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Kapitel 16 Häusliche Schwierigkeiten

Isabel schlenderte zurück und machte einen Rundgang durch die Zimmer; sie sahen einsam aus – nicht so, wie sie ihr zur Zeit ihres Vaters erschienen waren. In ihrem Ankleidezimmer kniete Marvel und packte ihr Gepäck aus. Als Lady Isabel eintrat, erhob sie sich.

„Könnte ich Sie einen Augenblick sprechen, wenn es Ihnen beliebt, Mylady?“

„Worum geht es?“

Nun platzte Marvel mit ihrem Anliegen heraus. Sie fürchte, ein so kleiner Haushalt sei für sie nicht geeignet, und wenn Mylady nichts dagegen habe, würde sie gern sofort gehen – noch am gleichen Tag. Da sie es vorhatte, habe sie ihre Sachen nicht ausgepackt.

„Was die Dienstboten angeht, wurde ein Fehler begangen, Marvel, aber das wird so bald wie möglich korrigiert. Und ich habe Ihnen schon gesagt, bevor ich geheiratet habe, dass Mr. Carlyles Haushalt nur von beschränkter Größe sein würde.“

„Mylady, damit könnte ich vielleicht zurechtkommen; aber ich könnte nie im selben Haus leben wie…“ ‚dieses Mannweib‘ lag ihr auf der Zunge, aber sie erinnerte sich noch rechtzeitig daran, von wem sie sprach – „wie Miss Carlyle. Ich fürchte, Mylady, sie und ich würden mit unserem Temperament aufeinanderprallen und in Streit geraten. Das könnte ich für alles Geld der Welt nicht verhindern, Mylady. Und wenn es Ihnen beliebt, mir meine Bezahlung für den laufenden Monat vorzuenthalten, muss ich mich damit abfinden. Wenn ich die Sachen eurer Ladyschaft geordnet habe, hoffe ich, dass Sie mich gehen lassen werden.“

Lady Isabel ließ sich nicht dazu herab, sie zu bitten, dass sie blieb, aber sie fragte sich, wie sie mit der Unannehmlichkeit zurechtkommen sollte. Sie zog ihr Schreibpult zu sich. „Welcher Betrag steht dir zu?“, fragte sie, während sie es aufschloss.

„Bis zum Ende des Quartals, Mylady?“, rief Marvel in vorlautem Ton.

„Nein“, antwortete Lady Isabel kühl. „Bis heute.“

„Ich hatte noch keine Zeit, es auszurechnen, Mylady.“

Lady Isabel nahm Papier und Bleistift, stellte die Berechnung an und legte den Betrag in Gold und Silber auf den Tisch. „Das ist mehr, als du verdienst, Marvel“, bemerkte sie, „und mehr als du an den meisten Stellen bekommen würdest. Du hättest mir eine ordentliche Kündigung schreiben sollen.“

Marvel brach in Tränen aus und setzte zu einer Reihe von Entschuldigungen an. Sie habe eine so freundliche Lady nie verlassen wollen, gäbe es nicht die genannten Unannehmlichkeiten, und sie hoffte, Mylady werde nichts dagegen haben, ihr ein gutes Zeugnis über ihren Charakter auszustellen.

Lady Isabel verließ inmitten des Redeflusses das Zimmer; im Lauf des Tages reiste Marvel ab, nachdem Joyce ihr gesagt hatte, sie solle sich schämen.

„Ich kann nicht anders“, gab Marvel zurück, „und es tut mir leid, sie zu verlassen, denn sie ist als Dienstherrin eine angenehme junge Dame.“

„Nun, ich hätte mir zu helfen gewusst“, bemerkte Joyce. „Ich würde mich nicht auf so unschöne Weise von einer guten Herrin trennen.“

„Du vielleicht nicht“, gab Marvel zurück, „aber meine inneren Gefühle sind empfindlich und ertragen es nicht, wenn man darauf herumtrampelt. Das gleiche Haus kann nicht mich und dieses riesige Weibsbild beherbergen, das sich eher dazu eignet, bei einem ausländischen Karneval herumgetragen zu werden, als manche, die sie wirklich dort herumtragen.“

Also verließ Marvel das Haus. Als Lady Isabel in ihr Zimmer ging, um sich zum Abendessen umzukleiden, trat Joyce ein.

