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VI

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Der Verlag machte einen etwas chaotischen, aber sehr munteren Eindruck, und als ich, meine viel benutzte Bewerbungsmappe in der Hand, am Empfang erzählte, Edgar Möllenhoff von EventMachine schicke mich wegen des Aushilfsjobs, grinste das Mädchen hinter dem Schreibtisch. „Edgar the Nose? Weiß schon Bescheid. Gehen Sie mal in den zweiten Stock und fragen Sie nach Frau Kasparek.“

Ich trabte nach oben, fragte herum, half einem anderen Mädchen, einen Stapel Manuskripte wieder aufzusammeln, fragte weiter, landete an einem verstopften Kopierer, half dem Bürschlein, das ratlos davor stand, ein tonerverschmiertes Blatt aus den Eingeweiden des Geräts zu holen, fragte weiter und wurde schließlich ans Ende des Gangs verwiesen. Dort thronte eine nicht ganz schlanke Frau mit wilden dunkelroten Locken hinter einem Schreibtisch und telefonierte. Sie wies mit der freien Hand auf einen Stuhl, und ich setzte mich und sah mich interessiert um. Alles voller Manuskripte, Mappen, Zettel, aber die Stapel wirkten sinnvoll angelegt, ich konnte mir vorstellen, dass diese Frau – Kasparek? wusste, wo sie was hingesteckt hatte.

Schließlich legte sie auf. „Frau Zentgraf? Guten Morgen. Den Pechmarie-Test haben Sie ja schon bestanden, sehr gut.“ Ich musste wohl etwas dümmlich dreingeschaut haben, denn sie lachte auf. „Die Akten und der Kopierer. So testen wir, ob jemand zupackt, wo es nötig ist.“

Sehr schmeichelhaft! Ich reichte ihr meine Mappe, erzählte, wo ich bisher gearbeitet hatte, was ich am Computer konnte und wie weit ich im Studium war, und sie nickte. „Alleine entscheiden kann ich das nicht, ich bin hier eher so die Oma fürs Grobe. Nach mir wird gekreischt, wenn jemand etwas nicht finden kann. Aber ich rufe die Herren Falkenstein und Scherer mal an.“

Sie nahm den Hörer ab und ich sah betont in eine andere Ecke, während sie leise und nachdrücklich ins Telefon sprach. Sobald sie wieder aufgelegt hatte, sah sie mich sinnend an und ich wurde ganz nervös.

„Drei Nachmittage in der Woche? Ablage, allgemeiner Krempel, ab und an mal was schreiben?“

„Super!“ Ich konnte es noch kaum glauben. „Wann kann ich anfangen?“

„Morgen, wenn Sie wollen. Sagen wir, Montag, Mittwoch, Donnerstag?“

Die blöden Vorlesungen waren nicht so wichtig, die wurden eben gestrichen. Drei Nachmittage – das waren ja bestimmt... „Wie viel würde ich denn verdienen?“

„Netto etwa zehn Euro die Stunde, also hundertfünfzig die Woche. Hängt von Ihrer Steuerklasse und Ihren sonstigen Einkünften ab. Vielleicht wird sogar eines Tages mehr daraus. Im ersten Stock bei Frau Fries können Sie Ihre Unterlagen abgeben. Tja...“

Sie erhob sich und kam um den Schreibtisch herum – und ich sah, dass sie ziemlich schwanger war. „Willkommen an Bord!“ Dann bemerkte sie anscheinend meinen Blick, der auf ihren Babybauch gerichtet war, und sie lachte. „Keine Chance! Ich komme nach dem Mutterschutz sofort zurück, mein Mann geht auf Teilzeit. Meinen Job kriegen Sie nicht – aber der Saustall bietet locker Platz für zwei.“ Ich lief rot an und versicherte hastig, dass ich natürlich nicht auf ihren Job scharf war, aber sie lachte bloß noch mehr. „Also, bis morgen. Ich werde Sie schon schuften lassen, keine Sorge.“

Göttlich! Ein Job in einem Verlag, davon hatte ich immer schon geträumt!

