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IV

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Die Sache war gestorben, jawohl. Warum ich am nächsten Tag nicht nur wieder eine Zeitung kaufte, sondern sogar noch die vermutliche Mordstelle (oder war Fundort nicht gleich Tatort? Fernsehkrimis schulten eben doch nur bedingt) inspizierte, wusste ich auch nicht. Jedenfalls war die Stelle mit den üblichen gelben Bändern abgesperrt und vereinzelte Spaziergänger blieben immer wieder etwas scheu stehen und guckten. Ich machte es genauso, zerrissen zwischen ordinärer Neugierde (ja, okay, Sensationsgeilheit) und der Verlegenheit darüber, dass man sich zu eben dieser Sensationsgeilheit hinreißen ließ. Zu sehen war natürlich nichts. Entweder gab es nichts zu sehen, oder alle möglichen Spuren befanden sich unter dieser schwarzen Plane. Hatte es überhaupt Spuren gegeben? Die Zeitung hatte sich gehütet, etwas über die Todesursache zu schreiben, also hatte es wohl wenig Zweck, sich Ströme von Blut vorzustellen. Vielleicht war der arme Junge ja auch erwürgt worden oder erschlagen.

Eine ältere Frau in Lodenmantel und Trachtenhut, einen silbergrauen Pudel an der Leine, starrte ganz unverhohlen auf die Plane. Ich rümpfte die Nase, setzte mich auf eine Bank ein wenig abseits und vertiefte mich in die Zeitung. Aha, jetzt wussten sie, wie das Opfer hieß: Tobias Bensdorf, vierundzwanzig, Student. Informatik. Und wie üblich keine Feinde, keine riskanten Aktivitäten, völlige Ahnungslosigkeit der Angehörigen.

Ich blätterte weiter – neue Krise im Rathaus, gestiegene Müllbeseitigungskosten, das Stadttheater forderte höhere Zuschüsse, in Rothenwald war bei einer älteren Dame eingebrochen worden, die ganz alleine in einer Riesenscheune zu leben schien (selbst schuld), und die Firma Hamm hatte einen Industriepreis für gutes Design bekommen. Hamm - nie gehört. Wahrscheinlich produzierten sie irgendwelchen unnützen Wohnschnickschnack. Nein, halt, da stand es ja – Taschen und andere Lederwaren. Mit Abbildung. Tatsächlich, gar nicht hässlich. Das wäre was für Petra, dachte ich und grinste vor mich hin.

Ein Mann ging vorbei und musterte mich strafend. Ich sah ihm arglos ins Gesicht, schließlich saß ich hier ja nur so – was, ein Mord? Musste ich verpasst haben. Sehr glaubhaft, mit diesem Revolverblatt in der Hand!

Kein schlechter Typ, überlegte ich und sah dem kräftigen Rücken nach, der Missbilligung auszustrahlen schien. Nicht mehr wirklich jung, aber das schadete gar nichts – mir gefiel es, wenn sich ehemals dunkles Haar langsam mit Grau durchzog. Gar so kurz geschoren hätten die Haare vielleicht nicht sein müssen, und mit Brillenträgern hatte ich es auch nicht so, seitdem Maxi damals in der elften mich mit seiner blöden Hornbrille beim Küssen dauernd gekratzt hatte.

Gute Lederjacke, darunter Jeans. Lange Beine und keine peinlichen Schuhe, sondern Lederstiefel. Ich hatte mal einen ansonsten gut aussehenden Kerl gesehen, der Moonboots getragen hatte – gestorben. Sofort gestorben. Eine naheliegende Gedankenverbindung ließ mich meine eigenen, leider schon etwas abwetzten Penny Loafers studieren, und als ich wieder aufsah, war der Kurzgeschorene weg. Egal, ich hatte ohnehin noch anderes zu tun, als Passanten zu begaffen. Und die Mordstelle – wenn sie es denn war – gab auch nichts her. Was hatte ich eigentlich erwartet?

Als ich nach Hause kam, stand die Tür der WG offen, und die Maden zankten sich lautstark. Irgendwer hatte mal wieder irgendwas nicht gemacht...

