Читать книгу Tödliches Monogramm - Elisa Scheer - Страница 13
II
ОглавлениеAm nächsten Mittag gelang es mir tatsächlich, rein zufällig Flo in der Unibibliothek zu treffen, wo er mit einem Stapel Bücher und Zeitschriften kämpfte, die er für seinen Prof zurückbringen musste. Meine Frage, ob er Zeit für einen Kaffee habe, wurde sehr positiv beantwortet.
„Staubige Arbeit“, seufzte er, als wir endlich im Coffee&More saßen und unsere Zigaretten brannten, „du hast mich regelrecht gerettet. Und nachher muss ich einen total verschimmelten Haufen Kopien sichten und beschriften und ordentlich abheften. Warum können die großen Tiere eigentlich keine Ordnung halten? Und sind zu blöde, ihren eigenen Rechner einzuschalten?“
„Weil sie´s nicht müssen, dafür haben sie ja uns“, antwortete ich und unterhielt ihn mit den Schlampereien bei W&L. Die Manuskriptkiste und die Riesenplastiktüte eines namhaften Herrenausstatters (ebenfalls randvoll mit zumeist ablehnungswürdigen Konvoluten) freuten ihn am meisten.
„Du hast da viel Spaß, was?“, stellte er schließlich fest. Nach meinen sprudelnden Berichten auch kein Wunder.
„Ja, kann man sagen. Tut mir Leid, dass du so was noch nicht gefunden hast.“
Er seufzte. „Ach, ein Wirtschaftsfachverlag ist auch nicht das, was ich anstrebe, ich möchte eigentlich bloß eine Assistentenstelle statt dieses Hiwijobs. Einführungen in die Volkswirtschaft könnte ich schließlich auch schon geben, es ist ja nicht so, dass ich kein Examen hätte. Und gut bin ich auch. Aber Chance kriege ich keine, und in der Wirtschaft – naja.“
„Und was ist mit Nachhilfe?“, fragte ich.
„Nachhilfe?“ Er sah mich verständnislos an.
„Na, so was wie ein Tutorium. Gegen Cash natürlich. Gibt´s hier keine ratlosen oder auch einfach behämmerten Erst- und Zweitsemester?“
„Massen! Hm... darüber sollte ich mal nachdenken, da hast du Recht. Dann wäre wenigstens jobmäßig alles okay...“
„Wieso, was ist denn noch nicht okay?“, tat ich harmlos.
„Ach... Sandra. Sie ist zur Zeit so komisch“, antwortete er und schwieg bedrückt. Ich betrachtete ihn. Hübsches Kerlchen, wirklich. Es wäre Sandra zu gönnen, mit ihm etwas mehr als nur eine kleine Bettaffäre zu haben.
„Ich glaube, sie mag nicht mehr, sie ist so niedergeschlagen. Und wenn ich sie frage, was sie hat, dann sagt sie bloß Ach, nichts und tut dann ganz fröhlich. Richtig aufgesetzt. Hat sie einen anderen? Ich sollte dich das nicht fragen, ich weiß, aber ich bin so ratlos.“
„Nein, hat sie nicht“, beruhigte ich ihn. Und dann sprang ich ins kalte Wasser. „Sie hat Familienprobleme, immer schon. Und die bedrücken sie so.“
„Warum erzählt sie mir nichts davon? Wir sind doch zusammen, wir sollten so was doch teilen! Und wenn ich nichts weiß, kann ich doch auch nicht für sie dasein!“
„Möchtest du das denn?“, tastete ich mich vor.
Er starrte mich an. „Was glaubst du denn? Dass ich bloß Spiel und Spaß will?“ Ich zuckte die Achseln. „Vielleicht glaubt Sandra das und will dich nicht belasten, damit du dich nicht belastet fühlst?“
„Das kann sie nicht glauben! Himmel, ich liebe sie doch, das muss sie doch wissen!“
„Hast du ihr das auch gesagt? Frauen wollen so was deutlich hören, sonst trauen sie sich nicht, es zu glauben.“
„Gesagt... ja, im – also – im Bett schon, denke ich.“
„Das nimmt man aber doch nicht so ernst! Da sagt man schnell mal was, und ich könnte mir denken, dass Sandra es wirklich braucht, dass du ihr auch so mal sagst, wie sehr du sie liebst. Gerade, weil sie das von ihrer Familie nie kriegt.“
„Was ist das für eine bescheuerte Familie?“, regte Flo sich auf.
