Читать книгу Schluss mit lustig! - Elisa Scheer - Страница 12
XI
ОглавлениеLukas war auf einem der Sofas eingeschlafen. Kein Wunder, er hatte ordentlich gepichelt. Trank er wohl immer so viel oder war er heute Abend irgendwie unglücklich gewesen?
Ich wusste es nicht, ich wusste ja ohnehin nicht viel über ihn. Aber frieren würde er heute Nacht, denn das Fenster musste ich kippen, die Luft war zu schlecht. Ich breitete eine Wolldecke über ihm aus und streifte ihm vorsichtig die Schuhe ab, dann räumte ich möglichst leise leere Gläser, volle Aschenbecher und bowlenverklebte Teelöffel weg, wischte den Tisch feucht ab und stellte eine Flasche Cola und ein sauberes Glas hin, außerdem einen halben Blister Aspirin, das konnte er morgen früh sicher gebrauchen.
Alles andere konnte ich morgen machen! Ich duschte flüchtig, die Angst, kein Topf könnte ein Deckelchen finden, hatte mich richtig zum Schwitzen gebracht. Dann schlüpfte ich in ein Sleepshirt, putzte mir die Zähne, warf zwei vergessene Jacken vom Bett und kroch unter die Decke. Herrlich, ausschlafen, drei Tage frei, wegen Pfingsten! Und ich war auch so müde... Ich schlief schnell ein und träumte allerlei Blödsinn. Irgendwie war mir ziemlich warm, obwohl ich auch im Schlafzimmer das Fenster gekippt hatte. Richtig heiß. Brannte es? Ich schnupperte – nein, ich roch nur etwas Alkoholatem. Im Halbschlaf – oder träumte ich das alles nur? – kuschelte ich mich wieder zurecht, aber es blieb so heiß. So warm waren doch weder Nachthemd noch Decke?
Nein, daran lag es auch nicht, stellte ich in meinem Traum fest – ich war nicht alleine im Bett! Ein sehr harter und heißer Körper, fast fiebrig heiß, presste sich von hinten an mich. Ich gab ein fragendes Geräusch von mir und bekam ein „Schscht...“ zur Antwort, dann spürte ich eine Hand auf meiner Schulter, die mich auf den Rücken zu drehen versuchte. Jetzt sollte ich eigentlich kreischen und das Licht anmachen, durchfuhr es mich in meinem Traum, aber wie in solchen Situationen üblich konnte ich mich nicht bewegen. Genau genommen wollte ich das auch gar nicht, die Idee, mit einem Wildfremden im Bett zu liegen, machte mich richtig an. Wie zügellos man im Traum sein konnte, wenn das Über-Ich pennte! Das war der beste Beweis dafür, dass das alles nicht real war – am helllichten Tag wäre mir ein Begriff wie Über-Ich doch gar nicht eingefallen!
Also ließ ich mich willig auf den Rücken drehen und spürte im selben Moment einen fremden Mund auf meinem. Weiche, entspannte, vorsichtige Lippen, eine vorwitzige Zungenspitze. Was tat man da, wenn man alles durfte?
Ganz klar, man revanchierte sich! Ich ließ meine Zunge leicht über die fremden Lippen wandern und verfolgte interessiert, wie sich der Druck langsam verstärkte, wie die fremde Zunge sich langsam in meinen Mund vorarbeitete und meine Zunge dann in ihr Territorium saugte, bis der Kuss das leidenschaftlich-fieberhafte Stadium erreicht hatte und mir sogar im Traum den Atem nahm.
Der Traumprinz wurde kühner, ich spürte die Hand wieder, die langsam von meiner Schulter tiefer glitt, durch den Baumwollstoff hindurch meine Brüste streichelte, weiter nach unten glitt und schließlich unter das Sleepshirt schlüpfte. Als ich die warme Hand auf der bloßen Haut spürte, stöhnte ich auf und hielt sofort erschrocken inne, schließlich wollte ich ja nicht aufwachen!
Die Hand kroch wieder nach oben, spielte mit meinen Brustwarzen, bis sie hart waren vor Erregung, streichelte meinen Nabel, nahm schließlich die andere Hand zu Hilfe und zog mir das Nachthemd über den Kopf. Völlig geräuschlos, damit ich nicht aufwachte.
Ich hatte auch nicht vor, aus diesem himmlischen Traum jemals wieder aufzuwachen, ich wollte mich einfach fallen lassen und genießen. Als die Hand von meinem Nabel aus wieder tiefer vordrang, spreizte ich willig die Beine und wartete, was nun passieren würde. Die Finger glitten zwischen meine Beine, spreizten mich, streichelten mich, drangen in mich ein, zogen sich wieder zurück – und ich durfte nicht keuchen, sonst würde der Traum zerplatzen wie eine Seifenblase. Stumm genoss ich die köstlichen Gefühle, die diese Finger in mir weckten und traute mich schließlich doch, eine Hand nach dem Fremden in meinem Bett auszustrecken. Er war nackt, stellte ich fest, denn das erste, was ich berührte, war ein Schwanz, der sehr eindrucksvoll in Stimmung zu sein schien. Ich ließ eine Fingerspitze zaghaft darüber gleiten und spürte im nächsten Moment das Gewicht eines Körpers auf meinem und den köstlichen leisen Schmerz, als er sich einen Weg in mich bahnte. Ich hatte gar nicht gewusst, wie sehr ich das vermisst hatte, notierte ich in meinem Traum – warum dachte ich in wachem Zustand eigentlich nicht so klar?