Zufrieden eilte ich nach Hause. Verlag und Weinzierl – davon konnte ich erstmal ganz gut leben, und wenn ich mit der Promotion durch war, würde ich mich bei W&L unentbehrlich machen, und dann... eine herrliche Zukunft tat sich da auf. Diese Frau Kasparek schien auch ganz glücklich zu sein, toller Job, Baby im Anmarsch, netter Mann – ein Mann, der freiwillig auf Teilzeit ging, wo gab´s denn so was! Nein, kein Neid. Ich wusste noch nicht mal sicher, ob ich so was haben wollte, und wenn, dann würde ich mich zu gegebener Zeit umschauen, ich war schließlich noch keine dreißig.

Natürlich hing Olaf in der Tür, als ich nach meinem Schlüssel kramte, und war schleimig wie eh und je.

„Ich dachte, du hast einen Job“, äußerte ich missvergnügt. „Wieso hängst du schon wieder hier herum, am helllichten Tag? Oder ist der Job doch eher von der Sorte, der man besser im Schutze der Dunkelheit nachgeht?“

„Es ist immer nett, wenn die Leute so positiv von einem denken“, lobte er und grinste. „Vor allem, wenn sie noch so pointiert zu formulieren verstehen.“

„Brich dir nichts ab“, fiel ich stilistisch aus der Rolle und schloss endlich auf. „Und mach mal dein Hemd zu, du erkältest dich noch.“

„Irritiert dich der Anblick?“

Mitleidig betrachtete ich die weiße, unbehaarte, magere Brust. „Ich steh nicht auf tuberkulöse Dichter. Bild dir bloß keine Schwachheiten ein.“

Er verzog den Mund. „Von dir hätte ich mehr erwartet als das Sabbern nach muskelgestählten und sonnenbankgebräunten Beaus. Wahrscheinlich hast du alle Folgen von Baywatch auf Video.“

„Wahrscheinlich“, stimmte ich zu und schloss meine Wohnungstür. Blöde Made! Der hielt sich aber doch wohl nicht ernsthaft für sexy? So was weckte doch höchstens den Mutterinstinkt! Junge, zieh dich wärmer an, nimm deinen Lebertran, iss mal ordentlich, lass dir die Haare schneiden, wasch dich mal wieder...

Nein, unfair, er roch nicht ungewaschen, jedenfalls nicht bei diesem Sicherheitsabstand. Der mit der leichten Schweißfahne war Hubi, und Thilo sollte seine Schuhe auch besser einsprühen, am besten mit so einem Fichtennadelbrutalzeug, bevor er sie ins Treppenhaus stellte.

Ich hatte bloß gar keinen Mutterinstinkt, dafür war ich wirklich noch zu jung. Aber vielleicht sollte ich den Maden doch mal irgendein Geruchskillerzeug vor die Tür stellen, nur so als subtile Beleidigung?

Wahnsinnig subtil, dafür musste ich meine Kröten auch nicht rausschmeißen. Lieber Sandra anrufen und heute Abend den neuen Job feiern!

Zuerst aber klingelte mein Telefon, als ich gerade meinen Kleiderschrank inspizierte und überlegte, was ich im Verlag anziehen sollte, um diskret meine Eignung zu einer schwindelerregenden Karriere anzudeuten. Blazer, am besten. Und anständige Jeans. Kostümchen wären zunächst überzogen, noch war ich als Aushilfe für die Ablage vorgesehen. Zwei Blazer hatte ich, und ich kontrollierte gerade ihren Zustand, als ich von dem schrillen Läuten gestört wurde.

Petra war wie üblich ausgesprochen aufgeregt: „Stell dir bloß vor!“

„Ich stell mir gerne alles vor“, antwortete ich ergeben, „aber was denn?“ Mit der freien Hand blätterte ich weiter durch meine Oberteile. Nicht viel Gescheites... Der Schrank war doch noch nicht perfekt…

„Ich hab mich doch bei diesem komischen Laden da vorgestellt!“

„Hm“, machte ich, weil ich a) längst vergessen hatte, wo sie sich genau vorstellen wollte, und b) ein gestreiftes Hemd entdeckt hatte, das noch ziemlich brauchbar aussah. „Und, wie war´s?“

„Ich sag dir! Die spinnen doch total. Erst waren ihnen meine Unterlagen nicht gut genug.“ Kunstpause – ich hatte mich zu wundern, und ich tat es auch brav: „Wieso denn? Wir haben die Mappe doch mal zusammen hergerichtet!“

