Читать книгу Gegen den Strich - was so noch nicht geschrieben steht - Eckhard Lange - Страница 12

ESAU

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Was wisst ihr schon davon,

was es für einen Menschen heißt,

ohne Segen durch das Leben zu wandern!

Du magst eine Herde verlieren durch Pestilenz,

du magst dein Zelt verlieren im Wüstensturm,

dir mag der Brunnen vertrocknen, die Quelle versiegen,

solange du dich gesegnet weißt,

wirst du dennoch den Mut nicht verlieren.

Segen ist ja nicht dauerndes Glück,

aber Segen bedeutet, du bleibst bewahrt.

Was dir auch immer an Unheil geschieht,

du wirst es nur als Versuchung begreifen,

mit der die Gottheit den Gesegneten prüft,

nicht aber als Verdammnis, als Zorn,

mit dem sie verstößt den Segenlosen.

Ich aber bin ein solcher, ein Segenloser,

und ich bin es wohl auch durch eigene Schuld.

Betrogen hat mich Jakob, der Bruder,

der zweitgeborene zwar,

aber dennoch der Liebling der Mutter.

Gestohlen hat er mir den Segen des Vaters,

der doch dem Erstgeborenen galt,

getäuscht hat er den blinden Alten,

hat mit List gewonnen, was mir gebührte.

Ich gebe es zu, mir hat dieses Recht des Älteren

in früheren Jahren wenig bedeutet,

ich hab es verkauft gegen einen Topf voller Suppe,

doch ich hielt es für Scherz,

was der Bruder als Handel begriff.

So wähnte er sich im Recht, den Vater zu täuschen,

den Segen sich selber zu holen,

der nur einem zukam, nur einmal galt,

der vererbt wird für immer

auf den Sohn und den Enkel.

Denn mit dem Segen einher

geht die Herrschaft über die Sippe,

geht das Recht, der Gottheit zu opfern

und sich so Schutz und Gnade zu sichern.

Der Segenlose aber verliert sich

in den Ängsten des Lebens;

niemand ist da, der ihn stützt und bewahrt,

verlassen verbringt er seine Tage,

denn er kann sich auf niemand verlassen.

Segenlos wird er vom Fluch seiner Feinde,

vom Zauber des bösen, vernichtenden Wortes

und seiner Wirkung schutzlos getroffen.

Sollte ich mich nun Jakob unterwerfen,

dem Bruder in allem ein Leben lang dienen,

als wäre er der Älteste unserer Sippe?

Sollte ich seine Hinterlist demütig achten,

seinen Betrug als göttliche Weisung verstehen?

Sollte ich um Teilhabe betteln an jenem Segen,

der nur durch ihn auch den anderen galt?

Nein! Eher ließe ich mich von allen verfluchen,

wenn ich mich räche an ihm, dem Betrüger,

wenn das Blut Jakobs so wie einst das Blut Abels

die Erde befleckt und zum Himmel emporschreit,

wenn Brudermord meine Antwort ist auf seine Taten,

wenn ich Kains Zeichen tragen muß

bis ans Ende meiner irdischen Tage.

So schwor ich damals, und wäre er nicht

feige und angstvoll heimlich geflohen,

ich hätte ihn inmitten der andern erschlagen,

niemand hätte mich daran gehindert.

Nun aber blieb ich bei meinem Vater,

auch wenn er Trauer trug um Jakob, den Bruder,

und ich diente ihm, wie es einem Sohne gebührt.

Auch ehrte ich Rebekka, unsere Mutter,

obschon sie mir stets den Bruder vorzog

und ihn angestiftet hatte zu seinem Betrug.

Fern war er, und die Jahre vergingen,

Alltag herrschte in unserer Sippe,

fast hätte ich all meinen Kummer vergessen.

Doch dann, eines Tages, kamen Boten ins Lager,

meldeten uns, daß Jakob heranzog.

Da brach meine Wunde auf von neuem,

da kehrte der Haß zurück in mein Herz.

Wollte er nun mit Gewalt seine Rechte erkämpfen,

mich mit dem Schwert in der Hand vertreiben?

Er war ja immer noch Träger des Segens,

ich nur der Segenlose, Verfluchte.

Bitternis herrschte in meiner Seele,

Zorn auch und die Sehnsucht nach Rache.

So stellte ich vierhundert Knechte zusammen,

gab ihnen Spieße und Schwerter zur Hand.

Ehe er nahte, wollte ich handeln,

auf offenem Felde seinem Heer begegnen.

Mögen die Waffen entscheiden, wer hier gesegnet

und wem der Gott unserer Väter beistand.

So zogen wir dem Bruder entgegen.

Doch je weiter wir kamen, desto leiser wurde

die Stimme des Hasses in meinem Herzen.

Hier, in der Weite der einsamen Steppe,

unter dem Himmel der Tage und Nächte,

allein mit mir und meinen Gedanken,

fragte ich zweifelnd, ob ich im Recht bin,

ob der Segen des Vaters unser Leben bestimmt.

Bindet sich Gott so eng an menschliche Wünsche,

sind Flüche und Segen, von Geschöpfen gesprochen,

stärker als die Freiheit des Schöpfers,

sich einem Menschen gnädig zu nähern?

Ist es nicht unser eigenes Wollen,

das Trachten des menschlichen Herzens,

was er, der ins Herz sieht, auf die Waagschale legt?

So lange hatte ich mich ohne Segen gewähnt,

doch war mir Gott nicht trotz allem oft nahe?

Und ich begann, an den Kräften des Segens zu zweifeln,

solange er nur auf menschlichen Worten beruht.

Auch Jakob, der Bruder, ist nur gesegnet,

wenn ihm die Gottheit Gnade gewährt.

Und sind Erstgeburt und Herrschaft über die Sippe,

sind Reichtum an Gütern und Kindern

wirklich das, was unser Leben bestimmt?

Nein, mir erschien kein Engel, mit mir zu kämpfen,

mein Kampf vollzog sich im Streit mit mir selbst.

In meinem Herzen rang Zorn mit Vergebung,

und unter dem Sternenhimmel der Nacht

wusste ich plötzlich: Auch ich bin gesegnet,

wenn ich mich selber befreie von Zorn und Haß,

wenn ich Frieden will und Versöhnung übe.

Da befahl ich den Männern, noch ehe

die Herden des Bruders sich nahten,

die Waffen zu sammeln, und legte sie nieder,

und plötzlich war Freude in meinem Herzen,

Freude, den Bruder zu grüßen und zu umarmen.

Und Gottes Segen ruhte nun auf uns beiden.

Gegen den Strich - was so noch nicht geschrieben steht

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