Читать книгу Der blaue Strand - Erik Eriksson - Страница 8

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Kurzer Besuch

Kristina wurde früh wach; es war schon hell, ein stiller Morgen Mitte Mai. Als sie aus der Herdasche Glut hervorgestochert und mit einigen Stücken Birkenrinde Feuer angeblasen hatte, ging sie nach draußen und wusch sich an der Wassertonne den Schlaf aus den Augen, streckte sich und sah die Katze vom Stall kommen. Bald würde sie melken, das wusste die Katze genau.

An der Hausecke war alles zugewuchert, vieles auf dem Hof war vernachlässigt worden, Dach und Zaun mussten repariert werden. Es war Markus’ Sache, sich darum zu kümmern, aber er war oft auf See und fischte oder nahm vorübergehend Arbeit auf Frachtseglern an. Als die Post Matrosen einstellte, war er ein halbes Jahr mit dem Postschiff gesegelt. Er war mehrere Tage in der Woche von zu Hause fort gewesen und hatte seiner alten Mutter und jungen Tochter viel von der Verantwortung für den Hof aufgeladen. Sie hatten zwar Hilfe von Per Stensson, einem Knecht von Singö, den Markus dann und wann für Tagewerke gedungen hatte, aber es fehlte doch ein Mann.

Jetzt war Markus zu Hause, aber es war, als sehne er sich die ganze Zeit fort. Und so war es offensichtlich schon seit seiner frühen Jugend gewesen. Seine Mutter Johanna wusste es ja. Markus hatte oft von Amerika gesprochen. Sein Freund aus Kindertagen, Gustaf Unonius, der Sohn des alten Postmeisters, war nach Amerika gefahren und hatte von dort Berichte für das Aftonbladet geschrieben. Es waren auch Briefe von Gustaf gekommen, und es kam immer wieder vor, dass Markus die Briefe hervorholte und in ihnen las.

Es war Johanna gewesen, die Kristina mit Hilfe alter Zeitungen das Lesen gelehrt hatte. Es gab einen kleinen Stapel Tageszeitungen in Nygården, zerlesene Ausgaben von Stockholms Posten und Dagligt Allehanda, die Großmutter Johanna in ihrer Jugend angeschafft hatte, und neuere Exemplare von Aftonbladet und Folkets Röst, die Markus und Kristina für eigenes Geld bei reisenden Händlern gekauft hatten. Zeitungen waren immer ein Quell des Wissens für die Leute in Nygården gewesen.

Die Amerikabriefe wurden wohl gehütet. Die Zeitungen hingegen lagen auf einem Haufen, zwar ordentlich gefaltet und sorgfältig geordnet, aber sie lagen herum. Die Briefe waren in Markus’ privater Schublade im Sekretär eingeschlossen. Die Frauen wussten, wo der Schlüssel lag, aber sie wären nie auf den Gedanken gekommen, sie zu öffnen.

Aus einigen der Briefe hatte Markus in der Küche so oft vorgelesen, dass Kristina Teile davon auswendig konnte. Es waren schwindelerregende Abenteuer von Indianern und merkwürdigen Dingen, und vieles in Amerika war unermesslich groß, wie die Prärie, die ungeheure Grasebene:

»Sie ist bar jeglichen Anzeichens von Wald«, schrieb Gustaf Unonius. »Nicht einmal der allerkleinste Busch ist zu sehen. Das Ganze ist ein unermesslicher, unüberschaubarer Gras- und Blumenteppich, der in allen Farben schillert. Wie ein unendliches Meer liegt sie vor dem Betrachter.«

Kristina wusste, wie das Meer aussah und versuchte, sich ein Blumenmeer bis an den Horizont vorzustellen, aber das war schwer. Von allen merkwürdigen Beschreibungen in den Briefen aus Amerika war die Prärie am schwindelerregendsten.

Konnte Johanna sich dieses Blumenmeer vorstellen?

»Man muss sich wohl eine schwedische Blumenwiese zur Mittsommerzeit vorstellen und dann in der Fantasie die Wiese tausendmal größer machen«, sagte sie.

