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Die Bezirks-Armenerziehungsvereine des Kantons Aargau

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An der Sitzung der Gesellschaft für vaterländische Kultur des Bezirks Aarau (der späteren Kulturgesellschaft) vom 22. August 1854 wurde die Situation armer Jugendlicher besprochen. Das Gesellschaftsmitglied Pfarrer Emil Jakob Friedrich Zschokke (1808–1889), 116 der aus dem Kanton Basel-Landschaft 1845 über Kulm in die Stadtkirche Aarau berufen wurde, brachte nach dem Vorbild des Basellandschaftlichen Vereins die Idee der Armenerziehungsvereine mit in den Aargau.117 In der Sitzung war ursprünglich nur von der «Bildung und Erziehung der armen weiblichen Jugend» die Rede, die mittels Kreisschreiben an sämtliche Kulturgesellschaften nähergebracht werden sollte.118 Auf die nächste Generalversammlung am 20. September 1854 sollte das Thema von Zschokke und Postdirektor Rudolf Lindenmann (1808–1871), der ebenfalls Verbindungen zum Halbkanton pflegte, näher ausgeführt werden. Die geplante Generalversammlung fand jedoch aufgrund einer Cholera-Epidemie nicht statt.119 Das Duo erhielt im folgenden Jahr vom Basellandschaftlichen Armenerziehungsverein den Rechenschaftsbericht über das Jahr 1854120 sowie die Satzungen des Freiwilligen Armenvereins des Bezirks Baden zur weiteren Vorberatung.121

Im September 1855 wurde das angesprochene Zirkular schliesslich verfasst, wobei nicht die epidemische Angst als Absagegrund für die vorjährige Generalversammlung genannt wurde, sondern die Vorbehalte gegenüber einem interessanten und hitzigen Ideenaustausch, dem aber voraussichtlich kein «praktischer Erfolg» beschieden sein würde. Im Rundschreiben an die Bezirksgesellschaften wurden die Fragen aufgeworfen: «Wie kann am zweckmässigsten für Rettung verwahrloster Kinder gesorgt werden? Und welche Mittel sind anzuwenden, um dieses Rettungswerk ohne längeres Zögern in’s Leben zu rufen?» Die Aarauer Kulturgesellschaft stellte ferner die Frage in den Raum: «Ob die Gründung von eigenen Rettungsanstalten oder aber die Unterbringung und Erziehung von verwahrlosten Kindern in ehrbaren Familien als zweckmässiger erschiene?»122

Auch die aargauische Direktion des Innern unterstützte das Unterfangen und signalisierte, «sich an das Wirken jenes Vereins anzuschliessen und hiefür die geeigneten Schritte einzuleiten», sodass die Kulturgesellschaft die Initiative ruhig ergreifen könne. Ausserdem wurde allgemein konstatiert, «dass der gegenwärtige Moment geeignet sei, solche Vereine zu gründen, und dass hiefür authographierte123 Zuschriften an die sämmtlichen Gemeinderäthe und Pfarrer im Bezirk mit der Bitte zu senden seien, damit sie Abgeordnete zur Berathung der Statuten senden möchten».124

Die Generalversammlung sämtlicher Bezirks-Kulturgesellschaften, die zuletzt 1853 in Bremgarten tagten, sollte dafür der passende Rahmen sein. Anvisiert wurde der 15. Oktober 1856 im Casino Aarau mit den zwei Haupttraktanden, der Schaffung von «Rettungsanstalten für verwahrloste Kinder» und Aufsichtsvereinen für entlassene Sträflinge.125 Regierungsrat Augustin Keller (1805–1883) und Pfarrer Emil Zschokke sollten eine diesbezügliche Kommission bilden.126 Die Ausstellung des Zirkulars übernahm die «Regierungs-Autographie», sodass für den Verein keine Kosten entstanden.127 Die Pläne für neue Kindererziehungsanstalten wurden mit der Übergabe der Pestalozzistiftung in Olsberg an den Staat jedoch hinfällig.

