auf die Drehbühne sprang und zu den Rauschgiftbuden hindrängte. Berichterstatter Os prophezeite, der Spuk werde entweder zwölf Tage oder zwölf Jahre dauern. Aus dem Lautsprecher dröhnte hingegen eine rau-gutturale Stimme: „Ich werde ein Fundament für Jahrtausende bauen. Wenn von dieser großen Stadt und Metropole kein Stein mehr auf dem anderen liegt, soll die Welt noch immer unserer heiligen Bewegung gedenken.“
27. Februar (2. Bild): Am Nachthimmel über dem Reichstagsgebäude zu Berlin breitete sich Feuerschein aus. Gespenstisch spiegelte sich die brandumrandete Silhouette des Kuppelbaus in der Spree. Menschen rannten und gafften. Mit Verspätung trafen zehn Löschzüge ein, aus denen Wasserschläuche wie Anakonda-Schlangen hervorquollen und die Flammenflut im Parlament erstickten. Unterdessen tanzte Ahi in verqualmten Wandelgängen und schrie: „Jetzt hab ich sie! Es gibt kein Erbarmen. Lasst Köpfe rollen, Kerls, und killt! Schließlich senkte sich Dunkelheit über die Szenerie, doch in den Straßen kehrte nicht Stille ein wie sonst. Gestalten und abgeblendete Fahrzeuge huschten umher. ‚Du musst dich in Sicherheit bringen‘, dachte Os. Aber er wartete ab bis zum Hahnenruf.
21. März (3. Bild): Unweit eines Kurorts für Herzkrankheiten wurde das Konzentrationslager Rotenfeld eingeweiht. Wie die Staatszeitung meldete, äußerten sich Geistliche sehr anerkennend über die vorbildliche Unterbringung der Schutzhäftlinge in sauberen, luftigen Zimmern mit fließendem Wasser, über gesunde Kost und korrekte Behandlung. Vom Appellplatz her näherte sich im Laufschritt eine nummerierte Kreatur mit gelbem Kürbiskopf, blauem Auge und Zahnlücken. Mühsam erkannte der Besucher den ehemaligen Berichterstatter Os, dessen Atem pfiff und leise Worte ausstieß: „Sagen Sie den Freunden, es ist bald vorüber, bald aus. Ich bin am Ende, und das ist gut. Ich wollte nur Güte und Frieden.“ – Wie die Wandzeitung meldete, gelten die sumateraischen Batakstämme als die letzten Menschenfresser, die Gefangene auf Bambusstangen rösten und zum Reis verspeisen. Gemäß moderner wissenschaftlicher Erkenntnis bietet jeder frische Leichnam zwölf Pfund Proteine und Rohstoff für fünf Pfund Leim, ein Pfund Salz, ein Viertelpfund Zucker und diverse Mengen Phosphor und Eisen.
10. Mai (4. Bild): Am Nachthimmel über dem Opernplatz zu Berlin breitete sich Feuerschein aus. Doch kein Löschzug erschien im Zentrum. Unter den Linden marschierten Schowi-Kolonnen, oder sie brachten auf Lastautos und Ochsenkarren Bücherballen herbei. Während Blechkapellen musizierten, Licht- und Schalltrichter in Aktion waren, Volkslieder erklangen und die Kameraleute der Universum-Film-AG munter kurbelten, warfen Studenten mit lauten Bannflüchen „undeutsches“ Schrifttum in lodernde Scheiterhaufen. Telepathisch zuckte der Berichterstatter Os im Rotenfeld zusammen. Begeistert begrüßte die Versammlung den Entschluss Ahis, künftig allen Ehepaaren, ausgezeichneten Schülern und Erziehern den „Kampf“ zu verordnen, um jedermann darüber zu belehren, dass sich ein politisches Genie große Versprechungen im Leben und in einem Literaturwerk dreitausend Sprachfehler leisten darf.