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Mägde und Herrinnen

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Seit dem Sturm waren nun fünf Tage vergangen. Johanna zählte genau mit, aber sie war nicht beunruhigt, sie hatte von Männern erzählen hören, die wochenlang verschollen gewesen waren, Gegenwind, Eis und Sturm ausgesetzt. Aber sie waren zurückgekommen, einige zu Fuß aus abgelegenen Orten, an denen das Boot gestrandet war.

Natürlich würden sie wiederkommen, es war erst fünf Tage her, lange Tage sicherlich und lange Nächte mit bösen Träumen und Zweifeln, trotz alledem aber erst fünf Tage und nicht einmal eine Woche, nichts im Vergleich zu einem ganzen Jahr.

Johanna versuchte auf verschiedene Art und Weise, die Zeit, die vergangen war, zusammenzuziehen. Mehrere Male hatte sie sich auf den Weg nach Skatudden gemacht, sich jedoch dann anders entschlossen. Es kam ihr wie eine Niederlage vor, dorthin zu gehen, es würde bedeuten, Unruhe zu zeigen, den Befürchtungen nachzugeben.

Am Nachmittag des fünften Tages war sie draußen bei den Kühen gewesen, hatte sie zum zweiten Mal an diesem Tag gemolken, es waren fünf Liter geworden, nicht mehr. Ein Teil davon wurde getrunken und für die Milchsuppe benötigt, der Rest war für das Butterfass bestimmt.

Als Johanna gerade wieder ins Haus gehen wollte, sah sie ihre Mutter aus dem Wald kommen. Johanna blieb stehen und wartete auf sie, sie sah, dass sie ein wenig zögerte, so als ob sie niemanden treffen wollte. Da ging Johanna ihr entgegen.

»Warst du im Wald, Mutter?«, fragte sie.

Maria blickte weg, nickte und ging weiter. Johanna gesellte sich zu ihr, aber sie merkte, dass ihre Mutter etwas zu verbergen suchte.

»Oder warst du draußen auf Skatudden?«, fragte Johanna weiter

Maria seufzte und gab keine Antwort, und Johanna verstand.

»Hast du etwas gesehen, Mutter?«, fragte sie.

»Nein, nichts.«

»Es sind jetzt fünf Tage vergangen.«

»Vielleicht sind sie tot, ich fühle, dass mich alle Hoffnung verlässt.«

»Ich glaube bestimmt, dass sie zurückkommen.«

»Ja, mein Mädchen, du hast ein starkes Gottvertrauen, aber ich kann die Hoffnung nicht länger aufrechterhalten.«

Sie waren fast zuhause, sie sprachen nicht mehr, sie gingen langsam. Maria ergriff die Hand ihrer Tochter. Johanna sah, dass ihre Mutter die andere Hand vor das Gesicht hielt und sich mit einem Zipfel ihres Blusenärmels die Augen trocknete. Sie merkte, dass ihre Mutter weinte. Aber sie gingen schweigend über den Hofplatz bis an die Haustür.

Jetzt war es zwischen Johanna und ihrer Mutter besprochen: Johanna sollte die Schweine füttern, einmal am Tag die Kühe melken und soviel es ging, im Haushalt mithelfen, wenn sie von ihrer Arbeit im Posthaus zurückkam.

»Wir wollen sehen, wie es läuft«, sagte Maria. »Du weißt, dass ich dich jetzt, wo Vater nicht mehr da ist, brauche.«

Sie hörte, wie schlimm das klang und milderte es sofort ab, hustete etwas, als ob sie etwas in die falsche Kehle bekommen hätte.

»Ja, jetzt, wo Vater weg ist«, versuchte sie.

»Ich verspreche, dass ich tun werde, was ich kann«, sagte Johanna.

Sie hatte eine frisch gebügelte Schürze und ihren besten Rock an, als sie ging, und trug die blaue Bluse unter der Jacke. Die Schuhe waren geschwärzt. Das helle Haar hatte sie zu einem Knoten im Nacken zusammengebunden. Maria hatte ihr ein blaugestreiftes Kopftuch aus grobem Leinen geliehen.

Als Johanna die Küche des Posthauses betrat, war Laura dort zusammen mit einer älteren Frau, die Johanna bis jetzt noch nicht gesehen hatte. Sie war elegant gekleidet, trug eine Spitzenbluse und einen weiten dunklen Rock, die Haare waren mitten auf dem Kopf in einer Doppelrolle aufgesteckt. Man sah, dass sie nicht zur Dienerschaft gehörte.

»Das hier ist unsere neue Kleinmagd Johanna«, sagte Laura zu der Unbekannten.

