Читать книгу Fritz Gezeiten des Lebens-Ebbe,Flut und Sturmfluten - Ernst-Otto Constantin - Страница 31

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Neue Heuer auf TS Dagmar Salén

Beim Frühstück bekam er mit, dass sich 5 Mann auf den Weg zu Hapag an den Ballindamm machten. Sein Instinkt verriet ihm: Da ist was zu holen. Und richtig. Gleich rechts am Eingang befand sich eine Schiffsagentur. Alle fünf saßen artig auf einer Bank. „Die Plätze sind vergeben. Wir warten nur noch auf unseren Heuerschein.“ Unbeeindruckt klopfte Fritz an die Scheibe des Schalters und sagte: „Hier bin ich, Fritz. Ich habe gehört, ihr braucht Seeleute. Hier ist mein Seefahrtbuch. Ich hatte eine gute Ausbildung auf dem Segelschulschiff Deutschland.“ „Moment“, hieß es. „Ja, wenn du willst, kannst du als Jungmann auf der Dagmar Salén anmustern. Das ist ein schwedischer Tanker. Der liegt zurzeit in der Stülken-Werft im Dock.“ Fritz strahlte, endlich wieder zur See fahren. In no time hatte er seinen Heuerschein, schnell am Seemannsheim vorbei, den Seesack geschultert, und los ging es.

Beim Bootsmann gemeldet, wurde er erst zum Ombudsmann geschickt. Der legte einem ohne viele Worte ein Formular zum Eintritt in den Swenska Sjöfolkverbundet (die Seeleute-Gewerkschaft) vor. Er unterschrieb sofort. Nach und nach kamen auch die anderen Gesellen, die er aus dem Seemannsheim und der Agentur kannte. Das Ritual wiederholte sich. Bloß von der Gewerkschaft wollten die nichts wissen. Sie hatten errechnet, dass der Monatsbeitrag eine Kiste Bier ausmachte. Also, das kam für sie nicht in Frage. „Du kannst uns zu nichts zwingen. Wir leben doch in einem freien Land.“ Der Ombudsmann ging zum Kapitän und erklärte ihm, was ihm widerfahren war. Eine Stunde später konnten die ihre Seefahrtbücher wieder abholen. Diese schöne Heuer war dann für sie Geschichte. Mit solchen unsolidarischen Leuten wollte man nicht zur See fahren.

Fritz war 1957 im 2. Lehrjahr. Die Heuer war monatlich netto höher als die eines 3. Offiziers auf einem deutschen Schiff brutto. Die Dagmar Salén, ein Tanker, hatte 25.000 Tonnen Tragfähigkeit. Das Essen war prima, die Kammer schick, alle Seeleute waren sehr kameradschaftlich und hilfsbereit. Fritz hatte das große Los gezogen. Er fühlte sich anerkannt.

Der Kamerad in seiner Kammer kam aus der Karibik, aus Trinidad. Er war von hellbrauner Farbe. Francis, das war ein richtig guter Kerl. Die Besatzung bestand aus 7 Nationen. Fritz ging mal wieder die 12/4-Wache mit dem 2. Offizier, einem Norweger. Kapitän Schile war Schwede, ein toller Seemann, so um die 55 Jahre. Die erste Reise ging mal wieder zum Persischen Golf. Wer stand bei der Suez-Kanalfahrt wieder am Ruder? Am Ruder eines Schiffes, das mehr als doppelt so groß war wie die Lichtenfels? Fritz. Warum immer er, und wieso keiner der Matrosen? Fritz war aufgeregt, aber hochkonzentriert. Bei dem ersten Entgegenkommer hatte er sich fast in die Hose gemacht. Auch dieses Mal stand der Kapitän neben Fritz an der Rudersäule. Als die Begegnung vorbei war, legte der Kapitän seine Hand auf Fritz‘ Schulter mit einem „Mükke bra“ (sehr gut). Ein bisschen stolz war er schon.