Wir bewegten uns traumverloren und langsam und ich fühlte, wie die Spannung stieg, immer höher und höher und schließlich zusammenfiel. Das Pochen in meinem Inneren erschien mir viel stärker als sonst – weil ich träumte? Weil ich kein Geräusch von mir geben durfte? Das war mir merkwürdigerweise ungemein wichtig. Ganz klar, würde ich etwas sagen, stöhnen, seufzen – dann läge ich plötzlich mit leeren Armen da, und das wollte ich nicht. Plötzlich erstarrte er in mir und ich spürte seinen Höhepunkt ganz deutlich, obwohl auch er keinen Laut von sich gab. Langsam glitt er aus mir heraus drehte mich auf die Seite, presste sich hinter mich und zog mich mit einem sehnigen Arm, das spürte ich deutlich an meiner Taille, fest an sich. Der leise Atem neben meinem Ohr, die Wärme und Nähe, die Nässe zwischen meinen Beinen, das entspannte Gefühl... ich schlief selig weiter und nahm nur noch undeutlich war, wie er ein zweites Mal in mich eindrang, an mich geschmiegt wie die berühmten Löffelchen in der Schublade. Dieses Mal konnte er wohl einen leisen Laut nicht unterdrücken, aber ich wachte nicht auf. Schön intensiv, dieser Traum, dachte ich und schlief weiter, so leicht platzt der nicht.
Als ich aufwachte, war es strahlend hell im Zimmer. Ich bewegte mich nicht und versuchte erst einmal, die Uhrzeit anhand der Schatten an der Wand zu erraten – eines meiner typischen Wochenendspiele. Ziemlich weit schon, etwa Viertel nach zehn, halb elf...
Erst als ich mich umdrehen wollte, um nach dem Wecker zu schielen, spürte ich den Arm um meine Taille und erstarrte. Dann war das heute Nacht doch kein Traum gewesen? Ich hatte wirklich mit irgendeinem Wildfremden geschlafen? Wie peinlich! Andererseits, überlegte ich fieberhaft und lag weiter ganz still, besser ein wirklich Wildfremder als ein guter Bekannter, das wäre dann erst recht peinlich – und wie!
Mein Blick wanderte langsam tiefer, während ich vor mir selbst zugeben musste, dass ich mir das mit dem Traum nur eingeredet hatte, um nicht aufhören zu müssen, um genießen zu können. Der Arm um meine Taille war hart, sehnig, gebräunt und dunkel behaart.
Mit schwante Entsetzliches, und ich drehte mich vorsichtig um, um der Wahrheit ins Auge zu sehen. Ja, da lag er, friedlich schlafend – mein Chef. Ich hatte es mit Lukas getrieben! Mit Lukas, den ich dauernd zu verkuppeln versuchte, mit Lukas, über den ich nichts wusste, außer dass er irgendwie frauenfeindlich war. Schlafend sah er zwar nicht feindselig aus, eher erstaunlich entspannt, aber ich wusste ja, wie er den Kundinnen auswich.
Langsam rutschte ich von ihm weg, so dass der Arm schließlich auf das Laken
sank, ohne dass Lukas dabei aufwachte. Als ich mich endlich befreit hatte, krabbelte ich hastig aus dem Bett und verschwand im Bad, frische Klamotten unter dem Arm. Im Spiegel sah ich aus wie immer, nicht verworfen, nicht verwirrt, nicht verkatert – ich hatte ja auch nur drei Gläser Bowle getrunken. Konnte ich einfach so tun, als sei nichts gewesen?
Ich schrubbte mir Gesicht und Zähne und stieg unter die Dusche. Lukas war bestimmt betrunken gewesen, sonst hätte er das wohl nicht gemacht, dem war das sicher noch peinlicher als mir. Und ich? Warum hatte ich es gemacht? Auf den Suff konnte ich mich wohl nicht herausreden, überlegte ich missmutig und schäumte mich üppig ein, vielleicht lag es an der aufgeheizten Stimmung auf der Party. Wenn man lauter frischgebackenen Pärchen zusieht und sich überlegt, dass sie noch heute Nacht oder in ein paar Tagen bestimmt einigen Spaß haben werden, möchte man selbst vielleicht auch ein bisschen Vergnügen. Und wenn der stumme Fremde es einem dann so leicht macht, sich einzureden, das sei bloß ein Traum – wer sollte da widerstehen können?
Auf jeden Fall sollte ich so tun, als sei das nie passiert. Wenn ich jetzt mit Frühstück ans Bett träte, Lukas küsste und sagte Hallo, Schatz, wann heiraten wir? – er fiele tot in die Kissen zurück. Ich wollte aber weiter bei Holz nach Maß arbeiten und nicht kündigen, weil die Situation unhaltbar geworden war. Außerdem hatte ich doch eigentlich Saskia für Lukas vorgesehen!
Also, am besten war überhaupt nichts passiert. Wenn ich Glück hatte, war Lukas so weggetreten, dass er das Ganze wirklich für einen Traum hielt und sich gar nichts dachte. Er konnte sich höchstens wundern, weil er nicht mehr auf dem Sofa lag, sondern in meinem Bett.
Aber wenn er gar nichts mehr wusste, musste er stockbesoffen gewesen sein – und dann hätte er die Szene nicht mehr so gut im Griff gehabt. Ich erinnerte mich gut an seine Hände und seine Lippen – und auch an die eindrucksvolle Erektion: Machte Alkohol nicht impotent? Davon hatte man nichts gespürt, absolut nicht, wenn man mal von der leichten Alkoholfahne absah.