»Das ist nett, mein Mädchen«, sagte die elegante Frau und streckte die Hand aus.

Johanna ergriff sie und knickste. Die unbekannte Frau lächelte sie an, sah freundlich aus, vielleicht ein wenig müde. Johanna merkte, dass sie nach irgendetwas Fremdem roch, nach Blumen, vielleicht nach Rosen, sie wusste es nicht.

»Ich habe der gnädigen Frau von dir erzählt«, sagte Laura.

»Ja«, sagte Johanna.

»Laura wird dir sagen, was deine Aufgabe sein wird und wie viel Lohn du zu erwarten hast«, sagte die Frau, die mit ›Gnädige Frau‹ angeredet wurde, weiter. Dann lächelte sie wieder müde und verließ die Küche. Johanna hatte immer noch diesen Blumenduft in der Nase.

»Jetzt hast du die Herrin kennen gelernt«, sagte Laura nach einer Weile. »Sie sollte eigentlich mit Frau Postmeister angeredet werden, aber wir sagen immer ›Gnädige Frau‹, wenn wir mit ihr sprechen.«

Johanna nickte, ohne etwas zu sagen.

»Und mich kannst du Laura nennen.«

Johanna errötete und machte einen kleinen Knicks. Sie hatte sich nicht erinnert, ob sie Laura mit du angeredet hatte, jetzt wusste sie es jedoch besser.

»Ja, Laura«, murmelte sie.

»Und jetzt trinken wir Kaffee, ehe du anfängst zu arbeiten.«

Johanna nickte wieder und begriff, dass sie gehorchen musste. Die Frau Postmeisterin bestimmte vielleicht im Haus, aber hier in der Küche hatte Laura das Sagen.

Birgitta hatte die ganze Zeit über geschwiegen. Jetzt schenkte sie den Kaffee ein, der schon fertig gewesen war, als Johanna die Küche betreten hatte.

»Leg ab«, sagte sie. Johanna nahm das Kopftuch ab und zog die Strickjacke aus. Sie setzten sich an den Tisch am Fenster und tranken schweigend ihren Kaffee, teilten sich ein kleines Stück süßes weißes Brot.

»Du bekommst hier Essen und jetzt zu Beginn zehn Schilling die Woche«, sagte Laura. »Wir werden sehen, wie du dich machst, und möglicherweise bekommst du dann mehr.«

»Danke«, antwortete Johanna; sie hatte verstanden, dass es hier nichts mehr zu diskutieren gab, da die Hausfrau und Laura es schon festgelegt hatten.

»Und wenn wir ausgetrunken haben, wird Birgitta dir das Haus zeigen, sodass du die Räume siehst und einiges lernst, was du wissen musst.«

Johanna murmelte noch einmal ein Dankeschön.

Das Haus war wirklich groß; außer der Küche gab es noch elf Räume und den langen Flur, der quer durch das Haus verlief und es in zwei Hälften teilte. Im oberen Stockwerk befanden sich vier Gästezimmer und ein riesengroßer Raum mit einem Steinfußboden, in dem niemand wohnte. Es gab überall Kachelöfen und große Fenster, die Möbel glänzten, die Betten waren breit und mit schönen Decken und weichen Kissen versehen.

Die Gnädige Frau saß mit einer Zeitung vor dem wärmenden Feuer im linken Eckzimmer, das zur Seeseite hin lag, als Birgitta und Johanna leise vorbeigingen. Der Postmeister befand sich in seinem Kontor, die Kinder hatten Schulstunde im rechten Eckzimmer, das offenbar als Klassenzimmer benutzt wurde und in dem die Gouvernante ihr Bett stehen hatte. Die vier Gästezimmer im oberen Stockwerk standen derzeit leer, aber es wurden demnächst Gäste erwartet, Reisende auf dem Weg nach Åland.

Dann setzte Birgitta ihre Führung fort. Sie gingen auf den Hofplatz hinaus, sahen in die Remise, in den Stall, in den Milchschuppen und das Waschhaus, das Johanna ja schon kannte.

Als sie in das große Haus zurückkehrten, hatten die Kinder gerade Pause. Birgitta stellte Johanna der Gouvernante vor, einer großen, mageren, dunkelhaarigen Frau von ungefähr dreißig, die ein freundliches Lächeln zeigte.

»Ich heiße Margareta«, sagte sie. »Wir haben uns ja schon gesehen, als du neulich Holz gebracht hast, nicht wahr?«

»Ja«, antwortete Johanna.

