Читать книгу Das brennende Meer - Erik Eriksson - Страница 8
Gottvertrauen
ОглавлениеJohanna saß auf der Holzbank drinnen im Waschhaus. Unter dem Waschkessel brannte das Feuer, ein kleiner, rußiger Wasserkessel mit Deckel und Pfeife stand auf einem Dreifuß und wurde von der Glut der kleinen Feuerstelle in der Kaminwand erwärmt. Birgitta stand hinter dem Waschtrog, der Dampf wärmte, kräuselte aber zugleich auch ihre Haare, auf ihrer Stirn hatten sich Schweißtropfen gebildet.
»Wir machen uns jetzt eine Tasse Kaffee, das haben wir verdient, nicht wahr«, flüsterte sie.
Johanna lächelte, doch sie wusste nicht, was sie antworten sollte. Sie hatte noch nie Kaffee getrunken und konnte sich nicht richtig entscheiden, ob sie dieses seltsame Getränk, von dem sie schon gehört hatte, mögen würde.
»Du trinkst doch Kaffee!?«, flüsterte Birgitta.
»Ja, danke«, antwortete Johanna.
»Mit Zucker«, sagte Birgitta.
Sie öffnete einen Wandschrank hinter der Waschbütte, nahm zwei etwas angeschlagene Tassen heraus, ein kleines Papierpäckchen und einen Löffel. Sie legte das Päckchen neben Johanna auf die Bank und wickelte es aus. Es enthielt eine flache Dose und ein Stück Zucker. Birgitta öffnete die Dose und hielt sie Johanna hin.
»Riech mal«, flüsterte sie.
Johanna schaute in die Dose und sah dort etwas, das sie an zusammengeklebte kleine schwarze Graupen erinnerte. Sie sog vorsichtig die Luft ein. Der Duft war stark, er stach ihr in die Nase, und sie zog den Kopf wieder ein wenig zurück.
»Siehst du«, sagte Birgitta, »das ist wie ein kleines Abenteuer, gefährlich und herrlich zugleich.«
Johanna nickte, sie wusste nicht, was sie darauf antworten sollte.
»Das hier bleibt unter uns beiden«, murmelte Birgitta.
Johanna nickte wieder. Birgitta begann, den Kaffee zu kochen. Vorsichtig schüttete sie einen Teil der schwarzen Körner in den Kessel, schob die Glut mit dem Feuerhaken etwas zusammen und setzte den Kessel auf den Dreifuß über dem kleinen Gluthaufen.
»Es gab eine Zeit, als uns die Herren in Stockholm verboten hatten, Kaffee zu trinken«, flüsterte Birgitta. »Reuterholms Spione konnten kommen und den, der Kaffee kochte, gefangen nehmen.«
»Verboten, warum denn?«, wollte Johanna wissen, und jetzt flüsterte sie ebenfalls.
»Keine Ahnung«, sagte Birgitta. »Die denken sich alles Mögliche aus, aber man muss gehorchen, auch heutzutage gibt es Polizisten und Spione. Dieser Reuterholm soll verschwunden sein, aber der neue König ist auch nicht so leicht zu verstehen. Man spricht auch von einem neuen Kaffeeverbot, aber darum kümmern wir uns nicht. Die Hausfrau hier trinkt auch Kaffee, wenn es keiner sieht.«
Das Wasser kochte. Birgitta nahm den Kessel herunter, gab ein paar Tropfen kaltes Wasser hinzu, ehe sie eingoss. Dann nahm sie das kleine Zuckerstück, wickelte es in ein Stück Stoff und zerstieß es mit dem Stiel eines hölzernen Löffels, wickelte das Tuch wieder aus und sammelte den zerstoßenen Zucker in ihrer hohlen Hand.
»Hier, nimm das, er wird dann nicht zu bitter«, sagte sie und schüttete die Hälfte des Zuckers in Johannas Tasse. »Und trink vorsichtig, verbrenn dich nicht, puste.«
Johanna wartete, bis Birgitta getrunken hatte, dann machte sie es genauso, schlürfte und schluckte. Der Kaffee war stark und bitter und kratzte im Hals.
