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Schottenbach hatte ein sehr ansprechendes Gebäude, stellte Vincent fest, als er sich, für seine Verhältnisse recht ordentlich gekleidet, der Firma näherte. Nur auf die Krawatte hatte er verzichtet, das wäre ihm dann doch wie Heuchelei erschienen. Wenn die einen Spießer einstellen wollten, dann war er hier eben falsch, verbiegen ließ er sich nicht, egal, was seine Mutter zu nörgeln hatte!

Am Empfang wurde er freundlich begrüßt und erst einmal „zum Senior“ geschickt. Auch Wolfgang Schottenbach kam ihm herzlich entgegen, schüttelte ihm die Hand und erkundigte sich nach dem Befinden seiner Mutter und dann auch mal nach seinen Qualifikationen. Vincent legte ihm die schon leicht abgenudelte Mappe mit seinen Zeugnissen und Zertifikaten vor und wies auch darauf hin, dass er die Rechte an zwei Programmen und einigen Apps hielt, was Schottenbach durchaus beeindruckte. Nach einigen Minuten erhob sich Schottenbach hinter seinem Schreibtisch. „Nun, von mir aus geht alles in Ordnung, aber ich habe die Entscheidung meiner Tochter überlassen, die viel enger mit den Entwicklern zusammenarbeitet und selbst Informatikerin ist. Ich bringe Sie jetzt gleich zu ihr, und wenn Sie mit Ihnen einverstanden ist, geht es dann gleich zur Personalabteilung. Könnten Sie denn sofort anfangen?“

Vincent grinste. „Was denn, hat sich meine Mutter etwa nicht beklagt, dass ich nur faul herumsäße?“

Schottenbach erwiderte das Grinsen. „Aber natürlich. Allerdings kenne ich Susanne schon seit der Schulzeit, und im Jammern war sie immer schon groß. Aber: psst!“

„Darauf können Sie sich verlassen.“ Vincent kannte nicht viele Informatikerinnen und die paar, die er im Studium kennen gelernt hatte, waren zumeist etwas eigenartig gewesen, die reinsten Nerds, oft betont unweiblich (was immer auch weiblich bedeuten sollte) oder immer auf der Suche nach Macho-Programmen, die wohl noch schwieriger zu definieren waren. Also war er auf diese Tochter durchaus gespannt.

Die Frau, die sich hinter einem penibel aufgeräumten Schreibtisch erhob, verblüffte ihn dann doch.

Sie war sehr schlank, fast mager, relativ groß, also höchstens zehn Zentimeter kleiner als er, und er war fast einsneunzig. Die aschblonden Haare waren einfach im Nacken zusammengebunden und sie trug einen dunkelgrauen Hosenanzug und eine weiße Bluse mit Stehkragen.

Schwer einzuordnen, fand er. Einerseits für eine Führungskraft völlig angemessen, andererseits wirkte sie, als achtete sie nicht besonders auf ihr Aussehen.

„Herr Sonntag? Guten Morgen. Ich bin Judith Schottenbach.“ Sie reichte ihm eine kühle Hand, ihr Händedruck war kurz, aber fest, und dann wies sie auf den Besprechungstisch in der Ecke. „Schauen wir uns Ihre Unterlagen doch in Ruhe an!“

„Ich sehe schon, ihr kommt gut zurecht“, stellte Schottenbach fest und verließ das Büro.

Eine freundliche Atmosphäre, musste Vincent zugeben, als er ihm nachsah.

Ein Räuspern brachte ihn wieder dazu, die Tochter anzusehen.

„Zeigen Sie mir doch bitte mal, was Sie mitgebracht haben.“

Er packte eilfertig seine Unterlagen aus und auch, als Extrabonbon, einen Entwurf für ein Programm, das das Arbeiten mit verschiedenen Mobilgeräten durch bessere Synchronisation erleichtern sollte.

