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IX

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Immerhin hatte sie einen ganzen Aspekt (bestimmt zwei Druckseiten!) geschafft und alles mit dem vorhandenen Material schlüssig belegen können. Elli lehnte sich zufrieden zurück und stellte fest, dass es in ihrer Wohnung ganz schön stickig war. Und Hunger hatte sie auch!

Sie wanderte herum und öffnete das Schlafzimmerfenster und die Balkontür im Wohnzimmer so weit wie möglich, worauf es prompt zu ziehen begann wie Hechtsuppe.

Wieso eigentlich Hechtsuppe? Das würde sie nachher einmal recherchieren, aber jetzt hatte sie Lust auf ein anständiges Käsebrot!

Körnerbrot, Gouda und eine Tomate in Scheiben, damit kehrte sie zufrieden an ihren Rechner zurück.

Na ja – das Übliche: Entweder aus dem Rotwelsch oder einfach, weil man Fischsuppen lange ziehen lassen musste. Danke, Wikipedia!

Sie kaute gemächlich und ärgerte sich, als es an der Tür läutete, bevor sie fertig war. Wer störte denn jetzt?

Die Polizei, das hätte sie sich ja denken können! Ein junges Pärchen statt des etwas gestandeneren Kommissars aus der Bibliothek – nun, warum nicht? Sie ging in ihr Wohnzimmer voraus und bot den beiden das Sofa an; sie selbst setzte sich auf den Schreibtischsessel und versuchte, ihrem angebissenen Käsebrot keinen allzu sehnsüchtigen Blick zuzuwerfen.

„Was kann ich denn für Sie tun?“

Die Frau, die sich als Katrin Kramer vorgestellt hatte, zog ein Tablet aus der Tasche, weckte es auf und sah Elli aufmerksam an. „Wann öffnet denn die Bibliothek in den Ferien?“

„Im Allgemeinen um zehn.“ Elli lächelte. „Der Andrang ist ohnehin bescheiden, ich glaube, zurzeit kommen immer nur die gleichen Leute.“

„Und wer wäre das?“

„Wolfgang Teubner, einer unserer Assistenten, der an seiner Habilitation arbeitet. Frank Wülfert, ein Privatdozent bei den Germanisten, der dort sehr unbeliebt ist und deshalb lieber bei uns arbeitet.“ Sie grinste. „Drüben haben sie ihn, hört man, rausgeschmissen.“

„Ach – warum das denn?“ Dieser Kommissar Hollerbach (Gott, sah der noch jung aus…) sah sie mit weit aufgerissenen Augen an.

„Erwarten Sie sich nicht zu viel. Er hat ein ziemlich gutes Buch über die Nazi-Verstrickungen der Germanisten an der UL verfasst und jetzt ist diese Fakultät tödlich beleidigt.“

„Aber das ist doch ewig her?“

„Eben. Die Betroffenen sind alle tot und begraben und das Schmollen zeugt auch nicht gerade von Souveränität. Jedenfalls recherchiert er jetzt, soweit möglich, bei uns und vermutlich noch in der Unibibliothek. Wen haben wir sonst noch… Becky Rottenbucher war keine echte Stammbesucherin, eher saisonal. Wenn sie eben eine Arbeit zu schreiben hatte… Sabine Jehlen ist fast immer da… gestern waren noch zwei Anfänger da; aber da kenne ich die Namen nicht, tut mir Leid. Sie haben mit einer Quellensammlung gekämpft – und verloren, so sah es jedenfalls aus. Und sonst… da fällt mir jetzt keiner ein, tut mir Leid.“

„Immerhin“, lobte Hollerbach, „das ist doch schon etwas. Übrigens – haben Sie unserem Chef nicht erzählt, bei Ihnen seien Bücher weggekommen?“

„Ja, das stimmt. Allerdings schien er sich nicht allzu sehr dafür zu interessieren… offenbar hat er seine Meinung geändert?“

„Wir haben uns gefragt“, warf Kramer ein, „wer überhaupt die Möglichkeit hatte, Becky Rottenbucher vor zehn Uhr morgens zu töten, also bevor Herr Hambacher die Bibliothek aufgesperrt hat.“

„Oh. Ja, das leuchtet ein – jemand muss einen Schlüssel gehabt haben. Wer hat einen… Mahlmann, natürlich… Ferdi Hambacher… Teubner - nein… ich… Josie Collnhausen? Nein, die macht keine Aufsichten – hat sie noch nie gemacht…“