„Ganz meine Meinung.“ Ich erzählte ihm kurz von Adrians Tod, wie ich es von Sandra wusste – damals hatten wir uns ja noch nicht gekannt – und von der Verlorenheit ihrer Eltern, und als ich fertig war, stand Flo tatsächlich das Wasser in den Augen. „Mein armes Mädchen! Das ist doch wirklich unglaublich, was wollen die denn noch? Sie ist so ein Traum, und dann ignorieren sie sie, weil sie einem toten Teenager nachtrauern, von dem sie nicht wissen, wie er heute wohl drauf wäre? Vielleicht käme der nie vorbei oder hätte was auf dem Kerbholz, und sie machen einen Heiligen daraus?“
„So ungefähr. Wie sind deine Eltern denn so?“
„Voll okay. Ich hab noch zwei jüngere Schwestern und einen ziemlich kleinen Bruder, der ist erst zehn. Der ist arm dran, weil wir alle an ihm herumerziehen.“ Er grinste kurz und ich konnte verstehen, was Sandra an ihm fand. Niedlich, ehrlich! „Meine Eltern hatten sich zum zwanzigsten Hochzeitstag eine Mittelmeerkreuzfahrt gegönnt, und der Maxi ist das Souvenir. Das war ihnen fast ein bisschen peinlich, so vor uns.“
„Und wie alt sind deine Schwestern?“
„Siebenundzwanzig und fünfundzwanzig. Die jüngere, Sabine, wohnt noch bei meinen Eltern, weil sie eine kleine Tochter hat und das Studium sonst nicht geregelt kriegt. Andrea lebt im Moment in Paris, aber sie kommt schon ab und zu vorbei.“
„Ich glaube, das könnte Sandra gefallen“, sagte ich langsam, „aber geh vorsichtig vor. In puncto Familie ist sie wirklich etwas geschädigt.“
Er nickte. „Ich werde mir Mühe geben. Mensch, Isi, gut, dass wir uns so zufällig getroffen haben! Ich dachte ehrlich, Sandra will Schluss machen – und dabei kann alles wieder gut werden!“
Sogar besser als vorher , dachte ich, und gut, dass du an einen Zufall glaubst!
Sehr zufrieden mit mir – vielleicht sollte ich eine Partnerschaftsvermittlung aufmachen oder Rat und Tat in allen Lebenslagen anbieten? – kam ich nach Hause. Fleißig gearbeitet, Sandras Glück gesichert (na, mal abwarten!), bei der Bank einiges geregelt, preiswert eingekauft, zwei Blazer von der Reinigung geholt... ich war ja so brav!
Das Glücksgefühl, das mich immer befiel, wenn ich alles geregelt hatte, war wirklich mit nichts zu vergleichen. Eigentlich viel schöner als Verliebtsein oder so was. Vor allem, weil man ja mit einem Macker nicht mehr so leicht alles geregelt kriegte, so ein Kerl brachte doch alles wieder durcheinander.
Wohltuende Stille umfing mich: kein Gequäke von rechts, kein Bassgewummer von links. Fast wie bei reichen Leuten! Ich verräumte meine Einkäufe, hängte die Blazer in den Schrank, pusselte einige Stäubchen weg und sah mich befriedigt um, bevor ich mir ein Käsebrot machte und mich an die Diss setzte. Die zwei Bücher, die ich zwischen Weinzierl und Flo aus der Bibliothek geholt hatte, erwiesen sich zwar als reichlich unergiebig, aber dafür kam mir eine andere geniale Idee, die ich sogar anhand der Quellen belegen konnte. Vergnügt tippte ich vor mich hin, las mir dann die drei neuen Seiten durch, besserte einiges aus, schlug die passenden Fußnoten nach und speicherte das Meisterwerk. Schon hundertfünfundsechzig Seiten, und gar nicht mal schlechte! Und Abgabetermin war erst am ersten Oktober! Und ich war schon bei der dritten Generation angekommen und damit praktisch fertig, schließlich ging es ja um die Greiffsche Verlagsbuchhandlung im achtzehnten Jahrhundert. Wilhelm Kasimir Greiff aber, der, der fast so viel Ärger mit Napoleon hatte wie der legendäre Palm in München (allerdings kostete es ihn nicht den Kopf), war erst 1854 gestorben. Nach 1814 war endgültig Schluss, legte ich fest. Die napoleonische Ära wollte ich nicht zerteilen, aber alles andere war wirklich neunzehntes Jahrhundert. Ich machte mir einen Vermerk, dass ich das im Methodenkapitel noch ansprechen sollte, und starrte dann nachdenklich auf den Bildschirm. Was jetzt noch?