Dennoch wollte sich die Kulturgesellschaft dafür einsetzen, dass im Bezirk Aarau ein Pendant zum 1855 gegründeten Zofinger Kinderversorgungsverein geschaffen werde.128 Die Kulturgesellschaften der Bezirke engagierten sich bereits vor den Gründungen der Armenerziehungsvereine im Bereich der «Armenpflege». Im Bezirk Brugg wurden in den Jahren 1854 und 1855 Lebensmittelkollekten durchgeführt und 1856 der «Almosenverein der Gemeinde Brugg» gegründet, sodass «in der Kulturgesellschaft von Brugg […] in jener Zeit eine warme, schöne Theilnahme an Fragen der Armenpflege und an soliden Verbesserungen auf diesem Gebiet erwacht[e].»129 Diese Sensibilisierung führte zu einer Bezirksversammlung «von Männern des Armenwesens», in deren Schoss «die Wege einer bessernden Einwirkung auf die bestehende Armenpflege, eifrigst durchgesprochen und berathen» wurde. Insbesondere die Arbeit des 1855 gegründeten Kinderversorgungsvereins Zofingen, «ganz besonders aber die so ergreifenden als gediegenen Berichte von dem schönen Wirken des Basellandschaftlichen Armen-Erziehungsvereins hatte […] einen tiefen Eindruck hinterlassen, eine nachhaltige Begeisterung erweckt».130

Bei der Kulturgesellschaft des Bezirks Aarau wurde der Beschluss gefasst, dass das Zofinger Reglement als Vorlage verwendet werden sollte. Am 4. Januar 1860 richteten sich Emil Zschokke und Ludwig Karrer (1830–1893), der Aargauer Regierungsrat und nachmaliger Kommissär des eidgenössischen Auswanderungsamtes, mit einem Aufruf an die Bezirksbevölkerung. Im Aufruf wurden desolate Familienverhältnisse, von Gemeinden praktizierte «Mindersteigerungen» und die «Liederlichkeit» der Eltern als Gründe für die Konstituierung genannt: «Mitten in einem Christenlande begegnen wir somit Familien und verwahrlosten Kindern, deren Zustand ein wahrhaft heidnischer ist. Es bildet dies zur hochgepriesenen Civilisation unserer Zeit einen düstern Gegensatz. Manchem Menschenfreund blutet das Herz darob und er hat diese Übelstände schon längst tief beklagt.»131

Im Bezirk Lenzburg tagte am 25. November 1860 die Bezirks-Kulturgesellschaft über die Gründung eines Armenerziehungsvereins, und am 19. Dezember 1860 wurden die Statuten im Lenzburger Rathaus besprochen, die Konstituierung als wünschenswert anerkannt und den Gemeinden die Schaffung von «Fünfrappenvereinen» aufgetragen. Erste Geldmittel wurden bis am 21. März 1861 zusammengetragen, sodass der Armenerziehungsverein «mit der Verkostgeldung der angemeldeten armen, ‹der Verwahrlosung entgegengehenden Kinder› den Anfang» machen konnte, gegebenenfalls auch unter Anwendung von «Zwangsmassregeln».132 Auch der am 28. Oktober 1861 ins Leben gerufene Armen-Kinder-Erziehungs-Verein des Bezirks Muri war eine Tochter der dortigen Gemeinnützigen Gesellschaft, die sogar die Führung des Vereins für 25 Jahre – bis zum Jahr 1887 – übernahm.133 Der Gründung voran ging ein Aufruf an die Einwohner, der «von allen Kanzeln verlesen» wurde und in fast allen Gemeinden der Kreise Muri, Sins und Merenschwand auf Resonanz stiess. Die Vereinsleitung unter dem ehemaligen liberal-katholischen Regierungsrat und späteren Nationalrat Peter Suter (1808–1884) wurde einem fünfköpfigen Vorstand übergeben, diesem untergeordnet war für jeden Kreis des Bezirks ein abermaliger fünfköpfiger Vorstand.134

