Читать книгу Wanderer - Erik Schreiber, Friedrich Rolle, Leo Woerl - Страница 9

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Es schien, als würden die Sterne plötzlich aus dem Nichts auftauchen, als Patricia Kress die CHARON wieder in den normalen Weltraum zurückführte. Die Pilotin schaltete ihre Sensoren auf Maximum, da die meisten Sterne in weiter Entfernung standen. Auf den ersten Blick gaben ihre Instrumente nichts her. Den Rest würde Ben übernehmen. Er war für die Fernaufklärung zuständig. Patricia zuckte kurz darauf zusammen.

Die Alarmsirene schrillte. Überall tönte das durchdringende Signal.

Auf der Brücke standen sich Hauptmann Jessan, der ein finsteres Gesicht machte, und sein schlanker, dunkelhaariger junger Kollege, Leutnant Eigl, gegenüber.

„Was ist los?”, fuhr der Major die beiden an.

Jessan deutete mit dem Zeigefinger auf Eigl. „Leutnant Eigl“, obwohl sie alle Freunde waren, konnte er auch dienstlich werden, „hat den Alarmknopf gedrückt.“

Peer unterdrückte einen Zornesausbruch. Wenn dies wieder, wie schon so oft, ein falscher Alarm war, dann kam er zu einem unglücklichen Zeitpunkt. Doch Peer Dexter Hegen hatte sich schnell unter Kontrolle. Seinen Ärger sah man ihm nicht an. Sein Pokergesicht hatte er lang genug geübt.

„Also los, was gibt es so Wichtiges, dass es einen Alarm in dieser sternenarmen Gegend rechtfertigt?”, fragte er eisig. Er blickte Eigl nicht gerade freundlich an. Dessen Eskapaden kamen immer zur unrechten Zeit.

Der junge Eigl durchschaute die Stimmung seines Chefs, aber auch Hegen wusste, dass der Mann keine Scheu vor ihm hatte. Eigl war ganz bei der Sache; mit verbissenem Gesicht deutete er auf den Radarschirm, auf dessen Mittelpunkt ein winziger Lichtpunkt zu erkennen war. Ein winziger Punkt, aber weit entfernt!

„Ist das alles?”

Eigl blickte seinem Chef gerade in die Augen. „Ja, Major.“ Ein gutaussehender, intelligenter junger Mann, fuhr es Peer durch den Kopf. Wie konnte es auch anders sein; die Berufung als Offizier auf die CHARON setzte eine hohe Intelligenz voraus.

Major Hegen blieb kühl und sachlich: „Wir haben schon früher Sterne und anderes entdeckt, Leutnant Eigl. Also weiter.”

„Ich glaube, dies ist ein Planet. Sehen Sie sich den Glanz an.”

Hegen wandte sich dem Schirm zu und sah, dass die Helligkeitsbestimmung niedrig eingestellt war. Sie stand praktisch auf Null, und dennoch leuchtete der Planet - falls es überhaupt einer war - mit der Helligkeit einer Sonne. Allerdings ohne Sonne, woher kam also der Glanz? ie sollte ein Planet im Sonnenlicht glänzen, wenn es keine Sonne gab? Aufmerksam betrachtete er die Erscheinung. Auch sein kleiner Beobachtungsschirm war auf den Weltraum gerichtet, so wie die Astroscheibe, die die Mitte des Kontrollraums einnahm.

„Ja, ja,” sagte Hegen gedehnt. „Wie hoch ist die Massendichte?”

„Bisher sind nur vorläufige Messungen möglich”, meldete Eigl. „Sie deuten aber darauf hin, dass es kein Stern ist.”

Peer warf Kurt Jessan, der immer noch ein unbeteiligtes Gesicht machte, einen vielsagenden Blick zu.

Kurt Jessan begriff. „Unwahrscheinlich, dass es ein Planet ist, Peer.”

„Warum?”

„Peer ... “, unterbrach Eigl. Er sprach mit ruhiger, selbstsicherer Stimme. „Wir haben noch nie einen Planeten beobachtet, der so viel Licht reflektiert, dort draußen müsste ein Spiegel sein.”

„Du widersprichst dir“, sagte Jessan. Man war also wieder beim kameradschaftlichen Du angekommen.