„Ja, eben. Ich meine, der blöde Kaffeefleck drauf, das ist doch wirklich nicht so tragisch, aber da haben sie schon rumgezickt. Und dann hatte ich vom letzten Job kein Zeugnis, ich meine, wozu denn, ich war da bloß ein halbes Jahr, und so, wie die gemeckert haben, hätten sie mir doch sowieso nichts so Tolles geschrieben. Na, egal. Jedenfalls haben sie ein Gesicht gezogen, soo lang. Und dann der Arbeitsplatz, grausam!“

„Wieso? Werden die Leute angekettet oder was?“

„Großraumbüro! Und das mir! Du weißt doch, ich kann so nicht arbeiten, immerzu die Geräusche, und dann die Ausdünstungen von all diesem Elektroschrott. Könntest du auch nicht, oder?“

„Doch“, bekannte ich, „mir macht das nichts. Und so wählerisch kann man auch gar nicht sein. Heute nicht mehr. Wenn du so nicht arbeiten kannst, sagen die sich doch bloß Okay, eine andere wird schon können.“

„Woher weißt du das?“ Petra war von den Socken. „Genau das hat dieser komische Kerl gesagt!“

„Das hätte jeder gesagt“, seufzte ich und stellte fest, dass in dem schönen dunkelblauen Lambswoolpullover, den ich schon seit der Schulzeit hatte, doch schon die Motten gewesen waren. Den hätte ich vor kurzem nicht mehr so ordentlich falten müssen. Klasse, ab in den Müll.

„Die sollen doch froh sein, dass sie mich kriegen!“

„Petra! Warum denn? Sie können doch Leute kriegen, die mehr arbeiten, weniger meckern und weniger Gehalt verlangen. Und morgens obendrein pünktlich antreten. Warum dann dich?“

„Ich dachte, du bist meine Freundin“, entgegnete sie wenig folgerichtig und ziemlich beleidigt. „Eben“, antwortete ich geduldig. „Wer soll dir denn sonst die Wahrheit sagen? Wir haben eine Wirtschaftskrise, es gibt mehr Bewerber als Jobs, also musst du bieten, was gewünscht wird. Und so pflegeleicht warst du bisher ja nun nicht.“

Sie murrte vor sich hin. „Aber ich muss doch einen Job haben!“

„Niemand wird dich einstellen, bloß weil du Geld brauchst. Sie stellen dich nur ein, wenn du was zu bieten hast. Wenn du das nicht willst, bleibt dir nur noch eins.“

„Nämlich?“ Sie war immer noch beleidigt, schien aber auf eine weniger anstrengende Alternative zu hoffen.

„Reich heiraten“, antwortete ich und erntete ein entzücktes Quietschen. Was hatte sie denn jetzt?

„Der Typ, der mich dann nicht eingestellt hat, der hat mich aber nach meiner Telefonnummer gefragt! Und am nächsten Abend sind wir essen gegangen, ins La Vie!“

„Toll“, lobte ich und überlegte fieberhaft. Chef geht mit abgelehnter Bewerberin teuer französisch essen? Eigenartig bis schräg. Aber wer konnte das schon wissen, vielleicht hatte er sich ja auf Anhieb in die babyblauen Augen verguckt. Niedlich war Petra schon, sehr zierlich, immer sehr gepflegt gekleidet und sehr gekonnt hergerichtet (wo sie ihr Auto geparkt hatte, vergaß sie öfter, Nachtcreme aufzutragen nie, die Namen ihrer Chefs konnte sie sich nicht merken, die Läden, wo es Schuh-Schnäppchen gab, schon), blauäugig und goldblond und eigentlich ein lieber Mensch, aber eben ein Luxusgeschöpf. Sie brauchte wirklich einen Ernährer! „Ist der noch zu haben?“, fragte ich also sicherheitshalber nach, denn ein Ehekrüppel nützte ihr ja nichts.

