Читать книгу In einer fernen Zeit - Elena Risso - Страница 3
ОглавлениеRoses Welt
„Ich bin Shakhil. Sha, das ist der Zauber in der Liebe, das Öffnen der wahren Gefühle und der inneren Sehnsucht. Sha heißt, das Leben zuzulassen. Khil, das ist das übersinnliche Ich, die göttliche Energie und bedeutet die Befreiung von Begierde und Erwartungen. Khil ermöglicht die eigene Unabhängigkeit. Khil ist die Vervollkommnung, mit der die wahre Erkenntnis über sich selbst kommt. Nur mit Sha und Khil kommt die Fähigkeit zur bedingungslosen, aufrichtigen Liebe. Suche mich!“ Immer wieder träumte Rose diesen Traum, ohne seine Bedeutung zu erahnen, noch nicht. Sie war ein kleines Mädchen mit großartigen Träumen von einer heilen Welt voller Liebe.
Rose war gerade mal neun Jahre und ihre Seele war sehr erfahren; sie fühlte viele Dinge, die von den Menschen ausgingen. Sie konnte sich in die Menschen hinein versetzen. Dabei lastete all das Schlechte um sie herum auf ihren schmalen Schultern. Rose kletterte auf Bäume, und oft wollte sie in eine andere Richtung gehen, als die, die ihr vorherbestimmt war. Ihre kleine Seele war in einem goldenen Käfig gefangen, und es vergingen viele Jahre, bis Rose sich befreien konnte. Von diesen verschlungenen Wegen durch ein Labyrinth manifestierter Vorstellungen wird erzählt sein, manchmal mit Distanz und oft mitten drin in diesem Chaos unserer Welt der unterschiedlichsten Vorstellungen von Leben, und was jeder einzelne daraus macht.
Rose wuchs in einem wohl situierten Haus im Süden von England auf. Die Blumen blühten, der Zaun war weiß gestrichen und die Wäsche im Garten flatterte im Wind. Roses Eltern Peter und Susan und ihr kleiner Bruder Ben nahmen gemeinsam die Mahlzeiten ein und diskutierten viel von der Welt da draußen. Meinungen wurden vom Vater geprägt. Wie ein großer Mahner erzählte er von den letzten Jahren der Menschheit und ihrem baldigen Ende. Rose nahm diese ganzen Schlechtigkeiten in sich auf wie ein Schwamm und versuchte doch immer wieder das Gute in den Menschen zu sehen. Peter war oft im Hyde-Park an der Corners Ecke. Jeden Sonntag schwang er dort seine Reden vom Untergang. Abends dann beim gemeinsamen Dinner erzählte er sie wieder seiner Familie. Ben ließ sich davon nicht beeindrucken. Rose versuchte immer dagegen zu halten. Das kostete ihre ganze Kraft. Sie war oft krank; ihre Mutter päppelte sie dann wieder auf und pflegte sie fürsorglich. Diese Zeit genoss Rose, weil sie dann nichts tun musste, sich treiben lassen und träumen konnte. Von ihrem Prinzen, ihrem Retter. Sie wusste noch nicht, das nur sie selbst sich retten konnte. Denn sie war stark.
Die Jahre in Poole gingen dahin. Ein kleiner Junge aus der Nachbarschaft - Malcom - nahm Rose oft in sein Baumhaus mit, in dem sie beide die Realität vergaßen. Malcom war ein Zigeunerkind. Er konnte aus der Hand lesen und hatte feuerrote Haare. Oft spielten sie mysteriöse Spiele, in denen Rose eine neue Rolle bekam. Die Pflanzen, die um das Baumhaus wucherten, fingen dann zu blühen an in allen Rotschattierungen. Das Baumhaus bewegte sich und sie reisten in kurzen Abständen durch Raum und Zeit.
Einmal waren sie an einem Lagerfeuer eines Trecks, der gen Westen zog. Die Menschen lachten und unterhielten sich über ihre Erlebnisse, die der Tag mit sich brachte. Ein anderes Mal saßen sie bei einer Familie im Keller und die Wände wackelten. Draußen wütete ein unerbittlicher Krieg, aber die Menschen im Keller halfen zusammen. Wieder ein anderes Mal feierten die beiden bei einem Erntedankfest mit. Alle waren glücklich. Malcom und Rose mischten sich darunter und lauschten den Klängen des Lebens. Rose mit ihrem haselnussfarbenen Haar und den sprechenden Katzenaugen war sehr zurückhaltend, aber das Feuer in ihren Augen war schon zu spüren. Sie sah bei diesen Reisen Malcom aufmerksam an. Er wählte die Reisen aus. Er sprach mit den Menschen. Als sie sich in Calcutta einem Wanderzirkus anschlossen, suchte Malcom den Kontakt zu einem Feuerschlucker namens Balbou. Balbou war sehr weise und Rose sog seine Erfahrungen in sich hinein. Balbou sprach vom Erleben im Jetzt, von Gerüchen und Sinnen und davon, das Leben zu spüren, wenn du nichts erwartest und dich auf jede Situation einlässt.
Einlassen auf etwas - für Rose kein einfaches Vorhaben. Sie hatte so viele Ideen im Kopf, so dass sie sich nicht festlegen mochte, nichts entscheiden, alles offen lassen wollte. Wenn sie nicht mit Malcom im Baumhaus kauerte und sich mit ihm durch das Leben träumte, saß sie zuhause und schaute ihrer Mutter zu. Susan war eine sehr attraktive Frau, angesehen in der Gesellschaft als eine Frau, die flexibel und einfühlsam war und ihren Mann liebte und schätzte. Oft war Susan schwach. So aus der Sicht von Rose. Wenn Susan mit ihrem Mann stritt, und das kam sehr oft vor, hatte Rose immer das Gefühl, sie müsse helfen. Und sie tat es. Rose hielt zu ihrer Mutter in dieser Zeit und sehr lange, bis es Rose fast zerriss. Eines Nachmittags kam Susan erschöpft von einem Einkauf. Die Tüten standen noch in der Mitte des Flurs. Ein sehr langer Flur war das - mit vielen Türen, die alle geschlossen waren. Hinter jeder Tür war ein Raum mit einem anderen Geruch. Kleine Lichter schienen von oben durch das Treppenhaus auf den Flur, so dass er nicht ganz dunkel war. Die Stimmung im Haus war sehr ruhig. Nun saß da Susan zwischen ihren Tüten. Sie wollte weg aus Poole, wieder in die Stadt. Peter stand im Treppenhaus und war ungehalten. Er wartete den halben Nachmittag auf Susan und das kleine Auto und fuhr sie an. Susan tat Rose leid. Sie beschwichtigte ihren Vater. Nachdem er fort war, saßen die beiden noch lange zusammen und Rose tröstete ihre Mutter. Vielleicht würden sie bald wegziehen, so Rose. Das Licht im Treppenhaus loderte kurz auf. Rose ging in ihr Lieblingszimmer; es war in Aprikose getaucht mit vielen Kissen auf Korbmöbeln. Es duftete ein wenig nach Rosen, wenn das Fenster aufstand. Rose legte sich auf das Bett und dachte nach. Was wird die Zukunft bringen? Wird sie auch einmal eine Familie haben? Mit Kindern, die schokoladenverschmierte Münder haben? Mit einem Haushund und einem Garten? Rose hatte so ihre Vorstellungen von der heilen Welt - voller Träume, von einem Prinzen in hellblauem Tuch gekleidet, der sie mitnehmen würde, fort von dieser Zeit, die so starr ist. Aber Rose machte sich immer viel vor.