Nachdenklich zog ich mich an, Jeans und Sweatshirt, ich besaß ohnehin fast nichts anderes. Hatte Lukas gewusst, was er tat? Hatte er mit mir schlafen wollen? Unmöglich! Oder? Er hatte nie irgendwelche Signale ausgesandt, dass er sich für mich interessierte, ich hatte immer das Gefühl gehabt, dass es ihm total egal war, ob seine Mitarbeiter Männlein oder Weiblein waren, solange sie nach Maß arbeiteten und gute Kumpels waren.
Ich wischte die Duschpfützen rasch auf und schlich dann in die Küche. Heiliger Saustall, wie sah es denn hier aus! Da hatte ich noch hübsch zu tun, nur gut, dass ich nicht verkatert war. Vom Sofa zog sich eine Spur in den Gang, bestehend aus Jeans, Sweatshirt, Socken und Shorts. Ich betrachtete sie ratlos. Aber wenn Lukas splitterfasernackt in meinem Bett aufwachte und nichts hatte, um seine Blößen zu bedecken, wäre ihm das bestimmt peinlich. Also sammelte ich die Klamotten ein, die stark nach Rauch und leicht nach Aftershave rochen, schüttelte sie aus und legte sie in der richtigen Reihenfolge vor das Bett, in dem er immer noch schlief. Ich betrachtete kurz seinen Rücken – nicht sehr breit, aber muskulös und dunkel. Sah gut aus, unbestreitbar. Was hielt ich eigentlich von ihm? Das war jetzt völlig irrelevant, ermahnte ich mich streng und stapelte die Klamotten unübersehbar auf. Oder hieß dass dann Zieh dich an und verschwinde? Nein, es sollte nur heißen Ich will nicht, dass du dich hier nackt präsentieren musst, wo du das doch gar nicht willst. Ob er das verstand? Jedenfalls schlief er immer noch, umso besser. Je länger es dauerte, bis er aufwachte, desto normaler sah die Wohnung wieder aus und desto leichter ließ sich die ganze Situation verdrängen.
Ich fühlte das Spülbecken bis zum Rand mit heißem Wasser und reichlich Spülmittel und ließ die erste Hälfte der Gläser hineingleiten, wischte den großen Tisch gründlich ab, arrangierte die Anti-Kater-Ausrüstung dort, stellte Kaffeebecher auf, füllte die Kaffeemaschine und ließ sie laufen, spülte die erste Ladung Gläser und weichte die zweite Hälfte ein, sammelte sämtlichen Müll ein, schüttelte die Kissen auf den Sofas auf, nachdem ich die Krümel auf den Boden gefegt hatte, lüftete weiter – der Rauch hatte sich erst halb verzogen -, trocknete die Gläser ab und verräumte sie und stellte Teller und Besteck in den Schaumberg. Die Arbeitsplatten waren schon wieder sauber (wieso hatte ich Trottel die drei letzten Semmeln nicht eingefroren? Jetzt waren sie altbacken), und bis aufs Staubsaugen hatte ich eigentlich alles erledigt. Kurz vor zwölf. Hoffentlich hatte Lukas nichts vorgehabt! Aber das war nun wirklich sein Problem.
Ich legte ihm frische Handtücher und eine originalverpackte Zahnbürste ins Bad, räumte den Flur wieder so auf, wie er im Alltag aussah, wenn er nicht als Tanzfläche diente, spülte auch die Teller, Messer und Gabeln und verräumte alles. Als ich gerade das Spülbecken liebevoll ausgewischt hatte und überlegte, was ich jetzt tun sollte – staubsaugen? Das würde ihn nur wecken. Einkaufen? Dann haute er womöglich in wilder Panik ab, ohne dass ich Gelegenheit gehabt hatte, harmlos zu tun – kam Lukas in die Küche, in Jeans, mit nacktem Oberkörper. Ich erschrak über das wilde Begehren, das mich bei seinem Anblick packte, und lächelte freundlich. „Guten Morgen! Einen Kaffee? Und ein Aspirin?“
Er betrachtete mich einen Moment lang mit undurchsichtiger Miene. Jetzt dachte er wohl Wieso hab ich mir der -? Gar nicht mein Typ! Na, vielleicht erwähnt sie es nicht. Den Gefallen konnte ich ihm tun. Ich erwiderte seinen Blick betont harmlos-neutral und sah, wie seine Augen noch undurchsichtiger wurden. Kunststück, sie waren fast schwarz und auch in unverfänglicheren Situationen sehr schwer zu deuten. Dann lächelte er kurz. „Danke, ein Kaffee wäre nett. Und ein Aspirin schon notwendig, denke ich.“ Er setzte sich, trank langsam starken schwarzen Kaffee, spülte die Tablette damit herunter und sah mir zu, wie ich das Becken fertig polierte.
Danach setzte ich mich zu ihm. „Was liegt am Dienstag eigentlich an, außer Marcs Garderobenausstattung?“
Er runzelte die Stirn. Hatte er es vergessen? Nein. „Wir müssen die Kniestockschränke zuschneiden und die Teile lackieren. Hättest du etwas dagegen, wenn ich schnell dusche?“
„Nein, natürlich nicht. Es liegt alles im Bad.“
Er verschwand, und ich sah ihm erleichtert nach. Er wollte den Vorfall also auch ignorieren, umso besser! Jetzt musste ich ihm nur noch einige Tage etwas aus dem Weg gehen, und alles war wie vorher.
Während es hinter der Badezimmertür prasselte, holte ich meine Notizen über die Kniestockschränke – ich nahm immer eine Kopie mit nach Hause, um bei einem kreativen Schub (der fast nie kam) gerüstet zu sein.