Es klingelte.
Wer wollte mir denn jetzt schon wieder was verkaufen? Normalerweise kam dieses aufdringliche Pack doch erst nach Feierabend, um möglichst flächendeckend zu nerven! Oder betrieb Telefonterror. Missmutig starrte ich durch den Spion: Olaf? Das war ja auch noch nie vorgekommen!
Ich riss die Tür auf. „Es geschehen noch Zeichen und Wunder! Ist euch endgültig das Essen ausgegangen? Aber ich sag dir gleich, ich denke nicht daran, Thilo was zu leihen, diesem miesen kleinen Erpresser!“
„Dann ist er also nicht bei dir?“
„Bei mir? Der war überhaupt noch nie hier drin, ich hätte ihn auch nicht reingelassen, der klaut doch bestimmt! Und diesen Pennermief brauche ich hier drin auch nicht! Lagert ihr eigentlich das Bier in der Badewanne, anstatt sie mal zu benutzen?“
„Ich dusche täglich“, behauptete Olaf, leicht beleidigt. „Das hörst du bloß nicht, weil das Bad am anderen Ende der Wohnung ist. Thilo ist gestern Mittag weggegangen, ganz aufgeregt, er kommt jetzt ans große Geld. Wahrscheinlich wieder so ein Idiotenplan. Jedenfalls ist er seitdem nicht wieder aufgetaucht. Sogar Hubi hat schon gemerkt, dass einer fehlt -“
„- und das will was heißen“, vervollständigte ich automatisch. „Macht Thilo das öfter? Dass er sich so lange rumtreibt, meine ich.“
„Nein! Er ist eigentlich immer da, und wenn er mal abhaut, dann belästigt er entweder kurz seine Eltern, aber die haben selbst nicht viel, oder besorgt sich etwas Geld - frag mich nicht, wie. Er kommt immer schnell wieder zurück - jedenfalls, mehr als einen Tag wegbleiben, das ist schon seltsam...“
„Wir könnten Vermisstenanzeige erstatten“, schlug ich etwas unsicher vor. Ging das überhaupt, wenn man mit dem Vermissten gar nicht verwandt war?
„Jetzt schon? Muss man da nicht achtundvierzig Stunden warten?“ Olaf kannte sich auch nicht besser aus.
„Kann sein. Ach, komm, versuchen wir´s einfach!“
„Thilo wird sauer sein, wenn er davon erfährt!“, warnte Olaf noch.
„Na, das ist doch mal ein perfekter Grund, oder?“
Er musste grinsen. „Eigentlich hast du Recht. Ich hole meinen Mantel.“
Ich verzichtete darauf, ihm nachzurufen: „Und mach dein Hemd zu!“, und holte meine Tasche und meine Jacke. Als ich gerade zusperrte, kam er wieder und sah richtig menschlich aus, in einem ziemlich normalen Trenchcoat, unter dem man nur die Hosenbeine und – standing ovations! - richtige Schuhe sah, nicht die Hühnerbrust und nicht die Art, wie die Hosen immer über seine nicht vorhandenen Hüften zu rutschen drohten – aber vielleicht hatte man das ja jetzt? Jedenfalls musste ich nicht auf der anderen Straßenseite gehen oder beten, dass mich niemand mit ihm sah.