Eigl schüttelte den Kopf. Er hantierte an Einstellungen herum, wischte über die Abstimmungen, um die Schärfe einzustellen, öffnete Fenster, die Zahlenkolonnen präsentierten. Hegen wandte sich ab. Kein Laut war zu hören. Die in der Nähe sitzende Armierungsoffizierin Leutnant Petra Müller und Leutnant Stein von der Kommunikation beobachteten gespannt die Szene.

„Schalt doch mal auf höchste Vergrößerung“, bat Peer seinen Offizier für die Raumüberwachung. „Sag mir, was du denkst.”

Eigl blickte ihn ernst an. „Ein künstliches Gebilde.”

„Künstlich!”, brummte Jessan verächtlich. „Wenn das künstlich ist, möchte ich die Energieerzeuger kennenlernen, die so viel Licht erzeugen.“

„Wir müssen die Beobachtungen fortsetzen”, meinte Eigl selbstbewusst. Er wischte sich mit der Hand durch sein dunkles Haar und verkniff sich ein Grinsen.

Hegen zuckte die Schultern. Die Untersuchungen hatten bereits begonnen. Der Astrogator war dabei, seine Instrumente auf das seltsame Objekt einzustellen. Die Ergebnisse wurden in den Hauptcomputer eingespeist. Schon bald war mit einem Bericht zu rechnen. Wieder einmal bedauerte die Mannschaft die defekte KI. Irgendein wichtiges Bauteil schien ausgefallen zu sein und man hatte sie noch nicht wieder reparieren können.

Hegen blickte Eigl an. „Mach weiter.“ Der Leutnant der Raumüberwachung entfernte sich und nahm seinen Platz wieder ein.

„Ein Hoffnungsschimmer”, sagte Jessan leise.

„Hoffnung gibt es immer, wenn sie auch unsinnig ist. Was sollen wir machen? Jedenfalls ist das sicher kein Stern!”

„Du glaubst nicht, dass es künstlich sein könnte?”

Hegen lächelte müde und warf einen Blick auf den jungen Eigl, der sich über einen Bildschirm gebeugt hatte. „Glaubst du etwa daran?”

„Kann ich mir nicht denken, und ich hoffe es auch nicht”, antwortete Jessan. Seine Stirn umwölkte sich, als er auf die Astroscheibe wies. „Ich habe das Gerät auf Fehler überprüfen lassen. Bisher keine Fehlerquelle festzustellen, aber das Gebilde scheint sehr groß zu sein.”

Peer nickte abwesend. Er starrte versonnen auf den Lichtimpuls. Diese Sichtung war wirklich ein verheißungsvolles Phänomen.

Leutnant Eigl saß an seinem Platz. Alle hatten von seiner Entdeckung gehört und machten ihre harmlosen Späße über „Eigls Planeten”.

„Gibt es auf deinem Planeten auch Mädchen, Ben?”

Das Gerät war inzwischen einer gründlichen Prüfung unterzogen worden; eine Fehlerquelle war ausgeschlossen. Was es auch immer sein mochte - das Objekt war klar und hell wie ein Vollmond zu erkennen, nur war das Licht mehr ein Silberschein, weitaus eindrucksvoller als das klarste Mondlicht, das man sich denken konnte.

Peer Dexter Hegen konnte jetzt mit der Stimmung seiner Leute zufrieden sein. Er hatte den Eindruck, dass sie seit Monaten nicht mehr so guten Mutes gewesen waren. Endlich etwas Abwechslung. Allerdings würde die Stimmung sofort wieder auf den Nullpunkt sinken, wenn es sich herausstellte, dass wieder einmal nur ein totes Gestirn gesichtet worden war. Jetzt hieß es abwarten. Er sah zu Leutnant Eigl hinüber, der konzentriert seinen Dienst versah.