Die Griffleisten sollte Lukas selbst machen, da hatte er die geschickteren Finger. Nein, das war kein guter Gedanke. Ich verdrängte das Bild seiner Finger an und in meinem Körper und konzentrierte mich lieber auf die Frage, welche Scharniere wir verwenden sollten. Blieben die Standarddinger von außen unsichtbar? Ich guckte in meine Küchenschränke – ja, das funktionierte, von außen sah man gar nichts, obwohl die Türen in den Rahmen eingepasst waren und nicht auflagen. Ich zeichnete ein bisschen herum, berechnete die Abmessungen der Griffleisten und erschrak, als Lukas zurückkam, mit feuchtem Haar und nun vollständig bekleidet.
Er setzte sich wieder, trank seinen Kaffee aus und sah mich dann an. „Danke!“
Ich schaute blöd. „Keine Ursache – aber wofür?“
„Für – ach, für alles eben. Und jetzt lass die Entwürfe mal liegen und genieß die Feiertage, wir können auch am Dienstag weitermachen. Am Donnerstag bauen wir doch ohnehin erst einmal den Korpus ein, und den haben wir schon berechnet. Ich glaube, ich gehe jetzt mal, ich hab noch nichts eingekauft.“
Er stand wieder auf, lächelte etwas ratlos und ging dann ohne Abschiedsgruß. Ich wusste nicht, was ich empfand, als ich blicklos auf die geschlossene Wohnungstür starrte. Was sollte ich empfinden? Sollte ich froh sein, froh, dass er weg war, bevor die Situation zu unangenehm wurde? Froh, dass er diese Nacht auch nicht erwähnt hatte? Wahrscheinlich schon, denn was hätte uns ein solches Gespräch denn groß gebracht? Entweder hätten wir uns verlegen versichert, dass das alles rein gar nichts zu bedeuten hatte, dass es nur am Alkohol gelegen hatte – er wusste sicher nicht, wie wenig ich getrunken hatte – , oder er hätte taktvoll versucht, mir zu erklären, dass er eigentlich nicht... also, dass es ihm Leid täte, wenn... aber sei nicht auf der Suche nach... stotter, stotter – ich wäre langsam immer röter geworden und hätte wenig glaubhaft versichert, dass es mir doch genauso ginge, was denkst du denn! Und dann wäre die Verlegenheit zwischen uns so groß geworden, dass ich wahrscheinlich angeboten hätte, mir einen anderen Job zu suchen, denn so konnte man ja wirklich nicht richtig zusammenarbeiten. Nein, ich war wirklich froh, dass Lukas auch die Verdrängungsmethode vorgezogen hatte. Wir würden schweigen, und wenn wir eine Zeitlang geschwiegen hatten, dann wäre das Ganze auch nie passiert.
Gab es eine Alternative? Natürlich könnte man auch offen zu einem lustigen Nümmerchen ohne tiefere Bedeutung stehen, aber dazu war Lukas nicht der Typ, glaubte ich. Und so scharf war ich auf Standard-one-night-stands auch wieder nicht.
Ulli wäre eher der Typ dazu, sie könnte sagen War nett, Jungchen, vielleicht sieht man sich mal wieder. Oder auch Chef, nimm´s nicht tragisch, das hat Spannungen abgebaut, und jetzt arbeiten wir flott weiter. Ja, aber ich konnte so was nicht sagen. Warum eigentlich? Weil ich Lukas mochte, musste ich zugeben. Gut, Marc mochte ich auch, wie einen etwas doofen kleinen Bruder (er war doppelt so doof wie Paul und Robbi zusammen), aber Lukas mochte ich anders. Ich hatte Respekt vor ihm, weil er fachlich so gut war, weil er so viel Beherrschung zeigte, weil er eine Firma führen konnte – und ich fand ihn schön. Warum eigentlich?
Objektiv war er nicht schön, er war sehr dünn, sehr sehnig, braungebrannt, als hätte er keine Angst vor Hautkrebs – oder war er von Natur aus eher dunkelhäutig? - , guckte mürrisch, hatte Augen, in denen man kaum lesen konnte, weil sie fast so dunkel waren wie die Pupille, und zwar nicht feucht-exotisch-dunkelbraun, sondern hart und schwarz oder meinetwegen anthrazitgrau; die dichten dunklen, meist gerunzelten Augenbrauen ließen die Augen noch schattiger wirken. Dazu hatte er genauso dunkle Haare mit einzelnen weißen darin, ein fast ausgemergeltes Gesicht, eine zu lange Nase und einen verblüffend weichen Mund, wenn man daran dachte, wie hart die schmalen Lippen wirkten.
Nein, er war nicht schön, aber erotisch – oder? Könnte ich ihn küssen, wenn ich ihm vorher ins Gesicht sah? Hatte das heute Nacht nicht nur funktioniert, weil er sich von hinten angeschlichen hatte und es außerdem dunkel gewesen war? Würde ich mich das im Hellen überhaupt trauen? Nie, er wollte das doch auch gar nicht, da war ich sicher.
Ich ging erst einmal einkaufen, denn für ein langes Wochenende reichte das Vorhandene keinesfalls, auch wenn es morgen Mittag bei Mami Hirschgulasch mit Spätzle geben sollte. Ich war ja gespannt, was meine Brüder von der Liebesfront zu berichten hatten!
Im Supermarkt ging es zu, als sei ein Krieg ausgebrochen; ich ergatterte gerade noch den letzten Kasten Cola, einige Flaschen Wasser, ein Paket geschnittenes Brot, das das Verfallsdatum vom Dienstag trug, fertig abgepackten Aufschnitt und Käse, zwei Tüten Chips und einen Strauß Bananen. Dann stand ich ungefähr eine Stunde lang in der Kassenschlange, die fast bis zu den Tiefkühltruhen zurückreichte, und las in der Fernsehzeitung, ohne mich richtig darauf konzentrieren zu können.
