Читать книгу Sedieren ohne Medikamente - Elvira Lang - Страница 21
3.1 Intuitives Spiegeln
ОглавлениеWechselseitige Anpassung, Imitation und Mimikry werden in der psychologischen Fachsprache synonym verwendet, um zwei Individuen zu beschreiben, die dasselbe oder ein ganz ähnliches Verhalten zeigen (engl.: »matching«). Auch der Ausdruck Spiegeln (engl.: »mirroring«) wird oft gleichbedeutend mit den genannten Ausdrücken gebraucht; einige Experten reservieren das Spiegeln jedoch für die Beschreibung zweier Personen, die dieselbe Körperposition einnehmen oder motorischen Funktionen spiegelverkehrt ausüben, so als ob sie ein Spiegelbild kopieren. In diesem Buch verwenden wir Anpassung, Mimikry, Imitation und Spiegeln als Synonyme, wenn wir auf eine Unterscheidung nicht ausdrücklich hinweisen.
Die Imitation des Verhaltens eines anderen Individuums findet sich in der gesamten Tierwelt in verschieden starker Ausprägung. Am besten entwickelt ist sie bei uns Menschen (Iacoboni 2009a). Moderne bildgebende Techniken zur Visualisierung und Kartierung von Hirnfunktionen legen nahe, dass ein zentrales neuronales Netzwerk im Gehirn das Erkennen des Verhaltens einer anderen Person (ihrer Körperhaltung, Gestik, Gesichtsausdrücke, Redestile etc.) und das darauffolgende Imitieren dieses Verhaltens durch den Betrachter vermittelt. Dieses Netzwerk interagiert mit geeigneten anderen neuralen Systemen und führt so zu verschiedenen Formen nachahmenden Verhaltens (ebd.). Babys imitieren die Gesichtsausdrücke Erwachsener schon einige Minuten nach der Geburt (Meltzoff a. Decety 2003). Es wird angenommen, dass diese angeborene, Verknüpfung der Beobachtung des Verhaltens einer anderen Person mit dessen unmittelbarer intuitiver Spiegelung Kindern zu verstehen ermöglicht, dass andere ihnen ähnlich sind. Auch soll auf diese Weise Empathie für Artgenossen bewirkt werden (ebd.).
Einige der interessantesten neurobiologischen Entdeckungen bezüglich Mimikry wurden bei Experimenten mit Affen gemacht und folgten dem Motto »Was ein Affe sieht, das macht er nach«. In den frühen 1990iger-Jahren untersuchten Giuseppe di Pellegrino und seine Kollegen von der Forschungsgruppe um Giacomo Rizzolatti, dem Direktor der Abteilung für Neurowissenschaften an der Università degli Studi in Parma, Italien, die Neuronen im prämotorischen Kortex von Affen. Ihre Arbeit deckte spezifische Aktivierungsmuster für Handbewegungen der Tiere auf, wie Greifen, Halten oder Zerren (di Pellegrino et al. 1992). Eines Tages bemerkten die Forscher zufällig, dass dasselbe Muster der Aktivierung motorischer Neuronen, das sie bei verschiedenen Handbewegungen der Affen identifiziert hatten, auch dann auftrat, wenn die Affen sich selbst gar nicht bewegten, die Forscher aber dabei beobachteten, wie diese die gleichen Handbewegungen ausführten. Die Neuronen der Affen feuerten synchron zu den Bewegungen der Forscher. Neuere Arbeiten der Forschungsgruppe haben gezeigt, dass auditive Stimuli (Hörreize) ähnliche Effekte haben können (Kohler et al. 2002). Affen sind also nicht nur gut darin, andere zu imitieren, sie scheinen es auch zu genießen, selbst imitiert zu werden. Sie schauen nämlich lieber einer Person zu, die ihre eigenen Bewegungen nachmacht, als einer Person, die das nicht tut (Paukner et al. 2005).
Diese Forschungsergebnisse an Affen gaben den Anstoß zu weiteren Studien über die »Spiegelneuronen« und ihre Rolle bei Imitation, Empathie und sozialer Interaktion. Mit modernen MRT-Techniken ist es den Forschern gelungen, die Existenz der Spiegelneuronen auch beim Menschen nachzuweisen. Fest verknüpfte Schaltkreise für die Imitation sind in einigen Bereichen des menschlichen Gehirns identifiziert worden: Da gibt es die Schaltkreise im dorsolateralen präfrontalen Kortex, die wahrscheinlich das Lernen durch Nachahmung erleichtern; die Interaktion mit dem limbischen System, von der angenommen wird, dass sie grundlegend für das soziale Spiegeln und die Fähigkeit zur Empathie ist; und Simulationen von Gesichtsausdrücken, die eventuell das Akzeptieren der Emotionen anderer Menschen vermitteln (Iacoboni 2009a).
In spannenden aktuellen Experimenten zu den therapeutischen Wirkmechanismen im Rahmen der Arzt-Patienten-Beziehung wurden Patienten mit chronischen Schmerzen und die sie behandelnden Akupunkteure gleichzeitig mit MRT-Hyperscanning (funktionaler Magnetresonanz) untersucht (Ellingsen et al. 2020). Dabei ist es gelungen, Gesichtsausdrücke und Hirnsignale der beiden Beteiligten zu korrelieren, unmittelbar während echte oder simulierte Akupunktur appliziert wurde. Wie sich zeigte, spiegelten die Akupunkteure die Gesichtsausdrücke ihrer Patienten wider, wenn schmerzhafte Akupunkturstimuli erwartet wurden, und sogar die Hirnaktivität beider Beteiligten zeigte vergleichbare Reaktionen. Die synchronisierte Aktivität betraf Hirnregionen, die normalerweise mit dem Lesen der Emotionen des beobachteten Gegenübers assoziiert sind. Diese Studie untermauert, dass das Spiegeln von Gesichtsausdruck und Emotionen den Eindruck einer persönlichen Bindung zwischen Patient und Behandler positiv beeinflusst.