Читать книгу Tödliches Monogramm - Elisa Scheer - Страница 12
Juni 2004 I
ОглавлениеDas Glück schien mir weiterhin hold zu sein – bei W&L wurde mein Urteil schon nach der ersten Arbeitswoche geschätzt; Xenia und ich brachten die Ablage so richtig in Ordnung und tüftelten gemeinsam einige arbeitssparende Verfahren aus. Außerdem nötigten wir den Schlampern das Versprechen ab, nichts mehr bei uns zu verstecken, sondern uns sämtliche eingehende Manuskripte und sonstige Post offen hinzulegen, sofern sie sie nicht selbst zu erledigen gedachten.
„Und erledigen bedeutet nicht, das Zeug einfach unter einen Stapel zu stopfen und es dann zu ignorieren!“, fügte Xenia erbittert hinzu.
Ich bastelte zu Hause, wenn ich nicht gerade weiter etwas stockend an meiner Arbeit schrieb, an dieser Übersetzung aus dem Französischen und entdeckte zu meiner Verblüffung, dass mir die Sache direkt Spaß machte, sie allerdings recht schundig bezahlt wurde. Dazwischen las ich Manuskripte, damit sie schnell weitergeleitet werden konnten, telefonierte mit Petra, die immer noch ihren Doch-nicht-Chef anbetete, obwohl er sich natürlich als verheiratet entpuppt hatte, schrie einmal täglich die Maden an, weil sie Krach machten und/oder das Treppenhaus verstänkerten, und pusselte in meiner Wohnung herum, die mittlerweile richtig gepflegt wirkte.
So konnte es weiter gehen, fand ich. Damit, dass Falkenstein ein begeisterter Familienvater war, hatte ich mich abgefunden, auch wenn er nicht nur schön, sondern auch furchtbar nett war. Irgendwo gab es so was auch für mich, da war ich sicher. Und soo dringend war die Frage schließlich auch noch nicht. Meine ersten Einkünfte nutzte ich, um mein Konto ins Plus zu bringen; außerdem verkaufte ich alle Bücher, die ich nicht mehr mochte, in der Lesefabrik und brachte das doofe Goldarmband von meiner Großmutter väterlicherseits (der alten Hexe, die Papa zu dem Widerling gemacht hatte, der er jetzt war) zu einer Ankaufstelle. Immerhin, zweihundertfünfundzwanzig Euro! In meinem finanziellen Überschwang richtete ich mir gleich ein kleines Depot ein. Vielleicht wurde ich eines Tages noch reich, wenn ein neuer Börsenboom kam?
Den Prinzenpark-Mord hatte ich weitgehend vergessen, und mir schien, die Polizei und die Presse auch, jedenfalls hörte man nichts mehr davon, dabei war es jetzt ziemlich genau einen Monat her.
Thilo hatte sich bei W&L nicht blicken lassen, genau wie Philipp es prophezeit hatte, er schlich abwechselnd gedrückt herum oder war in Hochstimmung, weil seine Sorgen angeblich bald ein Ende haben sollten. Olafs fünfzig Euro hatte er allerdings immer noch nicht zurückgezahlt, und immer, wenn ich nach Hause kam und die Madentür zufällig offen stand, hörte ich, wie die beiden sich stritten, untermalt von Hubis gereiztem Brummen. Hubi wollte wahrscheinlich in Ruhe fernsehen nach einem harten Tag mit Biertragerln und nicht hören, wie Olaf Thilo zu erziehen versuchte.
Ein Esel schimpft den anderen Langohr, dachte ich mir dabei regelmäßig und hielt mir den schleimigen Olaf, das Hemd über der weißen Brust bis zur Taille offen, die dunklen Haare zu lang, das Lächeln ölig, vor Augen: War er denn besser, er mit seinem obskuren und garantiert halb kriminellen neuen Job? In einem Verlag war er jedenfalls nicht tätig!
Wenn ich nicht aufpasste, wurde ich noch zur totalen Pharisäerin.
Heute war es drüben erstaunlich still, die Tür war zu, und im Treppenhaus stank es fast überhaupt nicht. Seltsam, Thilo musste doch da sein, auch wenn die anderen ihren nebelhaften Beschäftigungen nachgingen?
Achselzuckend trug ich meine Unitasche und meine Einkäufe nach drinnen und stapelte die Kopien, die ich vor der Arbeit ergattert hatte, auf dem Schreibtisch auf. Auch gut, wenn ich nicht an die Wand hämmern und nicht im Treppenhaus herumzetern musste, sparte ich viel Zeit. Dann konnte ich auch endlich mal wieder Sandra anrufen, die hatte ich ziemlich genau seit einem Monat nicht mehr gesehen.
Sie war sogar zu Hause und klang bedrückt. Ich ärgerte mich sofort heftig über ihre Eltern – da hatten sie eine (naja, zwei, aber Toni kannte ich kaum) liebe, gescheite, vernünftige und hübsche Tochter, die es im Leben zu etwas gebracht hatte und wirklich ein Grund war, stolz zu sein, und was taten sie? Jammerten einem Kind nach, das sie vor fast zehn Jahren verloren hatten. Du interessierst uns nicht, Adrian war unser Lebensinhalt. Blödes Pack!