Gestern um diese Zeit war das Leben noch unkompliziert gewesen – und jetzt?
War das meine Schuld? Oder seine? Oder ein dummer Zufall? Ein Ausrutscher, der keine Rolle spielte? Aber ich merkte immer mehr, dass Lukas mir nur allzu gut gefiel. Heiliger Kitsch, man konnte glatt glauben, ich sei in ihn verliebt! Ja, so war´s auch, erkannte ich erschrocken. Ich war doch tatsächlich in meinen muffigen Chef verliebt! Völlig sinnlos, er schien sich ja überhaupt nicht für Frauen zu interessieren... Die schönsten Kundinnen ließen ihn kalt, und es war ja auch nicht so, als hätte er schon jemals mehr als rein Berufliches mit mir zu besprechen habt, außer ein bisschen Geblödel.
Aber schwul war er nicht, glaubte ich. Natürlich gab es eine ganz einfache Erklärung für seine Zurückhaltung allen Frauen gegenüber: Er war verheiratet oder hatte eine feste Freundin. Verdammt, ich wusste wirklich gar nichts über ihn, nur, dass er ein exzellenter Schreiner war – und ein guter Liebhaber.
Ich rückte in der Schlange einige Wagenlängen weiter vor, weil eine weitere Kasse geöffnet worden war. Wie alt war er? Verheiratet? Kinder? Eltern? Geschwister? Wo wohnte er? Hatte er Hobbys, außer dem Sammeln von Raumpatrouille-Videos?
Er war kein strikter Antialkoholiker, fuhr gut Auto, konnte zur Not über sich selbst lachen – ich dachte an die Sägeunfall-Geschichte – und trug immerzu schwarze Jeans und dunkle Sweatshirts. Mehr wusste ich wirklich nicht, und da ich schlecht an unseren Personalordner herankam, der in seinem Büro stand, konnte ich auch sonst nichts herauskriegen. Seine Lohnsteuerkarte – ach nein, er war ja der Chef. Aber seine Steuerklasse hätte mir schon weitergeholfen. Ob Marc etwas wusste? Der ging nachher mit Barbara in StarWars II... wie zwei verliebte Teenies, ganz unbeschwert. Etwas Neid verspürte ich tatsächlich, als ich mich bückte und begann, die Waren auf das Laufband zu hieven.
Andererseits hatte Barbara doch auch noch Manuel – also konnte es durchaus sein, dass Marc es mit ihr gar nicht so leicht hatte. Neid war nicht angebracht, beschloss ich kurz darauf und stapelte alles in meinen Kofferraum.
Die Wohnung roch mittlerweile nicht mehr nach Rauch und die Sonne schien heiß vom Himmel. Es war direkt schwül, und für morgen wurden Gewitter angekündigt. Ich stopfte meine Einkäufe an die richtigen Stellen, schlüpfte in einen Badeanzug und ein verschossenes Sommerkleid und trabte die Sophienstraße entlang nach Osten bis zur Uni und dann nach Norden. Das Helenenbad hatte seit Anfang Mai geöffnet, und ich hatte jetzt große Lust, einige Runden zu schwimmen, um mich abzureagieren.
Ich warf mein Handtuch und mein Sonnenspray unter einen schattigen Strauch verstaute Schlüssel und Geld in dem kleinen Umhängesafe und kletterte ins Wasser. Hui, noch ziemlich kalt, wenigstens zu Anfang! Wenn man erstmal ganz nass war, war es auszuhalten, diese Binsenweisheit kannte ich auch. Ich schwamm das große, halb leere Becken einige Male auf und ab, bis ich merkte, wie die Anspannung langsam von mir abglitt. Vielleicht sollte ich einfach abwarten – bis Dienstag konnte auch Lukas beschlossen haben, den Vorfall einfach zu ignorieren. Dumm war eben nur, dass er mein Chef war, ansonsten hätte man das Ganze als nette Freizeitbeschäftigung abtun können. Gefallen hatte es mir ja – genau genommen war das die romantischste Nacht gewesen, die ich je verbracht hatte.
Und dass ich ihn verliebt war – das war eben Schicksal und gab dem Arbeitsalltag sicher ein leichtes Prickeln, auch wenn ich es für mich behalten musste, um den armen Kerl nicht in Verlegenheit zu bringen.
Ja, so konnte es weitergehen, überlegte ich beruhigt und schwamm noch zwei Bahnen, dann reichte es mir, ich kletterte wieder an Land und legte mich in die Sonne, bis der Badeanzug einigermaßen getrocknet war.
Zu Hause war ich mir nicht mehr so sicher, ob ich wirklich mit der Situation zurechtkommen würde, aber jetzt konnte ich ja ohnehin nichts mehr machen, also konnte ich genauso gut die Feiertage genießen.
Besonders gut gelang mir das zwar nicht, aber wenigstens war der Sonntag ganz gemütlich: Ich stopfte mich mit Hirschgulasch und Spätzle voll, außerdem mit meinem Lieblingseis, Gebrannte Mandel, und hörte gutmütig zu, wie meine Brüder von ersten Erfolgen berichteten: Robbi war mit Claudia vegetarisch essen gegangen, bekundete aber seine feste Entschlossenheit, sich nicht bekehren zu lassen.