Seine öligen Haare sahen heute auch gar nicht so ölig aus, fast normal. Eigentlich ziemlich frisch gewaschen sogar, schwarzglänzend. Er sah zwar insgesamt immer noch aus wie Mafianachwuchs, aber wenigstens nicht mehr unappetitlich.
Das Polizeirevier war nur zwei Ecken weiter, in der Bonner Straße, und los war dort auch nichts. Hinter dem Tresen saß ein Beamter, in beigem Hemd und beiger Hose, trank Kaffee aus einem Simpsons-Becher und studierte ein Formular. „Ja?“, fragte er kundenorientiert, als wir ihn lange genug finster fixiert hatten.
„Wir möchten jemanden vermisst melden“, sagte Olaf entschlossen.
Der Beamte seufzte und klickte mit seiner Maus herum, so dass der FC Bayern-Bildschirmschoner verschwand. „Name?“
„Der des Vermissten?“, fragte ich. Weiber! signalisierte der Blick des Polizisten.
„Logisch. Also?“
„Thilo Benninger“, antwortete Olaf brav.
„Adresse?“
„Krefelder Straße 27, hier in Selling.“ Olaf fügte sogar noch die Postleitzahl hinzu, ganz der akkurate Staatsbürger. Ich hielt mich raus, mich hielt der Kerl ja doch für doof.
„Geboren?“
„14.3.1979.“
Tiefes Seufzen. „Was soll das denn? Ich denke, Sie melden Ihren verkalkten Opa oder ein Kind als abgängig! Das ist doch ein erwachsener Mann, der kann doch machen, was er will! Wie lange ist er denn schon weg?“
„Seit gestern Mittag“, gestand ich, weil es Olaf die Sprache verschlagen zu haben schien. „Ach, und da hat das kleine Frauchen wohl Angst, dass ihr der Ernährer durchgegangen ist?“ Das war zwar unverschämt, aber so weit von der Wahrheit weg, dass ich lachen musste.
„Der? Der ist ein widerlicher ungewaschener Kerl und kann sich kaum selbst ernähren! Ich bin bloß die Nachbarin. Aber Thilo ist sonst nie weg!“
„Geschäftsreise?“ Offenbar war das Formular noch langweiliger, so dass er noch keine Lust hatte, uns rauszuschmeißen.
„Er hat doch gar keinen Job. Wir wissen gar nicht, wovon er eigentlich lebt.“
Ein Funke Interesse glomm im trüben Beamtenauge auf. „Ach ja? Haben Sie denn den Verdacht auf eine Straftat?“ Olaf, der sich wieder erholt zu haben schien, verneinte. „Wenigstens hat ihn bestimmt keiner ausgeraubt, er hat ja nichts. Obwohl – gestern Mittag, als er weg ist, hat er gemeint, jetzt kommt er an das große Geld.“
„Das war doch garantiert wieder so ein Blödsinn!“, widersprach ich. „Weißt du noch, wo er von mir einen Hunderter erpressen wollte, das war doch auch so ein Quatsch.“
„Aber Schiss hast du schon gehabt!“
„Hättest du auch, bei einem ganz neuen Job!“, fauchte ich.
„Ich bin sicher, Sie können sich draußen viel bequemer streiten“, warf der Beamte ein. „Moment mal – wie war das mit dem erpressten Hunderter?“
„Er hat´s ja nicht geschafft. Oder besser nicht wirklich gemacht. Er hat nur gemeint, wenn ich ihm keinen Hunni leihe – also, schenke, er zahlt nie was zurück – dann taucht er bei meinem neuen Job auf und macht mich madig. Na, und da war ich nicht scharf drauf.“
„Und was haben Sie gemacht?“
„Ihn angeblafft. Und Olaf – naja, Olaf auch.“
„Ich hab ihm eine gescheuert“, gab Olaf zu.
Der Polizist griff zu einem Bleistift und kratzte sich sorgfältig den Kopf. „Wieso vermissen Sie diesen Benninger eigentlich? Scheint kein so großer Verlust zu sein, nach dem, was Sie so erzählen.“
„Ja, stimmt schon. Aber vielleicht ist ihm doch was passiert“, beharrte Olaf. „Also, er ist etwa einsfünfundachtzig groß, ziemlich dünn, rotblond und hat so ein bescheuertes Kinnbärtchen. Und er hatte Khakicargos an, Turnschuhe und ein rotweißes T-Shirt.“ Farbenblind auch noch, dachte ich. Und Olaf konnte mit diesen exakt ausrasierten Koteletten eigentlich ganz leise sein.