„Ich glaube, mit Flo ist es bald vorbei“, erzählte sie und schniefte.
„Ach herrje. Weinst du?“
„Natürlich nicht!“, widersprach sie entrüstet, „ich krieg bloß einen Schnupfen, glaube ich. Ich hab doch nie damit gerechnet, dass das mehr wird als ein bisschen Spaß im Bett. Jetzt fängt er halt zu meckern an. Typische Abseiltaktik.“
„Was hat er denn zu meckern?“, regte ich mich auf. „Der soll froh sein, dass er einer Frau wie dir die Füße küssen darf!“
Sie kicherte kurz. „So abgedreht sind wir beide nicht. Ach, er findet, dass ich manchmal so trübsinnig drauf bin, wo´s mir doch gut geht. Ich hab doch echt nichts zu jammern, sagt er. Guter Job, gesund, kein sexueller Notstand...“
„Hat er das echt so gesagt?“
„Nö, das ist meine Zusammenfassung. Und dann hat er über den Notstand noch mal nachgedacht und jetzt bildet er sich ein, ich wäre mit ihm irgendwie unzufrieden und wollte es bloß nicht sagen. Dieser Trottel!“
„Und, bist du unzufrieden?“ Mein Grinsen konnte man wahrscheinlich durchs Telefon hören. „Blödsinn, er ist super im Bett. So gut war´s noch nie, und ich kann ja nun wirklich vergleichen.“
Ja, Sandra hatte nie Schwierigkeiten gehabt, Lover für jeden gewünschten Zeitraum zu finden. „Aber sonst... manchmal wünsche ich mir schon einen, mit dem ich über so was auch reden kann, aber Männer denken ja dann doch, das man eine Heulsuse ist. Nee, lieber cool bleiben. Ist ja auch egal. Sag lieber, wie´s dir geht!“
„Ich hab Oma Zentgrafs blödes Goldarmband verscheuert und mir dafür Fondsanteile gekauft“, erzählte ich als erstes, weil ich nur an Familienknatsch denken konnte. „Sehr gut! Die war doch so ein Besen, oder?“
„Ja, ich glaube, wegen ihr ist Papa so ein Arschloch geworden. Von der will ich nichts im Haus haben, nachher verursacht das noch üble Schwingungen.“
„Oder verströmt eine schwarze Aura“, kicherte Sandra.
„Jedenfalls fühle ich mich jetzt besser. Und im Verlag läuft auch alles gut und die Diss ist bald fertig, denke ich. Das Übersetzen ist etwas mühsam, aber lustig.“
„Welches Übersetzen?“
Ach ja, wir hatten ja ewig nicht mehr telefoniert. „Ich übersetze ein französisches Machwerk ins Deutsche. Bezahlt“, betonte ich, musste dann aber doch lachen. „Um der Wahrheit die Ehre zu geben: lausig bezahlt, aber immerhin. Langsam hab ich Standbeine wie ein Tausendfüßler. Aber das ist ja ganz egal. Sandra, warum sprichst du mit Flo nicht über deine Probleme? Versuch´s doch! Ich meine, bevor du die Sache untätig den Bach runtergehen lässt? Superlover wachsen schließlich nicht auf Bäumen.“
„Ich kann so was nicht, da komme ich mir so schwächlich vor. Ich meine, ich müsste doch langsam mal drüber weg sein, oder? Achtundzwanzig und leidet, weil die Eltern sie nicht lieben, das hört sich doch bescheuert an!“
„Deine Eltern müssten mal drüber weg sein, die sind unfähig, nicht du“, schimpfte ich. „So was prägt einen doch, darüber kann man doch reden!“
Und das von mir – Alex hatte ich auch nicht erzählt, wie übel mein Vater drauf war. Hätte ihn auch kaum interessiert. Aber Alex war auch kein Superlover gewesen, bei mir jedenfalls nicht. Vielleicht bei den beiden anderen? Ich nahm mir vor, diesem Flo mal reinen Wein einzuschenken, ganz im Vertrauen natürlich. Er war doch ein netter Kerl, und einen Versuch war´s wert. Morgen nach Weinzierl, er war Hilfskraft bei einem VWL-Prof, da fand ich ihn bestimmt.