Benjamin Eigl war ein Produkt seiner Zeit, vielleicht war er noch etwas gelassener als die meisten anderen; er blieb immer sachlich und gründete seine Meinung auf technische Tatsachen. Auf Menschen war nicht immer Verlass, aber dafür auf richtig funktionierende Geräte und Maschinen - das war seine Überzeugung. Eine schlecht arbeitende Maschine ließ sich überprüfen und korrigieren; das ließ sich aber bei Menschen nicht machen. Menschen sind undurchsichtig und heuchlerisch; Maschinen nicht. So sah er die Welt. Leutnant Benjamin Eigl war stolz darauf, selbstsicher, nüchtern. Eines Tages würde er auf einem unbekannten Planeten landen und auf maschinenähnliche Wesen stoßen. Dies hatte schon ein Wissenschaftler namens Shostak in seiner Heimatstadt veröffentlicht. Er hatte das unbestimmte Gefühl, dass sein neuentdeckter Planet so beschaffen sein müsste. Benjamin war überzeugt, die ersten echten Vertreter einer extraterrestrischen Zivilisation würden einer Robotzivilisation angehören. Dabei vergaß er: Bereits seit Jahrzehnten fand man immer wieder mal Extraterrestrier, aber keine Robotkultur. Diese Fremden, so seine Meinung, würden sich im Laufe der Evolution selbst in Maschinen verwandeln. An einem bestimmten Punkt würden sie ihre organischen Körper gegen elektromechanische tauschen, um Hunger und Krankheiten zu entkommen. Dadurch würde es ihnen auch leichter als gewöhnlichen Sterblichen fallen, lange Raumflüge zu überstehen. Und überhaupt sei die Verwandlung in Maschinen der logische Schritt für jede entwickelte Zivilisation. Das Streben einer Zivilisation sei es, Wesen zu erschaffen, die in gewisser Hinsicht effektiver sind als ihre Erschaffer.

Dann würde er ein berühmter Mann sein, denn er hätte als Erster diesen Planeten, Eigls Planeten, entdeckt. Völlig vergessend, dass die Bewohner ihn bereits anders benannt hatten.

Er warf weiterhin einen Blick auf seinen Bildschirm, und aus einem Impuls heraus aktivierte er das Hologramm. Er sah auf dem Holoschirm, wie das unbekannte Objekt langsam größer wurde. Das Licht des Holotischs beleuchtete sein Gesicht von unten und ließ seinen Kopf noch schmaler und bleicher als sonst aussehen. Eigls Planet leuchtete wie ein Diamant in der Dunkelheit des Weltraums.

Mitten in die Stille des Kommandozentrale platzte der schrille Ton der Alarmglocke. Mit schnellen Schritten war Hegen auf seinem Kommandoposten. „Ben, hast du schon wieder den Alarm ausgelöst?“

„Der Computer ...“, antwortete Ben. „Er empfängt Signale, die aus der Nähe des unbekannten Planeten kommen.“ Dann, nach ein paar Minuten und mit beträchtlicher Signalverstärkung von den Rechnerprozessoren, wurde die Botschaft deutlich.

„Verdammt“, fluchte Ben, „sogar die Sprache kommt mir bekannt vor … Und es ist kein Planet. Zu meinem Bedauern muss ich eingestehen, die Daten falsch abgelesen zu haben. Die Entfernung ist weitaus geringer als die von mir angegebene.“

„Welche Art von Signalen?“ Peer ging nicht auf die Entschuldigung ein.

„Anscheinend genau solche, wie wir sie senden. Irgendetwas oder irgendjemand scheint unsere Signale nachzuahmen.“

Dr. Ludovic Schmird trat aus dem Lift und zum Kommandostand. Er ging zu Major Hegen, der vor dem kleinen Beobachtungsschirm stand, sich aber nun auf seinen Platz setzte, und sah sich die Daten auf die Astroscheibe genau an.

„Gut, dass du gekommen bist, Doktor.“

Ludovic murmelte etwas in sich hinein.

„Ein Signal wird übertragen, welches unsere imitiert“, gab Kurt Jessan eine erste Analyse ab. „Es ist kein Sprachsignal. Es klingt wie ein digitales Signal, so ähnlich wie die Verbindungen mit alten Kommunikationssatelliten, mit dem man sich früher planetare Verbindungen aufgebaut hat.“

„Kann dort ein lebendes Wesen sein oder ist es nur eine Reflexion?“, fragte der Kommandant. „Muss dort nicht Leben vorhanden sein, wenn Signale übertragen werden?“

„Nicht unbedingt. Auch ein Spiegel, der Licht reflektiert, könnte die Ursache der Übertragung sein.“

„Vielleicht ein Echo ...?“

Ludovic grinste übers ganze Gesicht. „Ich glaube kaum. Genaues lässt sich nicht sagen, aber ich bin hauptsächlich der Arzt an Bord. Du solltest dich an Rudolf wenden.“ Damit nickte er in Richtung des Leutnants, der an seinen Geräten arbeitete.