„Von euch macht doch nie einer irgendwas“, kommentierte ich, als ich meinen Schlüssel aus der Tasche fischte, „warum regt ihr euch also überhaupt noch auf? Oder ist euch das Bier oder Gott behüte das Gras ausgegangen?“

„Tu nicht so, als wären wir dauernd bekifft!“, schnauzte Hubi mich an. Ich lachte. „Nö – nicht immer, aber immer öfter, was?“

Außerdem roch es aus der Wohnung ziemlich streng – eine unglückliche Mischung aus alten Socken, ungespültem Geschirr, lange nicht weggetragenen Abfällen und in Grasrauch gebeizten Textilien.

„Lüftet doch mal, oder habt ihr Angst vor frischer Luft?“, fragte ich also.

Olaf lächelte langsam und spielte einer seiner langen dunklen Locken. „Nicht jeder ist so ein Frischluftfanatiker wie du... obwohl dir die zarte Röte sehr gut steht...“

„Lass den Quatsch, es ist eben noch etwas kühl draußen. Wer hat denn jetzt was angestellt?“

„Thilo, der Schnarchsack“, ereiferte sich Hubi. „Hat das Telefon schon wieder nicht bezahlt, und jetzt ist es abgestellt.“

Thilo würde gut zu Petra passen, überlegte ich. „Reichen euch eure Handys denn nicht?“

„Olaf kann einen Job kriegen, und wenn die ihn hier anrufen wollen und ihn nicht erreichen, ist der Job weg.“

Ich verdrehte die Augen. „Mir ist ja klar, warum euch keine will, aber so ohne Frauen kommt ihr echt nicht durch den Alltag, was? Olaf, ruf da an und gib denen deine Handynummer. Und dann lad deinen Akku auf und merk dir, wo du das Handy hingelegt hast. Und dann prügelt ihr den guten Thilo mal so richtig durch. Nein, nein, danke, der Rat war kostenlos. Schönen Tag noch!“

Ich knallte meine Tür zu, bevor Thilo sich auf mich stürzen konnte. Lebensunfähige Kerle!

Was konnte das wohl für ein Job sein? Geklaute Zigaretten verticken? Koksbeutel schlucken und damit irgendwo hinfliegen? Luxusschlitten in den Ostblock fahren, von wo sie nie zurückkämen? Olaf mit seinem etwas schmierigen Charme war genauso ein Kleinganove wie Thilo, da war ich mir sicher – und mit einem notgedrungen abgebrochenen Geschichtsstudium war keine legale Karriere zu machen. Ein Archiv aufräumen? Das wäre ja Arbeit! Und schlecht bezahlt obendrein, ich hatte mal für einen Prof. gejobbt, bei den Romanisten: Bücher aus der Bibliothek holen, Bücher zurücktragen, kopieren, sortieren, verstaubte Akten sichten, beschriften und dann doch in den Schredder stopfen... vier Euro netto die Stunde und saublöde Arbeitszeiten. Das konnte ich mir bei Olaf nicht vorstellen. Vielleicht wollte er Pornos drehen? Hübsch war er ja, auf seine etwas ölige Art. Aber irgendwie hatte ich trotz seiner fiesen Komplimente immer das Gefühl, dass er eigentlich schwul war. Gut, von mir aus auch Gay-Pornos. Sollte er doch heftig verdienen und sich dann endlich mal eine Putzfrau gönnen, ich hatte den Madenmief immer noch in der Nase. Durch die Wand hörte ich tatsächlich ein Handy klingeln, aufgeregtes Sprechen (verstehen konnte man nichts, so windig war die Bude auch wieder nicht) und dann das Zuknallen der Wohnungstür. Olaf auf dem Weg in eine gesicherte Existenz... haha. Hubi fuhr ja wenigstens Bier aus (und klaute ab und an ein Tragerl, vermutete ich) und Thilo sah aus wie einer, der Hehlerware vertrieb. Apropos Hehler – Raubdrucker waren momentan wichtiger! Ich vertiefte mich ungern wieder in Greiffs jammervollen Briefwechsel und die Geschäftsunterlagen aus den härtesten Jahren und kam tatsächlich ein gutes Stück voran, so gut, dass ich sofort wieder eine Pause einlegen musste, um zu überlegen, bei wem ich mich im Rigorosum prüfen lassen wollte. Und was ich nachher machen sollte.

