Читать книгу Lösung - Elisa Scheer - Страница 7
Freitag, 15.4.2005: 21:00
ОглавлениеFerdi hatte die Wohnung wirklich herunterkommen lassen, ärgerte sich Marc, als er die so genannte Abstellkammer ausräumte. Anscheinend hatten hier alle alles hineingestopft, was sie gerade nicht mehr brauchten. Er hatte sicherheitshalber Ferdi angerufen – aber der hatte nur gesagt: „Schmeiß das Zeug weg, ich bin sicher, die anderen brauchen es auch nicht mehr. Sonst hätten sie´s ja wohl mitgenommen, oder?“
Er ärgerte sich jetzt noch, wenn er daran dachte, dass er sich fast demütig bei Ferdi für diese Erlaubnis bedankt hatte. Verflixt, es war doch schließlich seine Wohnung! Er hatte Ferdi und seine verschlampten Freunde nur hier wohnen lassen, so lange er die Wohnung selbst nicht brauchte.
Ein Zeug lagerte hier... Er stopfte einen großen Müllsack voll mit halbleeren Flaschen mit Sonnenmilch, Schuhputzlotion, dubiosen Putzmitteln, stapelte Zeitschriften in einen Korb für das Altpapier und dachte an Ferdis Mitbewohner. Die meisten hatte er ja nur noch flüchtig kennen gelernt – Ferdi hatte ihm bei der Abreise nach London flüchtig zugewinkt, Holger und Sylvia hatten geheiratet und waren aufs Land gezogen, wobei ihm nur die Rolle eines entfernt bekannten Gratulanten zugekommen war. Und Laura – tja, Laura hatte ihn vom ersten Augenblick an nicht leiden können und war nach einer Woche verkrampfter Höflichkeit Hals über Kopf ausgezogen. Spurlos verschwunden. Ihr Problem: Wenn er irgendetwas Wertvolles finden sollte, das ihr gehörte, würde er es eben wegwerfen!
Eigentlich eine Sünde – in einer Fünfzimmer-Altbauwohnung in einem klassizistischen Haus, mit Stuck und Parkett und einem Balkon mit Sandsteinbrüstung eine WG aufzuziehen! Sylvia hatte obendrein überall Dübel eingeschlagen, und Ferdi hatte den Boden in seinem Zimmer gründlich ruiniert. Hatte er da Wasser ausgegossen oder was? Das Parkett warf sich, das musste raus, es war nicht mehr zu retten.
Er schleifte Müllsack und Korb zur Wohnungstür, die würde er nachher mitnehmen. Lauras Zimmer war noch am ehesten benutzbar – sie hatte es völlig leer und picobello geputzt hinterlassen. Hier hatte er seine Matratze ausgerollt und seinen Kleidersack an die Tür gehängt.
Am schlimmsten war die Küche. Laura hatte zwar in dieser einen Woche verzweifelt geschrubbt, aber die Einrichtung war hässlich, zusammengewürfelt und abgewohnt. Typisch WG – der große, schäbige Tisch in der Mitte. Wahrscheinlich hatten sie da über den Putzplan diskutiert oder gestritten, wer sich nicht genug einbrachte – nannte man das nicht so? Marc kannte WGs nur aus Büchern.
Schließlich – wer zog schon in eine WG, wenn er nicht entweder auf alternative Lebensformen stand oder total pleite war? Und pleite war er noch nie gewesen, dazu verstand er wirklich zu viel von der Börse.
Bloß gut, dass er fast alles online erledigen konnte; dieses Chaos konnte er keinem Mandanten vorführen. Sein Laptop piepte, ein Zeichen dafür, dass sich an der NYSE etwas tat. Er eilte hin, bewegte die Maus und studierte den Bildschirm. Aha – interessant... Er dachte einige Minuten lang nach, berechnete die Möglichkeiten und kaufte und verkaufte dann schnell einige Positionen. Gut, damit hatte er mal wieder in einer Viertelstunde ein lässiges Monatsgehalt verdient. Dann konnte er ja mit der Rumpelkammer noch etwas weitermachen, die sollte nämlich mal sein Arbeitszimmer werden. Eine Rumpelkammer mit Blick auf den Balkon – Ferdi war wirklich ein Idiot! Ob der in London auch in der Abstellkammer hauste und das beste Zimmer mit Gerümpel füllte? Bei den horrenden Mieten dort konnte er sich wahrscheinlich überhaupt bloß eine Abstellkammer leisten, in einem minderen Viertel wie Clapham oder Elephant and Castle. Aber Ferdi wollte ja unbedingt in London arbeiten...