„Aber Claudia ist wirklich nett. Und sie sieht toll aus. Und ich glaube, sie mag mich. Und sie hat auch mal ein paar Semester Germanistik studiert und wir haben uns gut unterhalten.“
„Für einen Germanisten hat du einen etwas einfallslosen Satzbau, findest du nicht?“, merkte ich an, aber Robbis Begeisterung war nicht zu bremsen. „Ich glaube, das mit Claudia könnte wirklich was werden, was Dauerhaftes.“
„Mensch, du kennst sie gerade mal zwei Tage, jetzt warte doch mal ab“, antwortete ich leicht gereizt.
Pauls Erzählungen waren genauso enthusiastisch, Sandra schien sich sehr für seine Erzählungen aus seiner Jugend interessiert zu haben (Männer redeten immer am liebsten von sich selbst, und die Frauen hörten brav zu, während sie doch viel lieber von sich erzählen wollten) und fand offenbar alles ganz toll, was er so machte, jedes mickrige Abenteuer, jeden VWL-Schein, jedes Hobby. Er hatte sie für Dienstag auf ein Konzert eingeladen, für das er ohnehin zwei Karten hatte. Eigentlich hatte er Julia damit überraschen wollen, aber sie hatte ihn zu früh rausgeworfen – ihr Pech.
„Vielleicht solltest du dir bei Sandra merken, wann ihr euch kennen gelernt habt, und auch den Müll runtertragen“, schlug ich im Interesse einer etwas dauerhafteren Beziehung vor.
„Welchen Müll? Wir waren bis jetzt bloß bei McDonald’s.“
„Und wer hat das Tablett zurückgetragen?“
„Ich!“ Er warf sich stolz in die Brust.
„Wahnsinn – der neue Mann? Hoffentlich hältst du das durch!“
Einer dümmer als der andere, aber süß waren sie schon, so glücklich, wie sie mit ihren nagelneuen Freundinnen waren.
„Hast du gut gemacht“, murmelte Mami zwischendurch, „und, hast du für dich auch was gefunden?“
Ja, ich hab mich von meinem Chef vögeln lassen. „Nein“, antwortete ich zahm, „aber ich war ja schließlich die Gastgeberin. Außerdem suche ich doch gar keinen Mann.“
„Ach, Steffimaus, warum denn nicht? Schau mal, allmählich wärst du doch wirklich im besten Alter, um Kinder-“
„Mami, lass das, ja? Kinder kann ich in fünf Jahren auch noch kriegen, sogar in zehn. Schau, die beiden werden dir sicher eher Enkel bescheren, und wer zuerst zuschlägt, ist doch wirklich egal!“
„Nein! Aber Steffi, mir geht es nicht darum, wer mich zur Oma macht -“
„Ach was!“
„-sondern darum, dass du dein Glück findest.“
„Hab ich doch! Ich bin wunschlos glücklich, ich hab nette Freunde, nette Kollegen und einen tollen Beruf.“
„Das ist doch nicht alles im Leben!“
„Für mich schon. Und können wir jetzt mal das Thema wechseln?“
Mami schaute unzufrieden drein, erkundigte sich aber brav danach, was ich über Claudia und Sandra so wusste. Viel war es nicht, gerade mal die Adressen, weil sie ja Nachbarinnen von Ulli und Heike waren, außerdem, dass ich beide ganz nett fand, so auf den ersten Blick, und dass Claudia in einem Kunstgewerbeladen arbeitete und leicht esoterische Anwandlungen hatte. Das fand Mami etwas bedenklich, also fragte ich Robbi, wie sich die Esoterik bis jetzt geäußert hatte.
Er zuckte die Schultern. „Naja, sie ist Vegetarierin, aber nicht sehr strikt. Gependelt oder mir die Karten gelegt hat sie nicht, und von irgendwelchen Kursen hat sie auch nicht erzählt. Aber sie hat wunderschöne Augen, ganz groß und hellbraun, mit kleinen dunkleren Flecken darin – und eine tolle Figur...“
„Männer können tatsächlich besser gucken als denken“, grinste ich Mami zu. „Paul, was weißt du über Sandra?“
„Steffi, du nervst! Ich wollte mir gerade den Rasenmäher angucken gehen! Na gut, sie ist hübsch, man kann sich mit ihr gut unterhalten, sie studiert BWL und ist kurz vor dem Diplom – und sie hat einen uralten Käfer, über den haben wir uns lange unterhalten. Außerdem freut sie sich auf das Konzert am Dienstag. Reicht das? Kann ich jetzt gehen?“
Ich wedelte ihn gnädig fort, und Robbi trabte sofort hinter ihm her. Mit dem Rasenmäher waren sie dann eine gute Stunde angenehm beschäftigt; wahrscheinlich war er hinterher kaputter als vorher. Ich legte mich auf einen Liegestuhl unter den Apfelbaum, der seit Jahren nicht mehr trug, und sah ihnen träge zu. Sehr entspannend, vor allem wenn ich mir die Feiertage nicht damit versaute, dass ich an Lukas – nein, eben nicht!
Ich brauchte dringend ein paar andere Hobbies und Pläne, beschloss ich, nur die Arbeit (nein, die Gedanken nicht schweifen lassen!), die Filmsammlung und ab und zu Fabrizio´s, das war nicht genug. Vielleicht etwas mehr Kultur? Sollte ich mir auch irgendwo einen Macker suchen, einen, mit dem man wirklich etwas anfangen konnte? Mehr Sport? Vielleicht in einem Verein? Bessere Bücher lesen? Töpfern? Heiliger Strohsack, nein! Meine Wohnung renovieren? Unsinn, die war ganz in Ordnung so, wie sie war, und schließlich wurde sie doch ohnehin bald abgerissen, also war es doch sinnlos, noch Geld hineinzustecken...