Dumm, dass ich gar keinen einschlägigen Job hatte, ein Verlag oder so was sollte es ja eigentlich schon sein, nicht nur Ablagekrempel bei Weinzierl und EventMachine. Sandra war ja wirklich Betriebswirtin, also war sie bei Morberg auch gut aufgehoben. Apropos... ob sie sich von ihrem Blues wieder erholt hatte? Diese teuflischen Eltern! Das mussten jetzt schon bald zehn Jahre sein, dass sie nichts taten, als um Adrian zu trauern und ihre Töchter zu vernachlässigen!

Jetzt konnte ich sie aber noch nicht anrufen, sie war sicher noch in der Arbeit, und danach reagierte sie sich immer erst mal eine Stunde im Fitness ab.

Vielleicht keine blöde Idee, überlegte ich. Einen Stepper aufstellen und bei jedem Tritt denken, es sei Papas Gesicht... Papa, der gerade wieder schwadronierte, warum Mama dusslig war und zu nichts zu gebrauchen, warum Frauen ohnehin völlig überflüssig waren und eine gute Welt die Männer vor diesem Weiberterror schützen müsste... Jeder Tritt ein echtes Vergnügen, ich bekäme die muskulösesten Beine der Welt! Oder ein Sandsack mit einem Foto von Papa drauf – und dann immer voll in die Fresse...

Ich sollte mal Mama anrufen, sonst redete ja keiner mit ihr. Eigentlich fand ich diesen weinerlichen Ton zwar auch enervierend, aber das Mitleid überwog, also griff ich zum Hörer, hoffend, dass Papa noch in der Arbeit war. Oberamtmann bei der Stadtverwaltung, da konnte er sich gebührend wichtig machen! Mama war da und klang so atemlos, als habe sie auf ein wichtiges Gespräch gewartet. Als ich meinen Namen genannt hatte, freute sie sich, aber...

„Isilein, schön, dass du mal anrufst... ich muss nur gleich die Kartoffeln... für Papas Abendessen, du weißt ja...“

„Es ist doch erst vier?“, wandte ich ein, in seliger Ahnungslosigkeit, wie lange man Kartoffeln kochen musste. Ich nahm immer tiefgefrorene Bratkartoffeln, die gingen viel schneller. „Ja, aber die dauern doch!“, antwortete Mama prompt. „Soll ich dir nicht doch mal ein bisschen Kochen beibringen? Stell dir vor, wenn du doch noch mal heiratest, du hast doch sonst nichts wie Ärger mit deinem Mann, wenn er heimkommt und du hast das Essen nicht fertig!“ Ich seufzte. „Mama, ich hab nicht vor, mir freiwillig einen ins Haus zu holen, der mich dann nur anschnauzt. Und wenn, wer sagt denn, dass nicht er früher nach Hause kommt als ich? Dann kann er doch die Kartoffeln aufsetzen, oder?“

Ich sah das resignierte Kopfschütteln am anderen Ende förmlich vor mir: So kriegt sie doch nie einen ab! Wenn schon. „Wie geht´s dir denn?“, fragte ich also, um das Thema zu wechseln.

„Ach ja, ganz gut“, antwortete Mama, „dein Vater ist zur Zeit richtig freundlich zu mir. Deshalb will ich das ja auch nicht aufs Spiel setzen, indem ich das Essen nicht rechtzeitig...“

Ihre Stimme erstarb bescheiden und ich seufzte innerlich. Richtig freundlich, das hieß wohl, dass er seine sarkastischen Bemerkungen über ihre angebliche Dummheit auf die Hälfte reduziert hatte?

