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Tante Emma

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Eines Abends klingelte das Telefon. Ich hob den Hörer ab und schon schallte mir die Stimme meiner Cousine entgegen. „Tante Emma hat doch bald Geburtstag. Weißt du, was sie sich wünscht? Das rätst du nie!“ Vor meinem Auge sah ich Tante Emma: schlank, ernst, gewissenhaft, verantwortungs- und pflichtbewusst und ich hörte wieder den Spruch, den sie uns als Kinder so oft gesagt hatte: „Erst die Arbeit und dann das Vergnügen.“ Und wie oft hatten wir, wenn wir bei ihr zu Besuch waren, erlebt, dass die Zeit der Pflichtenerfüllung zu lang war, um noch spielen gehen zu können. Ich begann zu raten: „Wünscht sie sich einen Staubsauger?“ Ach nein, ich verwarf den Gedanken. Mir fiel das letzte Telefonat mit ihr ein. „Sie sprach doch von einer Tiefkühltruhe, damit sie ihr Essen für die Woche vorplanen könne. Tante Emma wünscht sich sicher eine Tiefkühl…“ Das Lachen meiner Cousine unterbrach mich. „Ich hab doch gesagt, das errätst du nie!“ Und wieder ergoss sich ihr Gelächter über mich. Ich versuchte es erneut: „Ein neues Haushaltsbuch? Einen Terminkalender oder einen Wochenplaner?“ Das Kopfschütteln meiner Cousine höre ich bis zu mir. „Du wirst es nicht glauben.“ Sie kicherte. „Sie wünscht sich einen Nachmittag mit Spielen.“ Ich glaubte nicht richtig gehört zu haben, Tante Emma und spielen? Das passt doch so gut zusammen wie Nordpol und Palmen. „Das ist nicht wahr! Du machst Witze!“ stieß ich ungläubig hervor. „Nein, wirklich, sie wünscht sich einen Geburtstag zum Spielen. Ich habe es auch nicht geglaubt, als sie mir dies sagte. Und auf meine entgeisterte Nachfrage entgegnete sie nur: „Lasst euch was einfallen!“

Nachmittags beriefen wir eine Familienkonferenz ein, aber niemand von uns konnte sich vorstellen, was Tante Emma mit „spielen“ meinte. Wir einigten uns darauf, dass jeder ein Spiel für sie kaufen sollte, das wir dann am Geburtstag mit ihr spielen würden.

Dann war es soweit. Wir überreichten ihr ein Spiel nach dem anderen: Schach, Mühle, Halma, Master Mind, Abalone. Peter gab ihr sogar eine Eintrittskarte zum nächsten großen Fußballspiel. Doch sie freute sich nicht richtig. Sie setzte sich zwar mit uns an den Tisch und begann zu spielen, aber sie war nicht richtig dabei.

Nach einer Weile drängte sich Nico, mein kleiner Sohn, an sie und sagte: „Tante Emma, es ist so langweilig, komm, wir gehen raus und spielen.“ Er fasste sie bei der Hand und zog sie nach draußen. Wir sahen, wie die beiden die Köpfe zusammensteckten und miteinander flüsterten. Nico verschwand für ein paar Minuten und kam dann wieder. In seinen Händen hielt er Hühnerfedern und zwei Stöcke umklammert. Beide steckten sich die Federn ins Haar und die Stöcke wurden zu Speeren. Sie schauten sich an. Dann duckten sie sich und schlichen in den Wald, wo sie unseren Blicken entschwanden.

Auch wir schauten uns an. Wir wollten nicht glauben, was wir gesehen hatten. Tante Emma, die ach so Vernünftige, hat sich auf solche Kindereien eingelassen. Wir verstanden die Welt nicht mehr. Kopfschüttelnd setzten wir uns um den Tisch und ließen es uns schmecken.

Ewigkeiten später flog plötzlich die Türe auf und zwei Indianer umtanzten, wildes Kriegsgeschrei ausstoßend, unseren Tisch. Speere zielten auf uns und wir wurden zur Herausgabe von Kuchen gezwungen.

Tante Emmas Backen glühten, ihre Augen blitzten und ihr Kriegsgeschrei gellte in unseren Ohren. Sie sprühte vor Lebenslust.

Spielen! Was sonst?

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