Читать книгу Lücken im Regal - Elisa Scheer - Страница 10
VIII
ОглавлениеJoe ärgerte sich: Einmal wollte er einen Fall, der sich sofort lösen ließ! Stattdessen hatte er mal wieder ein merkwürdiges Puzzle am Bein.
Er ließ seinen Blick über Katrin, Liz und Ben wandern. „Was haben wir also?“
„Eigentlich gar nichts“, murrte Katrin. „Die Mutter war beleidigt, weil Becky in eine WG gezogen ist, ist ansonsten aber der älteren Schwester Fiona zufolge harmlos. Fiona sagt, Becky war total okay und hatte mit niemandem Ärger. Die Mitbewohnerin Bille Bauernfeind sagt das Gleiche. Die andere, Tanja Schuhmann, war nicht da, wird aber bei uns vorbeikommen, genauso wie Camilla Rottenbucher, die ebenfalls nicht zu Hause war. Übrigens komisch -“
„Was ist komisch?“, fragte Joe.
„Na, erinnerst du dich an das rosa Chaos im Flur? Und wie sich die Rottenbucher als geplagte Mama von drei Teeniemädels aufgespielt hat?“
Joe nickte. „Gut, Katrin – dabei hat sie überhaupt nur noch ein Mädchen im Haus. Die sollten wir fragen, ob sie das Chaos überhaupt verursacht hat. Neben allem anderen…“
„Was würde es ausmachen, wenn sie es nicht war?“, fragte Ben, etwas unsicher, ob das jetzt eine dumme Frage war.
„Wenn diese Jüngste ebenfalls ordentlich ist, lügt die Mutter“, erklärte Katrin. Joe ergänzte: „Aber ob sie das bewusst tut, müssten wir uns auch fragen. Vielleicht klammert sie sich einfach an die Zeit, in der sie noch gebraucht wurde und ihren Mädels hinterher räumen durfte.“
„Arme Frau“, fand Liz. „Die hat wohl sonst keinen Lebensinhalt?“
„Schaut ganz so aus. Der Freund, Markus Sonnleitner, ist vollkommen fertig und das hat ziemlich überzeugend gewirkt.“
„Ich fand die Eltern aber ein bisschen speziell“, warf Katrin ein, „jedenfalls die Mutter. Ob die wirklich mit dem jungen Glück so einverstanden war, weiß ich ja nicht.“
Joe nickte. „Richtig. Das ist mir auch aufgefallen. Übrigens sehr gute Befragungsmethoden, Katrin, bravo.“
Ben betrachtete Katrin nahezu ehrfürchtig und sie verbiss sich ein Grinsen: War sie jetzt so was wie die Klassenbeste? „Dankeschön“, sagte sie nur und versuchte, bescheiden dreinzuschauen.
„Der Vater fehlt uns noch“, fasste Joe weiter zusammen. „Er lebt in München, offenbar ist ihm seine Frau zu sehr auf die Nerven gegangen mit diesem Dauerbeleidigtsein. Hat schon jemand die Adresse?“
Ben meldete sich zaghaft. „Ein Victor Rottenbucher lebt in der Maxvorstadt, Theresienstraße 46. Und ein Adalbert Rottenbucher in Untersendling, Daiserstraße 12.“
Katrin zog ihre Notizen zu Rate. „Victor ist der Richtige. Wohnt an der Uni und arbeitet in der Staatsbibliothek.“
Joe nickte. „Vielleicht hatte die Tochter ihre Neigung zur mittelalterlichen Geschichte daher… Googelt bitte mal jemand den Vater, was er für einen Abschluss hat?“
Ben stürzte sich auf seinen Rechner, Liz entschloss sich, lieber neuen Kaffee zu kochen.
Katrin übernahm die weitere Berichterstattung: „In der Bibliothek befand sich zu der Zeit, als Becky Rottenbucher tot aufgefunden wurde, nur der Aufsichtführende, Ferdinand Hambacher, ein wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts. Er hat die Bibliothek um Viertel nach zehn aufgeschlossen, seiner Aussage zufolge warteten auch keine Studierenden vor der Tür. Vielleicht kein Wunder in den Semesterferien. Drinnen war es sehr warm, weil die Sonne schon durch die Fenster der Ostseite knallte, also ist er durch den Saal gegangen, um die Westfenster aufzumachen und danach die anderen, damit es Durchzug gibt. Und vor einem der Ostfenster lag die Leiche, mit einer Kopfverletzung am oberen Hinterkopf, Dr. Engelhorn zufolge. Der endgültige Obduktionsbericht kommt morgen. Die Leiche lag in leicht gekrümmter Haltung auf der Seite, so, als sei sie dort genauso hingefallen.“
„Die Kopfverletzung kann nicht vom Sturz kommen?“, meldete Ben sich schüchtern zu Wort.