„Zu erhaben?“

„Ach wo. Aber die Aufsichten werden bezahlt. Zehn Euro die Stunde. Zwei Vormittage, je fünf Stunden, das ist immerhin brutto ein Hunderter pro Woche. So toll werden Mitarbeiterstellen auch nicht bezahlt, da nimmt man sowas mit. Josie ist aber von Haus aus wohlhabend, warum sollte sie da den anderen den Job wegnehmen…“

Kramer sah sich um: „Aber direkt am Hungertuch nagen Sie auch nicht, oder?“

„Direkt nicht, aber ich lebe auch eher sparsam – und ich mache mindestens zehn Aufsichten im Monat. Ich habe nur ein billiges Auto, verreise immer nur kurz und nicht weit, weil mir sowas keinen Spaß macht, und habe auch sonst keine teuren Hobbys. Außerdem haben meine Geschwister und ich von den Großeltern jeweils ein nettes Sümmchen geerbt und damit hatte ich für diese Wohnung genügend Eigenkapital, um mir die monatliche Belastung leisten zu können. Alles klar?“

Hollerbach nickte eifrig, Kramer murrte: „Moment – zu viele Fakten… so, jetzt.“ Sie sah von ihrem Tablet auf: „Warum erzählen Sie uns das alles?“

Elli zuckte die Achseln. „Vielleicht klang es mir eben so, als fänden Sie meine Ausführungen über die Aufsichten nicht allzu glaubhaft. Egal, wer hat noch einen Schlüssel… die Bernie Guthmann, aber die ist gerade im Urlaub, und die Lisa Hettl. Im Moment, glaube ich, teilen Ferdi und ich uns die Aufsichten. Mahlmann hat als Chef natürlich einen Schlüssel, aber ob er jemals selbst die Bibliothek aufgesperrt hat…“

„Dann hat er doch eine Hilfskraft, oder?“

„Stimmt natürlich. So ein rothaariges Mädel, hab ich aber in letzter Zeit nicht gesehen. Und wie die wieder heißt… das müssten Sie Mahlmann selbst fragen.“

„Machen wir, keine Sorge.“

Hollerbach wollte aber doch noch wissen, welche Bücher denn nun gestohlen worden waren. Elli überlegte. „Sehr alte Bücher. Prachtbände. Ein, zwei wirklich wertvolle Handschriftenfragmente. Dinge, die wir in einem abgeschlossenen Glasschrank aufbewahren.“

„Gibt es einen Markt für derartige – Dinge?“

„Vermutlich. Es gibt doch für alles Sammler, auch welche, die damit zufrieden sind, illegales Zeug nur im Geheimen bewundern zu können. Wie bei Gemälden eben.“

„Was sind solche Bücher wert?“

Elli zuckte die Achseln. „Man müsste Mahlmann fragen – oder mal bei Auktionshäusern nachfragen… allerdings könnte ich mir vorstellen, dass solide Häuser nichts ohne Eigentumsnachweis annehmen, oder?“

Kramer nickte, während sie tippte.

„Die Hausmeister haben natürlich auch einen Bibliotheksschlüssel“, fiel Elli dann noch ein. „Die müssen ja ab und zu mal eine Birne auswechseln oder den Boden kurz durchwischen. Aber sowas machen die bestimmt nicht, kurz bevor die Bibliothek öffnet. Das gibt nur Fußspuren auf dem feuchten Boden, oder? Und von alten Büchern verstehen die wohl auch nichts.“

„Hätte man die Bücher besser sichern können?“

„Da fragen Sie am besten Mahlmann. Der ist aber nur von Dienstag bis Donnerstag in Leisenberg. Genau genommen von Dienstagnachmittag bis Donnerstagvormittag.“

„Also Teilzeit?“

„Woher denn? Das Stundendeputat einer C-4-Professur lässt sich locker auf zwei oder zweieinhalb Tage legen – eine Vorlesung, ein Hauptseminar, ein Oberseminar, eine Übung, eine Sprechstunde. Und bei der langen Anfahrt aus Garmisch ist eine so komprimierte Anwesenheit irgendwo auch nachvollziehbar, oder?“

Beide Kripobeamte grummelten Unverständliches und Elli lächelte: Die durften ihren Dienst garantiert nicht legen, wie es ihnen passte!

„Wenn Sie von allen Mitgliedern des Instituts die Adressen möchten, müssen Sie im Sekretariat bei Frau Wolfram nachfragen. Das ist direkt unter der Bibliothek. Wie geht es denn Beckys Familie? Die Armen…“

„Naja, sagen wir – den Umständen entsprechend“, wich die Kramer eindeutig aus.

Lücken im Regal

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