„Ich bin an die Pflichten einer Kammerzofe nicht gewöhnt“, setzte sie an, „aber Miss Carlyle hat mich geschickt, Mylady, damit ich für Sie tue, was ich kann, wenn Sie es mir gestatten.“

Das, so dachte Isabel, war freundlich von Miss Carlyle.

„Und wenn es Ihnen beliebt, mir die Schlüssel für Ihre Sachen anzuvertrauen, werde ich mich darum kümmern, Mylady, bis Sie wieder mit einer geeigneten Zofe ausgestattet sind“, fuhr Joyce fort.

„Ich weiß nichts von Schlüsseln“, antwortete Isabel. „Ich habe sie nie bei mir.“

Joyce gab sich alle Mühe, und Lady Isabel ging nach unten. Es war fast sechs Uhr – Zeit für das Abendessen – und sie schlenderte zum Parktor, wo sie Mr. Carlyle zu treffen hoffte. Sie trat einige Schritte nach draußen und blickte die Straße hinunter, aber sie sah ihn nicht kommen; also wandte sie sich wieder zum Haus und setzte sich unter einen schattigen Baum. Von hier aus konnte sie die Straße überblicken. Für die letzten Tage des Monats Mai war es bemerkenswert warm.

Eine halbe Stunde verging, dann kam Mr. Carlyle herangestürmt. Er ging durch das Tor und wandte sich zu der Grasfläche. Dort sah er seine Frau. Sie war eingeschlafen, ihr Kopf lehnte an einem Baumstamm. Haube und Schirm lagen zu ihren Füßen, der Schal war heruntergefallen, und sie sah aus wie ein liebenswürdiges Kind: die Lippen teilweise geöffnet, die Wangen rot, und ihr schönes Haar fiel über die Schultern. Es war ein faszinierendes Bild, und bei dem Gedanken, dass das alles ihm gehörte, schlug sein Herz schneller. Während er sie ansah, stahl sich ein Lächeln auf seine Lippen. Sie öffnete die Augen und konnte sich eine Minute lang nicht erinnern, wo sie war. Dann fuhr sie hoch.

„Oh, Archibald! Bin ich eingeschlafen?“

„Ja; und man hätte dich stehlen und wegtragen können. Das kann ich mir nicht leisten, Isabel.“

„Ich weiß nicht, wie es gekommen ist. Ich habe nach dir Ausschau gehalten.“

„Was hast du den ganzen Tag gemacht?“, fragte er, während er ihren Arm auf seinen legte und mit ihr zusammen weiterging.

„Ach, eigentlich weiß ich es nicht“, seufzte sie. „Ich habe das neue Klavier ausprobiert und auf die Uhr gesehen und mir gewünscht, die Zeit würde schneller vergehen, bis du nach Hause kommst. Die Ponys und die Kutsche sind angekommen, Archibald.“

„Das weiß ich, mein Liebes. Warst du viel außer Haus?“

„Nein, ich habe auf dich gewartet.“ Dann erzählte sie ihm von Marvel. Er war beunruhigt und sagte, sie müsse so schnell wie möglich ersetzt werden. Isabel erwiderte, sie kenne eine junge Frau, die Lady Mount Severn verlassen hatte, während sie, Isabel, in Castle Marling gewesen war; sie habe eine schwache Gesundheit, und die Arbeit bei Lady Mount Severn war für sie zu hart gewesen. Sie sei vielleicht geeignet.

„Schreibe ihr“, sagte Mr. Carlyle.

Am Sonntagmorgen kam der Wagen – eine hübsche kleine ­Equi­page –, und Isabel war abfahrbereit. Als Mr. Carlyle langsam die staubige Straße entlangfuhr, begegneten sie Miss Corny, die einen großen Sonnenschirm trug und mit großen Schritten ging. Sie drehte sich nicht um und sah ihnen nicht nach.

