Читать книгу Gegen den Strich - was so noch nicht geschrieben steht - Eckhard Lange - Страница 11
ISAAK
ОглавлениеErbe der Verheißung sei ich,
so sagen die Leute von mir,
aber bin ich nicht anderes eher –
Erbe des Zweifels und der Verzweiflung?
Da ist der Vater, glaubensstark und willensmächtig
in den Augen der vielen.
Ich habe ihn anders erlebt,
und er hat mich nicht seinen Glauben gelehrt
durch das, was er tat vor meinen Augen.
Einen Bruder hatte ich,
zwar von einer anderen Mutter geboren,
aber doch ein Gefährte im Lernen, im Spiel.
Lieb hatte ich ihn,
denn er lehrte mich, den Jüngeren, vieles,
zugetan war ich ihm wie einem Freund.
Noch wusste ich wenig vom Erbe des Vaters,
von den Verheißungen Gottes für Abrahams Sohn.
Doch gerne hätte ich mit dem andern geteilt –
das Vieh und die Knechte und auch die Verheißung.
Aber der Vater riß ihn heraus, weil die Mutter es wollte,
riß ihn heraus wie ein Unkraut im Weizen,
riß ihn heraus auch mir aus dem Herzen,
und ich fluchte dieser Verheißung,
die den Bruder mir raubte,
der mich beschützte, mich lehrte, mich trug.
Damals begann ich, an der Liebe zu zweifeln,
die ein himmlischer Vater den Menschen versprach,
weil ich enttäuscht war vom irdischen Vater,
dem wir doch beide stets Söhne waren,
und beide hatten wir ein Recht,
dass er auch uns beide –
mich ebenso wie den andern –
als Vater beschützte und liebte.
Und dann kam der Tag,
auf ewig eingebrannt in mein Gedächtnis,
der Tag der Angst, der mich für immer zerriß –
nein, nicht der Angst vor dem Tod,
von dem ich in jenen Jahren nur wenig wusste,
war ich doch trotz allem ein Kind.
Angst aber vor dem eigenen Vater,
der uns alle belog über das, was er plante –
die Knechte, denen er unsere Rückkehr versprach,
und auch mich, als ich in aller Unschuld
ihn nach dem fehlenden Opfertier fragte.
Angst war es vor einem Vater, der so fürsorglich schien,
als er mir allein nur das Holz anvertraute,
damit Feuer und Messer in seiner Hut blieben,
denn sie taugten nichts für kindliche Hände.
Angst vor ihm, als er wortlos mich band,
damit ich wehrlos dalag auf dem Holz des Altars,
Angst, als er ebenso wortlos das Messer ergriff,
während ich, sprachlos vor Schrecken,
seine Absicht begriff, den Sohn zu ermorden.
Manchmal wünschte ich mir,
er hätte sein Werk vollendet,
mir wäre vieles erspart geblieben im Leben,
und ich hätte nicht leben müssen mit diesem Glauben,
einen Vater zu haben, dem ich es nicht wert war,
sich aufzulehnen gegen Gottes Befehle.
Denn eines hat er dort auf dem Berge geopfert –
seine Liebe zu mir, seinem einzigen Sohn,
und eines hat er in mir an jenem Tage geweckt:
Misstrauen gegen alles, was sich Liebe nennt,
Misstrauen auch gegen den himmlischen Vater.
Ja, ich weiß: Es ist mehrfach geschehen,
daß Gott auch vor mir sein Versprechen beschwor,
ein großes Volk entstehen zu lassen
aus der Frucht meiner Lenden - und doch:
War es der Erstgeborene dann, dem mein Segen galt,
wie er nach Recht und Sitte allein ihm hätte zukommen müssen?
Wurde ich nicht wieder belogen im Alter,
weil Gott einen vorzog, der den Bruder betrog,
der den Segen und damit die Verheißungen Gottes
sich erschlich durch Lüge und Täuschung und List?
So verlor ich beide – den einen an seine Trauer,
den andern durch Flucht vor dem Zorn des Bruders,
verlor auch die Liebe der Frau, die beide gebar
und um des einen willen den eigenen Mann verriet,
sein Gebrechen nutzte, sein Vertrauen missbrauchte.
Nein, nicht mein Misstrauen ist meine größte Schwäche,
schlimmer war, dass ich zu wenig misstraute,
als ich die Stimme des Sohnes, des falschen, erkannte.
Sollte ich darum nicht auch diesem Gott misstrauen,
der mich so oft getäuscht und enttäuscht?
Niemals will ich wie Abraham glauben,
will ich Gott oder Menschen noch trauen.
Ob die Verheißung sich einmal erfüllt
oder ob sie auf einem Altar einst doch noch geopfert,
ob aus dem Lügner Jakob wahrhaftige Kinder
als Volk dieses Gottes hervorgehn
oder ob sie anderen Göttern und anderen Zielen
ihr Leben verschreiben in späteren Zeiten –
ich werde es niemals erfahren und will es auch nicht;
aber niemand wird mir verdenken, wenn ich
misstrauisch bleibe und zweifle am Guten,
weil ich Güte und Gutes so selten erfahren
und so oft nur Verzweiflung und Zweifel.
Ja, ich will mich einem Gott unterwerfen,
den ich selten verstand, der mir oft grausam
und lieblos und herzlos erschien –
ich will das Dunkle vor Augen sehen,
ohne das Licht zu entdecken,
will mich unterwerfen in aller Verzweiflung
und will doch eines bekennen:
Nichts weiß ich von seinen Wegen,
nichts von seinen Plänen und Zielen,
was aber ist schon der Mensch,
dass er das Recht hat, davon zu wissen?