Peer beobachtete aufmerksam den Bildschirm, um dann den Kopf in Richtung Astroscheibe, die das Hologramm zugeschaltet hatte, zu wenden. Die Abbildung hatte einen helleren Schein angenommen und schien nähergerückt zu sein. Der Kurs der CHARON steuerte langsam das fremde Objekt an. „Rudolf, was ist das für ein Ding? Kannst du es deutlicher heranholen?“

Rudolf wischte mit seiner Hand über seinen Bildschirm und schon änderte sich das Bild im Hologramm. Anders als auf dem Bildschirm konnte man die Stellung der CHARON zum Zielobjekt wesentlich besser erkennen.

Die CHARON näherte sich von schräg oben dem Objekt. Nun wurde es deutlich: Der angebliche Planet war eine Halbkugel und künstlichen Ursprungs. Er glich einem an der Äquatorlinie durchgeschnittenen Planeten. Die scheibenförmige Oberfläche mit einem Durchmesser von fünfzig Kilometern und einer Dicke von sieben Kilometern wurde von einer halbkugelförmigen Biosphärenkuppel aus durchsichtigem Material geschützt, in dessen Zenit eine Kunstsonne schwebte. Auf der Oberfläche erstreckte sich eine natürliche Landschaft, hauptsächlich aus einem ausgedehnten Wald bestehend. Das Wetter schien durch technische Vorrichtungen simuliert zu werden.

„Das ist ein künstliches Objekt, das hier lautlos im Weltall seine Bahn zieht. Wie ein zielloser Wanderer. Es sollte mich nicht wundern, wenn es dort Leben gibt.“ Benjamin war einerseits enttäuscht, keinen Planeten vor sich zu haben, zugleich jedoch hoffnungsfroh, mit Leben rechnen zu können.

Ben lehnte sich ruhig in dem Stuhl zurück und betrachtete die Personen um sich herum. Peer, der Kommandant der CHARON, der immer ein Pokerface trug und den nichts aus der Ruhe zu bringen schien, und wenn doch, zeigte er es nicht. Er wirkte wie üblich als Herr der Lage. Leutnant Björn Hartmann starrte konzentriert auf den Holoschirm, so als ob er sich keine einzige Kleinigkeit entgehen lassen wollte. Rudolf, der immer gute Laune verbreitete und den Optimisten der Besatzung darstellte. Hauptmann Kurt Jessan, der Sicherheitsoffizier, dessen Zuverlässigkeit sprichwörtlich war, ein ruhender Pol in der CHARON, immer besonnen und korrekt.

„Erwartest du, dort - wie du das Objekt auch nennen willst - Leben anzutreffen?“, fragte ihn Hegen.

„Nicht in diesem Sinn“, sagte Ben zögernd.

Dr. Schmird und Petra Müller, die Armierungsoffizierin, nickten bestätigend fast synchron.

Hegen war von der Antwort enttäuscht. „Das sagt mir kaum etwas.“

Wie von Ben neu berechnet, war das Objekt ein Raumschiff oder besser eine Station. Als die CHARON näher herankam, wurden die Übertragungen deutlicher aufgefangen. Es handelte sich um verschiedenartige Ausdrucksweisen, die von einer elektromagnetischen Sprache herrührten und nichts anderes waren als das, was sie selbst gesendet hatten.

Ben wandte sich an Rudolf Stein. In seiner Eigenschaft als Kommunikationsoffizier war er für die Kontaktaufnahme zuständig. „Rudolf, kannst du etwas in Erfahrung bringen? Bekommst du Antworten?“

Leutnant Stein versuchte bereits Kontakt herzustellen, doch erhielt er keine Antworten. Alles, was die CHARON erreichte, waren seine zurückgeschickten Fragen. „Da gibt es wohl kein Leben in unserem Sinn. Höchstens, wenn überhaupt, nur elektromechanischer Art. Ein intelligentes Wesen hätte sicherlich bereits geantwortet. Und eine Künstliche Intelligenz ebenfalls.“

„Einigen wir uns erst einmal darauf, dass es kein Raumschiff ist, sondern nur eine Plattform“, meinte Hegen. „Und ich würde WANDERER als Namen durchaus übernehmen. Die Plattform scheint keinen eigenen Antrieb zu besitzen. Ihr wurde wahrscheinlich einmal ein ,Schubs‘ gegeben und seither driftet sie mit ungefähr 10.000 Kilometer pro Sekunde durchs Weltall. Ich bin dafür, dass wir der Plattform einen Besuch abstatten.“

Hegen gegenüber saß die Pilotin Patricia Kress. Sie war größer als die Armierungsoffizierin Petra Müller und hatte ein Gesicht, das so schön war, dass sie als erstklassiges Model hätte arbeiten können. Und während sich viele Modelle durch plastische Chirurgie „verbesserten“, war bei ihr alles natürlichen Ursprungs. Von der hohen Stirn mit den braunen Augen darunter bis hin zu ihren langen Beinen. Statt eine Modellkarriere zu beginnen, hatte sie an der Weltraumakademie studiert und als Beste ihres Jahrgangs die Ausbildung zur Pilotin bestanden.