Sowohl das Zirkular der Aarauer Kulturgesellschaft als auch eines der Direktion des Innern vom Oktober 1863 führten zu weiteren Gründungen von Armenerziehungsvereinen in den Bezirken Lenzburg (1861), Bremgarten (1861), Muri (1862), Baden (1862), Zurzach (1864) und Kulm (1865).135 Insbesondere der Direktor des Innern begrüsste die Schaffung von Armenerziehungsvereinen, indem er bekräftigte, dass die «Armenerziehung» im Kanton Aargau eine «ebenso erfreuliche als erfolgreiche Thätigkeit von Vereinen und Freunden der Armen» darstelle und von «Regierung und Volk bereits anerkannt» würde. «Die Direktion des Innern, der das Armenwesen unterstellt ist, hat jeden Anlass, die Armenvereine in ihrem Bestreben zu unterstützen, gerne benutzt.»136 In der ersten Hälfte der 1860er-Jahre bildete die Gründung von Armenerziehungsvereinen «eine Hauptaufgabe fast sämmtlicher Bezirks-Kulturgesellschaften», wie Emil Zschokke in einem Artikel in der Schweizerischen Zeitschrift für Gemeinnützigkeit resümierte, und sie stünden «in blühendem Gedeihen».137 Er führte die Vereinsgründungen auf die Notjahre von 1845 zurück, die in einigen Gegenden des Aargaus tiefe Schäden hervorriefen und «am Lebensmark der untersten Volksschichten» nagten:

«Man ward gewahr, dass nicht nur äusserster leiblicher Mangel bei vielen armen Familien des Landes bestehe, sondern hie und da eine eben so grosse sittliche Verkommenheit zu finden sei. Grenzenlose Liederlichkeit, völlige Arbeitsscheu und Abgestumpftheit gegen alle besseren Gefühle sammt dem ganzen Gefolge von Lastern, die aus solchem Sumpfe gewöhnlich hervorgehen, traten nicht selten in erschreckender Weise auf. Das Unwesen der Bettelei überfluthete das Land in vorher noch nie dagewesener Weise.»138

Diesem moralischen Sumpf wollten die Armenerziehungsvereine laut Zschokke entgegenwirken, indem «nämlich durch bessere Erziehung der Kinder aus solchen sittlich und ökonomisch versunkenen Familien» eine pädagogische Hilfe geleistet werden sollte. Er bemerkte, dass es sehr wohl «Rettungsanstalten» im Kanton Aargau gab, «allein theils gewährten dieselben nicht den erforderlichen Raum für Aufnahme so vieler bedürftiger Kinder, theils konnten die verhältnismässig immerhin grossen Kostgelder nicht erschwungen werden». Das geeignete und kostengünstigere Pflegehausmodell hatte aber auch noch einen weiteren pädagogischen Vorteil, indem «Familien-Erziehung weit natürgemässer und für alle Zukunft heilsamer sei, als Anstalts-Erziehung».139

Anscheinend weckte die Berichterstattung über die aargauischen Armenerziehungsvereine das Interesse der Leserschaft der «Schweizerischen Zeitschrift für Gemeinnützigkeit», denn im folgenden Jahr meldete sich Zschokke erneut zu Wort: «Die Sache scheint in der Schweiz herum vielfach Anklang zu finden; wenigstens wurde ich schon wiederholt über deren Einrichtung befragt.»140 Wieder führte er die Vereinsgründungen auf das Jahr 1845 und «die Erkrankung der Erdäpfel und die von da an wiederholt herrschenden Gewerbs- und Handelskrisen» zurück. In deren Folge trat «der Pauperismus in mehreren Gegenden des Kantons in erschreckender Gestalt wie nie zuvor» auf. Im Schosse der Kulturgesellschaft seien daraufhin ergebnislos verschiedene Lösungsansätze besprochen worden, bis man schliesslich zur Überzeugung kam, «dass alle bisher versuchten Mittel ohne radikale Abhülfe durch bessere Erziehung der Kinder aus verkommenen Familien nichts fruchten würden».141 Aus diesem Gedanken heraus seien die sich gleichenden Armenerziehungsvereine entstanden.142