Sie las sich das konzentriert durch und nickte. „Sehr interessant. Das würden Sie mit uns zur Marktreife entwickeln?“

„Natürlich. Meiner Ansicht nach liegt die Zukunft der Software ohnehin verstärkt im Mobil-Bereich.“

Sie sah ihn interessiert an. Blaugraue Augen, stellte er fest. Sehr klare Augen. „Wo sehen Sie noch vermehrtes Potential?“

Vincent überlegte. „Smart Home… dann natürlich alles, was das Netz sicherer macht – das ist logischerweise ein Dauergeschäft, weil die Hacker auch dauernd aufrüsten. Außerdem Entertainment. Wer kauft sich denn heute noch DVDs, wenn man alles streamen kann?“

Judith nickte. Dumm war er nicht - und dieses Softwareangebot war unwiderstehlich. „Ich denke, wir versuchen es miteinander, wenn wir uns beim Gehalt einig werden.“

Vincent lächelte. „Das kriegen wir schon hin, da bin ich ganz sicher.“

Ihr Lächeln wirkte etwas mechanisch, und als sie ihm einen Kugelschreiber reichte, unterschrieb er den Vertrag, ohne zu zögern. Dann reichte er ihr den Stift, und als sie danach griff, berührten sich ihre Finger. Sie zuckte zurück und ließ den Stift fallen.

„Verzeihung“, sagte Vincent steif. Was war sie denn gar so verschreckt?

„Nein, ich muss mich entschuldigen“, antwortete sie glatt und hob den Stift wieder auf. „Ich war nur gerade etwas – abwesend.“ Sie unterschrieb den Vertrag und zerlegte das mehrseitige Formular. „Dies ist für Sie. Wenn Sie heute schon anfangen möchten, könnte ich Ihnen gleich Ihren Arbeitsplatz zeigen.“

„Ja, gerne.“

Er folgte ihr in einen Gang, von dem etliche Türen abgingen, manche offen, manche geschlossen. „Wir halten Großraumeinheiten für Entwickler für nicht geeignet. Beim Tüfteln braucht man doch eher Ruhe. Aber natürlich kann man die Tür offen lassen, wenn man das lieber möchte, und die Arbeitsplätze lassen sich auch in Kleingruppen nutzen. Sie werden es ja gleich sehen.“

Im Moment sah er vor allem ihre exzellente Figur von hinten und rief sich schnell selbst zur Ordnung, gerade noch rechtzeitig, denn nun öffnete sie eine Tür und ließ ihn eintreten. Zwei Fenster, ein großer Schreibtisch samt passendem Stuhl, an der Wand Regale, davon lehnend einige Erweiterungsteile für den Schreibtisch. Auf dem Schreibtisch ein Laptop, ein Rechner und ein Flatscreen, außerdem ein Telefon.

„Die Laptops der Entwickler sind unvernetzt, damit niemand sich an ihrem geistigen Eigentum vergreifen kann. Kommuniziert wird mit den Desktops über ein Intranet, der Systembetreuer wird ihnen einen Benutzernamen und ein Passwort zuweisen. Wenn Sie noch etwas brauchen, fragen Sie entweder Frau Michaelis im Vorzimmer meines Vaters. Sie ist so etwas wie die Sekretärin für alle hier. Oder auch der „gute Geist“.“ Sie lächelte.

„Oder?“

„Bitte?“

„Sie sagten entweder. Ich warte noch auf das oder.“

„Ach so, ja. Oder mich, wenn es sich nicht gerade um Kugelschreiber oder so etwas handelt. Dafür hat Frau Michaelis einen Materialschrank in ihrem Zimmer. Kommen Sie soweit zurecht?“

„Aber ja. Nur eins – wo isst man hier zu Mittag?“

„Wir sind hier in der MiniCity. An jeder Ecke gibt es Bistros, Salat- oder Sandwichbars. Lassen Sie nur die Finger von HappaHappa, das ist anerkannt mies und keiner versteht, warum der Laden immer noch nicht eingegangen ist.“ Jetzt grinste sie richtig. „Dann wünsche ich Ihnen frohes Schaffen. Und bringen Sie heute noch Ihre Unterlagen zur Personalabteilung – das ist der Herr Kretz.“

Damit war er alleine und konnte sich richtig in seinem Büro umsehen.