Als ich wieder aufwachte, ging ein leichter Wind, und im Westen schien sich etwas zusammenzubrauen. Mir fiel ein, dass ich zu Hause zwei Fenster gekippt hatte, damit die Nikotinreste abziehen konnten, und die fette graue Wand sah sehr wenig vertrauenerweckend aus; also verräumte ich als gute Tochter den Liegestuhl und verabschiedete mich mit dem Hinweis darauf, dass es sonst bei mir hineinregnete. Mami wünschte mir geistesabwesend eine schöne Woche und trabte von Fenster zu Fenster, um sie zuzuknallen.
„Es soll hageln, denk an deine Balkonpflanzen!“
„Mach ich“, versprach ich, obwohl mein kleiner Küchenbalkon total kahl war, wenn man von den leer getrunkenen Bierträgern mal absah. Ich fuhr hastig nach Hause und stellte das Auto ausnahmsweise nicht auf der Straße ab, sondern in den hässlichen Unterstand im Hof. Das dicke Dach aus gewelltem, gelblich verfärbtem Plastikmaterial würde meinen Lack doch wohl hinreichend schützen?
Ich war kaum in der Wohnung angekommen und hatte die beiden Fenster fest verrammelt, als es auch schon losging – über eine Stunde lang stand eine Gewitterfront über der Stadt, es blitzte und donnerte ununterbrochen und der Regen rauschte nur so herunter. Da lief sicher wieder der Keller voll! Umso besser, dann musste ich den Krempel, von dem ich mich nie trennen konnte, endlich doch mal wegwerfen.
Eindrucksvolles Wetter! Ich stand die meiste Zeit am Fenster und schaute in den finsteren frühen Abend, der nur ab und zu in grellem Violett (lilablassblau, so wie in der Grundschule?) erleuchtet wurde. Schließlich ging ich früh ins Bett, mit dem festen Vorsatz, morgen irgendetwas Sinnvolles zu unternehmen.
So einfach war das gar nicht – etwas Sinnvolles? Zunächst trödelte ich herum, bis es spät genug war, die anderen anzurufen. Ulli musste sich heute um ihre Großeltern im Altersheim kümmern und hatte hinterher noch etwas vor, wollte aber nicht sagen, was. Torsten, dachte ich und feixte in mich hinein. Barbara hatte etwas mit Marc vor – und am Abend etwas mit Manuel, sie war ja ganz schön im Stress! Marc schien ihr gut zu gefallen, und ich hörte mir zufrieden an, was sie über unseren Welpen zu berichten hatte.
Bei Heike ging niemand hin, und Alfred oder Peter wollte ich nun doch nicht anrufen, sollten die andere Leute mit Jesus liebt dich oder ihrem Rennwagensound nerven! Außerdem schienen sie sich auf meiner Party auch ganz gut versorgt zu haben.
Alle hatten was, nur ich hatte nichts! Meine edle Grundeinstellung, Hauptsache, meine Gäste sind gut untergebracht, bröckelte langsam etwas ab.
Noch mal ins Helenenbad und das Angebot checken? Nein. Aber ich konnte mich mal ein bisschen auftakeln und in die Stadt gehen, Eis essen oder Schaufenster angucken. Und danach vielleicht ins Museum? Nein, auch Pfingstmontag war Montag, da hatten die Museen zu. Vielleicht ins Kino. Oder nur spazieren gehen, das war doch auch ganz nett, und ich konnte etwas Bewegung brauchen.
Ich trug ein bisschen Make-up auf und betrachtete mich im Spiegel. Wieso war mein Gesicht so dreieckig? Waren meine Backenknochen immer schon so breit gewesen? Und mein Kinn so spitz? Und meine Haare so flusig? Ich bürstete sie kräftig und band sie dann wieder zusammen. Offen waren sie unerträglich, sie waren so fein, dass sie dauernd herumflogen und mich kitzelten. Und diese langweilige Farbe, irgendwo zwischen Aschblond und Hellbraun. Die Augen waren auch nichts, zwischen Grau und Blau. Überhaupt sah ich irgendwie durchschnittlich aus, langweilig. Da half auch Wimperntusche nicht mehr viel, auf die musste ich bloß immer heulen. Meine Hände waren ganz hübsch, mit langen, schmalen Fingern – und total ruinierten Fingernägeln. Ich musste sie ganz kurz halten, weil mir sonst zu leicht Holzspreißel daruntergerieten, und beim Herumzerren von Brettern rissen sie auch gerne noch ein.
Verdammt, ich war Handwerkerin, wollte ich denn wie ein Model aussehen? Ja, wenn es mir jemanden einbrachte, mit dem ich heute ein bisschen herumbummeln konnte! Mamis Gesäge an meinen Nerven schien Wirkung zu zeitigen, ich war offenbar doch nicht wunschlos glücklich.
Ich beschränkte mich darauf, mir die Hände dick einzucremen, und machte mich dann auf in Richtung Stadt. In den Schaufenstern war nichts wirklich Aufregendes zu sehen, hauptsächlich bauchfreie Tops in Bonbonfarben, wofür ich gut zehn Jahre zu alt war. In der Rathausbuchhandlung war alles mit Der Herr der Ringe dekoriert, und Fantasy hatte ich immer schon gehasst. Lieber schlenderte ich in Richtung Burggasse, wo die Möbelgeschäfte dicht gedrängt standen, und guckte, ob ich ein paar Ideen klauen konnte. War ich schon zum Workaholic geworden? Am Pfingstmontag Ideen sammeln? Nach dem dritten Schaufenster – von wegen Ideen! – verlor ich ohnehin wieder die Lust. Lieber ein Eis! Im San Carlo war es brechend voll, aber ich ergatterte noch einen winzigen Tisch, der gerade frei wurde, und bestellte mir einen kleinen Eisbecher, Pfirsich, Nuss und Schokolade mit gehackten Mandeln. Natürlich blieb ich an diesem Tisch nicht lange alleine; als ich gerade genüsslich einen Löffel voll Schokolade mit Mandeln im Mund zergehen ließ, fragte eine Stimme: „Ist hier noch frei?“ Ich antwortete nur mit einer Handbewegung und zog mein Eis näher zu mir hin.