Peer Dexter Hegen sah hinüber zu seiner Pilotin. Diese schien nur darauf zu warten, neue Befehle zu erhalten.

„Pat, umkreise WANDERER und dann bring uns in den Zenit, aber so, dass wir nicht in die künstliche Sonne schauen müssen. Ich will die Landschaft betrachten können.“

Sie wischte mit einer Hand über ihre Paneele und mit der anderen eine Strähne ihres brünetten Haares hinter das Ohr. Sekunden später nahm die CHARON gemächlich Fahrt auf und umrundete den einsamen WANDERER. Es schien so, als würde sich der Begriff für die Plattform endgültig einbürgern.

Der Diskus umrundete die Plattform wie ein Insekt ein riesiges Landsäugetier. Es gab nichts Ungewöhnliches zu sehen. Hauptsächlich Wald. Drumherum ein künstlicher Fluss, der kein Anfang nahm und kein Ende fand. Stattdessen floss er hauptsächlich am Rand der Biosphärenkuppel entlang und mit einigen Windungen auch durch den Wald, durchquerte Wiesen, bildete ab und an Sandbänke aus, nur um wieder auf sich selbst zu treffen.

Die Besatzung der CHARON beobachtete von ihren Sitzen aus, wie ihr im Vergleich winziges Raumfahrzeug an der Biosphäre entlang flog. Ihre Schweigsamkeit, so kam es Björn vor, war dem Anlass angemessen tief und ehrfürchtig, selbst für Menschen.

Die Biosphärenkuppel war eine relativ flache künstlich angelegte Kreisfläche mit einer transparenten Kuppel mit einem Durchmesser von fünfzig Kilometern.

Es war schon eine komische Vorstellung, dass die CHARON hunderttausendfach darauf hätte Platz finden können; Björn versuchte sich vorzustellen, wie die CHARON in diesem großen Zylinder wie ein riesiges Modell in einer Vitrine schweben würde.

Plötzlich reagierte Björn Hartmann, der Astrogator der CHARON. „Da, eine offene Schleuse, groß genug, um die CHARON aufzunehmen.“

„Wir fliegen weiter“, meinte Peer Dexter Hegen. „Mit der CHARON werden wir bestimmt nicht einschleusen. Die Gefahr, durch einen dummen Fehler das Schiff zu verlieren, kann ich mir nicht leisten. Zu Fuß zur VASCO DA GAMA zurück geht nicht.“

Der Diskus flog weiter, immer an der künstlichen Welt entlang. Keine weiteren Auffälligkeiten. Außer den Messgeräten, Kommunikationsgeräten und Ähnlichem, die aus der Außenhülle herausragten. Sichtöffnungen, also Fenster, Bullaugen und Ähnliches, waren nicht zu erkennen. Das Raumschiff stand nun im Zenit der Kuppel, jedoch etwas tiefer, damit die künstliche Sonne die Beobachtung nicht störte. Der Ausblick war fantastisch. Die Ansicht füllte die ganze ein mal zwei Meter große Holographie. Jede Einzelheit erschien in dreidimensionaler Darstellung und warf den Schatten, wie es die Kunstsonne ermöglichte. Alle notwendigen Scans waren durchgeführt worden, sodass selbst kleine Einzelheiten zu erkennen waren. Fast alles Wald, dazwischen Wiesen in saftigem Grün, Hügel und ein paar Steinhaufen, die man jedoch nicht als Berge bezeichnen konnte. Überall blühte es und obwohl wild, machte die Oberfläche einen gepflegten Eindruck. Eben eine künstliche Welt, beeindruckend in der Dimension und der Kühnheit der Konstruktion. Eine Welt für sich, eine zwischen den Sternen driftende Biosphäre.