Wieder einmal herrschte in der Kirche St. Jude wie im vergangenen Jahr eine Stimmung freudiger Erwartung. Man rechnete mit allem, was zu einer feinen ehelichen Ausstattung gehörte, und wieder einmal waren alle zur Enttäuschung verurteilt, denn Isabel hatte die Trauer für ihren Vater noch nicht abgelegt. Sie trug Schwarz – ein Kleid aus dünner Seide –, und die weiße Haube war innen und außen mit kleinen schwarzen Blüten besetzt. Zum ersten Mal in seinem Leben setzte sich Mr. Carlyle in die Kirchenbank, die zu East Lynne gehörte, und nahm den Platz ein, an dem früher der arme Earl gesessen hatte. Nicht so Miss Corny – sie saß in einer anderen Bank.

Barbara war mit dem Richter und Mrs. Hare gekommen. Ihr Gesicht hatte einen grauen, düsteren Farbton, dessen sie sich nur allzu bewusst war, ohne ihn aber ablegen zu können. Ihre sehnsüchtigen Blicke wanderten zu jedem anderen Gesicht mit seiner einzigartigen Liebenswürdigkeit und den hübschen ernsten Augen, die unter dem Schutz dessen standen, dessen Schutz sie selbst so lange erstrebt hatte. Aus dem Gottesdienst zog die arme Barbara an diesem Tag keinen großen Nutzen.

Danach gingen sie über den Kirchhof zur westlichen Ecke, wo der Grabstein von Lord Mount Severn stand. Isabel betrachtete, das Gesicht hinter dem Schleier verborgen, die Inschrift.

„Nicht hier und jetzt, mein Liebling“, flüsterte er, wobei er ihren Arm an seine Seite drückte, spürte er doch ihr stilles Schluchzen. „Bemühen wir uns um Ruhe.“

„Mir scheint, als wäre es erst gestern gewesen, dass er mit mir in der Kirche war, und jetzt – liegt er hier!“

Mr. Carlyle wechselte plötzlich ihre Plätze, sodass sie mit dem Rücken zu den Gaffern standen, die sich auf der Straße herumtrieben.

„Um das Grab sollte ein Geländer sein“, sagte sie schließlich, nachdem sie erfolgreich mit ihren Gefühlen gekämpft hatte.

„Das habe ich auch gedacht und Lord Mount Severn vorgeschlagen, aber er war offensichtlich anderer Meinung. Ich werde es aufstellen lassen.“

„Ich verursache dir hohe Kosten“, sagte sie, „wenn man alles zusammennimmt.“

Mr. Carlyle warf ihr einen schnellen Blick zu. In seinem Kopf machte sich eine vage Angst bereit, seine Schwester könne in Isabels Hörweite geredet haben. „Kosten, auf die ich um nichts in der Welt verzichten würde. Das weißt du, Isabel.“

„Und ich habe nichts, was ich dir dafür zurückgeben könnte“, seufzte sie.

Er blickte eindeutig amüsiert drein, und als er ihr ins Gesicht sah, ließ der Ausdruck seiner Augen sie lächeln. „Da ist John mit der Kutsche“, rief sie. „Fahren wir, Archibald.“

Vor dem Tor standen mehrere Damen und sprachen mit der Familie des Geistlichen. Unter ihnen war auch auch Barbara Hare. Sie sah zu, wie Mr. Carlyle seiner Frau beim Einsteigen in die Kutsche half; sie sah zu, wie die beiden wegfuhren. Als Barbara sich auf seinen Gruß hin verbeugte, waren ihre Lippen weiß.

„Es ist so heiß!“, murmelte Barbara, als die Umstehenden ihre Blässe bemerkten.

„Ach! Sie hätten in dem Phaeton mit Mr. und Mrs. Hare mitfahren sollen, wie sie es wollten.“

„Ich wollte lieber zu Fuß gehen“, gab die unglückliche Barbara zurück.

„Was ist das für ein hübsches Mädchen!“, sagte Lady Isabel zu ihrem Mann. „Wie heißt sie?“

„Barbara Hare.“

Das Geheimnis von East Lynne

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