„Ich glaub schon, Ring hatte er keinen an. Er ist noch gar nicht so alt, vielleicht vierzig“, gab sie brav Auskunft. „So ein Anwalt eben, aber ganz nett. Bloß blöd, dass er Ferdinand heißt, ich muss immer aufpassen, dass ich nicht lache. Am liebsten würde ich ihn einfach Schatzi nennen, aber ich glaube, da steht er nicht drauf.“

„Das tun die wenigsten Männer. Vor allem nicht in der Öffentlichkeit. Und, hat er schon Annäherungsversuche gemacht?“

„Naja...“, sich kicherte ein bisschen geziert, „so halb. Ein bisschen geknutscht haben wir hinterher, in seinem Wagen... ich sag dir, ein Riesenschlitten, der muss wirklich toll verdienen. Und gut küssen tut er auch. Am Freitag sehen wir uns wieder. Also, alles prima!“

„Bloß einen Job brauchst du noch“, vermieste ich ihr prompt die Freude.

„Ach, ich hab noch ein paar Sachen, wo ich mich vorstellen kann. Und mit der Bank hab ich gesprochen, ich hab eine neue Karte und einen größeren Dispo.“ Herrgott, wie wollte sie den denn jemals zurückzahlen? Aber was redete ich mir hier den Mund fransig! Ich schluckte meine besorgten Einwände herunter und schloss mit mir im Stillen eine Wette ab, wann sie wegen ihrer Finanzen jammern würde.

„Und wann stellst du dich das nächste Mal vor?“ Ich war mir sicher, dass sie Petra bei W&L nicht genommen hätten. Sie wäre hundertprozentig durch den Pechmarietest gefallen, es sei denn, eine verzweifelt dreinschauende Sekretärin hätte um eine Typberatung gebeten.

„Ach, am Dienstag, glaube ich. Muss mal nachsehen, ich hab´s mir irgendwo aufgeschrieben, auf so einen Zettel...“ Nichts Neues unter der Sonne. Wahrscheinlich war das überhaupt schon letzten Dienstag gewesen. Oder zu einer anderen Uhrzeit, in einer anderen Firma oder für einen ganz anderen Job. Andererseits konnte es nur ein Sachbearbeiterjob sein, denn etwas anderes konnte Petra gar nicht: Sie hatte nach fünf Semestern ihr Studium geschmissen, notgedrungen, da die Fragen der Verwaltung nach einer Zwischenprüfung immer drängender wurden und sie die nötigen Scheine nicht gemacht hatte. Klausuren verpasst, das Falsche gelernt, Pflichtveranstaltungen nicht belegt... Schuhverkäuferin sollte sie werden, da wäre sie wirklich mit Liebe bei der Sache. Wir hatten ihr das sogar mal vorgeschlagen und sie tief gekränkt: Sie hätte doch immerhin Abitur! Ja, weil wir sie durchgeschleppt hatten.

Außerdem (und das war als Argument nicht von der Hand zu weisen) kannte sie sich bloß bei Damenschuhen aus, und wie sollte sie dort tolle Männer kennen lernen? „Und wenn du´s mal bei Leather´s probierst?“, fragte ich, durch diese Gedankenverbindung gesteuert.

Leather´s?“, fragte sie zurück.

„Du weißt doch, dieser tolle Laden mit den Aktentaschen und Handtaschen und Krawatten und Accessoires. Tolle Waren, tolle Männer, da gönnen die sich bei jeder Beförderung was Neues. Und vielleicht brauchen die auch mal jemanden fürs Büro. Ich meine, da wärst du ja wirklich mit Liebe bei der Sache, Lieferscheine von Gucci und Prada würdest du doch begeistert ablegen, oder?“

„Hm.“ Am anderen Ende ratterten die Rädchen in Petras hübschem Kopf. Sie hatte wirklich ein Köpfchen, das sie sich besser nicht zerbrechen sollte!

„Ich kann ja mal fragen. Suchen die überhaupt jemanden?“ Das wusste ich auch nicht, aber sie sollte es mal versuchen, fand ich. Den Macker vom La Vie konnte sie ja behalten, so lange es dauerte.

Sollte ich jetzt von meinem neuen Job erzählen oder würde Petra dann wieder finden, ich sollte nicht so rumstreben? Wahrscheinlich. Und dass mein Konto ausgeglichen war (na, meistens wenigstens), war wahrscheinlich auch spießig. Prägung. Unspießiges Verhalten hätte wohl noch mehr Schimpfkanonaden meines Vaters ausgelöst – obwohl Wohlverhalten ja auch nie etwas genützt hatte. „Hörst du mir überhaupt noch zu?“

„Ja, klar“, log ich hastig.

