Читать книгу Moldawisches Roulette - Elfi Hartenstein - Страница 12

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Heute hat die Blonde Schnupfen. Mit verquollenem Gesicht steht sie an der Längsseite des Tisches. Ihre Stimme klingt gequält. Das erinnert mich an die Halstabletten in meiner Tasche. Ich fummele mir eine heraus und stecke sie in den Mund. Der Pfadfinder neben mir setzt ein paar grüne Chips. Ich habe keine Zeit, ihn zu beobachten, weil das, was der Dicke macht, meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt. Dieses Mal scheint er sich auf die untere Tischhälfte zu beschränken. Den oberen Bereich bezieht er nur ab und zu in seine Aktionen mit ein. Aber es ist ohnehin gleichgültig. Auf welcher Zahl die Kugel auch landet, immer werden ihm Unmengen von Chips zugeschoben. Ich komme einfach nicht dahinter, warum. Dicht hinter ihm bemerke ich jetzt einen hoch gewachsenen, schlanken Mann im hellgrauen Anzug, der ihm wohlgefällig lächelnd über die Schulter sieht. Er hat lockiges schwarzes Haar, ausgeprägte Augenbrauen und einen Oberlippenbart. Sein Kopf ist schmal, das Gesicht sonnengebräunt. Er lächelt auf eine Art, die mir bekannt vorkommt. Irgendwo muss er mir schon einmal über den Weg gelaufen sein. Es irritiert mich, dass mir nicht einfällt, wo.

Die Blonde schnieft, nestelt ein Taschentuch aus ihrer Rocktasche und putzt sich schnell und geräuschlos die Nase. Gleich darauf weist sie mit einer weit ausholenden Geste ihren Kollegen an, wo er welche Chips hinzuverteilen hat. Während dieser noch mit Abräumen beschäftigt ist, eiert die Kugel längst wieder in der Schüssel herum, hüpft an den Begrenzungen entlang, lässt sich allmählich von der Kreisbewegung einfangen, passt sich der Rotationsgeschwindigkeit an und kommt schließlich auf der Drei zum Stillstand.

»Sauber«, höre ich den Pfadfinder aus Wien neben mir sagen. »Merci vielmals, dagegen habe ich absolut nichts einzuwenden.« Seine schmalen Hände ziehen zwei Stapel Chips an den Tischrand. Er strahlt mich an. »Sie bringen mir Glück.«

Plötzlich geht mir ein Licht auf. Der Weinkeller. Ich krame in meiner Handtasche, bis ich die Visitenkarte in der Hand halte. Ion Rusnac. Chief Mechanic. Natürlich. Ich bin ihm also doch schon einmal begegnet; mein Gedächtnis funktioniert noch. Jetzt weiß ich es wieder. Es war dieses schmale Gesicht mit dem Schnauzbart, die ganze hagere Gestalt, die mich hatte aufmerken lassen; ich fand ihn attraktiver als die meisten anderen Männer, die mir hier bisher über den Weg gelaufen waren. Breite Schädel und verschwommene Gesichter sind nicht unbedingt mein Fall. Schon als Kind bin ich auf knochige Männer abgefahren, die Schnauzbärte trugen und ein bisschen wie mein Großvater aussahen. Solche Prägungen begleiten einen wohl ein Leben lang, und natürlich habe ich auch diverse Male versucht, Wolf zu überreden, sich einen Schnauzbart stehen zu lassen, wenn auch ohne Erfolg.

Als ich noch einmal einen Blick hinüberwerfe, um mich zu vergewissern, stelle ich fest, dass der Platz hinter dem Dicken leer ist. Ich wirbele herum. Er steht an der Glastür, ist im Begriff, den Raum zu verlassen, tritt dann aber noch einmal einen Schritt zurück, um die drei neuen Croupiers vorbeizulassen, die im selben Moment zur Tür hereinkommen. Er folgt ihnen mit den Augen und dabei treffen sich unsere Blicke für den Bruchteil einer Sekunde. Er runzelt die Stirn, zögert, dreht sich jedoch sofort wieder um und geht hocherhobenen Hauptes nach draußen.

Vor mir spielt sich mittlerweile das übliche Ablösungsmanöver der Croupiers ab. Übergabe der Kasse. Die Blonde bedankt sich bei den Spielern, macht einen Schritt nach hinten, lässt die neuen Kollegen ihre Plätze einnehmen und marschiert mit den beiden anderen davon. Und schon rollt die Kugel wieder. Die roten Chiphaufen auf dem Tisch werden weniger. Der Dicke schwitzt. Er scheint jetzt etwas vorsichtiger zu setzen. Kassiert noch ein- oder zweimal kleinere Beträge. Vielleicht täusche ich mich, aber seine Bewegungen sind nun langsamer als zuvor. Dafür werden die anderen Spieler mutiger. Auch der Österreicher neben mir. Er hat inzwischen eine Menge roter Chips vor sich liegen, setzt sie einzeln, aber immer auf mehrere Felder. Gewinnt, verliert, gewinnt. Er ist ganz auf den Tisch konzentriert. Während ich ihm zusehe, fängt der Dicke an, seine Beute zusammenzuraffen und sich die Jackentaschen mit Chips vollzustopfen. Nur ein kleines Häufchen hat er noch vor sich liegen. Und auch das ist im Nu in seinen Taschen verschwunden. Dann dreht er sich um und schlendert langsam zur Kasse hinüber.