„Ich vermisse Lebewesen. Hat jemand von euch etwas gesehen?“ Peer blickte kurz in die Runde, bevor sein Blick wieder auf das Hologramm fiel. „Ben, kannst du einen Ausschnitt vergrößern?“

Der Angesprochene kam der Aufforderung sofort nach. Ben fuhr mit seinen schlanken, beinahe zart wirkenden Fingern über die Oberfläche seines Touchscreens, verschob virtuelle Regler, bis der gewünschte Erfolg zu sehen war. Das System ruckte nur kurz, als das Bild so weit heranzoomte, dass die Welt die holographische Darstellung ausfüllte. An den Rändern der ansonsten makellosen Oberfläche wurde die Darstellung, bedingt durch den Schutzschirm oder Glaskuppel, was immer es auch war, unscharf. Es erschien der Wald und eine hügelige Wiese davor.

Gestochen scharf konnte man nun den Blick auf eine künstliche Welt schweifen lassen, als wäre man nur zehn Meter vom nächsten Baum entfernt. Der Übergang von einer Wiese zum Wald war fließend. Es gab an dieser Stelle kein Unterholz. Und plötzlich rief Leutnant Rudolf Stein: „Da, auf zwei Uhr, hat sich etwas bewegt. Klein und pelzig.“

Die anderen waren wie elektrisiert. Sollte es dort Leben geben? Vielleicht sogar intelligentes Leben? Aber darauf wies im Augenblick nichts hin.

Wieder eine Bewegung. Ein pelziges, kleines Lebewesen. Es mochte etwa 20 cm lang sein, mit einem Schwanz, der ein Drittel der Körperlänge besaß. Graues Fell, schwarze Augen. Das Tier lief einen kleinen Hügel hinauf und machte Männchen. So konnte man den gelblichen Bauchpelz erkennen.

In diesem Augenblick stürmte eine Horde großer Primaten aus dem Wald. Der kleine Nager hatte keine Chance. Einer der Primaten erwischte ihn. In seinen Pranken sah das kleine Tier noch zierlicher aus. Jedoch nicht lange. Denn der riesige Primat biss dem Nager einfach den Kopf ab. Mit einem weiteren Bissen war der Nager verspeist.

Die anderen Primaten fingen an wie wild zu wühlen und fanden weitere Nager. Deren Lebenslauf verkürzte sich drastisch.

Das ganze Spektakel dauerte nur wenige Minuten und die Primaten verschwanden in den Wald. Zurück blieb eine verwüstete Hügelwiese.

„Was war das denn?“ Verblüfft sah die Besatzung auf die holografische Darstellung der fremden Welt. Ben sprach aus, was alle dachten. „Das ist sicherlich kein Paradies.“

„Rudolf, erhalten wir inzwischen Kontakt? Meldet sich jemand, gibt es Antworten?“ Peer wandte sich an den Mann für die Kommunikation.

Die Antwort bot nichts Neues. „Nein, nur unsere eigenen Signale, die zurückgesendet werden.“

„Wir sollten mal die Plattform besuchen. Es interessiert mich, wer die Erbauer sind oder waren.“ Peer wollte schon Pläne machen.

„Darf ich anmerken“, warf Kurt Jessan ein, „unser Auftrag lautet, die Funkboje auszusetzen. Und nach meinen Informationen ist die Position noch zwei Lichtjahre weit entfernt. Wir sollten erst unsere Arbeit erledigen.“

„Ja, Kurt, korrekt wie immer. Aber wir können immer noch dorthin. Ein kleiner Abstecher auf die Plattform sollte doch drin sein. Ich will in Erfahrung bringen, wer die Plattform erbaute. Vielleicht kann man mit den Konstrukteuren Kontakt aufnehmen. Allein die Größe der Plattform zeigt, wie fortschrittlich sie waren. Und außerdem, sie haben freundlicherweise eine offene Schleuse als Einladung hinterlassen.“

„Ich gebe zu bedenken …“

„Ja, Kurt, kommt wieder dein SSD-Dienstgrad durch? Ich dachte, das hätten wir hinter uns.“

Kurt schwieg. Die Diskussion über seinen SSD-Rang wollte er wirklich nicht wieder aufnehmen. Er sollte sich etwas zurückhalten und nur als Erster Offizier tätig sein. Als er in Vergangenheit als SSD-Offizier an Bord gekommen war, hatte es einigen Ärger gegeben. Erst ein klärendes Aneinandergeraten und das nachfolgende Besäufnis hatten die Zuständigkeiten geklärt.

Wanderer

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