„Petra hat mir die Ohren vollgesülzt“, wechselte Sandra energisch das Thema. „Was ist das für ein Typ, der sie da verarscht?“
„Einer, der sie dann doch nicht eingestellt hat. Und verheiratet. Die übliche Katastrophe“, berichtete ich. „Und Job hat sie auch keinen, so weit ich weiß. Wovon lebt die Frau eigentlich? Letzten Monat haben sie ihr die Karte gezwickt, und ich glaube nicht, dass sie bei ihrer Bank jetzt lieber gesehen wird, solange sie nicht mit Bargeld rüberkommt.“
„Nee, einen Job hat sie wieder. Ganz komisch, aber genau das Richtige für sie...“
Die Kunstpause hieß Rate mal. Also riet ich: „Nobles Schuhgeschäft?“
„Bingo. Frisch eröffnet, nur die edelsten Marken, sie war am ersten Tag drin – obwohl ich auch nicht weiß, von welchem Geld sie die Schuhe bezahlen wollte – und hat den etwas hilflosen Geschäftsführer so tatkräftig unterstützt, dass er ihr einen Job angeboten hat. Und jetzt darf sie da den Bürokram machen und ausgewählte Kunden beraten. Und stell dir vor: ganz unglaublich!“
„Sag bloß, sie hat noch nichts angestellt? Keine Lieferung im Regen vergessen, den Laden nicht abgefackelt, keinen Kunden über Nacht eingesperrt?“
„Genau. Sagt sie wenigstens. Sie sagt, das ist der netteste Chef, den sie jemals hatte, der schimpft gar nicht. Entweder ist der total schwächlich drauf, oder sie hat wirklich noch keinen Mist gemacht.“
„Ich kann´s mir schon vorstellen. Bei Schuhen vergisst sie auch nichts! Weißt du noch, wie wir mal rauskriegen wollten, wann diese grässliche Party gewesen war, wo es diese furchtbare billige Bowle gegeben hatte und wir alle auf dem Heimweg in fremde Vorgärten gekotzt haben? Petra hat´s gewusst, weil sie sich die ziegelfarbenen wildledernen Guccis (oder was auch immer) dabei angepatzt hat, und die waren noch ganz neu gewesen und sie hatte sie am zehnten November 1998 gekauft, beim Räumungsverkauf von Schlagmichtot. Das nenne ich Präzision! Sie weiß nicht, wo sie wohnt und was sie arbeitet, aber sie weiß auf die Stunde genau, wann sie ihre Prada-Loafers und die Jourdan-Pumps gekauft hat. Inklusive Pflegetipps und den besten Bezugsquellen für wirklich gute Schuhspanner.“
Sandra lachte. „Stimmt. Wenn ihr was Spaß macht, kann sie. Und wenn nicht, ist sie wie Alzheimer im letzten Stadium.“
„Dann ist dieser Laden doch der totale Glücksgriff. Gibt´s da womöglich auch noch Taschen und Tücher und all diesen Krempel? Das liebt sie doch auch so.“
„Ich glaube schon, jedenfalls hat sie von diesem Laden nur geschwärmt. Ihren Uli erwähnt sie überhaupt nicht mehr, schon seltsam. Dafür hat sie dauernd über ihren doofen Lover gejammert. Wenn sie gescheit ist, schießt sie ihn in den Wind und schnappt sich diesen windelweichen Geschäftsführer, dann können sie im Bett wenigstens über Schuhe reden“, schlug Sandra vor.
Ich gackerte in den Hörer. „Oder sie muss im Bett meterhohe Pumps tragen. Manche Kerle macht so was ja auch an!“
„Oops“, äußerte Sandra, „apropos anmachen... Was ist denn das für ein Kerl, der einen Laden für Damenschuhe führt? Vielleicht trägt er in seiner Freizeit ja selbst welche?“
„Schwul, meinst du? Pech für Petra“, kommentierte ich eher ungerührt. „Aber nicht verwunderlich, sie hat ja ein Händchen für Fehlgriffe, und sie selbst wäre die erste, das zuzugeben. Weißt du noch, dieser Guruverschnitt? Wo sie uns zu Yoga und Rebirthing bekehren wollte?“
„Und dieser alte Knacker, die Vaterfigur? Bei dem dann nichts mehr lief, und angeblich war es ihre Schuld?“
„Grässlicher Kerl. Wir sollten uns mal wieder treffen, im Ratlos oder bei Fabrizio, und Petra gründlich aushorchen“, schlug ich vor. „Samstag? Ich denke, da hab ich gut Zeit, Flo sehe ich erst wieder am Dienstag.“
„Samstag... das ist der fünfte, oder? Passt mir gut. Rufst du Petra an?“
Sehr schön, ein unterhaltsamer Samstag. Und morgen bloß noch Weinzierl und ein bisschen Uni, vielleicht zur Bank und in der Uni nach Flo suchen, um ihm ein paar Tipps zu geben. Heute war Sandra schon wieder ziemlich munter gewesen, wenigstens gegen Ende unseres Gesprächs. Sie brauchte einfach viel Ablenkung, damit sie ihre schauerliche Mischpoke vergaß. Ihrer Schwester gelang es doch auch! Die heiratete sogar, ohne ihre Eltern einzuladen. Die ging sogar nach Frankreich, um Distanz zu schaffen!
Nebenan war es immer noch verdächtig ruhig. Ich sollte die Gelegenheit nutzen, beschloss ich, und schlug die Übersetzung auf, die ich immer noch nicht fertig hatte.