Читать книгу Moldawisches Roulette - Elfi Hartenstein - Страница 7

2

Оглавление

Als ich im Frühjahr beschloss, diese Stelle an der Universität anzunehmen und für ein oder zwei Jahre hier zu leben, machte ich mir über alles Mögliche Gedanken, nur nicht darüber, dass ein Land, auch wenn es sich sogar ohne größere Probleme mit dem Auto erreichen lässt, trotzdem aus der Welt sein kann. Die Tatsache, dass die ADAC-Straßenkarten nur bis zu seiner Westgrenze reichen, hätte andere vielleicht stutzig gemacht und verunsichert. Mir passte es ganz gut ins Konzept, wollte ich doch eine Herausforderung. Seit Jahren schon war ich auf der Suche danach gewesen, hatte mich sogar in Auslandsschulen in Ecuador und Peru umgesehen, war jedoch schnell zu dem Schluss gekommen, dass das Leben in einem Miraflores-Reichenviertel nicht meine Sache ist. Bequem habe ich es auch zu Hause. Und Wolf, der weiß, wie stur ich sein kann, versuchte gar nicht erst, mich mit irgendwelchen scheinbar vernünftigen Erwägungen von diesem Sprung ins Ungewisse abzuhalten. Ich rechne ihm das hoch an. Weil ich mir ziemlich sicher bin, dass von den vielen Männern, die strahlende Augen bekommen, sobald von exotischen Abenteuern die Rede ist, nur wenige Verständnis dafür haben, wenn ausgerechnet die Frau, die sie lieben, sich für ein solches Abenteuer entscheidet.

Noch höher schätze ich allerdings, dass Wolf sich nicht nur einfach damit abgefunden hat, mich für die nächste Zeit nur hier oder dort besuchsweise zu erleben, sondern mich auch bei der Vorbereitung nach Kräften unterstützte. Seine Kooperation hatte ich bitter nötig. Von Amts wegen hatte man mir nämlich erklärt, mein Einsatz finde zwar im Rahmen des Kulturabkommens zwischen den Ländern statt, doch weil nähere Informationen über Land und Leute bedauerlicherweise nicht vorlägen, sei es nun meine Aufgabe, alles Nötige in Erfahrung zu bringen und Berichte darüber zu verfassen. Als ich wissen wollte, wo und wann der Vorbereitungsunterricht in Russisch oder Rumänisch stattfinde, erfuhr ich zu meinem Erstaunen, dass so etwas nicht vorgesehen war. Wozu auch? Ich würde doch ohnehin am Lehrstuhl für Fremdsprachen unterrichten. Das Semester beginne am 1. September. Die Adresse der Universität stand nicht in der Akte.

Ich hatte die Hoffnung auf irgendeine Art institutioneller Unterstützung schon aufgegeben, als das Wunder geschah: Praktisch in letzter Minute vor meiner Abreise schien sich doch einmal jemand einen halben Gedanken über meine Mission zu machen und versorgte mich noch schnell mit dem Namen und der Telefonnummer einer Kontaktperson. Mit besten Wünschen.

Ich kam mir vor, als hätte ich im Lotto gewonnen.

Dass sich aus diesem Kontakt eine Freundschaft entwickeln könnte, wagte ich nicht zu hoffen. Aber es ist tatsächlich so. Tamara und ich mochten uns auf den ersten Blick.

Die Ausbeute von Wolfs Internetrecherchen lieferte zumindest Basiswissen über das ehemalige Bessarabien und dessen spätere Funktion als »Gemüsegarten« der alten Sowjetunion. Richtige Reiseführer gibt es für diesen offenbar vergessenen Landstrich nicht. Als ich in »Gorki Park« las, wie Chefinspektor Arkadi Renko sich ausmalt, seine im Sinne der Moskauer Polizeihierarchie nicht ganz koscheren Investigationsmethoden könnten ihm Degradierung und – als Gipfel der Gemeinheiten – eine Strafversetzung nach Moldawien einbringen, lachten wir. Inzwischen denke ich, Renko hat das nicht als Witz gemeint. Auch vor der Wende war das Leben vermutlich sogar in Moskau leichter als hier.

Aber Artikel und Bücher helfen allenfalls, den Rahmen abzustecken. Wie der Alltag sich anfühlt, kann man ihnen nicht entnehmen.

Am deutlichsten wurde mir das, als Wolf Ende August zum ersten Mal nach Hause flog.

Bis dahin war alles wie Abenteuerurlaub: die Fahrt durch die Karpaten; die Warterei vor einem Schlagbaum an einer verwaisten Grenzstation, wo erst nach Stunden ein paar Uniformierte aus einer offenbar gemütlichen längeren Mittagspause auftauchten; die gestenreichen Verhandlungen wegen der angeblich für mein vieles Gepäck nötigen Zollgebühren, die wir mit zwei wohlweislich genau zu diesem Zweck mitgenommenen Sechserpacks Bier beendeten. Dann durften wir endlich über die Prut-Brücke fahren.

»Noch ungefähr 120 Kilometer«, sagte Wolf und machte es sich auf dem Beifahrersitz gemütlich. »Fahr schön langsam. Bevor es dunkel wird, sind wir auf jeden Fall da. Wenn du nicht mehr magst, löse ich dich ab.«

Die Landschaft war schlagartig flach geworden. Felder rechts und links der geraden, staubigen Landstraße. Ab und zu ein lang gestrecktes Straßendorf. Vor den zurückgesetzten Häusern am Straßenrand alle paar hundert Meter ein Ziehbrunnen mit buntem geschwungenen Dach.