„Groß, dünn, rotblond...“, trug der Polizist murmelnd in die Suchmaske ein. „Okay, jetzt Ihre Personalien. Sollten wir jemanden auffinden oder aufgreifen, auf den diese Beschreibung zutrifft, müssen wir Sie ja informieren können.“
Wir gaben unsere Personalien zu Protokoll, anscheinend musste man kein Verwandter sein. Ach ja, das war ja im Krankenhaus... Während du schliefst und so. „Aber machen Sie sich besser keine Hoffnungen, wahrscheinlich ist er einfach abgehauen. Ein erwachsener Mann hat das Recht dazu, wissen Sie?“
„Solange es ihm dabei gut geht, soll´s uns Recht sein“, erwiderte ich und erntete ein Nicken. Unser Unterhaltungswert war anscheinend aufgebraucht, jedenfalls wandte er sich wieder dem Formular zu, und als wir noch einen Moment lang unschlüssig dastanden, erschien auch der Bildschirmschoner wieder. Das fasste ich wenigstens als virtuellen Rausschmiss auf und verließ das Büro. Olaf folgte mir: „Ob der das gleich wegschmeißt?“
„Löscht, meinst du? Nein, das denke ich nicht. Das mit der Erpressung hat ihn schon interessiert. Suchen werden sie ihn zwar nicht, denke ich, aber wenn -“ Verlegen brach ich ab.
„Wenn seine Leiche auftaucht, wissen sie wenigstens schnell, wer es ist“, vervollständigte Olaf meinen Satz.
„Naja, so arg muss es ja nicht werden“, beschwichtigte ich, immer noch peinlich berührt. „Woher kennst du Thilo eigentlich?“ Schnell das Thema wechseln!
„Von der Uni, als ich noch studiert habe. Er trieb sich dort herum und suchte ein WG-Zimmer. Na, und hier war gerade eins frei, weil Hubi sich nach endlosen Krächen von seinem Lover getrennt hatte...“
„Hubi ist schwul?“ Ich war baff. Olaf grinste spöttisch. „Er sieht gar nicht so aus, wie sich Lieschen Müller eine Tunte vorstellt, nicht wahr? Wahrscheinlich passe ich da eher in deine Vorstellungen?“
Ich stotterte sinnloses Zeug und fühlte die Schamröte auf meinen Wangen.
Olaf wedelte das mit einer graziösen Handbewegung beiseite. „Zu deiner Information: Ich bin´s nicht, aber Hubi ist´s. Natürlich nicht die Sorte, die der beste Freund der Frauen ist und sich mit ihnen über Wimperntusche und gemeine Männer austauscht. Eher der Biker-Typ, würde ich mal vermuten, ich kenne mich in dieser Szene nicht wirklich aus.“
„Tattoos und ärmellose Lederwesten bei der Love Parade“, nickte ich kennerisch, obwohl ich genauso wenig Ahnung hatte.
„Wahrscheinlich, wir beziehen ja wohl beide unsere Kenntnisse aus dem Fernsehen. Hubi wenigstens äußert sich nie über sein Privatleben. Seit dieser turbulenten Trennung schweigt er sich aus, aber ich glaube, er hat wieder eine Beziehung.“
So lange hatte ich mich noch nie mit Olaf unterhalten, stellte ich verblüfft fest, als wir wieder zu Hause angekommen waren, und eigentlich war er ganz vernünftig, wenn er sich nicht wie ein Idiot herrichtete und die Schleimnummer abzog. Seine affige Redeweise nervte etwas, gut, aber hatte seine fünf Sinne einigermaßen beisammen, und das war mehr, als man von Leuten wie Thilo sagen konnte.