„Ich finde, er ist immer reichlich unhöflich zu dir“, widersprach ich also. „Zu mir auch, aber mir kann´s ja egal sein, ich gehe einfach nach Hause, wenn es mir zu blöd wird.“

„Ach nein, Isilein, nicht unhöflich. Schau, es ist doch verständlich, wenn er manchmal ungeduldig wird. Von seiner Arbeit“ – das sprach sie regelrecht ehrfürchtig aus, als hätte sie vor ihrer Heirat nicht selbst gearbeitet – „ist er es eben gewohnt, dass alles wie am Schnürchen klappt.“

„Versteh ich nicht“, entgegnete ich roh, „er arbeitet doch in einer Behörde. Da klappt doch garantiert nichts. Ich meine – Beamte, da weiß man doch...“

Mama kicherte zaghaft und widersprach dann pflichtgemäß. „Also, wo dein Vater arbeitet, klappt alles, da kannst du sicher sein. Und wenn ich dann etwas vergessen habe oder zu spät dran bin – ich bemühe mich ja, aber du weißt ja selbst...“

„Ja, dass sein Herumgeschnauze dich nervös macht. Mir ist´s ja früher genauso gegangen. Aber warum widersprichst du ihm nicht? Ich meine, es ist ja nicht so, dass er handgreiflich würde – oder etwa doch?“, fragte ich, plötzlich erschrocken. „Aber nein, Isilein. Seine Waffe ist die spitze Zunge, nichts sonst. Ihm widersprechen? Ich weiß nicht recht...“

„Verblüfft wäre er bestimmt“, versuchte ich sie zu locken.

„Ja, das wohl sicher...“ murmelte sie nachdenklich. „Du, Isilein, es tut mir Leid, aber ich muss jetzt wirklich in die Küche. Ruf mich mal wieder an, ich freue mich doch immer, von dir zu hören!“

Zack, aufgelegt. Ob sie jetzt darüber nachdachte, dem alten Tyrannen mal zu widersprechen? Oder verdrängte sie den aufmüpfigen Gedanken gleich wieder? Eher letzteres, stand zu befürchten. Wenn ich bloß daran zurückdachte, wie sehr er mich früher gequält hatte! Immerzu dieses Spitzen, ich sei doof, ich würde das Abitur sowieso nicht schaffen, ich sei hässlich und zu dick, so dass er mich nicht einmal einem Dummen andrehen könne, außerdem ungeschickt, zu dämlich für Hausarbeit... Zu dick war ich damals wirklich gewesen, lauter Frustspeck. Kaum hatte ich mich nach dem Abitur davon gemacht (in eine wirklich entsetzliche WG, aber schließlich war alles besser als Papas Tiraden), schmolzen die Pfunde fast von selbst dahin, solange ich keinen Freund hatte. Ein Mann in meinem Leben weckte sofort wieder meine Sehnsucht nach Super-Riesen-Familientüten Erdnussflips, und es gab bekanntlich fast nichts, das so dick machte – außer Buttercremetorte, die ich glücklicherweise nicht mochte. Bei Alex war es mir zum ersten Mal gelungen, mein Gewicht zu halten – er war so gar nicht dominierend gewesen. Bei mir wenigstens nicht, vielleicht bei den zwei anderen?

Mittlerweile hatte ich die Sache aber im Griff, ganz bestimmt! Und was Papa von mir dachte, war mir wirklich völlig gleichgültig. Richtig scheißegal. Mit tat ja nur Mama Leid, aber die musste sich selbst aus ihrer Lage befreien, ich konnte nicht mehr tun als diskret zu stänkern, genau wie Philipp, der ihr mal angeboten hatte, sie bei einer Scheidung zu vertreten, aber da hatte sie ihn nur völlig konsterniert angestarrt.

Wenigstens hatte ich zurzeit keine Erdnussflips im Haus und auch kein besonderes Verlagen danach. Gut, wenn ich mit der Diss. überhaupt nicht von der Stelle kam... aber Sandra, Petra und dieser obskure Mordfall lieferten mir genug Ablenkung. Und für den Notfall gab es immer noch meinen voll gestopften Schrank, den ich seit zwei Jahren mal ausmisten wollte. Da mussten neben vielem überflüssigen Kram auch alle Klamotten stecken, die ich schon ewig nicht mehr gesehen hatte.

Das war ja überhaupt die Idee! Wenigstens ein Fach konnte ich doch... und danach würde ich auch wieder weiter schreiben, ganz bestimmt. Schließlich musste ich ja ziemlich bald referieren, und darauf, dass die anderen meine Ansätze zerpflückten, war ich nicht unbedingt scharf.

