Читать книгу Spielen! Was sonst? - Erny Hildebrand - Страница 20
Auf der Bühne
ОглавлениеMehrere Jahre lebte ich mit meiner Familie in Frankreich und ging dort auf eine französische Schule. In der ersten Deutschstunde des neuen Schuljahres machte uns unser Deutschlehrer den Vorschlag, das Jahr über ein Theaterstück einzuüben und es dann am Schuljahrsende im nächsten Sommer an der Schule aufzuführen. Wir alle waren Feuer und Flamme. Die erste Frage war: Was sollen wir spielen? Nach längeren Diskussionen – unser Lehrer hatte mehrere Vorschläge – entschieden wir uns für „Unsere kleine Stadt“ des amerikanischen Schriftstellers Thornton Wilder. Gemeinsam lasen wir das Stück mit verteilten Rollen und brauchten lange, bis wir alle Rollen zur allseitigen Zufriedenheit besetzt und verteilt hatten.
„Unsere kleine Stadt“ in einer Schüleraufführung
Von nun an trafen wir uns jeden Samstagmorgen in der Schule und begannen, statt des sonst erteilten Deutsch- und Geschichtsunterrichts unser Theaterstück einzustudieren. Erst im Laufe der Zeit wurde uns klar, was wir uns da vorgenommen hatten, und dass wir als Laienschauspieler oft glaubten, uns übernommen zu haben und es nicht zu schaffen. Aber das Wunder geschah: Je länger wir uns mit dem Stück befassten, auswendig lernten, einübten und probten, desto mehr wurden wir von einem unglaublichen Eifer gepackt und dem Ehrgeiz, es zu schaffen und die anderen am Schuljahresende ebenso zu begeistern wie uns. Es war trotzdem eine mühselige Arbeit und dauerte Monate, bis das Stück Konturen bekam.
Das Theaterstück drehte sich um zwei Familien in einer kleinen Stadt: Die des Redakteurs der örtlichen Zeitung und die des Arztes. Ich spielte die Frau des Arztes und ich erinnere mich vor allem bei den Proben an eine Szene, in der der Arzt seine Frau in den Arm nehmen muss. Hölzerner als wir zwei das bei der ersten Probe versuchten, kann man sich einfach nicht bewegen. Die Kommentare der kritisch zuschauenden Schulkameraden konnten bissiger nicht sein und Dr. Böttinger meinte gutmütig zu meinem Partner, das müsse er noch üben. „Ja, wie denn“, fragte der ratlos, woraufhin ein anderer trocken meinte: „Na, mit einem Bügelbrett!“ Alles lachte, aber ich war doch etwas pikiert. Irgendwann wurden wir aber alle gelöster und je besser es lief, desto mehr gefiel es uns. Im Frühjahr wurde die Frage der Kostüme drängend und alle nähfähigen Mütter nähten und änderten die notwendigen Kostüme aus alten Kleidern. Handwerklich geschickte Väter halfen beim Bau der Kulissen.
Unsere Begeisterung erlahmte nicht eine Sekunde, höchstens Niedergeschlagenheit machte sich ab und zu immer wieder breit, wenn eine Szene nicht so klappen wollte, wie wir und unser Lehrer als Regisseur es gerne gehabt hätten. Und dann kam der große Tag der Aufführung. Es war ein unglaublicher Erfolg. Unsere Aula war bis auf den letzten Platz besetzt und es ergab sich die Notwendigkeit, das Stück sogar noch ein zweites Mal zu spielen, weil nicht alle Zuschauer beim ersten Mal erfasst werden konnten; denn jeder in der Schule, der Deutsch lernte, war gekommen und sämtliche Väter und Mütter natürlich auch. Das größte Kompliment war, dass wir von der deutschen Schule in Paris eine Einladung bekamen, auch dort noch einmal zu spielen, weil unser Stück sogar bis dorthin bekannt geworden war. Nie zuvor und nie wieder bin ich, sind wir, glaube ich, alle, mit so einem unendlichen Gefühl von Zufriedenheit und Glück nach diesem Schuljahr in die Sommerferien gegangen.