Читать книгу Schluss mit lustig! - Elisa Scheer - Страница 3

II

Оглавление

Ich mochte meine Wohnung eigentlich recht gerne, obwohl sie schon ein bisschen verkommen war; das Haus sollte auch bald abgerissen werden. Allerdings stand die Bautafel schon länger vor dem Haus, und uns hatte immer noch keiner gekündigt. Bevor es wirklich dringend wurde, wollte ich nicht ausziehen, so billig würde ich nie wieder wohnen – zwei Zimmer und ein schrottreifes Bad, für insgesamt nur vierhundert Euro warm, das war wirklich konkurrenzlos, und die Lage, am nördlichen Ende der Sophienstraße, halb im Uni-, halb im Waldburgviertel, war wunderbar, alle Kneipen in Reichweite und nur zehn Minuten zu Holz nach Maß in der Bonifatiusstraße kurz vor der Kirchfeldener Landstraße.

Gut, das große Zimmer mit der wackligen Küchenzeile aus den frühen Siebzigern war schon recht schäbig, aber man konnte es bei Bedarf heizen, und meine beiden Sperrmüllsofas waren saugemütlich, ebenso der große alte Tisch mit dem Sammelsurium von Stühlen, die ich im Wertstoffhof oder auf Flohmärkten gefunden und liebevoll aufgearbeitet hatte. Ideal für gemütliche Ratschrunden mit Bier und Chips, auch mal einen zünftigen Skat oder einen Fußballabend – aber auch ein reines Weibertreffen, wenn wir mal wieder alle nicht verstanden, warum die Männer so bescheuert waren, was ziemlich regelmäßig vorkam.

Fernseher, Videorecorder, DVD-Player und ein großes Regal voller Kassetten, DVDs und eselsohriger Taschenbücher ergänzten das gemütliche Ambiente. Das zweite, nicht mal halb so große Zimmer enthielt nur mein Bett und einen Kleiderschrank, die Abstellkammer war angenehm groß und bis zur Decke voller Gerümpel, das Bad war scheußlich, aber funktionsfähig, es gab heißes Wasser und eine kräftige Klospülung – was wollte man mehr?

Natürlich waren die weinroten Kacheln eine Katastrophe, aber ich hatte die Wände grau gestrichen, jede Menge Werbung aus den Vierzigern kopiert, laminiert und aufgehängt, dazu allerlei Schnickschnack im Art-deco-Stil verteilt und mir einen geschmacklosen Silberschwan als Wasserhahn an der Wanne gegönnt. Wenn das Bad etwa doppelt so groß wäre, könnte man es sich als Teil einer der legendären Studiogarderoben vorstellen, aber so erzielte ich wenigstens immer einen Lacher, vor allem, wenn Leute auf dem Klo saßen und die Werbung genauer in Augenschein nahmen (Most Doctors Are Smoking Camel war mein Liebling, aber auch die Behauptung, nur Campbell´s Tomatensuppe gäbe unseren Jungs so viel Power, dass sie die Japse mit links platt machten, hatte ihre unfreiwillige Komik).

Ich stand noch im Hausflur und schraubte an dem verbeulten Briefkasten herum, als ich klappernde Schritte auf der Kellertreppe hörte. Schlapp, klapp, schlurf – Birkenstock, eindeutig. Das konnte nur Alfred sein, Flucht war zwecklos. Ich fischte meine Post endlich aus meinem Fach – Werbung – Werbung – Telefonrechnung – Postkarte – Werbung – Käseblatt. Das meiste landete gleich im Papierkorb unter dem Briefkasten; als ich mich mit Postkarte und Telefonrechnung der Treppe zuwandte, stand Alfred direkt vor mir und strahlte freundlich. „Grüß dich, Steffi!“

„Grüß dich“, antwortete ich muffig, aber das nützte mir gar nichts.

„Ich hab was für dich, ich denke, du kannst es brauchen. Hier!“

Faszinierend – der Gemeindebrief von St. Korbinian. Ich betrachtete es ratlos. „Was soll ich denn damit?“

„Lesen! Auch du brauchst doch sicher mal spirituellen Trost, und Jesus kann dir in jeder Lebenslage helfen.“

„Denkst du, ich hab Probleme? Mir geht´s doch prima, wobei soll Jesus mir denn helfen?“

„Ohne Jesus kann es dir gar nicht wirklich prima gehen“, erläuterte er mir mit strengem Blick. „Willst du nicht doch mal zu unserem Bibelkreis kommen, am Freitagabend um sieben?“

„Sorry, aber da hab ich schon einen Termin in der Kneipe“, schwindelte ich schnell und rettete mich zur Treppe. „Genussgifte sind keine Lösung! Nur Jesus ist die Lösung!“, rief er mir noch nach, aber ich bog im ersten Stock um die Ecke und tat, als hätte ich das nicht mehr gehört.