„Dann findest du auch, ich sollte das machen?“

„Unbedingt“, behauptete ich und Petra lachte. „Toll, dann mach ich das. Tschüss!“ Ich betrachtete das Telefon und überlegte, wozu ich ihr jetzt geraten hatte. Irgendwas Schwachsinniges, vermutlich. Ob sie sich merken konnte, dass ich die Idee gut gefunden hatte? Leider wohl ja, so was vergaß sie nicht halb so schnell wie Pflichten und Termine.

Die Musik heulte auf und hämmerte dann fleißig durch die Wand. Ich schrie: „Arschlöcher!“ und verzog mich mit meiner Arbeit ins Schlafzimmer. Immer, wenn ich die Lust verlor, was mit schöner Regelmäßigkeit vorkam, ging ich wieder ins Wohnzimmer und brüllte Beschimpfungen gegen die Wand, wohl wissend, dass das keine der Maden hören konnte. Sehr befreiend!

Ich brauchte so schnell wie möglich einen Ganztagesjob bei W&L, ein einigermaßen anständiges Gehalt und eine Wohnung weit, weit weg. Dieser Gedanke trieb mich auch immer wieder ins Schlafzimmer zurück: Was ich jetzt schaffte, konnte mich nicht mehr von meiner Verlagskarriere abhalten.

Bis zum Abend hatte ich meinem epochemachenden Meisterwerk immerhin sieben neue (und, wie ich selbst fand, ziemlich wissenschaftlich fundiert wirkende) Seiten hinzugefügt, zwei echte Businesshemden im Schrank gefunden und sie gewaschen, einen Blazer ausgebürstet, Wäsche sortiert, abgelaufene Lebensmittel zur Tonne getragen und überhaupt ungemein gestrebt. Ich kam mir sehr tugendhaft vor, als ich gegen halb acht Sandra anrief, um von meinem neuen bürgerlichen Leben zu berichten.

Sandra hatte aber leider gar keine Zeit, Florian wollte vorbeikommen, sie hatte versprochen, ihm Allgäuer Schnitzel zu machen und kämpfte jetzt mit der Tücke des Objekts.

Enttäuscht wünschte ich ihr viel Glück und beschloss, spazieren zu gehen. Vielleicht inspirierten mich ja die Schaufenster, was meine Klamotten betraf.

Noch vor dem Haus hörte man die Bässe wummern, obwohl die Maden gar kein Fenster offen hatten. Wollten wohl nicht, dass ihr schöner Mief abzog. Missvergnügt äugte ich an der schmutzig sandfarbenen Fassade hoch und stiefelte dann die Straße entlang in Richtung Düsseldorfer Straße, wo die Läden waren.

Drogeriemarkt... Duschgel mit Limonenduft, das hörte sich eigentlich gut an. Ein zarter, aber eindeutiger Duft nach Zitronen... das machte bestimmt einen guten Eindruck. Morgen, nach meinem ersten Arbeitstag. Hoppla, da konnte ich ja morgens immer noch in die Klassikvorlesung gehen! Und dann Geld verdienen... schöne Vorstellung. Hinterher das Duschgel – oh, da gab´s auch eine passende Bodylotion dazu, beides in zartem Gelbgrün... passte genau zu meinem zufällig genauso gelbgrünen Gesichtswaschzeug... und ein Deo dazu. Das ganze Bad in weiß und gelbgrün, wenn das nicht frisch und sauber wirkte! Die rosa Handtücher passten dann natürlich nicht mehr. Und eine blassgelbe Zahnbürste, das verstand sich von selbst. Und das Bad natürlich zuerst gründlich putzen und dann neu dekorieren... Aber erst wieder drei Seiten schreiben!

Der Drogeriemarkt war schon mal vorgemerkt. So überflüssig war das alles auch gar nicht, beruhigte ich mich im Weitergehen, Duschgel und Bodylotion waren tatsächlich so gut wie leer. Ach ja, und ein schönes Zitronenshampoo, auch wenn es bei dunkelbraunem Haar farblich nichts brachte.