Als erstes fuhr er natürlich die Rechner hoch, die wirklich keine Wünsche offen ließen, was die vorhandenen Programme betraf.

In der obersten Schublade fand er einen eingeschweißten Dreierpack USB-Sticks, einige Firmenkulis, karierte Notizblöcke mit dem Logo der Schottenbach KG und eine Infobroschüre mit Organigramm. Offenbar die Standardausrüstung für neue Mitarbeiter.

Er las sich die Infobroschüre durch und erfuhr dabei, welche Software Schottenbach unter den Namen SchoDat und SchoSoft produziert hatte – der Schwerpunkt schien auf Buchhaltung, Finanzverwaltung und Bürotools zu liegen. Dabei stellte er fest, dass auch jeweils der Entwickler angegeben war und der Name Judith Schottenbach mehr als einmal auftauchte, und versank in Gedanken: Eine interessante, aber auch merkwürdige Frau, auf eine achtlose Art gutaussehend, die schicke Hosenanzüge trug, weil es eben üblich war, nicht, weil sie attraktiv wirken wollte. Das entsprach nicht dem, was er von anderen Frauen und auch seinen Verflossenen kannte.

Das Telefon klingelte. „Herr Sonntag? Ich hätte hier ihre Zugangsdaten für das Intranet…“

Vincent notierte sich das Naheliegende – sein Kürzel war sov, sein Kennwort 123456. „Bitte sofort ändern! Sie wissen ja, mindestens acht Zeichen, Zahl, Sonderzeichen, Groß- und Kleinschreibung.“

Vincent lachte ins Telefon. „Geschenkt. Und wenn Sie von mir das Kennwort verlangen, sag ich Ihnen ein falsches.“

„So ist es brav. Dann mal willkommen an Bord…“

Vincent loggte sich ein und durchstöberte in aller Ruhe das Intranet nach interessanten Informationen, studierte die Speisekarte der nächstgelegenen Sandwichbar und wandte sich dann seinem halbentwickelten Programm zu, um daran weiter zu arbeiten.

Im Lauf des Nachmittags kamen einige Kollegen und Kolleginnen vorbei, stellten sich vor und hofften auf gute Zusammenarbeit. Erst die vorletzte, Sonja Gerber, verriet sich: „Frau Schottenbach hat uns gebeten, mal reinzuschauen, damit Sie sich nicht so einsam fühlen. Woran arbeiten Sie – ach, Schmarrn! – woran arbeitest du gerade?“

Vincent erklärte es ihr und fragte dann: „Macht Frau Schottenbach das immer? Alle zu einem neuen Kollegen schicken, meine ich?“

„Ja, klar. Sie ist total nett und fürsorglich, das merkst du schon auch noch.“

„Aha…“ Er wirkte wohl etwas unüberzeugt, denn Sonja fuhr fort: „Doch, echt. Eine bessere Chefin findest du so schnell nicht.“

„Ich dachte, Herrn Schottenbach gehört der Laden?“

„Dem Senior? Ja, schon, aber sie macht doch praktisch alles. Sie ist die Juniorchefin. Und sie ist ja auch Informatikerin – er nicht. Als der jung war, gab´s das wahrscheinlich noch gar nicht.“

Vincent nickte, immer noch nicht ganz überzeugt. „Also, ich habe sie ja vorhin das erste Mal gesehen, aber mir kam sie eher – naja – eher kühl vor.“

„Echt? Komisch. Ich finde sie eigentlich sehr freundlich. Vielleicht erinnerst du sie ja an jemanden, den sie nicht mag. Das gibt sich dann bestimmt bald, wart´s nur ab!“

Das konnte stimmen, überlegte er. Nun, dann musste er sich einfach als nett und nützlich erweisen, und wenn sie dann weiterhin kühl blieb, konnte man es eben nicht ändern.