Das Schiff war ein sogenannter Never-come-backliner, also kein Linienschiff. Gleich auf der ersten Reise stand Fritz am Ruder, als der Lotse am Ausgang des Suezkanals ins Rote Meer abgesetzt wurde. Es war nachts, gegen 2: 30 Uhr. Der Kapitän brachte das Schiff auf Kurs und wünschte gute Wache. Fritz stand noch eine Weile am Ruder. Es war nicht schwer, das Schiff auf Kurs zu halten. Gleich neben der Rudersäule stand das eingeschaltete Radar. Spannend zu sehen, wie die Küste an Steuerbord vorüberzog. Plötzlich hieß es

„Ruder 10 Grad Steuerbord.“

„10 Grad Steuerbord liegt an“, lautete die Antwort.

Inzwischen war der Kurs um 90 Grad nach Westen verändert worden, als es hieß:

„Midships.“

„Midships liegt an.“

Fritz schaute fasziniert auf das Radar. Er erwartete eine baldige Kurskorrektur. Nichts kam. Nach den Abstandringen des Radars musste das Schiff 8 sm (Seemeilen) von der Küste entfernt sein.

„Steuermann, voraus sind Lichter zu sehen.“

Der Steuermann reagierte nicht. Das Schiff lief 13 Knoten (13 sm pro Stunde = etwa 24 km/h).

„Steuermann, wollen wir dicht unter der Küste fahren?“

Die Antwort war: „Halte Kurs.“

Langsam wurde es Fritz doch zu ungemütlich. Hinter dem Ruder gab es ein Rohr, in das man blasen konnte. Das ging in die Kammer des Kapitäns. Wenn man kräftig hineinblies, gab es unten einen Trillerpfeifton. Hier stimmte was nicht. Fritz blies, so fest er konnte, in das Rohr. Blitzschnell kam der Kapitän auf die Brücke, sah sofort, was los war, und schrie: „Hart Backbord“. Das Schiff war nur noch 4 sm vom Strand entfernt. Fluchend brachte er den Tanker wieder auf den alten Kurs, schnappte sich den Steuermann und schob ihm einen Kinnhaken, und zwar so, dass der durch das ganze Brückenhaus segelte.

Mit Schweißperlen auf der Stirn kam er zu Fritz und sagte: „Well done, well done.“ Puh, das war gerade noch mal gut gegangen. Der Steuermann musste sofort die Brücke verlassen. Er war offensichtlich besoffen. Der Kapitän übernahm die Seewache. Dem 2. Offizier wurde fristlos gekündigt. Er durfte nicht mehr auf die Brücke. In Bahrain musste er das Schiff verlassen. Ein Ersatzmann stand schon an Land. Es kam ein Däne, ein netter Kerl, mit dem sich Fritz richtig gut verstand. Wilhelmsen hieß er.

10.000 Tonnen Ballast lenzen18 in 6 Stunden und 25.000 Tonnen Erdöl laden in 6 Stunden, und schon hieß es Leinen los. Vollgeladen war als Order Capetown angegeben. Also ging es Richtung Kapstadt. Unterwegs hieß es: Buenos Aires vor Order, vor Order deshalb, weil unterwegs die Ladung mehrfach verkauft wurde, d. h. den Besitzer wechselte. So nahm das Schiff Kurs auf Buenos Aires. Der Hafen Capetown wurde trotzdem angelaufen, um Treibstoff zu bunkern und Ersatzteile an Bord zu nehmen. Die waren aber noch nicht da. Das Schiff musste 2 Tage warten. Die Kontrolleure der Immigrationsbehörde kamen an Bord. Sie ließen sich die Besatzungsliste vorlegen. Plötzlich standen die Kerle vor seiner Kammer. „Aufmachen!“ Die schnappten sich Francis, weg war er. Fritz war schockiert. Warum? Der machte doch einen guten Job und war noch nie in Südafrika gewesen. Eine Viertelstunde vor Auslaufen brachten sie ihn wieder zurück. Ein Posten stand an der Gangway und passte auf, dass er nicht wieder an Land ging. Warum das ? Er war eben ein Farbiger. Deshalb, nur deshalb kam er für die Dauer der Liegezeit ganz einfach in den Knast. Unfassbar! Noch unter den Augen der Polizei umarmte Fritz seinen Kameraden. Fritz war wütend.