Eine umfangreiche Darstellung erfuhren die Armenerziehungsvereine beim Geschichtswerk über die Aargauische Gemeinnützige Gesellschaft im Jahr 1912. Rudolf Wernly resümierte aus den Protokollen, dass die Gründung im Schosse der Kulturgesellschaft wesentlich um die Frage kreiste, ob Anstaltserziehung oder Familienerziehung das geeignetste Mittel sei.143 Am 24. September 1856 wurde im Kasinosaal in Aarau eine Generalversammlung abgehalten, wobei Emil Zschokke als Referent geladen war. Als «Grundgedanken» wurden festgesetzt: die «Versorgung aller armen, der Gefahr der Verwahrlosung ausgesetzten Kinder womöglich in rechtschaffene Familien, dagegen Unterbringung von bereits verdorbenen in Rettungsanstalten» und die «Gründung von sogenannten Fünfrappen-Vereinen, später vom Volksmund ‹Halbbatzenvereine› genannt».144 Die «Zweigvereine» der Kulturgesellschaften wurden in den Bezirken aktiv. «Die Organisation dieser Bezirksvereine gestaltete sich, bis auf kleinere unwesentliche Verschiedenheiten, überall gleichmässig und stütte sich bei allen auf das System der Fünfrappen-Kollekte, weiterhin auf Gemeinde- und Staatsbeiträge, Schenkungen und Legate.»145 Wernly umschrieb die einzelnen Funktionen der Vereinsorgane und bekräftigte insbesondere, dass die «Sammlerinnen» die «freiwilligen Mitgliederbeiträge von Haus zu Haus» einzögen und die «wertvolle Vorhut des Vereins für den Eroberungszug der Humanität» bildeten.146 Die beiden vorgestellten Geschichtswerke über den Kanton Aargau und die Kulturgesellschaft stammten aus dem direkten Umfeld der Armenerziehungsvereine und zeugen vom Selbstverständnis der damals höchst aktiven Vereine, die zwischen 1910 und 1915 jährlich rund 1300 Pflegekinder beaufsichtigten.

Im Bezirk Laufenburg musste ein erster Armenerziehungsverein aufgrund von «äusseren Verumständungen» aufgelöst werden, sodass in der Folge «aus dem langen Ausbleiben eines Armenerziehungs-Vereins» geschlossen wurde, «es sei dieses Institut bei uns nicht nothwendig». Diesen Eindruck teilten 72 Männer aus den Gemeinden des Bezirks ganz und gar nicht, sodass am 24. September 1882 die «Wiedereinführung des Armenerziehungs-Vereins» beschlossen und sogleich 52 Kinder «platziert» wurden.147 Als letzter Armenerziehungsverein im Kanton Aargau wurde 1889 derjenige im Bezirk Rheinfelden gegründet. Der offiziellen Gründung gingen bereits einige Versuche voraus, so löste sich der 1862 gegründete Armenerziehungsverein zwischenzeitlich auf.148 Bei der Einladung eines Initiativkomitees am 3. Februar 1889 machte die anwesende Opposition geltend,

«dass in unserm Bezirk ein Bedürfniss zur geplanten Vereinsbildung nicht bestehe und dass die einzelnen Gemeinden so gut situirt seien, dass es nicht nothwendig erscheine, denselben mit Abnahme von Kindern entgegenzukommen. Im Fernern wurde behauptet, dass die Frauenvereine, deren fast in jedem Dorfe einer bestehe, dem Bedürfniss voll und ganz genügen, welches ortsfremde Einwohner in bedrängter Lage haben könnten.»149

Nach Anbruch des neuen Jahrhunderts und der Schaffung des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs und dessen Aargauer Einführungsgesetzes erhielten die Vormundschaftsbehörden einen wichtigen Stellenwert. Im Unterschied zu den Armenbehörden der Heimatgemeinden von Unterstützten, die nach wie vor armenrechtliche «Kindswegnahmen» durchführen konnten, waren die Vormundschaftsbehörden der Wohngemeinden für die vormundschaftlichen Fremdplatzierungen zuständig. Diese Entwicklung trug den Wanderbewegungen der Kantonsbevölkerung erstmals Rechnung. Während 1880 noch rund 70 Prozent der Einwohner in ihren Heimatgemeinden wohnten, waren es im Jahr 1910 fast nur noch 50 Prozent. 1930 lebte dann über die Hälfte der Aargauer Bevölkerung nicht mehr in ihrer Heimatgemeinde.150 Allerdings war es möglich, dass die Vormundschaft an die Heimatgemeinde übergeben werden konnte.151