Wenn er die Rumpelkammer cremeweiß streichen ließ und den Stuck in hellem Beige... dazu das aufpolierte Parkett, eine helle Büroausstattung, Birke und Stahl vielleicht, einen cremeweißen Ledersessel... oder streng in Schwarzweiß? Nun, das hatte noch Zeit. Frühestens in zwei Wochen war die Wohnung bereit für die Maler und den Parkettfritzen. Und die Bäder, die im matten Charme der Sechziger prangten – himbeerrosa Kacheln, fast jede zweite gesprungen! – mussten ebenfalls gründlich saniert werden. Währenddessen würde er weiter in Lauras Zimmer hausen, dort musste fast nichts gemacht werden.
Er warf zwei potthässliche leere Bilderrahmen in die nächste Mülltüte und ging sich die Hände waschen. Also gut, die Rumpelkammer würde das Arbeitszimmer. Sylvias Zimmer daneben die Bibliothek – oder umgekehrt? Na, mal sehen. Sylvias Zimmer war allerdings um die Hälfte größer. Repräsentativer, das musste man schließlich auch bedenken. Ferdis Zimmer als Wohnzimmer, das von Holger als Schlafzimmer. Ja, das war eine gute Aufteilung, das bessere Bad war direkt gegenüber.
Er setzte sich auf seine Matratze. Und Lauras Zimmer? Das war irgendwie übrig geblieben. Komisch. Gästezimmer? Das andere Bad war direkt daneben... Nein, wozu denn? Wer übernachtete denn schon bei ihm? Sollte er sich wirklich wieder einmal eine Frau anlachen, würde sie ja wohl in seinem Bett schlafen!
Kein Gästezimmer. Wenn es immerzu leer stand, war das irgendwie auch deprimierend. So sehr musste er es sich ja auch nicht unter die Nase reiben, dass ihn niemand besuchte. Andererseits – wollte er überhaupt Besuch haben?
Dann blieb Lauras Zimmer eben erst einmal leer.
Trotzdem – er wusste immer noch nicht, warum sie ihn auf den ersten Blick so quer gefressen hatte. Was hatte er ihr denn getan? Dass er den Zustand bemängelt hatte, in dem die anderen ihre Zimmer hinterlassen hatten, konnte es ja wohl nicht gewesen sein – die waren objektiv verdreckt gewesen. Von dieser kollektiven Rumpelkammer ganz zu schweigen.
Wenn er an diesen kulleräugigen Blick dachte – eigentlich mochte er solche Frauen ja überhaupt nicht. Taten immer so naiv und großäugig und waren dann ganz ausgekocht, wenn es ums Abzocken ging. So was kannte er schon. Nein, wirklich nicht. Da halfen braune Kulleraugen gar nichts.
Seine Traumfrau sah überhaupt ganz anders aus. Mehr so der Typ Grace Kelly: blond, kalt, überlegen. Eine Dame eben. Mit Stil. Diese Laura... in zerrissenen Jeans und einem Sweatshirt mit saublöder Aufschrift... was hatte darauf gestanden? Bücher schenken tausend Leben. Wahrscheinlich ein Werbegeschenk aus der Unibuchhandlung. Nein, eine Frau, die in Werbegeschenken herumlief, war nichts für ihn. Und – wie hatte sie ihn genannt? Einen Taschenrechner auf zwei Beinen? Nein, einen zweibeinigen Taschenrechner. Frechheit! Er verbannte sie aus seinen Gedanken, in denen sie ohnehin nichts zu suchen hatte, und füllte die nächste Mülltüte. Was die Leute alles aufhoben! Das hätte man doch alles sofort und ohne nachzudenken in den Müll werfen können?