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VII

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Die Vorlesung war gar nicht so schlecht gewesen, fand ich am nächsten Vormittag, als ich, eine trockene Semmel kauend, mein Fahrrad von einem der Bäume hinter der Uni loskettete. Ziemlich brauchbare Fakten und zwei Tipps, die ich für meine Arbeit nutzen konnte und schon nachgeschlagen hatte. War ich nicht gut?

Jetzt auf zum Drogeriemarkt und dann zur Arbeit – um halb zwei sollte ich bei W&L sein! Ich schwang mich aufs Fahrrad und musste schon an der nächsten Ecke scharf bremsen, weil ich beinahe einen Mann angefahren hätte. Hoppla, den Kerl, der mich jetzt so giftig anfunkelte, kannte ich doch? War das nicht der Typ, den ich gestern so freundlich gegrüßt hatte, weil ich nicht wusste, wie ich ihn einordnen sollte? Heute im Anzug, sehr elegant. Und mit Aktentasche. Gutes Gesicht übrigens, aber miesepetrig.

„Sorry“, fauchte ich, „aber Sie hatten Rot!“

„Sie könnten auch gucken, wo Sie hinstrampeln“, schnauzte er zurück, sah mich mit einem merkwürdig durchdringenden Blick an und ging weiter. Ich sah ihm nach, wie er einige Leute grüßte, die ihm entgegenkamen und die ihn richtig schleimig anlächelten. Örtlicher Chef oder so? Vielleicht vom Jeansladen an der Ecke? Musste so einer dann nicht seine eigenen Jeans tragen? Und zu möglichen Kunden netter sein? Immerhin hatte ich im Horizont auch schon mal was gekauft – aber in letzter Zeit nicht mehr, das Zeug hatte wirklich eine mäßige Qualität.

„Willst du hier übernachten oder was?“, raunzte jemand von hinten, und ich stieg wieder aufs Fahrrad. Man traf jemanden ja immer dreimal, hieß es. Dann würde ich diesen Kerl ab jetzt nie wieder sehen.

Auch gut, der schien ja arg finster drauf zu sein. Aber ein wirklich gutes Gesicht: lange, schmale Nase, energisches Kinn, hübscher Mund. Ein bisschen faltig vielleicht. Jung war der nicht mehr, er wurde ja auch schon ziemlich grau. Typisch für die dumme Isi, ärgerte ich mich beim Weiterradeln, verguckt sich in einen, den sie a) nicht kennt, der b) zu alt ist und der c) sie nicht leiden kann. Aber der Typ hatte mir irgendwie schon gefallen.

Wer gut Deutsch kann, sagt nicht irgendwie. Was hatte mir an dem Mann eigentlich so ins Auge gestochen – das Gesicht? Die langen Beine? Solche gab´s doch wie Sand am Meer, sogar der spillerige Olaf hatte lange Beine. Die schlechte Laune? Die grauen Haare? Die Augen? Die hatte ich ja gar nicht richtig gesehen, vielleicht waren sie klein, tückisch und von undefinierbarer Farbe.

„Vergiss es“, mahnte ich mich selbst, „du hast wirklich Wichtigeres zu tun. Einkaufen und dich bei W&L unentbehrlich machen, zum Beispiel. Und aufräumen, Geld verdienen, ausmisten, die Diss fertig schreiben. Sandra trösten, Petra einen idiotensicheren Job besorgen, Mama aufhetzen, damit sie Papa mal die Meinung sagt.“

Unmögliches sollte ich eigentlich gleich wieder von der Liste streichen – die letzten beiden Dinge etwa. Etwas außer Atem kam ich vor dem Drogeriemarkt an, schraubte wieder mit der Kette herum und ging schwelgen.

In Gelbgrün gab´s die nettesten Sächelchen, nicht nur Duschbad und Bodylotion, auch ein passendes Deo, ein Shampoo, einen Lippenbalsam, ein Behältnis aus gefrostetem Glas für mein bisschen Schminkkram – und einen Satz Handtücher, der richtig ordentlich aussah!

Und einen Fünferpack Ladyrasierer für die Schienbeine und die Achseln. Den letzten rosa Rasierer konnte ich ja ins Schränkchen tun, als eiserne Reserve. Und alles andere, das farblich nicht passte, kam da auch rein, die Zahnpastatube zum Beispiel. Es sei denn, ich fand eine rein weiße... Ha, eine blassgelbe Zahnbürste! Gekauft. Und einen Krimi, Mörderische Studien. Sogar von W&L. Umsatz pushen, das war direkt eine gute Tat. A. Falk sagte mir zwar nichts, aber die Rückseite las sich viel versprechend – die erste Leiche wurde im Seminarraum gefunden, unmittelbar vor Beginn des Kurses bei dem gefürchteten Professor Bieglauer. Historiker sollten das wohl sein... Na, mal sehen, ob der Autor wusste, wie es hier zuging!

