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Margarete Gritli Blickensdörfer

1944 in Homburg/Saar geboren. Sie lebte bei ihren Großeltern, bis sie mit der Einschulung zu ihren Eltern und jüngeren Geschwistern in die Pfalz zog. Als sie selbst eine eigene Familie gründete, nahm sie weitere Pflegekinder auf.

Mutprobe im Vorschulalter

Wenn die Großmutter das Enkelkind von Geburt an bis zur Einschulung bei sich behält, es erzieht und liebt, wie ein eigenes Kind, geht es ihm meistens gut. Wenn sie jedoch viel Angst um dieses Kind hat, es könne jederzeit etwas Böses beim Seilspringen oder Ballspielen auf dem breiten Trottoir vorm Haus passieren, dann hindert es die Großmutter daran, sich ins Leben zu spielen.

Mit diesem Gedanken beschreibe ich ein Erlebnis, wie es mir mit circa fünf Jahren passierte: Wenn ich mit meiner Oma nach draußen gehe, kann es vorkommen, dass mich braves Mädchen, das nur immer mit Oma sichtbar ist, Kinder aus der Nachbarschaft necken: „Du Feigling, du traust dich nie alleine auf die Straße!“ Ein Angriff, vor dem ich meine Ohren nicht verschließen kann. Mich ärgern solche Attacken noch mehr, wenn Oma zu schimpfen anfängt und den Mädchen „Freche Gören“ zuruft. Dann versuche ich, Oma mit allerletzter Kraft schnell vom Ort der Scham in Richtung unseres Hauses zu ziehen.

Einmal kann ich Oma ablenken und überlisten. In einer unbeobachteten Zeit locke ich einige der mich sonst attackierenden Kinder in unseren großen Garten, unter einen riesigen Kirschbaum. Da ist die Erde um den Stamm dunkel und es wächst nicht einmal Unkraut. Die Mädchen, bei mir zu Besuch, sollen ruhig sehen, dass ich nicht feige bin – auch im kühlen Dunkel unterm großen Blätterdach keine Angst habe. Und, ich kann etwas zum Anschauen bieten: einen Rabenvogel, der nicht mehr fliegen kann, denn ein Flügel hängt ihm auf dem Boden herunter. Das schwarz glänzende Tier hüpft aufgeregt um den Stamm des Baumes herum. Vor zwei bis drei Tagen hatte mich ein Rascheln in gefallenen Ästen und Blättern erschreckt, bevor ich den schönen Vogel entdeckte.

Heute bemerke ich, dass nicht alle kleinen Besucherinnen ohne Furcht sind! Sie wollen nun wissen, was zu tun sei. Ich schlage vor, ein Grab vorzubereiten, für den Fall, dass der Vogel sterben würde, er könne ja nicht selbst jagen. Ein herumliegender Spaten bringt mich auf diese Idee. Ich ergreife ihn und zeichne mit seiner scharfen Kante einen Kreis, gebe ihn weiter zur Nächsten. Sie beginnt ein wenig Erde auszubuddeln, gibt den Spaten weiter. Alle zeigen, was sie schaffen können, das zukünftige „Grab“ entsteht. Wir pflücken einige Blumen im Beet und schmücken es.

Ich bin Feuer und Flamme, freue mich, bin leicht durchgedreht darüber, dass so viele Mädchen mit mir unter meinem Lieblingsbaum einträchtig beisammen sind. In diesem Hochgefühl frage ich, ob wir den Rabenvogel zusammen fangen könnten, um ihn näher zu betrachten, ihm in die Augen zu schauen. Zunächst rennen wir alle um den Stamm des Baumes. Jede möchte beweisen, wie mutig sie ist. Doch irgendwann fangen wir nacheinander an zu jammern, Seitenstechen oder Wadenweh lässt uns aufgeben. Vielleicht ist die „Schau“ langweilig geworden?

Ich möchte die Kinder doch noch nicht gehen lassen! Mich sticht der Hafer, ich ziehe meinen letzten Trumpf, frage nach einer letzten Mutprobe: „Wer traut sich, ins zukünftige Vogelgrab zu pinkeln?“ Die einen kichern, andere sind stumm geworden. Ohne langes Federlesen strippe ich mit erdigen Fingern mein Unterhöschen herunter, setze mich über das gemeinsam gegrabene Vogelgrab, lasse mein Pippi sprudeln, schäumen… schaue beim Hochziehen meiner Hose in entsetzte Gesichter. Als die erste weinend den Ausgang des Gartens sucht, rennen ihr die anderen hinterher und erschrocken bleibe ich als Verliererin zurück und schäme mich ein bisschen über die wohl verunglückte Mutprobe.

Ein solch übermütiges Spiel, in einer Zeit, in der wir Mädchen noch sehr prüde erzogen worden waren, wollte ich nie mehr spielen. Das war mir ein Stück weit unterm Kirschbaum schon klar geworden! Aber was hatte ich den anderen Mädchen sonst zu bieten?


Viel zu oft habe ich allein gespielt

Spielen! Was sonst?

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