»Wir haben geschrieben, glaube ich, die Kinder und ich.«

»Das habe ich gehört.«

»Gehört, wie meinst du das?«

»Ich habe gehört, wie es gekratzt hat, als die Kinder geschrieben haben, und ich habe das weiße Papier gesehen.«

»Aha, das ist interessant. Kannst du denn schreiben?«

»Etwas kann ich schon.«

»Und dann kannst du sicher auch lesen?«

»Ja, aber meistens die Bibel.«

»Möchtest du gerne irgendetwas anderes lesen?«

»Ja, ich glaube schon, wenn ich etwas hätte.«

»Ich kann dir etwas zeigen. Wir können uns weiter darüber unterhalten, wenn der Unterricht zu Ende ist, falls du dann noch da bist.«

»Ich bleibe jetzt hier, ich arbeite hier.«

»Dann komm später, wenn du mit der Arbeit fertig bist.«

In den nächsten Stunden nahm Johanna Heringe aus; das hatte sie schon oft zuhause getan. Sie saß auf einem Hocker vor dem Milchschuppen. Birgitta half in der ersten Stunde mit, sie unterhielten sich die ganze Zeit über, das war ungewohnt für Johanna. Zuhause auf dem Hof war Arbeit mit Schweigen verbunden.

Sie aßen in der Küche zu Mittag, die drei Mägde und der Knecht Sigurd, der vom Hafen, wo er an der Überprüfung der Boote teilgenommen hatte, heraufgekommen war. Es gab Erbsensuppe, gebratenen Hering und Roggenbrot. Sigurd bekam einen Schluck Branntwein zum Essen, die Frauen tranken Wasser.

Nach dem Essen scheuerte Johanna die Diele und den Speisesaal. Sie tat ein wenig Seife ins Wasser, das gab einen guten Geruch; zuhause wurde zweimal im Jahr mit Wasser und Sand gescheuert.

Nach dem Kaffee gegen vier sagte Laura, dass Johanna früher Schluss machen könne, da es ihr erster Tag war. Im Übrigen war nicht vorgesehen, dass sie genauso lange arbeiten sollte wie die anderen, denn sie hatte ja auch zuhause noch etwas zu tun.

Ehe sie das Posthaus verließ, suchte Johanna Margareta auf. Sie befand sich auf ihrem Zimmer und war mit Papieren und Büchern in der Ecke des Raums, die als Klassenzimmer diente, beschäftigt.

»Setz dich«, sagte Margareta und wies auf einen der Stühle an dem kleinen Tisch, an dem ihre Schüler zu sitzen pflegten.

Sie setzte sich Johanna gegenüber, lächelte und betrachtete ihren Gast, ohne etwas zu sagen. Johanna lächelte zurück, konnte ihren Blick aber nur einen Augenblick auf Margareta gerichtet halten, dann senkte sie verlegen die Augen und fühlte sich unsicher.

»Du hast gesagt, dass du lesen kannst«, sagte Margareta. »Hier hast du eine Seite aus einer Zeitung. Kannst du mir daraus etwas vorlesen?«

Sie schob Johanna einen großen Bogen Papier hin und drehte ihn um. Es wimmelte nur so von Buchstaben und Wörtern auf dem Papier, von Zeilen und Spalten, großen und kleinen. Johanna betrachtete sie, es war so viel, sie wusste nicht, worauf sie ihren Blick richten sollte.

»Hier kannst du beginnen«, sagte Margareta und zeigte auf eine Zeile.

Johanna sah den Text an, begann die Überschrift zu lesen.

»An Stock…holms Mägde.«

Sie sah zu Margareta auf, die wieder lächelte. Johanna las weiter.

»Ihr seid Menschen genauso wie die Gnädige Frau. Ihr seid aus demselben Stoff ge…macht, es ist eine weitaus größere Kunst, eine or…dent…liche Magd zu sein als eine or…dent…liche Herrin.«

Hier machte Johanna eine Pause. Sie hatte den Anfang des Textes geschafft; es stand noch viel mehr da, sie hatte mit den Buchstaben gekämpft und nicht darüber nachgedacht, was sie gelesen hatte.

»Das hat ja gut geklappt«, sagte Margareta. »Lies es noch einmal.«

Johanna begann wieder von vorn, und jetzt ging es glatter. Sie blieb nicht stecken, und sie konnte auf den Inhalt achten.

»Es handelt von dir«, sagte Margareta. »Aber lies weiter.«

Johanna las den ganzen Artikel durch: Es war schwerer, eine Magd zu sein als eine vornehme Dame. Dass so etwas in der Zeitung stehen konnte! Aber es war schon amüsant, doch wahrscheinlich ziemlich unverschämt.

Das brennende Meer

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