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ОглавлениеKapitel 7 Hausherrin Miss Carlyle
An einem schönen Morgen im Juli schlug die Kirchturmuhr von West Lynne acht. Dann erklangen die Glocken und verkündeten, dass Sonntag war.
East Lynne hatte den Besitzer gewechselt und war jetzt das Eigentum von Mr. Carlyle. Er hatte es im Ist-Zustand gekauft, mit Möbeln und allem anderen; die Transaktion war aber heimlich vollzogen worden, und abgesehen von denen, die an den Verhandlungen beteiligt waren, hatte niemand einen Verdacht. Ob Lord Mount Severn nun glaubte, es könne verhindern, dass jemand Wind davon bekam, oder ob er Abschied von einem Ort nehmen wollte, den er früher geliebt hatte, eines ist sicher: Er war bestrebt, es eine oder zwei Wochen zu besuchen. Mr. Carlyle hatte höchst bereitwillig und wohlwollend zugestimmt; und so waren der Earl, seine Tochter und ihre Entourage am Tag zuvor eingetroffen.
West Lynne war in Aufruhr. Es bezeichnete sich als aristokratischen Ort und hegte die Hoffnung, der Earl könne die Absicht haben, ihm auf Dauer das Licht seiner Gegenwart zu schenken, indem er seinen Wohnsitz wiederum in East Lynne nahm. Man hatte üppig Toilette gemacht, um seinem bewundernden Blick zu begegnen, und die hübsche Barbara Hare war nicht die einzige junge Dame, die deshalb auf elterliche Entrüstung stieß.
Miss Carlyle hatte sich zur üblichen Zeit auf den Kirchgang vorbereitet und war einfach, aber gut gekleidet. Als sie und Archibald das Haus verließen, sahen sie auf der Straße etwas in der Sonne blitzen und glitzern. Zuerst kam ein rosa Sonnenschirm; es folgten eine rosa Haube, eine rosa Feder, ein graues, in Brokat gefasstes Kleid und weiße Handschuhe.
„Die eitle kleine Närrin!“, stieß Miss Carlyle hervor. Aber Barbara, die sich der Beschimpfung nicht bewusst war, lächelte ihnen auf der Straße entgegen.
„Gut gemacht, Barbara!“, sagte Miss Carlyle zur Begrüßung. „Alles, was Recht ist – Sie sind schöner als ein Sonnenstrahl!“
„Nicht halb so schön wie viele andere in der Kirche heute sein werden“, antwortete Barbara, während sie die schüchternen blauen Augen hob und mit errötendem Gesicht den Gruß von Mr. Carlyle erwiderte. „West Lynne scheint es darauf anzulegen, sich besser zu kleiden als Lady Isabel. Sie hätten gestern Morgen bei der Modistin sein müssen, Miss Carlyle.“
„Wird heute der Sonntagsstaat ausgeführt?“, erkundigte sich Mr. Carlyle gewichtig, als Barbara sich mit ihnen zur Kirche wandte. Er ging neben ihr und seiner Schwester, denn er hatte eine fast ebenso unbezwingbare Abneigung wie ein Franzose dagegen, zwei Damen seine Arme anzubieten.
„Natürlich“, erwiderte Barbara. „Wissen Sie, der erste Eindruck ist alles, und der Earl und seine Tochter werden in die Kirche kommen.“
„Und wenn sie nun nicht in einem Pfauengefieder erscheint?“, rief Miss Carlyle mit unbewegter Miene.
„Ach! Aber sie wird sicher so kommen – wenn Sie damit meinen, dass sie fein angezogen ist“, sagte Barbara hastig.
„Und wenn sie überhaupt nicht in die Kirche kommen?“, lachte Mr. Carlyle. „Was für eine Enttäuschung wäre das für die Hauben und Federn!“
„Schließlich, Barbara, was bedeuten sie uns oder wir ihnen?“, nahm Miss Carlyle das Gespräch wieder auf. „Wir werden vielleicht nie zusammentreffen. Wir unbedeutenden Bürger von West Lynne sollten uns in East Lynne nicht aufdrängen. Das wäre wohl kaum passend – und würde auch vom Earl oder Lady Isabel nicht so betrachtet.“
„Genau so hat auch Papa geredet“, murrte Barbara. „Er hat gestern diese Haube zu Gesicht bekommen, und als ich zur Entschuldigung sagte, ich müsse bei Ihnen vorsprechen, hat er mich gefragt, ob ich glaubte, die unbedeutenden Familien von West Lynne könnten es wagen, dem Lord Mount Severn ihre Aufwartung zu machen, als gehörten sie zum Landadel. Was ihn so verärgert hat, war die Feder.“
„Sie ist auch wirklich lang“, bemerkte Miss Carlyle und musterte sie mürrisch.