Für die Arbeit der aargauischen Armenerziehungsvereine war die auf den §51 des Aargauischen Einführungsgesetzes zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch bezugnehmende regierungsrätliche «Verordnung betreffend die Pflegekinder vom 20. November 1922» bedeutsam. Die Pflegekinderverordnung kam aufgrund eines Entwurfs aus dem Oktober 1922 zustande. Bereits im September 1921 musste jedoch eine vormalige Fassung bestanden haben. Diese wurde in einer Vorstandssitzung des Armenerziehungsvereins des Bezirks Baden verlesen und «allgemein als eine starke Einschränkung unserer Freizügigkeit und Tätigkeit eingeschätzt, womit unsere Vereine einen solchen Aderlass verdient haben, ist nicht ersichtlich. Wir berichten in diesem Sinne nach Aarau.»152 Anscheinend unterschied sich die endgültige Fassung wesentlich zugunsten der Vereine von der ursprünglichen Verordnung, denn in der Folge wurde sie vom Armenerziehungsverein Baden immer positiv erwähnt. Pflegekinder nach dieser Verordnung waren sämtliche Kinder bis zum zurückgelegten 16. Altersjahr, «deren Pflege und Erziehung andern Personen anvertraut ist, als den Inhabern der elterlichen Gewalt», unabhängig von der Ausrichtung eines Kostgelds. «Kinder in Anstalten des Staates, sowie in solchen, die unter staatlicher Aufsicht stehen, fallen nicht unter diese Verordnung; ebenso nicht die von den aargauischen Armenerziehungsvereinen versorgten Kinder.»153 Im zitierten Paragrafen wurden die Armenerziehungsvereine erstmals in einem rechtlichen Text erwähnt. Umso spannender, als «deren versorgte» Kinder explizit nicht unter die Verordnung fielen. Die direkte Aufsicht in den Bezirken übten die Bezirksämter, die Oberaufsicht die Justizdirektion aus. Als Kontrollorgane fungierten neben den Amtsvormündern und deren Fürsorgerinnen, den Pfarrämtern, insbesondere die «Inspektionsorgane der Armenerziehungsvereine».154 Als Vertreter der freiwilligen Fürsorge waren sie demnach befugt, die von den offiziell-rechtlichen Vormundschaftsbehörden geschaffenen Pflegekinderverhältnisse einzusehen und Missverhältnisse an das Bezirksamt und den Amtsvormund weiterzuleiten.

Im Vorfeld dieser Verordnung sandte der Justizdirektor einen Antrag zur Annahme der Pflegekinderverordnung und Aufnahme derselben in die Aargauer Gesetzessammlung an den Aargauer Regierungsrat.155 Er hielt die Verordnung für ein «Bedürfnis», das auch in anderen Kantonen wie unter anderem in Zürich und Bern bereits wahrgenommen wurde, und wollte «eine Lücke ausfüllen, die bis jetzt in der staatlichen Beaufsichtigung von Pflegekindern bestanden hat[te]».156 Er begründete die Aufsichtspflicht des Kantons dadurch, dass dieser ja auch Kinder in staatlichen Heimen inspizieren lasse. «Umsomehr ist aber da eine staatlich organisierte Aufsicht erforderlich, wo Pflegekinder in privaten Familien untergebracht werden.» Denn einzelne Behörden, Armenpflegen, Vormünder und Beistände böten «durchaus nicht Garantie, dass sie nur das Beste der ihrer Obsorge unterstellten Kinder im Auge haben, vielmehr gibt die Billigkeit des Unterkunftsortes den Ausschlag».157

Der Justizdirektor führte im Weiteren noch zwei besonders bedenkliche Beispiele für eine schlechte Fremdplatzierung an. Im einen Fall kam ein Kind zu Alkoholikern, während die Pflegeeltern des anderen nur drei Wochen später in die Zwangsanstalt eingewiesen werden mussten. Beide Male handelte es sich um eine von einer ausserkantonalen Behörde vorgenommene Fremdplatzierung, wobei nur die kostengünstigste Lösung angestrebt wurde. Die Verordnung wurde folglich insbesondere als «Richtlinie für ausserkantonale Behörden» verstanden, «die bei uns möglichst billig Kinder unterbringen wollen».158

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