Doch das war nicht alles. Fritz hatte für 6 Stunden Landgang. In einer Bar, etwas außerhalb der Stadt, traf er auf ein wunderschönes Mädchen namens Larry. Sie lud ihn zu sich nach Hause ein. Sie hatte sehr nette Eltern. Alle waren leicht farbig, Inder vielleicht. Schon nach einer Stunde stand die Polizei vor der Tür. „Ihr habt einen Weißen im Haus. Wo ist er. Ihr wisst, dass das streng verboten ist.“ Fritz wurde schnell ins Schlafzimmer der Eltern geschoben. Unter dem Bett mit einer großen Tagesdecke versehen, wartete er, bis die Luft rein war. Die durchsuchten jeden Raum, bevor sie endlich verschwanden. Über einen Hinterausgang und durch zwei Nachbargärten entkommen, stand er alleine wieder auf der Straße und machte sich auf den Weg zurück an Bord. Er schwor sich, dieses perverse Land nie mehr zu betreten.

Die Reise ging weiter. Das Schiff war voll beladen. Der Freibord19 machte gerade 3 Meter aus. Die Brücke befand sich auf dem Vorschiff. Dort wohnten auch der Kapitän und die nautischen Offiziere mit dem Funker. Die übrige Mannschaft wohnt auf dem Achterschiff zusammen mit den Ingenieuren. Achterschiff und Brücke waren durch einen stabilen Steg verbunden. Kuhbrücke heißt er im Seemannsdeutsch. Er war erforderlich, um gefahrlos von Achtern zur Brücke und zurück zu gelangen.

Drei Tagereisen später kam schlechtes Wetter auf. Der Seegang und die Dünung nahmen zu. Bald brach Wasser mit Getöse über das Deck. Das Schiff schüttelte sich jedes Mal. Es ächzte, hob sich 5 – 6 Meter hoch, um dann wie auf einer Achterbahn vorne mit einem dumpfen Schlag einzutauchen.

Nachmittags wurde es unmöglich, über die Kuhbrücke nach vorne zu gelangen. Das Schiff stampfte jetzt noch mehr wie zuvor. Jedes Mal schüttelte es sich. Der pfeifende Sturm und das Getöse der Wellen, die über das Schiff hereinbrachen, waren ohrenbetäubend. Unglaublich, dass Wasser solche Gewalt erzeugen konnte. Alle Schotten wurden fest verschlossen. 25.000 Tonnen Ladung und tausende Tonnen des Schiffskörpers wurden geschüttelt, als seien sie ein kleines Spielzeug. Das Wetter eskalierte so sehr, dass die Wellen über den Schornstein schlugen. Seewasser drang in den Maschinenraum, über dem die Kammern lagen. Die Bilgen20 mussten ständig unter Volllast gelenzt werden. Der Sturm heulte und jammerte. Das machte selbst hartgesottenen Matrosen Angst. Fritz suchte seine Koje auf, verkeilte sich darin und betete ein Vaterunser, was er lange nicht mehr getan hatte. Überhaupt war Beten für ihn keine Tagesübung, aber jetzt glaubte auch er an irgendein Ende. Da war beten so etwas wie die letzte Möglichkeit. Wenn es das denn jetzt gewesen sein sollte, dann war es eben so. Er dachte bei sich: Fritz, du bist mal wieder auf dem falschen Schiff gelandet.

Eine Ablösung der Seewache war unmöglich, weil Brecher über Brecher über das Schiff schlugen. Es knirschte und krachte. Die Wassermassen verringerten mit ihrem Gewicht den Freibord. Das Schiff lag daher tiefer im Wasser mit der Folge, dass die nächsten Brecher es noch leichter hatten, über das Schiff zu tosen. Zeitweise sah es so aus, als ragten nur noch die Brücke und das Achterschiff aus dem Wasser.

Nach vier Tagen beruhigte sich der Sturm langsam. Die See wurde etwas ruhiger. Man öffnete die Schotten, um den Versuch zu unternehmen, über die Kuhbrücke zur Ablösung auf die Brücke zu gelangen.

Die gab es so nicht mehr. Einige Teile fehlten ganz. Andere Teile ragten in die Luft oder standen quer zum Schiff. Wasser spülte immer noch über Deck. Dicke Rohrleitungen waren zerknüllt wie Bindedraht. Aber die Besatzung war vollständig geblieben, sie lebten alle noch.