„Hutkrempenregel, Ben!“, mahnte Liz.
„Ach so, ja. Stimmt, wenn die Verletzung so weit oben ist… übrigens, der Vater ist promovierter Bibliothekar. Und die Mutter war vor ihrer Ehe Abteilungsleiterin beim Damberger am Markt.“
„Hm, Einzelhandel. Scheißarbeitszeiten und mäßiges Gehalt. Dahin würde ich mich wohl auch nicht zurücksehnen“, sinnierte Katrin.
„Aber wenn alle Mädels aus dem Haus sind, muss dann der Mann überhaupt noch Unterhalt zahlen?“, fragte Liz nach einem Moment des Nachdenkens.
„Sie hat das Arbeiten eingestellt, kurz bevor die Älteste geboren wurde, das ist jetzt fünfundzwanzig Jahre her“, steuerte Ben bei. „Ob sie da überhaupt noch eine Stelle bekäme?“
Joe hob die Hand, da beide Frauen schon den Mund geöffnet hatten. „Nein, bitte, über die Wiedereinstellungschancen von Frau Rottenbucher diskutieren wir jetzt genauso wenig wie über die Frage, ob Frauen im Berufsleben benachteiligt werden. Das führt uns im Moment nicht weiter.“
„Woher wusstest du, dass wir darüber reden wollten?“, fragte Liz.
„Na, ich kenne euch doch schon eine Zeitlang! Halten wir fest, dass Mutter Rottenbucher vielleicht Existenzängste hat. Deshalb hat sie aber noch lange nicht ihre eigene Tochter erschlagen, nur weil sie nicht in ihr Weltbild passte.“
„Hätte ihr ja auch nichts genützt, oder?“, warf Ben ein.
„Ganz genau. Ich sehe nach den bisherigen Fakten aber ein ganz anderes Problem, das uns wiederum in eine ganz andere Richtung bewegen könnte. Hat jemand eine Idee?“
Alle drei starrten auf das Whiteboard, wo eine Kurzfassung der Infos von Joe und Katrin stand.
Liz war am schnellsten. „Als dieser Hambacher gekommen ist, war die Leiche schon da? Wie sollte das denn angehen?“
„Genau“, nickte Joe. „Welche Möglichkeiten könnte es dafür geben?“
„Sie war schon vor ihm da“, vermutete Ben.
„Und wie ist sie reingekommen? Wir haben nicht gehört, dass sie einen Job dort hat und damit einen Bibliotheksschlüssel“, widersprach Liz sofort.
„Dann müsste sie jemand reingelassen haben, der einen Schlüssel hat“, überlegte Katrin weiter. „Das heißt aber, dass wir die Familie und den Freund eigentlich ausschließen können. Keiner von denen studiert Geschichte, oder?“
„Wer hat alles einen Schlüssel?“, fragte Joe.
„Dieser Institutschef, Mahlmann oder so.“
„Alle Aufsichten, der Hambacher, diese Frau, wie heißt die – Eberbach?“
„Eversbach mit V. Da gibt es aber sicher noch mehr. Die könnten wir fragen, die war nicht so mitgenommen wie der Hambacher. Wer will das übernehmen? Ben? Und Katrin?“
Beide nickten.
„Was ist mit Profs und Dozenten? Wenn da einer mal ein Buch braucht, will er doch sicher nicht warten, bis die Bibliothek aufmacht?“
„Wenn das Institut gescheit ist, ist es mit Schlüsseln nicht zu großzügig. Die Eversbach hat doch gesagt, dass in der Bibliothek geklaut wird“, erinnerte Joe sich.
„In jeder Bibliothek wird geklaut, obwohl man keine Taschen mit reinnehmen darf“, wandte Katrin ein.
„Ja, das weiß ich auch, aber ich glaube, es ging dabei um mehr. Ben und Katrin, fragt da mal nach Einzelheiten!“
„Soll ich mir den Hambacher mal vornehmen?“, bot Liz an. „Ich bin auch ganz sanft, wenn er so ein Seelchen ist.“
Joe nickte. „Dann werde ich mal diesen Institutschef auftreiben. Die Eversbach hat ihn doch angeblich schon auf die Sache hingewiesen und er hat ihrer Aussage nach nichts unternommen.“