»Irgendwie komme ich mir vor wie auf einem anderen Stern«, sagte ich. »Das sieht hier völlig anders aus als in Rumänien. Ist das nur so, weil wir aus den Karpaten raus sind, oder woran sonst kann das liegen?«

Wolf gab ein »Hm« von sich und überlegte: »Ehemalige Landwirtschaftskolchosen, oder? Ich meine, immerhin war das hier der so genannte ›Gemüsegarten‹ mit der berühmten schwarzen Erde, auf die sie so stolz sind.«

Ich grübelte weiter. Im dritten Dorf hatte ich es.

»Es sind die Blumen.«

»Wieso? Welche Blumen?« Wolf riss die Augen auf. »Wo bitte siehst du Blumen?«

»Das ist es ja. Es gibt keine.«

»Wirklich?«

»Wenn ich’s dir doch sage. Seit mindestens einer Stunde habe ich keine einzige Blume mehr gesehen.«

Wolf ist nicht gerade ein Spezialist in Sachen Feld-Wald-Wiesen- oder Zier-Blumen, doch jetzt fiel auch ihm auf, dass es in den Vorgärten ausschließlich Gemüsebeete gab. Nichts blühte.

»Die Leute müssen eben jeden Zentimeter nutzen. Sie bauen halt nur an, was man essen kann.«

»Na hör mal! In den rumänischen Dörfern hat es doch auch geblüht wie verrückt, da standen doch überall vor den Häusern und an den Zäunen Astern und Dahlien und Rosen und weiß der Himmel was. Die Leute dort sind ja wohl kaum reicher als hier. Aber hier wachsen noch nicht einmal Gänseblümchen im Gras neben der Straße.«

»Hm.« Mehr war ihm im Moment nicht zu entlocken.

Als wir das Dorf hinter uns hatten, versuchte ich es noch einmal.

»Schau mal, wenigstens auf den Wiesen müsste man doch Feldblumen sehen. Es kann doch nicht sein, dass man über eine Grenze fährt und plötzlich ist schlagartig alles, was blüht, komplett ausgerottet.«

Noch während ich sprach, wurde mir klar, dass es wohl doch so sein musste. Und Wolf, der es offensichtlich im selben Moment auch begriffen hatte, sagte: »Ich glaube, ich habe das sogar irgendwo gelesen. Die haben den Dreck von Flugzeugen aus übers Land verstreut. Chemische Düngemittel und Pestizide zur Produktivitätssteigerung.«

»Und der Wind treibt das Zeug dann überallhin. Da haben sie aber wirklich gute Arbeit geleistet. Glaubst du, das ist im ganzen Land so?«

Wolf grinste. »Das herauszufinden ist Ihre Aufgabe, Madame. Uns liegen darüber bedauerlicherweise keine Informationen vor.«

»Aber du weißt vielleicht wenigstens, wie lang es dauert, bis die Böden sich davon wieder erholen?«

Er zuckte die Schultern. »Das Einzige, was ich weiß, ist, dass die Bauern jetzt kein Geld mehr haben, um noch mehr von dem Zeug einzukaufen.«

Es war dann doch bereits dunkel, als wir in der Hauptstadt ankamen. Reichlich dunkel. Das Ortsschild mussten wir übersehen haben, doch die beleuchteten Fenster aus den Wohnblocks zu beiden Seiten der schlaglochübersäten Straße und der dichter werdende Verkehr sagten uns, dass wir da waren.

»Versprich mir, dass du abends nie ohne Taschenlampe aus dem Haus gehst«, sagte Wolf.

»Ich verspreche es. Aber trotzdem möchte ich bitte eine Wohnung in einer Straße mit funktionierenden Laternen.«

»Wenn die Löcher in den Fußwegen dort genauso tief sind wie auf der Fahrbahn, bleibst du nach Anbruch der Dunkelheit aber zu Hause.«

»Zu Befehl. Das lässt sich bestimmt machen. Vor allem im Winter.«

»Es gibt hier keinen Winter«, sagte Wolf streng. »Jedenfalls keinen schlimmen. Du befindest dich in einem Weinanbauland. Außerdem hast du ja auch gelesen, dass die Gasprom recht unzuverlässig liefert. Wenn die Leute halb erfrieren müssten in ihren Wohnungen, hätte es Streiks gegeben oder irgendwelche Aufstände.«

»Glaub ich nicht. Wetten, dass hier noch nie jemand gestreikt hat? Hier trinken sie lieber. Der Wodka ist billig. Der Konsum soll, seitdem die Gorbatschowkampagne rückgängig gemacht wurde, wieder extrem hoch sein, und hervorragenden Kognak stellen sie auch noch her.«

»Dann bist du hier ja vollkommen richtig«, sagte Wolf, »aber ich möchte trotzdem nicht, dass du abends im Stockdunkeln …«

»Was heißt hier im Stockdunkeln? Ist doch alles Hollywood – oder?«

Ohne es zu merken, waren wir während unseres Geplänkels in einer hell erleuchteten breiten Straße gelandet.

»Wow! Guck mal, da vorne links: das Siegestor.«

»Das ist der kleine moldauische Arc de Triomphe«, sagte ich. »Das heißt, wir befinden uns auf dem Bulvar Stefan cel Mare. Du – jetzt sind wir im Zentrum. Wir sind wirklich da!«

Moldawisches Roulette

Подняться наверх