»Riech, mach die Augen zu und trink langsam«, sagte Birgitta. Sie hatte aufgehört zu flüstern. Vielleicht hatte der Kaffee ihre Vorsicht verjagt.
»Merkwürdig«, murmelte Johanna.
»Was ist merkwürdig?«
»Es zieht in den Kopf, mir wird irgendwie schwindelig.«
»Genau, es wird einem ein bisschen leicht zumute von dem Duft. Wir Frauen können das Vergnügen genießen, die Männer verstehen nichts vom Kaffee, sie saufen stattdessen ihren elenden Branntwein.«
Johanna hatte nur an dem Kaffee genippt. Die Tasse war nicht groß, trotzdem hatte sie die Hälfte noch übrig. Sie nahm noch einen kleinen Schluck. Sie hatte gesehen, dass Birgitta hin und wieder mit dem Löffel in ihrer Tasse rührte. Jetzt tat sie das ebenfalls. Sie erwischte ein Stückchen Zucker am Boden der Tasse, das sich nicht aufgelöst hatte. Nachdem sie es verrührt hatte, schmeckte der Kaffee weniger bitter.
Wir Frauen, hatte Birgitta gesagt.
»Hast du noch irgendetwas von dem Boot gehört?«, fragte Johanna.
»Ja, vielleicht.«
»Und was hast du gehört, Birgitta?«
»Dass die Leute ein gekentertes Boot gesehen haben.«
»Wo denn?«
»Vor Signilskär, sie haben es von der Telegrafenstation aus gesehen, da haben sie ja Feldstecher. Sie haben gesehen, dass das Boot voll Wasser im Meer herumtrieb, aber Menschen haben sie nicht gesehen.«
»War es das Postboot, das sie gesehen haben, waren sie sich dessen sicher?«
»Ja, sie haben gesagt, dass sie sicher seien.«
»Aber keine Menschen?«
»Nein, das Boot war voll Wasser und ohne Besatzung.«
»Sie sind bestimmt irgendwo bei einer Insel an Land geschwommen, sie sind sicher davongekommen, Vater ist ein guter Schwimmer, das habe ich selbst gesehen.«
Birgitta schlug die Augen nieder und saß eine Weile schweigend da.
»Ja, so ist es wohl gewesen«, sagte sie. »Sie sind irgendwo an Land geschwommen und kommen bald zurück.«
Als Johanna über den Hofplatz vor dem Posthaus ging, war sie davon überzeugt, dass ihr Vater es geschafft hatte. Und als sie an der kleinen Holzbrücke an dem Graben, der zur Sköthusbucht führte, angelangt war, blieb sie einen Augenblick stehen, lehnte sich an das Brückengeländer und blickte hinunter auf die schwarze Wasserfläche und hin zu den alten Schuppen, in denen einige der Bauern aus dem südlichen Teil von Grisslehamn ihre Boote liegen hatten. Es sah friedlich aus, alles wirkte geordnet und unbeschwert.
Sie hatte den halben Weg nach Byholma zurückgelegt, als sie bemerkte, dass ihr jemand über den Acker rechts von Västergården entgegenkam. Es war dunkel, aber sie glaubte, denjenigen, der da herankam, an seinem Gang erkennen zu können. Sie verlangsamte ihre Schritte und ließ den vorläufig noch Unbekannten näher kommen. Als er noch ungefähr zehn Meter von ihr entfernt war, sah sie, dass es Ruben war, der jüngere der beiden Brüder ihrer Mutter.
»Hast du etwas erfahren?«, fragte er.
»Man hat das Boot gesehen«, antwortete Johanna. »Die Männer sind noch nicht da, wahrscheinlich sind sie zu einer der Inseln in der Nähe von Signilskär geschwommen.«
»Lass uns hoffen und glauben«, sagte Ruben.
Mehr wurde zunächst nicht gesagt. Ruben ging langsamer, sie gingen nebeneinander auf dem dunklen Weg.
»Wie am See Genezareth«, sagte er mit gedämpfter Stimme. »Als Jesus den Sturm sich legen hieß und über das Wasser ging. Alles ist für uns möglich, wenn wir nur glauben.«
»Und als er tausenden von Menschen Speise gab, das war auch am See von Genezareth«, sagte Johanna.