Ich warte noch ein paar Minuten, bis ich dem Pfadfinder erkläre, dass ich jetzt heimfahren will. Mitternacht ist längst vorüber. Sichtlich bestürzt greift er nach seinen Chips und beschließt, ebenfalls aufzubrechen.

»Geben Sie mir noch Ihre Telefonnummer, weil ich vielleicht …?«

»Kein Problem.«

Ich kritzele sie ihm auf die Rückseite eines Einkaufsbons und setze, ohne lange zu überlegen, auch meine Adresse darunter.

Als wir an der Tür stehen, schlage ich vor, ihn bis zur Kreuzung in der Nähe des Cosmos mitzunehmen; dort muss ich abbiegen. Es ist kalt draußen, die Autoscheiben sind beschlagen. Kein einziges Fahrzeug begegnet uns, als wir den Bulvar Stefan cel Mare hinunterfahren. Alles scheint im Schlaf versunken. Nur ganz vereinzelt sieht man Licht in den Fenstern.

»Viel Glück dann bei Ihrer Suche morgen«, sage ich, als er aussteigt. Und in einem plötzlichen Anfall von Hilfsbereitschaft: »Cricova. Fragen Sie im Hotel, wie Sie nach Cricova kommen. Sie müssen einen Termin vereinbaren.«

Er lächelt, als er sich noch einmal zu mir hereinbeugt. »Danke schön. Das mache ich natürlich. Und wenn Sie nichts dagegen haben, rufe ich Sie morgen an und gebe Ihnen Bescheid. Vielleicht … vielleicht haben Sie ja Zeit mitzukommen?«

»Du könntest versuchen, noch ein paar Flaschen von dem 73er Cabernet zu organisieren«, sagt Wolf am Telefon. »Der hat hier ziemlichen Anklang gefunden.« Seine Stimme ist fürchterlich weit weg. Wolf ist fürchterlich weit weg. Es ist nicht tröstlich, dass es Telefone gibt. Es ist Nacht und ich kann mir Schöneres vorstellen, als jetzt allein in mein Bett zu kriechen.

»Rusnac war heute Abend im Seabeco«, sage ich.

»Der Chief Mechanic aus Cricova?«

»Er hat dem Dicken beim Spielen zugesehen.«

»Sieh mal an. Der war also auch wieder zugange.« Er lacht. »Hat er wieder abkassiert?«

»Hat er. Ich finde, das stinkt zum Himmel. Wenn du mich fragst: Da läuft irgendeine Art von Geldwäsche.«

»Kann schon sein. Hat Rusnac auch gespielt?«

»Nein. Aber ich möchte fast wetten, dass er mich wieder erkannt hat. Obwohl er sich nichts hat anmerken lassen.«

»War ihm vielleicht peinlich.«

»Genau das Gefühl hatte ich auch.«

»Du kannst ihn ja fragen, falls du ihn triffst.«

»Meinst du das ernst?«

Wir hangeln uns an Nebensächlichkeiten entlang. Aber es ist gleichgültig, worüber wir sprechen. Dass wir sprechen, dass wir uns hören und miteinander reden können, ist entscheidend. Telefone sind doch nicht so ohne.

Als ich mich vor meinem halbleeren Kühlschrank noch einmal vergewissere, dass da absolut nichts ist, worauf ich jetzt vor dem Zubettgehen noch Lust haben könnte, durchfährt es mich wie ein Blitz: Seabeco – natürlich! Hotel, Restaurant, Casino, Verkaufsräume, Friseur- und Massagesalon und so weiter. Und der Seitentrakt, in dem die Räume der Deutschen Botschaft liegen … Schließlich steht ja auch über dem Eingangsportal in großen, deutlichen Lettern »Business Center«.

Völlig verdattert stehe ich vor dem offenen Kühlschrank. Weil mir plötzlich dieser Zeitungsartikel wieder eingefallen ist, der kurz vor meiner Abfahrt aus Deutschland irgendwo erschienen war, in dem es um internationales organisiertes Verbrechen und verschwundene ehemalige KPdSU-Millionen ging. In diesem Zusammenhang, ich habe es wieder ganz deutlich vor Augen, wurde auch ein in Zürich ansässiges Unternehmen namens Seabeco erwähnt. Und dann war noch von Geldwäsche die Rede. Von KGB-Beteiligungen. Von Verbindungen zur russischen Mafia. Und von allen möglichen sonstigen verwirrenden Vermutungen oder Fakten.

Ich schließe die Kühlschranktür, hole ein Glas aus dem Schrank und gieße es halb mit Kognak voll. Als ich es an den Mund hebe, merke ich, dass meine Hände zittern. Weil mir im selben Moment noch etwas anderes durch den Kopf schießt: Immerhin ist es erst wenige Tage her, dass meine Kollegin Nadja mir erzählt hat, man munkele in der Stadt, ein Großteil der Anteile des Seabeco läge in privater Hand. Und dabei handele es sich rein zufällig um die Hand des Schwiegersohns des Staatspräsidenten.

Moldawisches Roulette

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