Der Jeansladen hatte hauptsächlich überflüssigen Kram im Fenster, grob gestrickte, enge und kurze Pullis, die aussahen, als würden sie sich schon beim ersten Tragen irgendwo auflösen, Jeans mit abstrusen Nähten und Cargohosen, von denen mir keiner einreden konnte, dass sie nicht dicke Oberschenkel machten. Das sah doch idiotisch aus, wenn man seine Habseligkeiten in die Seitentaschen stopfte! Nicht mit mir. Aber dahinten lag ein Blazer, der ganz nett aussah: dunkelbrauner Tweed mit Hornknöpfen, und gar nicht mal so teuer, neunundfünfzig Euro, wenn ich das Schildchen richtig entziffert hatte.

Morgen sollte ich vielleicht wirklich mal hier vorbeischauen. Und diese T-Shirts sahen auch nicht übel aus... Nein, T-Shirts hatte ich genug, ich musste sie bloß mal bügeln.

Apotheke – uninteressant, Kopfschmerztabletten hatte ich noch, und sonst brauchte ich nichts.

Reinigung, Optiker, Tierfutter, Möbel. Oh, Möbel! Im Fenster war ein wirklich schickes Arbeitszimmer aufgebaut, die Möbel aus poliertem Stahl und Kirschbaumholz. Schön warmer Ton, es sah richtig gemütlich aus. In so einem Zimmer konnte man nächtelang forschen!

Ich seufzte neidisch, aber dann fiel mir ein, dass mich auch das schönste Arbeitszimmer nicht vor der Madenmusik und meiner eigenen Unlust schützte: Ich würde nirgendwo nächtelang forschen, ich würde immer nach Gründen suchen, von diesem Traumschreibtisch aufzustehen. Wahrscheinlich brauchte ich die Arbeit in einem Büro, wo auch jemand meine Arbeitsleistung bewunderte; zu Hause musste ich mich für meine Ausweichtaktiken ja auch nicht weiter genieren. Trotzdem, ich sollte zu Hause weiter aufräumen, beschloss ich und ging weiter, nicht ohne eine makellos schöne Küche (Edelstahlfronten ohne einen einzigen fettigen Fingerabdruck!) zu bewundern. Und abspülen.

Jetzt kamen ohnehin nur noch doofe Läden, eine Fahrschule, ein wahnsinnig stylish aufgemachter Blumenladen mit dem wahnsinnig originellen Namen La Fleur und noch ein Optiker, dieses Mal von der bekannten Billigkette.

Wonach entschied es sich eigentlich, ob jemand, der voll unangebrachtem Optimismus ein Ladenlokal mietete, sich für einen englischen oder einen französischen Namen entschied? Hing das von der Art der feil gebotenen Waren ab? Oder vom angestrebten Image? Von der Gegend? Von den Sprachkenntnissen des Inhabers? Englische Parfümerien fielen mir keine ein, aber dafür auch keine Technikangebote mit französischen Namen. Wahrscheinlich hing es davon ab, ob man die Globalisierung und die vernetzte Welt oder das klassische Savoir Vivre ansprechen wollte... Ich war eigentlich ziemlich gut, dass ich über solche sprachtheoretischen Phänomene nachdachte, fand ich. Eben doch mit Leib und Seele Wissenschaftlerin! Schließlich hätte ich ja auch überlegen können, was ich heute Abend noch essen wollte. Oder was ich im Haushalt noch machen musste... okay, hatte ich auch, ein kleiner Putzteufel schlummerte eben auch in mir.

Kalt war es – unter Ende Mai stellte man sich eigentlich etwas Schöneres vor! Ab und zu gaben die Wolkenfetzen vor dem noch nicht ganz nachtdunklen Himmel einen blassen, fast vollen Mond frei, der schon begann, eigenartige Schatten auf das feuchte Pflaster zu malen. Immerhin sahen die frisch belaubten Bäume in diesem penetrant gelben Laternenlicht sehr unwirklich und sehr eindrucksvoll aus. Dass man so etwas nicht fotografieren konnte!