»Oder vielleicht wie das Åländische Meer«, meinte Kristina, »wenn man auf Skatudden steht und an einem windstillen Tag hinausschaut, nur mit Gras und Blumen anstelle des Wassers.«

Aber es war nicht leicht, so zu denken. Amerika war nicht wie Schweden, das war einmal sicher. Markus hörte zu, sagte aber nichts. Er hatte seine eigenen Gedanken und behielt sie für sich.

An diesem Nachmittag ging Markus nach Grisslehamn. Er brauchte zwanzig Minuten. Einmal blieb er stehen und lauschte; er meinte, einen Kuckuck zu hören, den ersten des Jahres. Der Laut kam von Süden und bewegte sich nach Westen; vielleicht war der Vogel zwischen einigen Wäldchen hinunter auf Orneviken zugeflogen.

Kuckuck aus Süden oder Westen bringt den Tod oder alles zum Besten, dachte Markus. Das nächste Mal ist das entscheidende; fliegt er zurück nach Süden, sieht es übel aus, bleibt er im Westen, wird es ein gutes Jahr für mich.

Er lauschte und ging weiter, aber der Vogel war still.

Genau dazwischen, dachte Markus. Weder Tod noch Glück, also zu Hause bleiben und die Dinge auf sich beruhen lassen.

Er ging am Hafen vorbei, sah einige Soldaten, die vor der Kaserne standen und rauchten, und passierte das Posthaus. Als er sich dem Wirtshaus näherte, zögerte er. Es gab einen Pfad um den Stall und die Nebengebäude herum, hinunter zum Ufer und von dort hinauf durch das Gestrüpp zur Rückseite des Wirtshauses. Er konnte sich dort herumschleichen und ungesehen ankommen.

Er wählte den Umweg, blieb einige Male stehen und ging weiter, als er niemanden sah. Dann blieb er direkt vor der Küchenseite stehen, wo er von einem Wacholderwäldchen verdeckt wurde. Aber niemand war dort. Er wartete. Marta hielt sich gewöhnlich an der Arbeitsbank vor der Küche auf; das war ihr Arbeitsplatz, wo sie spülte und Töpfe schrubbte, Kartoffeln schälte und Holz hackte. Sie erledigte viel von der schweren und schmutzigen Arbeit.

Markus blieb stehen und wartete, eine Viertelstunde, zwanzig Minuten, dann sah er jemanden. Ja, sie war es.

Marta brachte einen Stapel Teller heraus, stellte sie auf die Bank, ging wieder hinein und kam mit einem weiteren Stapel zurück. Da trat Markus vor. Sie sah ihn im selben Moment, tat aber dennoch so, als würde sie überrascht, wandte sich langsam ab und machte plötzlich wieder kehrt.

»Nein, da kann man mal sehen«, sagte sie und lachte.

»Guten Morgen, Marta«, sagte er.

Er schaute sie an und sagte eine kleine Weile lang nichts; dann lächelte er. Sie erkannte sein Lächeln wieder und wusste, was er wollte.

»Du hast viel zu tun«, sagte er.

»Wie immer.«

»Hast du heute irgendwann mal frei?«

»Vielleicht, aber ich bin umgezogen. Sie brauchten das Dachzimmer, jetzt wohne ich im Stallhäuschen.«

»Im Stallhäuschen?«

»Ja, du hast richtig gehört. Da wohne ich jetzt mit Josef.«

Markus fand, dass sie bekümmert aussah, als sie den Namen ihres Sohnes erwähnte.

»Sollst du dort den Sommer über wohnen?«

»Ich weiß nicht, sie haben zu wenig Platz. Das sagte Lundgren jedenfalls.«

»Er braucht wohl noch mehr Zimmer für Gäste.«

»Ja, höhere Einkünfte, aber mich bezahlt er lausig.«

»Ich helfe dir ja, das weißt du.«

Marta machte einen Schritt auf ihn zu, fasste ihn um den Oberarm und fuhr mit der hohlen Hand hinunter zum Ellenbogen, ein leichter Griff, der vielleicht als Liebkosung gemeint war.