Barbara sollte an diesem Tag in der Kirchenbank der Carlyles sitzen, denn sie dachte, je weiter sie von dem Richter entfernt war, desto besser sei es; man konnte es nicht wissen, aber vielleicht würde er an der Feder inmitten des Gottesdienstes aus Rache einen heimtückischen Schnitt anbringen und so ihre Schönheit ruinieren. Sie hatten sich kaum gesetzt, da kamen zwei Fremde leise durch den Mittelgang: ein Gentleman mit gefurchter Stirn und grauen Haaren, der beim Gehen hinkte, und eine junge Dame. Barbara drehte sich eifrig um, blickte aber dann wieder weg; es konnten nicht die erwarteten Besucher sein, dazu war das Kleid der jungen Dame zu einfach – ein schlichtes Musselinkleid für einen heißen Sommertag. Aber der alte Kirchendiener mit seinem wallenden Mantel ging mit seinem Marschallstab seitlich vor ihnen her und führte sie zur Kirchenbank von East Lynne, in der so viele Jahre niemand gesessen hatte.
„Wer um alles in der Welt kann das sein?“, sagte Barbara im Flüsterton zu Miss Carlyle. „Dieser alte Dummkopf macht immer Fehler und setzt Leute an die falschen Stellen.“
„Der Earl und Lady Isabel.“
Die Farbe schoss Barbara ins Gesicht, und sie starrte Miss Corny an. „Was, aber sie hat keine Seide, keine Federn, gar nichts!“, rief Barbara. „Sie ist schlichter als alle anderen in der Kirche!“
„Schlichter als die Herausgeputzten – als Sie zum Beispiel. Der Earl hat sich stark verändert, aber ich hätte beide überall wiedererkannt. Sie haben große Ähnlichkeit mit ihrer armen Mutter – genau die gleichen Augen und der gleiche liebreizende Gesichtsausdruck.“
Ja, diese braunen Augen voller Liebreiz und Melancholie; wohl kaum jemand, der sie einmal gesehen hatte, konnte sie verwechseln oder vergessen; Barbara Hare vergaß, wo sie war, und blickte sie an diesem Tag immer wieder an.
„Sie ist sehr anmutig“, dachte Barbara, „und ihre Kleidung ist sicher die einer Lady. Hätte ich doch nur nicht diese flatterige rosa Feder aufgesteckt! Sie muss uns alle für ganz schön putzsüchtig halten!“
Der Wagen des Earl, ein offener Landauer, wartete am Ende des Gottesdienstes vor dem Tor. Der Lord half seiner Tochter beim Einsteigen und stand gerade im Begriff, ihr zu folgen und seinen Gichtfuß auf das Trittbrett zu setzen, da sah er Mr. Carlyle. Der Earl drehte sich um und streckte die Hand aus. Ein Mann, der East Lynne kaufen konnte, war es wert, als gleichrangig behandelt zu werden, auch wenn er nur ein Landanwalt war.
Mr. Carlyle gab dem Earl die Hand, näherte sich dem Wagen und lüftete in Richtung von Lady Isabel den Hut. Sie beugte sich mit ihrem angenehmen Lächeln nach vorn und legte ihre Hand in seine.„Ich habe Ihnen vieles zu sagen“, bemerkte der Earl. „Ich würde es begrüßen, wenn Sie mit zu uns nach Hause fahren würden. Wenn Sie nichts Besseres zu tun haben, seien Sie doch für den Rest des Tages Gast auf East Lynne.“
Dabei lächelte er verschmitzt, und Mr. Carlyle tat es ihm gleich. Als Gast auf East Lynne! Das war derzeit der Earl. Mr. Carlyle wandte sich zur Seite und setzte seine Schwester in Kenntnis.
„Cornelia, ich werde zum Abendessen nicht zu Hause sein; ich fahre mit Lord Mount Severn. Guten Tag, Barbara.“
Mr. Carlyle stieg in die Kutsche, der Earl folgte ihm, und sie fuhren davon. Die Sonne schien noch, aber für Barbara Hare war die Helligkeit des Tages dahin.
„Woher kennt er den Earl so gut? Woher kennt er Lady Isabel?“, fragte sie sich in ihrer Verwunderung immer wieder.
„Archibald weiß über die meisten Menschen etwas“, erwiderte Miss Corny. „Als er im Frühjahr in London war, ist er oft mit dem Earl zusammengetroffen, und ein- oder zweimal auch mit Lady Isabel. Was für ein hübsches Gesicht sie hat!“
Barbara antwortete nicht. Sie fuhr mit Miss Carlyle nach Hause, aber ihr Benehmen war ebenso abwesend wie ihr Herz, denn das war nach East Lynne davongelaufen.