Nach weiteren zwei Tagen konnte man es wagen, über Deck nach vorn zu laufen, um die Wache abzulösen. Albatrosse lagen in der Luft. Ohne einen Flügelschlag begleiteten sie das Schiff ganz niedrig über das noch immer raue Wasser, in einem eleganten Auf und Ab den Wellen ausweichend. Nur ihr Kopf drehte sich dann und wann, so, als wollten sie sich die Bescherung an Deck, die ganze Zerstörung ansehen.

Schließlich legte sich der Sturm ganz. Eine lange Dünung ließ das Schiff stampfen. Ja, das Vorschiff nahm da immer noch Wasser.21

Fritz ging seine Wache von 00: 00 bis 04: 00 Uhr morgens. Ein klarer, unglaublicher schöner Sternenhimmel mit dem Kreuz des Südens schien das Schiff friedlich zu begleiten. Fritz dachte bei sich, wer hat das alles geschaffen. Ehrfurcht vor den Gewalten der See ergriff ihn. Er dachte auch an das Mädchen zu Hause, in Hannover, das er in seinem Herzen trug. Etwas Wehmut kam auf. Nein, diese Tage hätte er lieber nie erlebt.

In Buenos Aires nahe dem alten Hafen von La Boca wurde die Ladung gelöscht. La Boca ist ein Hafenviertel, an dessen Rand die Hafenarbeiter wohnten. Früher waren es hauptsächlich ausgewanderte Italiener.

Der Hafen roch nach Teer und Abwasser; dass er „roch“, ist diplomatisch ausgedrückt. Es stank. Die Straßen hatten zumeist ein Kopfsteinpflaster. Auf den geteerten Strecken ließen sich Tangospieler nieder. Hier und da tanzten Paare mit „Verrenkungen“, die Fritz noch nie gesehen hatte. So tanze man den Tango, hieß es.

Das Schiff wurde entgast. Eine neue Kuhbrücke war bei der Ankunft offensichtlich schon vormontiert. Sie war schnell wieder dort, wo sie hingehörte. Rohre wurden ausgetauscht. Das ging alles erstaunlich schnell. Trotzdem hatte der Tanker eine Liegezeit von fünf Tagen, zwei mehr als üblich.

Fritz machte sich auf in die Stadt. Der Pumpenmann, ein stämmiger Finne, hatte Fritz gebeten, ihm einen Lederkoffer zu kaufen und so viel Alkohol puro (96 Vol.-%) wie möglich mitzubringen. Der Mann trank jeden Morgen zum Frühstück eine halbe Tasse Kaffee und füllte die andere Hälfte mit Alkohol puro auf. Aber irgendwie vertrug der das.

Fritz erfüllte ihm seinen Wunsch, doch zuvor schlenderte er durch die Stadt. Auf der Avenida Corrientis blieb er vor dem Schaufenster einer Buchhandlung stehen. Goethebuchhandlung hieß die. Er dachte an das kleine Geschäft in Hannover und an dieses hübsche Mädchen.

Nichts wie rein in den Laden. Die Buchhandlung führte nur deutsche Bücher. Fritz erstand ein dickes Buch mit Erzählungen von Tolstoi und Dostojewski in deutscher Übersetzung und eine Bibel.

Er hatte sich fest vorgenommen, die Bibel von Seite 1 bis zum Schluss zu lesen. Aber schon auf Seite 3 legte er sie wieder weg. Das war wohl auch kein Volltreffer – Tolstoi ebenso wenig, und Dostojewski auch nicht. Monate später holte er die Bibel wieder raus und schlug zufällig die Apostelgeschichte auf. Die fand er richtig spannend, und so las er immer wieder im Neuen Testament.

18 Lenzen = entladen, auch: Wasser aus dem Rumpf schöpfen.

19 Freibord = Höhe zwischen Wasserlinie und Deck bzw. der über Wasser gelegene Teil eines Schiffs, der die Reserveschwimmkraft darstellt.

20 Bilge = Der unterste Raum des Schiffs, in dem sich das eingedrungene Wasser sammelt.

21 Wasser nehmen = das Deck wird überspült.

Fritz Gezeiten des Lebens-Ebbe,Flut und Sturmfluten

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