Zu Hause dekorierte ich das Bad liebevoll, hängte die neuen Handtücher auf (natürlich ohne sie vorher zu waschen) und freute mich an diesem Anblick. Fast wie bei reichen Leuten – oder wenigstens bei ordentlichen berufstätigen Menschen. Keine Spur von studentischer Schlamperei, solange man nur ins Bad guckte. Danach zog ich mich sorgfältig um (Business-Look) und machte mich wieder auf die Socken. Bei W&L wurde ich freundlich empfangen; ich lieferte bei Frau Fries meine Ersatzlohnsteuerkarte ab und ging Frau Kasparek suchen, die ich gerade mit einer Kiste kämpfend vorfand.

„Lassen Sie mich!“, rief ich sofort (unentbehrlich! Goldmarie!) und nahm ihr die Kiste weg. „Ich bin sicher, Sie sollen so was nicht machen.“

„Stimmt“, gab sie schwer atmend zu, „aber das Ding nervt, seitdem ich hier bin. Ich möchte endlich wissen, was da eigentlich drin ist. Schaffen Sie´s, sie auf den Tisch da zu wuchten?“

Sauschwer, aber ich konnte jetzt natürlich nicht schwächeln. Dafür war mein Business-Outfit hinterher komplett eingestaubt. Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich im Blaumann aufgelaufen, ärgerte ich mich kurz. Ich klopfte mich ab und half Frau Kasparek, die Kiste zu öffnen.

Manuskripte, lauter Manuskripte, geheftet, gebunden, in Klarsichthüllen.

„Lieber Gott, hat die überhaupt jemals jemand angeschaut?“, stöhnte Frau Kasparek auf. „Diese Kerle! Bevor ich hier angefangen habe, hat anscheinend jeder alles, was er nicht machen wollte, hier drin versteckt. Ein Wunder, dass der Verlag noch nicht pleite ist. Da könnten die totalen Bestseller dabei sein! Und jetzt haben die bestimmt woanders abgeschlossen. Als ich hier angefangen habe, hab ich schon mal so was gefunden, da ist uns wirklich was durch die Lappen gegangen. Packen wir sie alle auf den Tisch, und die leere Kiste kommt weg. Mit Kisten fangen wir erst gar nicht mehr an.“

Dreißig Stück waren es bestimmt, und während Frau Kasparek telefonierte, für einen streng aussehenden Brillenträger etwas heraussuchte (und ihn wegen der Kiste ausschimpfte, was ihm aber nur ein Grinsen entlockte), einige Schreiben tippte, ausdruckte und in eine Unterschriftenmappe steckte und zwei Manuskripte von ihrem Schreibtisch kuvertierte, sah ich den Stapel flüchtig durch. Manches hörte sich sehr schräg an, zum Beispiel eine Science-Fiction-Geschichte mit schleimigen Aliens. Dabei musste ich sofort wieder an die Maden-WG denken, schleimig, weißlich, unappetitlich.

Zwei Kriminalromane sollte man vielleicht mal durchsehen, fand ich nach dem ersten Blick. Und da, ein Regency-Softporno. Hm, so was war ja manchmal ganz lustig...

Frau Kasparek sah mir über die Schulter. „Das kann gleich weg. Sie dürfen es gerne lesen, wenn Sie Lust haben – zu Hause natürlich – aber dieser Markt ist fest in der Hand der Amis. Wenn das Ding nicht einen besonderen Kick hat, müssen wir mit so was gar nicht erst anfangen.“

„Ich muss zugeben, ich würde die alle gerne lesen“, gestand ich, „aber dafür bin ich ja wohl nicht eingestellt worden. Darf ich mir heute Abend wirklich eins mitnehmen? Wenn es Quatsch ist, können wir es wenigstens wieder zurückschicken.“

„Klar. Gute Idee. Übrigens können wir uns ruhig duzen, so unter uns Magistern und Putzteufeln. Ich heiße Xenia.“ Sie hielt mir die Hand hin, und ich schlug ein. „Isi. Eigentlich Isabella, aber so hat mich noch niemand genannt.“