Ein Mann kam mir entgegen, der mich vage an jemanden erinnerte, aber ich kam zunächst nicht darauf, an wen. Kurzgeschorene Haare, dunkel, Parka, Jeans, Brille mit Wassertröpfchen darauf, zusammengezogene Augenbrauen... Ich gab verlegen einen vage grüßenden Laut von mir, denn bestimmt war das ein Kunde von EventMachine oder von Weinzierl, und solche Leute waren ja immer stinkbeleidigt, wenn man sie nicht auf Anhieb wieder erkannte. Blödsinn, tadelte ich mich an der nächsten Ecke, diese Kunden würden mich doch auch nie auf der Straße erkennen. Und wenn, wüssten sie auch nicht, wo sie mich hintun sollten. Das war doch wie Zahnarzt ohne Kittel oder Kassiererin im Anorak!

Und damit war ich auch schon wieder zu Hause, wo ich mich gleich auf mein gelinde unordentliches Badezimmer stürzte, um alles für das Arrangement der Symphonie in gelbgrün vorzubereiten. Dabei fand ich mindestens zehn lose, aber noch tadellos eingeschweißte Tampons (auch nicht schlecht, wieder Geld gespart), das doofe Deospray, das zwar gut duftete, aber so schwach wirkte, dass man ab Mittag eindeutig schweißelte, mehrere leere Klopapierrollen, die hinter das Klo gefallen waren, einige uralte Klamottenkataloge, die ich auf dem Klo zu lesen pflegte (unfeine Gewohnheit, aber so brav wollte ich nun auch wieder nicht sein, dass ich beim Morgengeschäft fromm vor mich hinschaute wie ein kackender Schäferhund) und drei Shampooflaschen, in denen sich nur noch Reste befanden. Drei verschiedene, natürlich.

Ich sammelte die Tampons ein, warf die Klopapierrollen weg, versprühte das Deo zur Hälfte im Bad und zur anderen Hälfte auf den Schlafzimmergardinen, warf die leere Spraydose ebenfalls weg, arrangierte die Kataloge etwas unauffälliger, wischte diese Mischung aus Hautöl, ausgekämmten Haaren, Zahnpastaspritzern und Waschlotion von der Ablage und vom Spiegel, saugte und wischte den Boden, steckte den Badeteppich zusammen mit einem Schwung Handtücher in die Waschmaschine im Keller und polierte die Kacheln.

Gar nicht schlecht, fand ich dann und machte mich über die Küche her, wo ich mich aber darauf beschränkte, herumstehenden Krempel, wie selten gebrauchte Gewürze, Teedosen, Schüsselchen und Teebecher in einen Oberschrank zu stellen und die nun leere, aber verfleckte und klebrige Arbeitsplatte auf Hochglanz zu polieren, bis das Marmorimitat, das mein Vermieter anscheinend ganz toll gefunden hatte, wie neu schimmerte – und der Edelstahl von Herd und Spüle auch. Toll. Wie im Küchenprospekt! Fast, in Küchenprospekten hingen keine Handtücher am Haken, mit denen ich mal eine schlecht gespülte Steakpfanne ausgewischt hatte. Bäh!

So, jetzt war´s aber wirklich perfekt. Solange man nicht auf den Boden guckte, hieß das. Na gut, bis die Maschine fertig war, konnte ich auch den Küchenboden noch wischen. Mal so richtig mit Kraft.

Das Grau des Plastikbodens wirkte gleich etwas heller als vorher. War es der neue Job oder das abschreckende Beispiel der Maden in ihrer Stinkbude, was mich so arbeitswütig werden ließ? Oder der Wunsch, mich von der schusseligen Petra abzuheben?

Auf jeden Fall reichte es jetzt, beschloss ich, als ich die Handtücher und den Badeteppich (wieder strahlend weiß!) zum Trocknen aufgehängt hatte.

Leider stank es im Schlafzimmer jetzt ziemlich penetrant nach diesem Deo, wahrscheinlich musste ich gründlicher lüften oder die Vorhänge waschen. Heute nicht mehr! Und die Mappe mit den Zeitungsausschnitten zum Prinzenparkmord konnte ich auch mal verräumen, da ging ja nichts voran. Jedenfalls hatte ich nicht gehört, dass die Polizei irgendwas erreicht hatte, einen Verdächtigen verhaftet, nennenswerte Spuren entdeckt oder sonst etwas geboten hätte. Ich ignorierte das fortdauernde Gewummer von nebenan, hängte mir ein wunderbar geschäftsmäßiges Outfit an die Schranktür und ging ins Bett.

Tödliches Monogramm

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