Ein Fach, nur eins! Aber wenigstens das große, das oben über die ganze Breite lief, das lohnte sich bestimmt. Ich fegte alles heraus und setzte mich dann gemütlich auf den Boden, um zu stöbern. Ach, der komische violette Samthaarreifen! Wegwerfen oder aufheben, für feierliche Anlässe? Für die Promotionsfeier vielleicht? Aber violett... das passte doch zu gar nichts! Ich sollte Petra fragen, die konnte so ungefähr alles brauchen, die reinste Elster.

Und der blassrosa Pulli. Eigentlich ganz schön, erinnerte ich mich. Und teuflisch warm, die Garnmischung enthielt doch etwas zu viele Kunstfasern. Bei näherer Betrachtung war er auch schon reichlich verfusselt, und ich schleuderte ihn auf den Gang hinaus. Ach, das Seidentuch! Das war was für die Promotionsfeier! Oder für Events an meinen diversen Arbeitsplätzen. Waschen sollte ich es allerdings mal, es roch ziemlich muffig.

Das graugestreifte Sweatshirt – da war es! Und ich hatte vor Urzeiten Petra beschuldigt, es nicht zurückgegeben zu haben! Peinlich. Sollte ich sie anrufen?

Nein, sie hatte das Ganze doch ohnehin längst vergessen. Überhaupt, sie war dermaßen vergesslich, deutete das nicht wirklich auf Alzheimer hin? Aber in so jungen Jahren? Und wieso vergaß sie dann nie, wo es die schönsten Schuhe und Taschen gab? Nein, erst wenn ihr Namen wie Gucci, Prada oder Manolo Blahnik nicht mehr einfielen, musste ich mir Sorgen machen. Dass sie regelmäßig verpennte, Aufträge vergaß und keinen Kalender lesen konnte, war anscheinend normal. Aber dieser ominöse Julius oder Julian hatte Recht – sie brauchte eine Therapie. Oder einen Kurs oder was auch immer.

Das Sweatshirt landete in der Schmutzwäsche, zusammen mit etlichen Socken, zwei verdrückten, aber guten T-Shirts und einer merkwürdigerweise eng zusammengerollten hellgrauen Cordjeans. Erfreut stopfte ich alles in einen Plastikkorb – eine ganze Maschine voller grauer Sachen, die ich schon fast vergessen hatte, das war ja fast so gut wie Einkaufen! Da hatte ich morgen wieder quasi neue Sachen anzuziehen! Okay, übermorgen, der Kram musste auch noch trocknen. Ich schleppte alles in den Keller, fand eine freie Maschine, füllte sie und freute mich. Wenn ich so weiter machte, hätte ich eines Tages tatsächlich den Überblick über all meinen Krempel! Und genug anzuziehen! Wenn ich noch mehr gute Sachen fand, konnte ich mir mindestens einen Stadtbummel schenken (schade eigentlich) und so wieder Geld sparen.

Die nächsten Fundstücke stützten meinen Optimismus eher weniger – eine völlig verknautschte Seidenbluse, an der drei Knöpfe fehlten, die mir viel zu weit war und deren Farbe, ein düsteres Dunkelrot, ich abgrundtief scheußlich fand. Nein, außerdem konnte man sich an dem blöden Ding zu Tode bügeln, weg damit. Noch mehr T-Shirts, die nichts mehr taugten, verdrehte Nähte, dämliche Aufschriften, hässliche Farben, mehr breit als lang. Bestenfalls zum Schuheputzen zu verwenden, aber da genügte mir mein Schnellglanzschwamm.

Schließlich verlor ich die Lust; ein flüchtiges Herumwühlen verriet mir, dass keine besondere Beute mehr zu erwarten stand. Und außerdem wackelten mal wieder die Wände, weil die Maden Weißgottwas feierten. Anscheinend hatte Olaf seinen obskuren Job tatsächlich ergattert.