„Okay, Isi. Machen wir´s so: Der Kasten mit den Zetteles da drüben müsste entrümpelt werden. Werbung in den Müll, den Rest vorsortieren, Briefe in die entsprechenden Akten, soweit vorhanden. Wo du unsicher bist, zeigst du´s mir eben erst. Und wenn das Ding mal weg ist, kannst du eine kleine Lesepause einlegen. Vielleicht mit einem verdächtigeren Machwerk. Im Glücksfall sagst du nach zehn Seiten Schlechtes Deutsch, noch schlechtere Story, und wir können das Ding zurückschicken. Peinlich, das Zeug müssen wir 2000 oder noch früher gekriegt haben. In einem Monat ist der Haufen dann weg. Beim Lektor oder im Postausgang. Ich will hier klar Schiff haben, bevor ich in den Mutterschutz muss.“

Klang vernünftig, aber der Kasten war randvoll. Ich fand ungefähr hundert Schreiben, die zum größten Teil in der Hängeregistratur landeten, noch einmal so viele Werbeanschreiben mit den abstrusesten Vorschlägen, einige Einladungen an Dr. Scherer, die längst Vergangenheit waren (Xenia schnaubte: „Der schmuggelt die hier rein, damit er sagen kann, er hat nix gekriegt, und nicht hingehen muss. Und Alexander ist kein bisschen besser. Wie sich Max und Moritz die Öffentlichkeitsarbeit vorstellen! Na gut, da – und da – und da auch, da muss man wirklich nicht hingehen. Aber diese Veranstaltung zur Leseförderung im Februar und dieser Abend an der Uni im März, wo wir doch so viele wissenschaftliche Werke haben, das hätte wirklich jemand wahrnehmen müssen. Denen werd ich was erzählen!“

„Ich will aber nicht, dass du Ärger kriegst!“, wandte ich erschrocken ein.

„Unsinn, die sind´s gewöhnt, dass ich sie runterputze, das mögen sie sogar. Ich hebe mir die da auf, den Rest kannst du in den Schredder stecken.“

Ich suchte weiter und hatte gegen vier den Kasten tatsächlich leer, putzte ihn und stellte ihn wieder auf. Dann durfte ich für einige neue Autoren und Vorgänge frische Hängemappen anlegen und schließlich mit den Manuskripten aus der Kiste spielen. Zwei konnten sofort wieder zurück, sie waren mehr als seltsam und obendrein grauenvoll schlecht geschrieben, und ein drittes Machwerk sollte wohl ein Schlüsselroman sein, aber so durchsichtig, dass wir bestimmt (hach, wie selbstverständlich ich schon wir dachte!) sofort eine Flut von Klagen am Hals gehabt hätten. Xenia sorgte dafür, dass ich einen eigenen Account bekam, dann zeigte sie mir, wo ich solche Dinge wie Ablehnungsschreibenvorlagen auf der Festplatte fand und wo ich meine eigenen Schreiben speichern sollte, damit jeder darauf zugreifen konnte. Schick, ein eigener Schreibtisch und ein eigener Rechner!

Ich schrieb also drei Ablehnungen mit dem üblichen heuchlerischen Vielleicht bietet sich Ihnen eine andere Möglichkeit der Veröffentlichung, druckte sie aus und durfte sie sogar selbst unterschreiben, obwohl ich doch bloß die Putzmaus war.

„Unsinn“, sagte Xenia, „du sollst mich entlasten und du hast einen M.A. in Germanistik, genau wie ich. Wenn du erst mal promoviert hast, hast du akademisch sogar mehr zu bieten als ich. Klar kannst du ein Manuskript beurteilen. Am Anfang reicht´s doch, wenn du den ganz groben Mist aussortierst. Wenn du nicht sicher bist, zeigst du´s mir eben. Die Dinge, bei denen ich´s auch nicht sicher weiß, geben wir an Kathrin Horst weiter, die ist Lektorin und hat ein unfehlbares Urteil. Aber bis jetzt waren wir uns immer ziemlich einig.“

„Wenn du meinst...“ Ich kuvertierte die drei abgelehnten Machwerke und warf sie in den Ausgangskorb, dann sortierte ich einigen herumliegenden Kram ein, räumte meinen eigenen neuen Schreibtisch auf, beschriftete den mehrstöckigen und glücklicherweise leeren Ablagekorb neu, putzte die Arbeitsplatte, besorgte mir Klarsichthüllen aus der Materialausgabe und nahm mir das nächste Manuskript vor.