Alfred war ein lieber Kerl, aber so was von lästig! Immerzu wollte er mich bekehren, und lieber würde ich den Küchenfußboden mit der Zahnbürste polieren, als zu diesem Bibelkreis gehen. Sollte ich mich in Orange hüllen und behaupten, ich sei Buddhistin? Leider wusste ich gar nicht, was Buddhisten so taten, und Alfred wusste es sicher, er studierte vergleichende Religionswissenschaften und wusste leider alles über alle Religionen, vor allem Dinge, die keiner wissen wollte, etwa den genauen Unterschied zwischen Sunniten und Schiiten, die Anzahl der bei den Mormonen erlaubten Ehefrauen (bloß noch eine) und die Streitpunkte zwischen Presbyterianern und Baptisten. Zwischen dem zweiten und dem dritten Stock hatte ich die nächste Begegnung der befremdlichen Art – Peter trat auf, schick wie immer, hautenge Lederjeans (oh Gott, nein, das war Plastik oder Lack oder so!), ein dünnes, halb offenes Hemd, das Brusthaar frisch toupiert, eine goldene Kette auf der Brust, das etwas zu lange und zu schüttere Haar betont lässig hinfrisiert, die Koteletten schön buschig... und es klackerte, er hatte sich in seine eisenbeschlagenen Schlangenlederstiefel geworfen.

„Hi, Süße!“

„Auf dem Weg auf die Piste?“

„Logo!“ Er sah aus, als müsste er bei den Mädels abkassieren, die er laufen hatte – oder besser gesagt wie das Klischee eines Zuhälters aus den Siebzigern. „Dann viel Spaß. Tu nichts, was ich nicht auch täte.“

„Dann wird´s aber kein lustiger Abend, Hasi, du bist doch so brav. Wie wär´s denn mal mit uns beiden?“

„Lass stecken, Kumpel – ich bin doch zu brav. Und ich steh auf Glatzen. Ja, wenn du dich kahl scheren würdest, dann... vielleicht... ich kann nichts garantieren.“

Er wurde unter der Sonnenstudiobräune merklich blasser, winkte mir im Vorübergehen affektiert zu und verschwand, mit den Autoschlüsseln klappernd. Natürlich fuhr er das passende Auto – da es für einen Porsche nicht reichte, hatte er eine uralte und halb verrostete Corvette aufgetan, knallrot und unwahrscheinlich laut, für einen neuen Auspufftopf schienen seine dubiosen Geschäfte nicht genug abzuwerfen. Wahrscheinlich aber machte er gar keine dubiosen Geschäfte, sondern arbeitete irgendwo als Lagerverwalter, Postangestellter oder sonst etwas ganz Bürgerliches. Er musste sich ja auch bloß das Hemd zuknöpfen und sich das verführerische Grinsen vom Gesicht wischen, dann wirkte er fast normal. Ein goldener Eckzahn wäre natürlich das Tüpfelchen auf dem i, überlegte ich, als ich meine Wohnung aufschloss und mir die Turnschuhe auszog. Jetzt ein schönes heißes Bad, und dann würde ich unsere Weibergang im Fabrizio´s treffen.

Ging´s mir gut! Die Arbeit machte Spaß, ich wurde auch immer besser darin, mit dem düsteren Lukas und dem albernen Marc kam ich gut zurecht, meine Wohnung war lustig und billig – und wenn es mal so weit sein sollte, würde ich schon etwas anderes finden – meine Freundinnen waren wirklich zuverlässig und lieb, ich war gesund und sah, bis auf meinen etwas sehr runden Hintern, ganz akzeptabel aus. Und Mami nervte auch nur in Intervallen.

Ach, daran hätte ich besser nicht denken sollen – prompt klingelte mein Handy, das auf dem stilecht dunkelgrauen Badeteppich lag.

„Wagner...“

„Kind! Was treibst du so? Du rührst dich ja gar nicht mehr!“

„Wieso, Mami? Wir haben doch erst gestern telefoniert?“

„Aber da musste ich dich anrufen!“ Typisch, darüber führte sie wohl Buch? „Was gibt es denn?“

„Muss es denn immer etwas geben, wenn ich meine einzige Tochter sprechen will?“

„Was sagst du eigentlich, wenn du Paul oder Robbi anrufst? Ich meine, einziger Sohn geht doch da nicht...“

„Was soll das denn, Steffi? Man könnte ja meinen, du freust dich gar nicht!“

Tu ich auch nicht, dachte ich rebellisch, du hast doch wieder irgendwas Grässliches vor!