* * *

Judith arbeitete in ihrem Büro vor sich hin und überlegte dazwischen, ob es wirklich eine gute Idee war, diesen Sonntag einzustellen, nur weil seine Mutter mit Papa zusammen in die Grundschule gegangen war. Oder in den Kindergarten? Andererseits hatte der Kerl Talent, das hatten seine Arbeitsproben gezeigt, und wenn jemand schon so einige Programme und Apps gebastelt und sich die Rechte gesichert hatte, konnte er auch für Schottenbach nützlich sein. Wenn er noch ein paar Apps auf eigene Rechnung bastelte – dazu ließ ihm der Vertrag ja auch zum Teil die Freiheit – konnte er andererseits genug Geld verdienen, dass er auf eine feste Stelle gar nicht mehr angewiesen war…

Sie hatte sein Arbeitsverzeichnis noch vor sich liegen und wählte die Apps nun der Reihe nach an – gute Beurteilungen, leider konnte sie sie bis auf eine absolut nicht auf ihrem Smartphone gebrauchen. Diese eine lud sie sich herunter, denn 3,99 waren nicht die Welt und sie wollte doch wissen, wie gut seine Fähigkeiten wirklich waren.

Ja, brauchbar. Viele interessante Features und zumindest im Moment schien diese App auch nicht dazu zu neigen, sich unvermittelt aufzuhängen. Sie würde sie weiter testen.

Kurz vor fünf packte sie zusammen, denn heute lag wirklich nichts mehr an, wünschte ihrem Vater einen schönen Abend und traf im Foyer mit Sonntag zusammen, der recht vergnügt wirkte.

„Und, hat Ihnen Ihr erster Arbeitstag bei uns gefallen?“

Sonntag grinste. „Sehr. Ich habe mich so richtig gut aufgehoben gefühlt und bin mit meinem Programm recht zügig vorangekommen. Haben Sie tatsächlich alle Mitarbeiter zur Begrüßung vorbeigeschickt?“

Judith lächelte. „Nicht alle, nur die Leute auf dem gleichen Gang. Mit denen haben sie vielleicht öfter zu tun, und – ganz wichtig – mit ihnen teilen Sie sich eine Kaffeemaschine. In der Teeküche gegenüber von Frau Michaelis.“

Er lächelte zurück. „Gut zu wissen. Ich werde in den nä-“ Verblüfft blickte er auf seine Chefin, die plötzlich totenbleich geworden war und von der gläsernen Eingangsfront zurückwich, als habe sie einen Geist gesehen. Da sie dabei leicht schwankte, packte er sie am Ellbogen, um ihr Halt zu geben. Sie fuhr zu ihm herum, die Augen dunkel, fast nur noch aus Pupillen bestehend, und riss sich abrupt los. „Fassen Sie mich nicht an!“

„Entschuldigung“, gab Vincent beleidigt zurück, „ich wollte nur verhindern, dass Sie womöglich stürzen. Sie haben nämlich recht unsicher auf den Beinen gewirkt. Haben Sie sich erschreckt?“

„Erschreckt… nein, wovor denn?“

„Vielleicht vor jemandem, der draußen auf der Straße stand?“

„D-draußen? Nein. Entschuldigung, ich wollte Sie nicht kränken. Ich weiß auch nicht, was plötzlich mit mir los war.“

Vincent musterte sie forschend. Sehr überzeugend erschien ihm ihr Gestammel nicht – und er versuchte, unauffällig zu schnuppern, ob er vielleicht Alkohol riechen konnte.

Nein, nichts. Was hatte die Frau bloß? Hysterisch?

Naja, das sagte man ja schnell mal… aber auf jeden Fall stimmte mit Judith Schottenbach etwas nicht, das war mal klar. Jetzt straffte sie sich, schwang sich ihre Tasche über die Schulter und stieß energisch die Glastür nach draußen auf. Ihm entging aber nicht, dass sie dabei ihren Blick hektisch von links nach rechts wandern ließ und sehr eilig auf einen dunkelgrauen Audi zusteuerte. Er selbst blieb stehen und verfolgte, ob sie ihren Wagen sicher erreichte. Erst als sie eingestiegen war (nicht ohne sich noch einmal misstrauisch umzusehen) und den Motor anließ, setzte auch er sich wieder in Bewegung und eilte zu seinem eigenen Wagen.