»Gottvertrauen«, sagte Ruben, »handelt von Überzeugung und von der Hoffnung, die nicht stirbt. Auch die Jünger waren ja Fischer.«
»Ich weiß, dass er lebt«, sagte Johanna.
»Wir können heute Abend ein wenig lesen, wenn du willst.«
»Ja, das können wir.«
Ruben hatte Johanna das Lesen gelehrt. Die Bibel war ihr erstes Lesebuch gewesen. Sie hatten jedoch nur im Neuen Testament gelesen und meist über das, was sich am See Genezareth zugetragen hatte. Sie erkannten sich selbst wieder in den Geschichten über Boote und Fischerei, die einfachen Menschen, die täglichen Einschränkungen, das war ihr eigenes Leben.
Als Johanna und Ruben nach Hause kamen, hatten die Hofleute schon zu Abend gegessen. Maria stellte Brot und Milch für die Tochter heraus, setzte sich mit ihr vor den Herd, wo das Feuer glühte und wo ein geteerter Span brannte und etwas Licht in der Küche verbreitete.
Johanna wiederholte, was sie schon mehrfach erzählt hatte. Ihr Vater war an Land geschwommen, hatte sich auf eine der Inseln gerettet, es war nur eine Frage der Zeit, bis man im Posthaus benachrichtigt wurde. Sie war sich ihrer Sache ganz sicher, sie berichtete mit Überzeugung, und ihre Mutter glaubte, dass die Rettung sogar auf irgendeine Weise bezeugt worden war, dass Johanna etwas erfahren hatte, was Anlass zu Hoffnung gab. Das mit Wasser vollgelaufene Postboot geriet in den Hintergrund, das, was eigentlich eine Bestätigung für das Unglück war, wurde jetzt eher zu einem Beweis dafür, dass es den Männern wirklich gelungen war, sich zu retten. Das Boot war ja leer, also musste sich die Besatzung irgendwo anders befinden.
Am Abend lasen Ruben und Johanna aus dem Matthäusevangelium vor, über die Wunder am See von Galiläa. Sie wechselten sich im Vorlesen ab, die Übrigen in der Küche hörten zu.
Es war dunkel im Haus, aber Maria hatte Holz in das Feuer im Herd gelegt, und die Flamme erhellte den Raum. Johanna saß mit der Bibel direkt neben dem Herd, sie ließ die zuckenden Flammen auf die geöffneten Buchseiten fallen. Sie las langsam, betonte Silbe für Silbe.
»Als Jesus am Ufer des Sees von Ga-li-lä-a entlangging, sah er zwei Brüder, Simon, der Petrus genannt wird, und Andreas, seinen Bruder, wie sie das Netz in den See warfen; sie waren nämlich Fischer.«
Als Johanna fertig war, saß sie eine Weile schweigend da. Der ältere der beiden Brüder ihrer Mutter, Filip, war eingeschlafen; er schnarchte leise vor sich hin, er hatte Branntwein getrunken. Das tat er jeden Tag. Auch Ruben trank, aber er wurde dann lustig und sang Lieder. Wenn Filip trank, wurde er böse und müde. Johanna ging ihm lieber aus dem Weg, wenn der Vater nicht zuhause war. Es war natürlich der Vater, der auf dem Hof Nygården das Sagen hatte, die unverheirateten Brüder der Mutter waren als Tagelöhner gekommen, wurden jedoch Familienmitglieder, als ihre Schwester in den Hof einheiratete.
Jetzt schnarchte Filip auf seiner Schlafbank, er lag mit offenem Mund auf dem Rücken. Er seufzte ein paar Mal tief auf, wischte sich mit der Hand über den Mund, ohne aufzuwachen, drehte sich auf die Seite und wurde ein wenig leiser.
»Wie groß ist der See Genezareth?«, fragte Johanna. »Ist er so wie das Åländische Meer?«
»Ich weiß es nicht genau«, antwortete Ruben, vielleicht ist er kleiner, denn es ist ja ein See.
