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Das Böse

An diesem Tag war Kristina mit dem Knecht Per Stensson draußen gewesen. Sie hatten gemeinsam auf einer der Heuwiesen des Hofes gearbeitet. Nach einigen Stunden verließ sie Per und ging in den Stall, um zu melken. Der Kater wartete wie gewöhnlich. Kristina fragte sich, wie er die Zeit wissen konnte. Vielleicht war es aber auch so, dass er immer wartete. Früher oder später wurde er ja für seine Mühe belohnt.

Sie selbst wusste auch ohne Uhr, welche Stunde am Tag es war. Sie spürte, wie der Tag voranschritt, sah die Sonne und das Tageslicht. Zu Hause auf dem Hof gab es eine Wanduhr, die Kristinas Mutter mitgebracht hatte, als sie Markus heiratete. Die Uhr schlug, dumpf und öde, ein tiefer Erzklang, den man bis auf den Hofplatz hinaus hörte. Wenn man am Stall ganz still stand, konnte man den Klang auch bis dorthin hören.

Kristina hatte ihre Mutter nie gesehen; sie war bei der Geburt gestorben. Es gab keine Bilder von ihr. Kristina stellte sich das Gesicht ihrer Mutter vor. Ein älterer Verwandter hatte gesagt, dass Mutter und Tochter einander ähnelten. Aber das Fantasiebild, das Kristina sich gemacht hatte, war ein anderes: eine dunkelhaarige Frau mit braunen Augen und schmaler Nase. Dieses erdachte Bild behielt sie für sich.

Sie aßen zu Abend. Sie waren zu viert am Tisch; Per Stenssons Verlobte war gekommen. Sie sollte ebenfalls einige Tage bei der Heuernte helfen und in Nygården übernachten. Das Mädchen sollte bei Kristina in der Küche schlafen und Per konnte die eine Kammer nehmen; Großmutter Johanna schlief ja in der anderen. Und wenn die beiden jungen Leute in der Nacht hinausgingen und blieben, was sollte Kristina dann machen?

Sie hatte über die Sache nachgedacht und beschlossen, sich nicht einzumischen. Sie war ja selbst nur einige Jahre älter, sie verstand sie, und es gehörte wohl dazu, dass Verlobte während der Heuernte in irgendeiner Feldscheune schliefen.

Sie wollte auch bei dem schlafen, nach dem sie sich sehnte. Abends und nachts gab es nichts, wonach sie sich mehr sehnte. Tagsüber konnte es anders sein, da sah sie Robert vor sich, er lächelte sie an, sie gingen zusammen, redeten und verstanden sich so gut. Ihre Sprache war lautlos, aber dennoch erfüllt von Wörtern. Ihre Gedanken hatten Wörter und weil die Gedanken keine Grenzen kannten, bewegten sich die kleinen Wörter zwischen ihnen wie flatternde Schmetterlinge.

Wenn Kristina die Augen schloss, sah sie die Schmetterlingswörter, und wenn sie dann weiterging oder Heu rechte oder melkte, sah sie die fliegenden kleinen Wörter immer noch. Sie hieß ihre Sehnsucht willkommen, die in sie hineinwuchs, und was sie träumte, das wurde zu lebendigen Bildern.

Am Nachmittag war sie unten in Marviken an der Räucherei. Sie machte sauber, sah nach dem Boot und sprach mit einem Nachbarn, der mit seinem Fang an Land kam. Dann setzte sie sich eine Weile hin und sah auf das Meer hinaus. Es lag etwas Drückendes in der Luft.

Sie ging auf dem schmalen Waldweg nach Hause, kam hinauf zur Dorfstraße und hatte gerade die Stelle erreicht, wo der Weg sich verzweigte. Sie blieb stehen, hatte plötzlich Schwierigkeiten zu atmen und spürte einen merkwürdigen Druck von der Brust bis in den Hals hinauf.

Aber der Druck kam nicht aus ihrer eigenen Brust. Es war, als halte eine unsichtbare Kraft sie von außen umfasst, eine Kraft, die ihr übelwollte.

Eine kleine Weile stand sie still und fühlte, wie das Böse Macht über sie bekam. Sie versuchte zu schreien, aber ihre Kehle war ganz trocken und es kam kein Laut aus ihrem Mund.

Dann lockerte die böse Kraft ihren Griff, nicht ganz und gar, aber sie bekam wieder Luft und konnte einige Schritte machen. Und jetzt kam ihr der Gedanke, dass die Kraft vom Uferwald her kam, von den niedrigen Kiefern und den Wacholderdickichten. Es war, als zöge die Kraft sie in diese Richtung, zum Meer.

Sie machte einen Schritt auf die Bäume zu und da ließ der Druck etwas nach. Sie machte noch einen Schritt und wieder ließ der Druck etwas nach. Da ging sie langsam in den Wald hinein und folgte dem Weg nach Skatudden. Und während sie ging, verringerte sich langsam der Druck auf die Brust.

Jetzt sah sie das Wasser. Sie ging weiter bis auf die höchste Klippe Skatuddens hinauf. Das Meer breitete sich vor ihr aus, der Wind war schwach, die Oberfläche kräuselte sich nur. Der Himmel war hoch und blau. Weit weg sah sie die Rauchfahnen von zwei verschiedenen Dampfschiffen, eines im Süden und eines im Norden.

Das Böse war fast ganz fort. Aber stattdessen schlug Kristinas Herz schneller. Sie drückte die Handfläche gegen das Medaillon; es fühlte sich wärmer an als gewöhnlich. Als sie auf das Meer hinaussah, war es, als berühre etwas weit Entferntes am Horizont den Punkt in der Brust, an dem das Böse am stärksten gewesen war.

Sie blieb stehen, ohne an die Zeit zu denken. Langsam verschwand all das Böse, das sie gespürt hatte, das Herz fand seinen ruhigen Rhythmus wieder, die Unruhe ging in Sehnen über.

Der blaue Strand

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