»In einer Stunde gehe ich für eine Weile in die Hütte«, sagte sie. »Dann kannst du kommen.«

Er nickte ihr zu und versuchte zu lächeln.

»Aber ich werde nicht so lange dort bleiben«, sagte sie.

Markus ging hinunter zum Ufer und weiter zum Aussichtsberg. Auf dem Sandstrand unterhalb der steilen Felswand blieb er stehen. Das letzte hartnäckige Eis war geschmolzen und hatte zwei Stöcke, ein Stück von einem Brett und eine leere Flasche zurückgelassen. Er hob die grün schimmernde Flasche auf, die vermutlich Wein enthalten hatte. Sie brauchten leere Flaschen im Haushalt. Er versteckte die Flasche in einem Busch ein Stück oberhalb des Wassers, um sie ein anderes Mal mitzunehmen.

Da hörte er den Kuckuck wieder, und jetzt fand er, dass der Laut vom Meer her kam, aus Osten. Kuckuck aus Ost bringt Trost, dachte er.

Aber der Vogel konnte nicht draußen auf dem Meer sitzen; es musste ein Echo sein oder eine akustische Täuschung.

Da kam der Laut wieder. Konnte es die Bergwand sein, die die Täuschung hervorrief? Er entschied, dass es so sein musste, auch wenn ihm der Gedanke an Trost gefiel.

Das hier war einer der wenigen Sandstrände in der Gegend. Die Küste von Roslagen ist steinig und unfreundlich, aber hier und da gibt es kurze Stücke mit weichem, feinkörnigem Sand. Der Strand unterhalb des Aussichtsbergs war so ein Platz.

Und plötzlich erinnerte sich Markus, dass seine Mutter eine Sage von diesem Strand erzählt hatte, als er klein war. Aber er erinnerte sich nur vage an etwas über einen Soldaten und ein wartendes Mädchen; wie es ihnen erging, wusste er nicht mehr.

Er wartete noch eine Weile, bevor er zurück zum Wirtshaus ging. Das Stallhäuschen lag ein Stück vom Hauptgebäude entfernt. Es war ursprünglich ein Hühnerstall gewesen, den man etwas ausgebaut, mit dickeren Wänden versehen und mit einem eisernen Ofen ausgestattet hatte. Aber die Decke war niedrig, das einzige Fenster war klein und hatte nur Einfachverglasung, die Tür schloss nicht richtig.

Markus wartete draußen hinter einem Busch. Wären sowohl Marta als auch Josef in der Hütte gewesen, hätte er wohl Stimmen gehört. Vielleicht war der Junge da, aber Markus wollte ihn nicht treffen, nicht allein. Es war besser, wenn Marta dabei war.

Er sah sie kommen und trat hinter dem Busch hervor, hinter dem er gewartet hatte. Sie hob die Hand zum Gruß, er tat es ihr nach. Keiner von ihnen sagte etwas.

Sie ging als Erste hinein. Josef war zu Hause; er saß mit einem Buch am Tisch neben dem Fenster. Als Markus ins Zimmer kam, stand er auf, verbeugte sich leicht und streckte die Hand aus.

»Guten Tag, Onkel Markus«, sagte er.

»Guten Tag, Josef«, antwortete Markus. »Was liest du?«

»Das Buch, das ich von dir bekommen habe, das von Amerika handelt.«

Markus erkannte das Buch wieder. Er hatte es selbst vor vielen Jahren als Geschenk von Gustaf Unonius bekommen, als sein Freund aus Kindertagen sein Zuhause verließ und Kadett in Karlberg wurde.

»Ist es interessant zu lesen?«, fragte Markus.

»Sehr«, antwortete Josef. »Ich habe gerade über die Indianer gelesen. Die würde ich gerne kennen lernen.«

»Ich dachte genauso, als ich ein Junge war«, sagte Markus.

»Könntest du etwas für mich erledigen, Josef?«, fragte Marta.

»Gewiss, Mama«, antwortete Josef.

»Kannst du runter zum Fischereihafen gehen und nachsehen, ob jemand Dorsch zu verkaufen hat? Lass dir Zeit. Onkel Markus und ich haben ein paar Dinge zu besprechen.«

Josef ging hinaus. Die Tür klapperte, als er sie schloss; ein Scharnier musste befestigt werden. Marta legte den Riegel auf der Innenseite vor, der als einziges Schloss diente.