Und schon wieder diese Scheißmusik! Im Wohnzimmer war es geradezu unerträglich, die Bässe hämmerten auf eine Art, die einem Herzrhythmusstörungen bescheren konnte, und das dumpfe Gegröle im Hintergrund klang irgendwie nach Rammstein und die mochte ich schon gar nicht. Na, außer Steh auf, wenn du am Boden bist, das hatte was – sofern man das Gebrüll verstand. Aber irgendwie kamen die mir braun vor, und deshalb durfte man sie ja anstandshalber gar nicht mögen. Egal, das, was da jetzt lief, konnte man auch nicht mögen, das war einfach schlecht. Diese Maden! Kein Geld, kein Job, kein Hirn, kein Aussehen – und kein Musikgeschmack... eigentlich konnten sie sich genauso gut gleich erschießen.

Ich wütete eine Zeitlang vor mich hin, saugte Staub, um das Gegröle mit Gejaule zu übertönen, hämmerte an die Wand, holte die Wäsche wieder nach oben (hach, diese edle Stille im Keller, fast klösterlich!), hängte sie fluchend im Schlafzimmer auf, obwohl die Sachen alle wieder recht schön geworden waren, hämmerte an die Wand, spülte laut klappernd Geschirr, hämmerte an die Wand, drehte Irish Folk bis zum Anschlag auf und wieder runter, weil die Bässe wirklich das Haus vibrieren ließen und griff schließlich wutentbrannt zum Schlüssel.

Dieses Mal öffnete Olaf, nachdem ich mindestens zehn Minuten lang den Finger auf die Klingel gepresst hatte. Heute gefiel er sich in bestickter Baumwolle, bis zu Taille offen. Ich starrte uninteressiert auf seine weißliche Brust und schaute ihm dann so zornig wie möglich ins Gesicht. „Könnt ihr den Scheiß nicht mal halblaut hören? Das ganze Haus wackelt!“

„Hallo, Isi. Du bist ja richtig spießig geworden! Ist jetzt Ruhezeit oder was? Irgendwie niedlich...“ Er fasste mir mit einem Finger unters Kinn, und ich schlug seine Hand routiniert weg. „Lass den Quatsch. Das Zeug ist einfach scheußlich, und vielleicht möchten andere Leute auch mal was anderes hören.“

„Aber nicht dein Guinness-Gefiedel, das ist so was von unterirdisch. Süße, dein Musikgeschmack ist einfach zum Weinen.“

„Hör mal, Süßer“, begann ich drohend, aber da wurde Olaf von Thilo beiseite gedrängt, der sofort nörgelte: „Isi, jetzt lass uns doch mal in Ruhe! Das ist kaum Zimmerlautstärke, was willst du eigentlich?“

Das Flurfenster klirrte bestätigend von der Resonanz. „Ja, wie du sagst“, pöbelte ich. „Ich war ja ziemlich froh, dass dir nichts passiert ist, aber so wie ihr euch aufführt, würde ich euch allen dreien keine Träne nachweinen.“

„Was hätte mir denn passiert sein sollen?“, fragte Thilo mäßig interessiert. „Mensch, Olaf hat einen Job! Da soll man nicht feiern, oder was?“

„Was denn für einen?“, fragte ich, nun doch abgelenkt. Ob er die Pornorollen zugeben würde? Olaf lächelte diabolisch – oder was er wohl für diabolisch hielt. „Bisschen dealen“, säuselte er dann.

„Na toll“, reagierte ich kaum verwundert.

„Was?“, rief Thilo, „Mir hast du gesagt, du hilfst alten Damen über die Straße!“

„Blond und über achtzehn, was?“, giftete ich. Olaf grinste noch breiter. „Und Hubi glaubt, ich sei unter die Hacker gegangen. Schließlich wollte ich doch eure Erwartungen nicht enttäuschen. Aber Thilo, du bist wirklich am leichtesten reinzulegen.“

„Und was machst du jetzt wirklich?“, bohrte ich weiter.