„Was machst du denn am Samstagabend?“

Da gehe ich zu Alfreds Bibelstunde. Nein, das würde sie nie kaufen, und sie hielt mich außerdem schon für seltsam genug.

„Warum?“, fragte ich also nur misstrauisch zurück.

„Ich habe zwei Theaterkarten, und ich kann leider nicht, meine alte Freundin Sieglinde feiert genau an diesem Tag silberne Hochzeit, naja, und da dachte ich, ob du eine der beiden Karten haben möchtest? Oder beide? Allerdings hätte ich für die andere schon einen Abnehmer, vielleicht. Du könntest das weiße lange Kleid anziehen, und die goldene Kordelkette, und schmink dich doch mal -“

„Welches Stück?“, fragte ich erst einmal zurück.

„Welches Stück? Oh – äh, ich glaube, etwas Modernes, ich komme gerade nicht drauf...“

„Du kaufst Karten und weißt nicht, für welches Stück? Nachtigall, ick hör dir trapsen! Okay, spuck´s schon aus – wer hat die andere Karte gekriegt?“

„Äh, ja – also, Sieglinde wollte mir so gerne aus der Patsche helfen, weil sie mich so spät eingeladen hatte, und sie hat da diesen Neffen, der mit vierunddreißig immer noch unverheiratet ist und wegen seiner Arbeit kaum unter Leute kommt, und da dachte sie, es wäre doch ganz praktisch, wenn sie ihm die andere -“

„Zwei Singles mit einer Klappe? Mami, kannst du den Quatsch nicht mal lassen? Was soll ich denn mit einem Kerl, der nie unter die Leute kommt – sag mal, was macht der denn überhaupt?“

„Er interessiert dich also?“

„Nein!“, schrie ich in den Hörer, „Ich bin bloß neugierig, was das für ein Job sein soll!“

„Er zerlegt Regenwürmer oder so.“

„Wie bitte? Ein pathologischer Fall?“

„Was? Irgendwas mit Biologie eben, ich weiß es nicht so genau. Jedenfalls hat er ein gutes Auskommen.“

„Ich vielleicht nicht?“, fragte ich empört.

„Und er ist Akademiker, ich glaube sogar, er hat einen Doktortitel.“

„Schön für ihn. Übrigens hab ich das weiße Kleid vor Jahren in die Altkleidersammlung gegeben, es sah aus wie ein viktorianisches Nachthemd.“

„Aber stell dir doch mal vor, ein richtiger Doktor!“

„Ach, Mami, was soll das denn? Meinst du, als biedere Handwerkerin soll ich froh und dankbar sein? Und außerdem hab ich nichts anzuziehen, jedenfalls kein albernes Kleid.“

„Gott, du wirst ja wohl irgendetwas haben! Für ein modernes Stück muss man ja auch nicht ganz so tief in die Trickkiste greifen. Aber Steffischätzchen, es wird ja wirklich langsam Zeit für dich.“

„Zeit wofür?“, fragte ich, obwohl ich mir die immer gleiche Antwort schon denken konnte. „Zeit zum Heiraten, du Schäfchen! Willst du denn nicht endlich mal ein Heim, Mann und Kinder?“

„Ich hab ein Heim“, murrte ich, ganz die pubertierende Tochter. Warum ließ ich mich bloß immer wieder auf diesen Unsinn ein? „Ach, du weißt doch, was ich meine! Also, was ist jetzt? Die Karten waren nicht billig! Nimmst du eine?“

„Meinetwegen“, knurrte ich, „aber mach dir bloß keine Hoffnungen. Einen Neffen von Sieglinde kann ich mir schon so richtig vorstellen.“

„Hauptsache, du gehst hin! Hol dir die Karte morgen nach der Arbeit ab, ja?“

Als ich das Gespräch endlich beendet hatte, sank ich wieder tiefer ins heiße Wasser und genoss den Feierabend, bis das Wasser langsam kalt wurde und mir einfiel, dass ich gar nicht mehr so viel Zeit hatte.

Ich zog mich rasch an, Jeans und ein etwas besseres T-Shirt, Stiefel, Blazer, und machte mich auf den Weg ins Fabrizio´s, den einzigen Laden in der Stadt, wo sie wirklich gute Cocktails und eine sehr gästefreundliche Auslegung der Happy Hour mit exzellenter Pizza kombinierten. Das war schon seit zwei Jahren unsere Stammkneipe – jeden Mittwoch. Eine von uns hatte immer Ärger mit den Kerlen, also gab es immer finstere Pläne zu schmieden.

Schluss mit lustig!

Подняться наверх