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Geografische Auswertung
ОглавлениеNeben dem konfessionellen und geschlechtsabhängigen Institutionsspektrum ist auch die geografische Disposition der offenen und geschlossenen Fürsorge von Interesse. Auch hier wurden auf Grundlage der vorgestellten Überblickswerke die drei Stichjahre 1850, 1890 und 1930 einander gegenübergestellt (siehe Grafik 1–3 im Anhang).
Im Jahr 1850 dominierten die Anstalten in der Deutschschweiz, während in der Westschweiz die Fürsorgelandschaft nur sehr dünn besiedelt war. Waisenhäuser waren im 18. Jahrhundert ausgesprochen städtische Erscheinungen, erst im 19. Jahrhundert wurden ländliche Anstalten errichtet, die jedoch in Distanz einer Tagesreise von der nächstgrösseren Ortschaft oder Stadt lagen. Somit konnten die Mitglieder der (städtischen) Trägerschaft die Institutionen noch gut erreichen.97 Nicht nur der Standort, sondern auch die Lokale an sich unterschieden sich markant zwischen Stadt und Land. Erstere Gebäude waren repräsentativ und in den Städten an prominenter Stelle errichtet. Die Anstalten in ländlichen Gebieten waren in funktionalen Gebäuden untergebracht, oftmals mit einer eigenen Schule. Zudem wurde in den ländlichen Anstalten strikter zwischen den Altersgruppen getrennt als beispielsweise in urbanen Waisenhäusern, in denen auch Erwachsene unterkamen.98 Die meisten Anstalten und Vereine befanden sich im Kanton Zürich, gefolgt von den Ostschweizer Kantonen sowie dem Kanton Bern (inklusive dem heutigen Kanton Jura).
Dass von den Jahresversammlungen der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft, die zwischen 1823 und 1850 wiederholt in Zürich und der Ostschweiz stattfanden, Impulse zu Anstaltsgründungen ausgingen, scheint naheliegend.99 Vereine mit Fremdplatzierungscharakter existierten ebenfalls hauptsächlich in der Deutschschweiz, besonders hervorzuheben sind hier die Bezirks-Armenerziehungsvereine im Kanton Basel-Landschaft. In der Westschweiz gab es städtische Waisenhäuser im Kanton Neuenburg oder sogenannte «asiles rurales» im Kanton Waadt.
Um 1890 vergrösserte sich die institutionelle Infrastruktur insgesamt und besonders markant in der östlichen Schweiz (Kantone St.Gallen, Thurgau, beide Appenzell), wo die «Rettungsanstalten» die grösste Verbreitung fanden.100 Im Kanton Schaffhausen wurden zwischen 1850 und 1890 insgesamt 21 Kleinkinderschulen gegründet, hingegen keine neue Anstalt für die geschlossene Fürsorge. Zwischen 1850 und 1890 entstanden die meisten Aargauer und einige der Solothurner Armenerziehungsvereine, sodass die ehemals spärlich besiedelte Fürsorgelandschaft dieser Kantone sich verdichtete. Aber auch in der Westschweiz nahm das Spektrum zu, insbesondere fielen Vereinsgründungen im Kanton Waadt sowie Anstaltsgründungen in den Kantonen Neuenburg und Freiburg (grösstenteils Waisenhäuser) ins Gewicht. Die katholische Zentralschweiz baute eine Fürsorgelandschaft überhaupt erst mit zwei Vereinen im Kanton Luzern (darunter das Seraphische Liebeswerk) und mehreren Anstalten in den angrenzenden Kantonen Nidwalden, Obwalden und Schwyz auf. In der italienischsprachigen Schweiz wurden zwischen 1844 und 1850 sowie zwischen 1870 und 1890 diverse «Asili infantili» gegründet.101
Im Jahr 1930 verdichtete sich die Fürsorgelandschaft in den Kantonen Zürich, dem heutigen Jura und Bern, insbesondere aber in der Zentralschweiz. Im Tessin lag der Trend nach wie vor bei der Gründung von Kindertagesstätten (siehe Grafik 6 im Anhang).