Hatte er wohl auch eine Beziehung, wie er es so neutral bezeichnet hatte? Vor einer Stunde hätte ich bei dem Gedanken noch fröhlich gelacht: Welche Frau mit Hirn wollte denn so einen! Aber jetzt war ich mir gar nicht mehr so sicher. Tief in Gedanken verabschiedete ich mich von ihm und schloss meine Tür auf.
Olaf als erwägenswerter Mann? Na, das dann nun doch nicht. Aber immerhin – nicht schwul, nicht so blöde, wie er immer tat, und mit zugeknöpftem Mantel direkt vorzeigbar, damit rückte er doch wenigstens am Rande in mein Gesichtsfeld.
Aus unerfindlichen Gründen fiel mir dabei wieder dieser komische Typ ein, den ich im Prinzenpark und an der Uni gesehen hatte, der Kurzgeschorene mit der Brille, der mich entfernt an einen Schauspieler erinnerte (dessen Name mir natürlich nicht mehr einfallen wollte). Sowas war mein Typ, nicht Olaf!
Ganz schön albern, konnte man sagen. Da gefiel mir einer, den ich überhaupt nicht kannte und garantiert nie wieder sehen würde, und was mir direkt vor der Nase lag, übersah ich deshalb. Ich schnaubte und machte mir ein neues Käsebrot. Arrogant war ich ja wohl gar nicht! Wer sagte denn, dass Olaf überhaupt an mir Interesse hatte? So ein Schnäppchen war ich nun auch wieder nicht, mit meinem ewigen Könnt ihr nicht mal die Musik leiser drehen? Bei euch stinkt´s, putzt doch mal! Wascht euch mal!
Und außerdem musste ich selbst, wenn er Interesse hatte, doch wohl nicht zugreifen, bloß weil er da war – da war ich ja beim Einkaufen noch wählerischer!
Die Frage, wo sich Thilo herumtrieb, war auch viel interessanter. Unlustig klickte ich meinen Bildschirmschoner weg und starrte auf das, was ich vor dem Klingeln geschrieben hatte, aber ohne es richtig wahrzunehmen. Vielleicht hatte er eine Frau kennen gelernt, die ihn noch nicht durchschaute und aus der er noch was rauszuholen hoffte... Aber welche Frau wollte Thilo? Er roch wirklich streng, machte immerzu einen leicht benebelten und bekifften Eindruck, war ein elender Schnorrer und angezogen wie ein Penner. Eine Frau, die das mochte, musste krank sein. Oder selbst völlig zugekifft. Aber dann brauchte sie ihr Geld ja wohl selbst! Vielleicht hatte er natürlich wirklich eine obskure Geldquelle aufgetan – vielleicht überfiel er gerade irgendwo eine Bank! Auf legalen Gelderwerb war bei ihm wohl kaum zu hoffen.
Wovon lebte dieser Kerl denn eigentlich seit Jahren? Er musste direkt schon einiges auf dem Kerbholz haben. Oder er spielte uns den coolen Gangster vor (zuviel Gangsta´ Rap gehört?) und arbeitete insgeheim bei der Post.
Blödsinn, er war doch immerzu da!
Heimarbeit?
Ich stellte mir Thilo vor, wie er in seinem Zimmer eine Strickmaschine oder Kisten von zu adressierenden Umschlägen vor seinen Mitbewohnern versteckte, und grinste vor mich hin. Nein, Adressen nicht, das machte jedes Etikettierprogramm schneller, besser und vor allem billiger. Thilo strickte in Heimarbeit Pullover, diese altrosa Dinger mit Ajourmuster, die nur ältliche Damen trugen. Aus pflegeleichtem Polyacrylgarn, ekelhaft. Und nachts saß er bei dröhnender Musik da und nähte die Teile sorgfältig zusammen, wobei er einen Joint im Aschenbecher verglimmen ließ, um sein Image aufrecht zu erhalten.
Sehr überzeugend. Ich sollte lieber etwas Sinnvolles tun – zur Auswahl standen Greiff und der französische Roman. Oder wenigstens Ideen sammeln, wie man die Arbeit im Verlag noch effizienter gestalten konnte. Die meisten meiner Vorschläge brachten Xenia nur zu einem müden Lächeln („Hab ich auch schon versucht, funktioniert aber nicht"), aber manches war eben doch brauchbar.