„Geht euch gar nichts an. Gut bezahlt, das ist die Hauptsache.“

„Wahrscheinlich Zuhälter“, grummelte ich und erntete ein strahlendes Lächeln. „Ja, wahrscheinlich. Was war das vorhin? Thilo hätte was passiert sein sollen? Bist du deshalb vor ein paar Tagen so aufgelöst hiergewesen?“

Ich nickte, etwas verlegen. „War aber nichts – bloß, die Beschreibung von der Prinzenpark-Leiche, und dann war der Junge auch noch nicht identifiziert, und es hörte sich an wie Thilo...“

Thilo wurde bleich. „Welche Prinzenpark-Leiche?“

„Na, hast du das nicht gelesen?“, fragte ich verblüfft, als läse ich den MorgenExpress regelmäßig von vorne bis hinten. „Ein junger Mann, maximal fünfundzwanzig, schlank, rotblond...“

„Solche gibt´s doch viele“, wandte Thilo ein, aber er hatte einen angespannten Zug um die Lippen. Geradezu verkniffen. „Eben“, fand Olaf. „So spannend war das nun auch wieder nicht, sonst hätte ich´s dir gezeigt.“

„Und wie ist der umgebracht worden?“, fragte Thilo weiter.

Ich zuckte die Achseln. „Stand nicht dabei. Ich bin mal zufällig am Tatort – wenn´s der Tatort war und nicht bloß der Fundort – vorbeigekommen. Da, wo nach der Biegung diese pseudojapanische Holzbrücke kommt.“

„Weiß schon“, nickte Thilo.

Olaf lachte etwas hämisch. „Zufällig... und wie sie sich auskennt, unsere Hobbydetektivin! Tatort und Fundort... liest du zufällig auch manchmal Krimis?“

„Na und?“, fauchte ich ihn an. „Was liest du denn so? Hermetische Lyrik?“

„Aber gewiss doch“, antwortete er glatt. „Und humanistische Schuldramen, aber natürlich nur im Original. Nein, Quatsch, nur Anweisungen, wie man einen Joint dreht. Und Erlebnisberichte aus dem Rotlichtmilieu, um an Karrieretipps zu kommen. Das denkst du doch?“

„Wenn du denkst, dass ich über dich nachdenke“, schnappte ich, „hast du dich geschnitten. Dafür ist mir die Zeit zu schade, vielen Dank.“

Trotzdem staunte ich – woher wusste der denn was über humanistische Schuldramen? Aus einem historischen Proseminar? Den hatten sie an der Uni doch gefeuert! Thilo starrte vor sich hin. „Andere Sorgen habt ihr nicht? Weiß man jetzt, wer das Opfer ist?“

„Ein Tobias Irgendwas“, antwortete ich. „Student, glaube ich. Vierundzwanzig oder so. Wieso, vermisst du einen Bekannten?“

„Quatsch“, fuhr er mich an. „Aber die Beschreibung klingt tatsächlich ähnlich.“

„Als nächstes wirst du dasitzen und sagen Garantiert war ich in Wirklichkeit gemeint, ich brauche Polizeischutz“, spottete Olaf und nahm ihn am Ellbogen. „Komm jetzt, du brauchst ein Bier, dann vergisst du den Blödsinn gleich wieder. Du spinnst ja schon genauso wie Isi, aber was bei ihr charmant wirkt, wirkt bei dir bloß albern.“

Ich verpasste ihm einen Tritt ans Schienbein. „Du frauenfeindlicher Sack! Bei Frauen ist Dummheit wohl sexy, oder was? Dabei weiß jeder, dass Männer die Doofen sind. Und früher sterben und nichts geregelt kriegen.“

„Wozu auch?“, fragte Olaf freundlich und schloss die Tür bis auf einen Spalt. „Dafür gibt´s ja schließlich euch, wozu sollten wir euch sonst halten?“ Die Tür fiel ins Schloss, bevor ich ihn noch mal treten konnte – und die Musik war auch nicht leiser geworden. Blöder Hund! Aber Thilo war tatsächlich erschrocken, glaubte ich. Ob er jetzt tatsächlich glaubte, er sei gemeint gewesen? Dann musste er richtige Feinde haben, nicht nur so Leute wie mich, die ihn für einen lästigen Kleinganoven hielten und ihn bei Gelegenheit ein bisschen ärgerten.

Damit hatte ich den Prinzenpark-Mord hinsichtlich seines Unterhaltungswerts aber wirklich bis zum Letzten ausgeschlachtet, also konnte ich ihn langsam ad acta legen. Na, vielleicht gucken, ob noch was nachkam. Aber nicht mehr darüber nachdenken!

Tödliches Monogramm

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