Eine merkwürdige Frau…

Er beschloss, erst zu Hause darüber nachzudenken, warum sie wohl so seltsam war, sonst verfuhr er sich noch auf dem Weg von der neuen Arbeit zum neuen Zuhause.

Unterwegs nahm er sich eine Pizza aus dem Straßenverkauf mit und ärgerte sich prompt, dass sie ihm noch auf den letzten Metern das Auto mit ihrem Geruch füllte. Jetzt musste er wieder wochenlang in einer Pizzeria herumfahren – offenbar hatte er aus der Sache mit dem Döner auf dem Beifahrersitz überhaupt nichts gelernt – aber wenigstens musste er dieses Mal keinen Krautsalat aus den Polstern klauben…

Die Wohnung erschien ihm, wenn man gerade eintrat, doch erstaunlich kahl, aber das sollte erst einmal so bleiben. Er legte nur den Pizzakarton auf den Tisch, zog sein Smartphone aus der Tasche und scrollte mit der rechten Hand, während die Linke das Pizzastück hielt, von dem er immer wieder abbiss, durch seine diversen Nachrichten – Mails, Whatsapp, Facebook… praktisch nur Blödsinn.

Als sein Handy plötzlich klingelte, erschrak er so, dass ihm das Pizzastück auf den Tisch fiel – natürlich mit der fettigen Salamischeibe nach unten. Murphy´s Gesetz.

Auf dem Display grinste ihn das Foto von Mama an, das er ihr als Profilbild eingestellt hatte; seufzend nahm er das Gespräch an und meldete sich schmatzend.

„Isst du etwa?“, wurde prompt entrüstet gefragt.

Er biss noch einmal ab. „Klar, wieso, Mama?“

„Und was isst du da, bitte schön?“ Dass diese Frau auch nie eine Frage korrekt beantworten konnte…

„Pizza“, kaute er so unmanierlich wie möglich.

„Pizza?“ Erschrocken hielt er das Handy etwas von seinem Ohr weg. Was kreischte sie denn so?

„Das ist doch total ungesund! Warum machst du dir nicht einen schönen Salat? Das wirst doch sogar du gerade noch fertigbringen!“

„Ich mag keinen Salat.“ Er leckte sich geräuschvoll die fettigen Finger ab, denn die Pizza war leider restlos verspeist.

Tiefer Seufzer. „Ach, Junge…!“

Vincent dachte an die Ärzte und kicherte. Immerhin behauptete Mama nicht, er bringe sie noch ins Grab. Vielleicht sollte er ihr den Song bei Gelegenheit mal vorspielen, er hatte ihn ja auf dem Smartphone.

„Was passt dir denn nicht?“, erkundigte er sich interessiert.

„Du ernährst dich ungesund. Du isst wie ein Ferkel. Du sitzt nur herum! Willst du nicht doch mal über das Angebot von Wolfgang nachdenken?“

„Wolfgang?“

„Schottenbach! Stelle dich nicht noch dümmer als du ohnehin bist!“

„Mama, spar dir die Frechheiten! Zu deiner Beruhigung, ich habe heute bei Schottenbach angefangen, also kannst du dir dieses Thema schon mal abschminken, klar?“

„Na, endlich wirst du vernünftig. Wenn du dir jetzt noch die Haare schneiden lässt, in eine anständige Gegend ziehst und dir endlich eine nette Frau suchst…“

„… dann würdest du doch immer noch meckern. Such du mir doch eine Frau!“

„Ernsthaft?“ Das klang bedrohlich begierig.

„Gotteswillen, das war ein Scherz! Ich bin mir sicher, eine Frau, die du für passend hältst, kann ich absolut nicht leiden!“

Jetzt musste sie doch hinreichend beleidigt sein?

