Читать книгу In einer fernen Zeit - Elena Risso - Страница 11
ОглавлениеKapitel 7: Reise in eine neue Welt
Aurora rannte noch mal zu ihr. „Vergiss mich nicht, hier, ich habe noch etwas für dich. Du darfst es erst im Flieger aufmachen.“ Rose blickte sie mit ihren großen, blauen und sprechenden Augen an. „Wie könnte ich dich je vergessen, du bist mein Spiegelbild für meine Zukunft, für mein schönes Leben. Du bist meine Sonne.“ „Rose du wirst selbst strahlen wie die Sonne, du wirst sehen, lass es einfach geschehen.“
Der Flughafen war grau und kühl. Endlose Gänge, eine unangenehme Lautsprecherstimme und ein Durcheinander von Reisenden. Hier war es für Rose schwer, in sich zu ruhen. Doch sie war bei sich, suchte Urvertrauen in sich. Endlich im Flieger, konnte Rose etwas entspannen. Sie lehnte sich zurück und ließ ihre Gedanken los. Es war, wie wenn eine Welt abgeschlossen wäre. Sie konnte die Welt noch betrachten, aber jetzt war sie in eine große Blase eingeschlossen, die davon schwebte. Greifbar zwar, aber ihre eigene Metamorphose, die im Flieger begann, brachte sie von der alten Welt immer weiter weg. Vergangen waren passive Mühsal, auch wenn es jetzt sehr schwer würde zu handeln, zu agieren, zu leben auf erst noch wackligen Beinen, konnte jeder Schritt neuen Stand in ihrer neu geschaffenen Welt finden. Ihre Gedanken flogen noch einmal zu ihrer Familie, die sie zu sehr liebte, die sie nun aufrichtiger zu lieben begann. Die große Blase verfärbte sich in einen grau-grünen Ton, wobei die Masse in ihr zu wabern begann, wie diese Lampen aus den 70ern mit Luftblasen innen drin. Dieses verschwommene Sehen, verhalf ihr die Dinge abstrakt zu beurteilen - eine Distanz zu bekommen. Denn sie würden trotzdem immer eine Familie sein. Die Verbindung zur großen Blase, die sich in ein anderes Universum zu verschieben schien, war wie ein langer Faden, wie sie auch manche Tiefseetiere hatten. Rose konnte jederzeit diesen Faden heranziehen. Nur jetzt nicht, jetzt wollte sie keine Verbindung, ihre eigene Welt wartete doch auf sie. Das ging nur, wenn sie die Blase ziehen ließ - sich selbst entfernte, den Faden länger werden ließ und ihn gar ganz losließ. Jeder hatte eine andere Sicht der Dinge. Roses Sicht der Dinge begann sich zu ändern. Das Vergangene wollte sie nicht verleugnen, aber nun war es vorbei. Die Häutung begann.
Sie merkte, dass sie immer noch das Geschenk von Aurora in ihren kleinen, zarten, aber kräftigen Händen hielt. Sie öffnete es; es war der rote Sari mit golddurchwirkten, großflächigen Mustern einer fernen Landschaft. Rose liebte ihn immer so sehr an Aurora; jetzt durfte sie ihn tragen. Es war noch ein Bild dabei von beiden Frauen mit der Rückschrift drauf: „Trage diesen Sari bei deiner ersten Party in New York. Zieh ihn auch an, wenn es dir mal nicht gut geht. Denke immer daran, du hast einen Freund. Und jetzt schubse ich dich raus in dein Leben.“ Rose schloss ihre Katzenaugen. Der Horizont flimmerte in allen Schattierungen. Hoffnung machte sich breit. Als die Maschine auf der Landebahn des Kennedy Airport aufsetzte, spürte sie ein leichtes, mulmiges Gefühl wie Angst vor der eigenen Courage.
Rose ging die Gangway entlang. Sie schnupperte die Luft, sie roch nach Freiheit. Das Taxi roch nach Freiheit. Ihre erste Station ein billiges Hotel in der Lower Eastside roch nach Freiheit. In der Empfangshalle war alles sehr plüschig, roter samtiger Plüsch überall. Selbst der Portier in seinem roten Anzug und seinen roten Knöpfen entsprach diesem plüschigen, leicht vergänglichen Ton. Mit sonorer Stimme führte er Rose in ihr Domizil für die nächste Zeit. Nun war Rose allein auf diesem fremden Kontinent, in dieser fremden Stadt, in diesem fremden Hotel - fremde Freiheit. Diese Wörter verinnerlichten Angst und Chance gleichzeitig. Sachte ging Rose mit diesen Wörtern um. Ohne Angst keine Chance. Das gefiel ihr. Das Zimmer war etwas heruntergekommen. Dieser dunkelrote, plüschige Ton herrschte auch hier vor. Sorgsam hängte Rose ihren neuen Sari auf den Bügel, als sie bemerkte, wie dieser mit seiner Umgebung förmlich verschmolz. Ein kleines Radio auf dem goldenen Nachttischchen gab blechern das New Yorker Wetter bekannt. Rose zog die schweren, grünen Vorhänge auf und blickte auf eine ziegelrote Häuserwand mit vielen großen Fenstern. Während sie bemerkte, dass sie im 13. Stock war, überkam sie große Müdigkeit. Sie legte sich auf das Bett und schlief sofort ein.