Aha, historisch. Spielte im Frankfurt des 19. Jahrhunderts, und der Schurke sollte ein finsterer jüdischer Bankier sein. Ich las das erste Kapitel, machte mir zunehmend ungehalten Notizen, blätterte den Rest durch und las den Schluss. Der blonde Held hatte gesiegt und alle dunkelhaarigen Schurken überführt.

„Und, wie ist es?“, fragte Xenia.

„Ein bisschen Soll und Haben und ein bisschen Stürmer. Widerwärtig. Und verdammt viele Grammatikfehler. Wenn einer schon so ekelhaft deutschtümelnd drauf ist, sollte er doch wenigstens vor der deutschen Grammatik Respekt haben, wenn schon nicht vor den Menschenrechten.“

„Absage. Du kannst ruhig was Böses dazu schreiben, aber zeig´s mir dann. Warum geht Rechtsradikalismus eigentlich immer mit bodenloser Dummheit Hand in Hand?“

„Weil die Ideologie schon so bescheuert ist? Aber ganz stimmt das auch nicht. Wenn man an diese Nazibagage damals denkt, so richtig schlicht gestrickt waren die alle leider auch nicht, sonst hätten sie wohl kaum so viel geschafft.“

„Auch wieder wahr. Aber dem sagen wir ab, solchen Mist verlegen wir nicht.“

Ich verfasste einen subtil unverschämten Absagebrief, las ihn bewundernd durch und reichte ihn dann Xenia, die sich ein anderes der Manuskripte vorgenommen hatte. Sie pfiff vergnügt, als sie ihn durchgelesen hatte. „Sehr gut. Und raus damit. Hach, ist das eine Wonne! Vor dir hatten wir hier eine, die konnte so was nicht selbst, der musste ich alles diktieren. Und die Tatsache, dass jemand ein richtiges dickes Manuskript verbrochen hatte, fand sie so beeindruckend, dass sie nie etwas hätte ablehnen können.“

Da steckt doch so viel Mühe drin?“

„Kennst du die? Genau. Mühe alleine garantiert aber noch keine Qualität und verkauft sich auch nicht. Wie bei Magnus in der Schule: Ich hab aber doch so viel gelernt, wieso hab ich dann eine Fünf?

Ich kicherte. „Oder jetzt grade eben, die Olympiabewerbung von Leipzig: Wir haben unser Bestes getan und alle Vorgaben so gut wie möglich erfüllt, wieso kriegen wir nicht den Zuschlag? Das Beste ist eben manchmal nicht gut genug.“

„Deutsche Winselei oder spätpubertäre Reste, schwer zu entscheiden. Jedenfalls braucht man hier eine gewisse Härte, sonst vertut man sinnlos die Zeit der Lektoren. Die sollen ja bloß die Crème de la crème lesen und ansonsten die vorhandenen Autoren betreuen. In den Hintern treten und trösten, abwechselnd. Den Schotter müssen wir schon vorher aus dem Weg räumen. Oh Mist! Alexander hat um sechs noch einen Termin, ob er daran gedacht hat?“

Sie griff zum Hörer; ich steckte mir das Regency-Machwerk in die Tasche und packte den restlichen Stapel auf meinen Schreibtisch, so dass man den Besprechungstisch entstauben konnte.

Sehr ordentlich! Auch Xenia sah sich billigend um: „Schaut schon viel besser aus, und das nach einem Tag! Mal sehen, was wir morgen alles schaffen. Wenn du noch bei Kräften bist, nehmen wir uns diese beiden Klarsichthüllen noch vor, und dann gehen wir nach Hause. Dann hast du fünfeinviertel Stunden gearbeitet, das sind immerhin zweiundfünfzigfünfzig.“

Damit war ich sehr einverstanden. Die Klarsichthüllen enthielten je ein, zwei Briefe, die in die Akten gehörten, und eine Menge alberner Werbung. Im Handumdrehen war alles leer, die Hüllen kamen in den Materialschrank und wir sahen uns zufrieden an. „Die Hängeakten sind zum Teil ganz schön voll“, schlug ich vor, „vielleicht kann ich morgen einiges in die Ordner packen?“

„Au ja, das wäre wirklich mal eine Erleichterung“, seufzte Xenia und packte Kram in ihre Tasche. „So, für heute war´s das. Super, ehrlich. Mit dir kann man prima zusammenarbeiten.“

Tödliches Monogramm

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