»Aber Jesus ist jedenfalls quer darübergegangen«, sagte die Großmutter.
»Vielleicht nicht ganz drüber«, sagte Ruben.
»Er machte, was er wollte, der See war für ihn kein Hindernis. Aber auch die Russen haben sich von dem Meer nicht abhalten lassen, als sie herübergekommen sind«, meinte die Großmutter.
»Das war wohl etwas anderes«, sagte Maria.
»Warum hat Gott die Russen nicht daran gehindert«, sagte die Großmutter. »Für Gott ist doch alles möglich, und trotzdem konnten die Russen herkommen und hier alles verwüsten, ganz Singö haben sie brachgelegt, diese Gottlosen. Ich weiß es, denn meine eigene Mutter war dabei, als sie ein kleines Mädchen war.«
»Was haben die Russen denn mit ihr gemacht?«, wollte Johanna wissen.
»Sie musste zusehen, wie sie die Höfe niedergebrannt und alle Tiere geschlachtet haben, auf Singö stand kein einziges Haus mehr. Sie haben den Leuten die Kleider vom Leib gerissen, so dass sie mitten im Winter völlig nackt im Wald leben mussten. Das ist passiert, nachdem König Karl gestorben war, und es kann wieder passieren. Kürzlich erst standen wir mit den Russen im Krieg, und sie werden sich sicher dafür rächen wollen, dass König Gustav ihre Kriegsschiffe zerschossen hat.«
In der Küche war es wieder still. Sie hatten Großmutter Magdalena schon oft über die Verwüstungen, die die Russen angerichtet hatten, erzählen hören, aber sie wurden jedes Mal wieder unangenehm berührt, denn alle wussten, dass die Russen nicht weit weg waren. Und jetzt herrschte in Europa ja wieder Unfriede. Die großen Länder befanden sich miteinander im Krieg. Konnte Schweden sich dieses Mal heraushalten?
Es war warm in der Küche, doch Maria legte trotzdem zwei trockene Scheite Birkenholz auf das verglimmende Feuer, um die Wärme über Nacht zu halten und um Glut für das Feuer am nächsten Morgen zu haben. Die Großmutter hatte sich schon in ihr Bett ganz hinten in der Küche neben der Kammer gelegt, der kleine Bruder Lars war aufgeblieben und hatte zugehört, aber er war dann, den Kopf an die Knie seiner Mutter gelehnt, eingeschlafen. Jetzt weckte sie ihn, er war zu schwer, um in die Kammer getragen zu werden, wo er neben den Eltern schlief.
Lars war sechs und ziemlich klein für sein Alter. Johanna hatte versucht, ihm die Buchstaben beizubringen. Er machte Fortschritte, zeichnete mit Holzkohle und schrieb kurze Wörter auf flache Steine, die er am Strand gesammelt hatte. Einige dieser Steine hatte er auf dem Hof in einer Reihe ausgelegt. Wenn es regnete, wurden die Steine abgewaschen, aber bald hatte Lars neue Wörter darauf geschrieben, die allerdings oft nicht leicht zu deuten waren. Johanna war diejenige, die am besten verstand, was Lars sagen wollte.
Jetzt war Lars aufgestanden, er rieb sich die Augen und stolperte nach draußen, um Wasser zu lassen, ehe er sich hinlegte. Johanna folgte dem Bruder, er stand an der Hauswand, und sie machte einen Bogen um ihn herum, ging weiter in die Büsche, wo sie sich hinhockte.
Lars stand immer noch da, als sie zurückkam. Er ergriff ihre Hand, und sie merkte, dass er hier draußen noch etwas sagen wollte, ehe sie wieder hineingingen.
»Ist es sicher?«, fragte er.
»Ja, es ist ganz sicher«, antwortete Johanna.
»Woher weißt du das?«
»Ich fühle es, und ich vertraue auf Vater, er verlässt uns nicht.«
Lars drückte Johannas Hand. Er glaubte seiner Schwester, sie hatte für gewöhnlich recht, wenn sie sagte, dass sie das richtige Gefühl habe.
Sie würde nie die Unwahrheit sagen.