»Wir haben eine Weile für uns«, sagte sie und reckte sich nach einer Flasche, die zwischen den Tongefäßen im Wandschrank stand.

Sie goss ein wenig in einen Becher und ließ ihn auf dem Tisch stehen. Dann nahm sie einen Schluck aus der Flasche. Markus trank aus. Es war Branntwein derselben Sorte, die auch im Wirtshaus serviert wurde und er nahm an, dass sie den Alkohol von dort mitgenommen hatte.

Sie setzte sich auf das Bett und machte eine Bewegung mit der Hand. Er setzte sich neben sie. Als er ihren Rock hob, spreizte sie die Beine und als er mit dem Unterrock herumfummelte, half sie ihm.

Er kniete, sie blieb im Bett sitzen und hatte die Beine um ihn geschlungen. Als er sich schneller zu bewegen begann, ließen ihre Beine los und als er sich eilig aus ihr herauszog, bewegte sie die Hüften mit einem Ruck zurück.

Er kniete immer noch. Sie strich ihm zuerst über die Wange und dann über das Haar. Er erhob sich.

Dann setzte er sich auf den Stuhl am Tisch. Sie brachte ihre Kleider in Ordnung, und er blickte hinunter auf das aufgeschlagene Buch. Der Text handelte von den Biber-Indianern, die am Friedensfluss lebten.

Bevor er ging, legte er zwei Reichstaler neben das Buch auf den Tisch. Das war auch für den Jungen, ein Reichstaler für sie und einer für ihren Sohn.

Als er zurück zum Hafen ging, konnte er Josef nicht sehen. Der Junge war wohl irgendwo dort unten geblieben. Es gab ja viel zu sehen und Markus wollte ihm im Moment ohnehin nicht begegnen. Aber jemand anders kam dort hinten auf dem Pfad, eine Frau, die vermutlich auf dem Weg zum Wirtshaus war. Sie trug einen Korb. Er schien einiges zu wiegen; die Frau wechselte die Hand.

Da sah Markus, dass die Frau seine eigene Tochter Kristina war. Sie war natürlich mit geräuchertem Fisch unterwegs zum Wirtshaus. Er ging zur Seite, hoffte von der Reihe Sträucher entlang des Weges verdeckt zu werden. Aber es war zu spät. Sie hatte ihn gerade erblickt und anders als er zweifelte sie nicht, sondern erkannte ihn augenblicklich. Sie setzte den Korb ab, winkte mit der Hand und wartete.

Er ging auf sie zu und hob die Hand zum Gruß.

»Ah, du machst einen Spaziergang«, sagte sie.

»Ja, ich habe eine Runde gedreht«, antwortete er.

»Ich habe gesehen, dass du aus der Hütte da drüben gekommen bist, aber ich habe dich nicht richtig erkannt, bevor du nähergekommen bist.«

»Ich habe jemanden besucht. Ich hatte etwas zu fragen.«

»Ach so. Ich selbst will Fisch im Wirtshaus abgeben. Ich glaube, dass Marta jetzt da ist. Ich gebe den Fisch gewöhnlich bei ihr ab.«

»Dann sehen wir uns wohl später zu Hause.«

Kristina setzte den Weg zum Wirtshaus fort. Markus ging heimwärts. Er begriff, dass seine Tochter bald nach Marta fragen und vermutlich erfahren würde, dass diese Hütte ihr Zuhause war.

Sie kann es ruhig erfahren, dachte er. Auf irgendeine Art wird sie es sowieso mitbekommen.

Er hing dem Gedanken den ganzen Weg lang nach, als er am Hafen vorbeiging, und als er das Bootsmannshäuschen passierte, dachte er immer noch daran, aber als er Nygården erblickte, gingen seine Gedanken in eine andere Richtung und er begann darüber nachzudenken, Lotse zu werden.

Raus aufs Meer, dachte er. Und über das große Wasser weit weg von hier.

Der blaue Strand

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