„Kühl geworden“, versuchte der neue Gast etwas Konversation.
„Kein Wunder nach dem Gewitter.“ Smalltalk konnte ich auch, wenn ich auch
keine rechte Lust hatte. Ich sah mit mäßigem Interesse auf. Etwas dicklich und schwabbelig, mein Gegenüber – und der affige Schnurrbart! Er musterte mich ebenfalls, wobei es mir schien, dass sein Blick etwas unterhalb meines Gesichts länger verweilte.
Ich konzentrierte mich wieder auf mein Eis. „So allein, schöne Frau?“
Gott, wie originell! Eine Antwort würde er darauf doch wohl nicht erwarten?
„Sind Sie schüchtern?“
Ich warf ihm einen giftigen Blick zu, und er lachte albern. „Huch!“
Dann bestellte er sich bei der Serviererin ein Pils. Pfui Teufel, um diese Tageszeit! Er spielte mit seinem Autoschlüssel herum, der auf dem kleinen Eisentisch klackerte und klimperte, was mir ziemlich auf die Nerven ging. Ich hatte den Mercedes-Anhänger wohl bemerkt, hütete mich aber, das Gespräch darauf zu bringen.
„Könnten Sie das lassen? Das Geräusch tötet einem ja den Nerv!“
„Ah, Sie haben gestern gefeiert, was? Kopfweh? Dann brauchen Sie ein Bier zum Abgewöhnen, absoluter Geheimtipp!“ Geheimtipp? Das wusste doch jeder!
„Nein, danke, ich finde Bier widerlich.“ Das stimmte nicht, aber näher konnte ich an Ich finde Sie widerlich aus Höflichkeit auch nicht herankommen.
„Sie sind aber schwer zu erobern!“
Allmählich hatte ich Lust, den Tisch umzuschmeißen, aber damit sollte ich vielleicht warten, bis sein Bier darauf stand, dann lohnte es sich wenigstens. Ich stellte mir kurz vor, wie das Bier sich über ihn ergoss – schade, auf dem Hawaiihemd würde man es gar nicht richtig sehen! „Wie heißen Sie? Ich heiße Berger, Heinz Berger. Heinz!“
Er streckte die Hand aus und hätte fast meinen Eisbecher umgeworfen. Ich sah die Hand nur an, bestimmt war sie feucht, der Kerl schwitzte ohnehin ziemlich. „Minnie Maus“, antwortete ich dann und hoffte, das sei nun endlich deutlich genug. Er lachte etwas beleidigt auf und zog seine Hand zurück, dann hellten sich seine Züge wieder auf. „Sie stehen auf Frauen?“
„Nein. Ich bin wählerisch.“
„Was soll das heißen?“
„Sie sind nicht mein Typ, okay?“ Ich winkte der Serviererin und zahlte schon mal, um bei Bedarf schnell flüchten zu können.
„Verstehe ich nicht. Sie wissen doch noch gar nichts von mir!“
Großer Gott, wie konnte man so doof sein!
„Ich weiß genug“, behauptete ich und kratzte meinen Eisbecher leer. „Sie sind aufdringlich, zu sehr von sich selbst überzeugt und mir außerdem zu alt.“
„Unverschämtheit! Was bilden Sie sich eigentlich ein? Glauben Sie, für Sie kommt noch der Märchenprinz angeritten?“
„Nein, aber deshalb muss ich noch lange nicht jedes Angebot annehmen. Schönen Tag noch.“
Ich stand auf und ging. Da sah man es doch wieder – Männer kennen lernen war einfach lästig! Einen haben, das wäre vielleicht so schlecht nicht, aber einen suchen müssen – grauenvoll! Ich hatte keine Lust, kiloweise Frösche zu küssen, um dann doch keinen Prinzen zu finden. Bloß gut, dass ich morgen wieder arbeiten durfte; auf die Kniestockschränke freute ich mich wirklich. Saskia würde sicher prima zu Lukas passen – wollte ich das überhaupt noch? Oder wollte ich ihn für mich selbst? Unsinn, so etwas musste doch schließlich auf Gegenseitigkeit beruhen, und das war absolut nicht der Fall. Aber an Werktagen konnte ich ihn wenigstens sehen... Heiliger Blödsinn, ich benahm mich ja ein Teenager, der dem Angebeteten in der Pausenhalle auflauerte und sich dann doch nicht traute, ihn unter irgendeinem Vorwand anzusprechen! Genauso fühlte ich mich leider auch, und das durfte Lukas auf keinen Fall mitkriegen. Vor Marc hatte ich in dieser Hinsicht keine Angst, der war nicht schlau genug, mich zu durchschauen. Außerdem war er jetzt sicher genügend mit seiner neuen Eroberung beschäftigt und hinreichend abgelenkt.
Ich bastelte zu Hause noch etwas an den Kniestockschränken herum und überlegte mir eine Lösung für die Ecke, die eleganter war als die, die wir bisher ins Auge gefasst hatten; dann schob ich ein Video rein und entspannte mich endlich etwas: harte Action, keine Liebe, irgendeinen Quatsch, den ich vor einiger Zeit aufgenommen und immer noch nicht angesehen hatte.