Читать книгу Polizeidienst en français - Elko Laubeck - Страница 15

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12.

Hinter der Hérault-Brücke folgte Gerd einem unbefestigten Fußweg entlang des Stichkanals zur Rundschleuse. Der Kanal im Schatten der Bäume war ruhig, eine Strömung war nicht auszumachen. Eine Entenfamilie zog ihre Bahn. Ansonsten fiel Pocher nichts Verdächtiges auf.

Er ging am Schleusenhaus vorbei bis auf die Brücke über den Canal du Midi und beobachtete Michelle Reynouard, die in ihrer eigentümlichen Gelassenheit zwei Schiffe vom Canal du Midi her hereinfahren ließ, ganz langsam verteilten sich die beiden Hausboote an den runden Schleusenwänden und machten fest. Die Schleusenwärterin hatte die Arme unter der Brust verschränkt und beobachtete das nautische Geschehen. Dann lief sie zum kanalseitigen Schleusentor und beugte sich weit darüber, um unter der Brücke hindurch nachzuschauen, ob sich vielleicht noch ein weiteres Boot der Schleuse näherte. Dabei spreizte sie ihr Spielbein weit nach hinten in die Luft.

Wie gebannt betrachtete Pocher ihren Rücken aus der Vogelperspektive, denn er stand auf der Brücke nur wenige Meter entfernt über ihr. Wieder war es ihm, als ob ihm diese Figur irgendwie vertraut vorkam, ihre Konturen, ihre Art, sich zu bewegen, als hätte er sie schon einmal gesehen. Dann schritt sie mit leicht hüpfendem Schritt zurück zu einem Schaltkasten und drückte einen Knopf. Die beiden Torflügel setzten sich langsam in Bewegung und schlossen sich. Michelle Reynouard umrundete die Schleusenkammer und beobachtete die beiden Boote, ob sie sicher festgemacht hatten. Unmerklich stieg der Wasserspiegel um etwa dreißig Zentimeter. Flink war sie die Treppe angestiegen, die zu dem höher gelegenen Tor Richtung Hérault führte.

Die beiden Torflügel öffneten sich nun langsam. Mit verschränkten Armen und leicht gespreizten Beinen stand sie da und ließ die Boote langsam unter sich vorbeiziehen in Richtung Hérault. Die Freizeitkapitäne winkten ihr im Vorbeifahren zu.

Pocher betrat nun wieder das Schleusengelände, wünschte der Schleusenwärterin einen guten Tag und wollte von ihr wissen, wie die Schleuse funktioniert.

„Oh, Monsieur. Das ist das Einfachste auf der Welt. Also, in diese Richtung verläuft der Canal du Midi Richtung Toulouse, na ja, erst einmal Richtung Béziers. Der liegt ungefähr einen Meter über dem Meeresspiegel.“ Sie deutete mit dem Arm in Richtung der viel befahrenen Straßenbrücke. „Also, die Boote kommen aus dem Kanal in die Schleuse. Dann wird das Tor geschlossen, mit Elektroantrieb. Dann werden die Schütze des oberen Tores geöffnet, die sind unter der Wasseroberfläche. Das Wasser des Hérault füllt die Schleusenkammer auf, bis sie auf gleichem Niveau ist. Normalerweise ist der obere Hérault 1,50 Meter über dem Meeresspiegel, aber in trockenen Sommern ist es manchmal auch etwas weniger.“

Sie lächelte. Pocher nickte, natürlich wusste er im Prinzip, wie eine Schleuse funktioniert.