Nein, Mama war emotional einfach unverwüstlich. „Das verstehe ich nicht – ich habe dir doch auch die richtige Stelle gefunden?“

Vincent stöhnte. „Hast du nicht. Du hast bloß deinen Sandkastenfreund angehauen, den Rest habe ich gemacht. Und nach einem halben Arbeitstag kann ich doch auch noch nicht sagen, ob das auf die Dauer das Richtige ist!“

„Natürlich ist es das Richtige, ich kenne doch Wolfgang! Der ist bestimmt ein netter Chef.“

„Ein netter Chef ist nicht alles, wie du eigentlich auch wissen solltest. Die Arbeit muss auch interessant sein.“

„Kleiner Besserwisser. Und, ist sie interessant?“

Dieser herablassende Ton! Er war doch nicht mehr sechs Jahre alt! Mühsam unterdrückte er den (leider auch kindischen) Wunsch, das Gespräch abrupt zu beenden, und flüchtete sich in Fachsimpelei. „Man kann Spezialsoftware entwickeln, vielleicht besonders für den Smart-Home-Bereich… oder für Fitness-Tracker, das ist ja auch ein wachsender Markt… zwischendurch kann ich auch Apps entwickeln. Ja, ich denke, Schottenbach ist vorerst ganz interessant für mich.“

Sie reagierte nicht auf das „vorerst“, sondern fragte: „Apps? Was ist das?“

„Ach Mama, du hast doch ein Smartphone! Da sind lauter Apps drauf, diese kleinen Programme, die mit einem Symbol auf dem Display verankert sind. Benutzt du dein Telefon etwa nicht?“

„Doch, sicher. Zum Telefonieren. Wenn ich nicht zu Hause bin. Was können diese Apps?“

„Zum Beispiel liefern sie dir Stadtpläne oder Fahrpläne. Du kannst das Kinoprogramm anschauen, etwas spielen, Bücher lesen, Musik hören, Mails schreiben – alles, was du auch mit dem Computer machen kannst.“

„Auf diesem winzigen Bildschirm? Machen das wirklich Leute?“

„Mama, was bist du weltfremd – das machen fast alle, vor allem Teenager. Die wären ohne ihr Smartphone doch völlig aufgeschmissen und starren den ganzen Tag darauf.“

„Du sollst mich nicht immer auf den Arm nehmen! Hast du auch die Tochter kennengelernt?“

„Natürlich. Kompetente Frau.“

Seine Mutter schnaubte. „Kompetent! Darauf kommt es doch nicht an. Gefällt sie dir?“

Ihm wäre fast das Telefon aus der Hand gefallen, obwohl er seine Mutter und ihre absurden Gedankengänge doch nun wirklich seit dreißig Jahren kannte.

„Wie bitte? Soll das heißen, du wolltest, dass ich bei Schottenbach arbeite, um was mit der Tochter anzufangen? Mama, das schlägt dem Fass wirklich den Boden aus!“

„Es wäre doch zu nett, mein Sohn und Wolfgangs Tochter…“

„Dann heirate doch selbst den Schottenbach, er ist ja geschieden und du bist auch frei, wenn du diese Sandkastenliebe unbedingt wieder aufwärmen willst!“

„Du verstehst mich nicht“, klagte seine Mutter. Ja, das war immer ihr letztes Argument…

„Schade, dass ich nicht einen Haufen Geschwister habe“, maulte er wieder einmal, „dann würde sich deine Übergriffigkeit doch wenigstens etwas verteilen.“

„Übergriffigkeit?“ Es knackte und das Gespräch war beendet. Vincent grinste kurz sein Handy an und schaltete dann ebenfalls aus. Hatte er es wieder geschafft!

Sie aber auch, ärgerte er sich gleich wieder. Wie sie es immer hinbekam, ihm die Laune zu verderben – man geriet tatsächlich in Versuchung, aus purem Trotz irgendetwas Blödsinniges zu tun, als sei man noch vierzehn!

Vielleicht sollte er, wenn er etwas eingearbeitet war, Schottenbach bitten, doch mal auf seine Jugendfreundin einzuwirken?

Ein gestörtes Verhältnis

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