„Das besondere dieser Schleuse ist das dritte Tor.“ Sie drehte sich zu dem Tor Richtung Stichkanal zum unteren Hérault. „Im Bedarfsfall können Boote auch heruntergeschleust werden, praktisch auf Meeresniveau. Durch den Stichkanal gelangen sie in den unteren Hérault und damit zum Mittelmeer. Und alles natürlich auch in umgekehrter Richtung.“

Die Rundschleuse von Agde sei die einzige ihrer Art in ganz Frankreich, sagte sie. „In den 1970er-Jahren wurde sie vergrößert, um auch längeren Schiffen die Möglichkeit der 90-Grad-Drehung in der Schleusenkammer zu ermöglichen. Aber im täglichen Geschäft spielt dies nur eine untergeordnete Rolle. Die allermeisten Boote bleiben auf dem Canal du Midi.“

„Wann war denn das letzte Mal das Schleusentor in Betrieb?“

Am Sonntag sei das gewesen, sagte sie. „Am Mittwoch und am Sonntag gibt es zwei Ausflugsboote, die vom unteren in den oberen Hérault fahren und wieder zurück. Sonst kommt es nur alle paar Wochen vor, dass ein Privatboot rauf oder runter möchte. Das muss dann auch vorher angemeldet werden, und die vielen Charterboote, die die Mehrzahl der Schleusenpassagen ausmachen, dürfen nicht runter in den Hérault Richtung Mündung.“

Plötzlich tauchte ein Boot auf, das sich langsam vom oberen Hérault herkommend in die Schleusenkammer schob. Es machte an der gegenüberliegenden Seite fest.

„Entschuldigen Sie“, sagte die Schleusenwärterin und ging leichtfüßig die Treppe hinauf und spähte auf den oberen Hérault, ob sich noch weitere Boote der Schleuse näherten. Offensichtlich kamen aber keine Boote nach. Sie ließ das obere Schleusentor schließen und hüpfte die Treppe hinab. Während die Leute an Bord des Bootes offenbar Mühe hatten, das Hausboot an der Schleusenwand seemannsgerecht festzumachen, schritt Michelle Reynouard scheinbar vergnüglich zum Schleusentor Richtung Canal du Midi. Pocher folgte ihr.

„Ich lasse jetzt per Knopfdruck das Wasser ab in den Kanal“, sagte sie. „Das dauert natürlich einige Minuten.“ Ihr brauner, leicht gewellter Pferdeschwanz flatterte etwas im Wind, eine Locke tanzte auf ihrer Stirn. „Alles hier geht sehr, sehr langsam.“ Sie nahm kurz ihre Sonnenbrille ab. Ihre dunklen Augen waren weit geöffnet, als sie Pocher wieder ins Gesicht blickte und mit den Schultern zuckte, als ob sie sagen wollte: das sei eben so, schneller gehe es nicht.

Sie versteckte ihre Augen wieder hinter den dunklen Gläsern der Brille. Für einen Moment hatte sie schweigend ihren Mund leicht zugespitzt geöffnet. Es war, als ob ihr ein leiser Seufzer entfuhr, und Pocher bemerkte, dass ihre Unterlippe erregt bebte.

Als das Wasser in der Schleusenkammer auf Kanalniveau war, verfiel sie wieder in ihre Arbeitsroutine, drückte einen Knopf an dem Schaltkasten, die Tore öffneten sich langsam, sie gab der Bootsbesatzung Handzeichen, dass sie weiterfahren könnten. Die Bootsleute machten die Leinen los und mussten einige Male vorwärts und rückwärts bugsieren, bis sie das Boot um einen vorstehenden Winkel herum in einen sicheren Kurs Richtung Schleusentor kriegten. Aber dann fuhr das Boot einigermaßen geradlinig durch das Schleusentor und verschwand unter der Straßenbrücke, ganz langsam.

Die Schleusenwärterin lächelte Pocher an. „Sie sind aber nicht von hier. Ihrem Akzent nach würde ich tippen, Sie sind Deutscher.“

„Pocher“, antwortete er, „Gerd Pocher.“ Richtig, er sei Deutscher und erst den zweiten Tag in Frankreich. Michelle Reynouard musterte ihn noch einmal. Sie nahm die Mütze vom Kopf, löste den Pferdeschwanz auf und schob die Sonnenbrille auf die Stirn.

Er trug eine Jeans, schlichtes Schuhwerk und ein weißes Polo-Shirt. Pocher war 50, einigermaßen schlank, hatte mittellange Haare, die bereits deutlich von Dunkelblond nach Weißgrau changierten. Sein Gesicht war inzwischen sichtlich gerötet, einen Tag lang der sengenden Sonne am Mittelmeer ausgesetzt.

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